Unterm Radar

31. Okt. 2022

Aufnahme in die Eurofamilie

Kroatien hat formal die vier wirtschaftlichen Konvergenzkriterien erfüllt und wird ­Anfang 2023 den Euro einführen. Doch dieser ist kein Wundermittel – das Land muss vor allem seine Institutionen stärken, um mehr Wohlstand zu erreichen.

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Bild: In Kroatien müssen Preise in Euro und Kuna ausgewiesen werden. Schilder in einem Restaurant
Seit dem 5. September müssen in Kroatien alle Preise in Euro und Kuna angegeben werden. Am 1. Januar 2023 tritt das Land dann in die Eurozone ein – als 20. Mitglied. Damit verbleiben noch sieben EU-Staaten außerhalb der Währungsunion.
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Am 12. Juni 2022 hat der Rat der Europäischen Union den Weg freigemacht, damit Kroatien am 1. Januar 2023 als 20. Staat dem Euroraum beitreten kann. Der Umrechnungskurs der kroatischen Kuna wurde auf 7,53 Kuna für einen Euro festgesetzt.



Spätestens seit Ausbruch der Eurokrise im Jahr 2009, als zuerst Griechenland und dann immer mehr Eurostaaten von Insolvenz bedroht waren, istallen klar, dass der Euro mehr ist als nur eine Währung: Der Euro ist eine Schicksalsgemeinschaft. Er bindet das fiskalische und auch das wirtschaftliche Schicksal der ­Eurostaaten eng aneinander. Denn fiskalische und/oder wirtschaftliche Probleme in einem Eurostaat können sich schnell zu einem Flächenbrand entwickeln, der auch andere ­Eurostaaten ­erfasst.



Die Eurostaaten haben im Zuge der Eurokrise zwar ein paar Brandmauern errichtet, etwa den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Es ist jedoch fraglich, ob dieser in der Lage wäre, ein wirtschaftliches und politisches Schwergewicht wie Italien zu retten. Daher ist es derzeit im Wesentlichen die Europäische Zentralbank (EZB), die Italien, aber auch Griechenland vor der Insolvenz bewahrt. Auch dies hat negative Konsequenzen für die restlichen Eurostaaten. Denn die Fähigkeit der EZB, die Inflation zu bekämpfen, wird dadurch einschränkt. Deshalb gilt: Der Beitritt Kroatiens zum Euroraum ist keine Randnotiz.



Im Folgenden werden die vier wirtschaftlichen Konvergenz­kriterien betrachtet, die ein EU-Mitgliedstaat erfüllen muss, um den Euro einführen zu können. Konkret sind dies:

 

  • Gesunde öffentliche Finanzen: Dieses Kriterium ist erfüllt, wenn sich der Beitrittskandidat nicht in einem Defizitverfahren befindet.
  • Stabile Preise: Dieses Kriterium ist erfüllt, wenn die Inflationsrate des Beitrittskandidaten nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über der Rate der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegt.
  • Stabiler Wechselkurs: Dieses Kriterium ist erfüllt, wenn die Währung des Beitrittskandidaten zwei Jahre maximal 15 Prozent gegenüber dem Euro auf- oder abwertet.
  •  Stabile Zinssätze: Dieses Kriterium ist erfüllt, wenn der Zinssatz für Staatsanleihen des Beitrittskandidaten mit einer 7,5-jährigen Restlaufzeit nicht mehr als zwei Prozentpunkte über dem Zinssatz der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegt.

 

Ein gemischtes Bild

Das erste Kriterium – gesunde öffentliche Finanzen – war für Kroatien vergleichsweise leicht zu erfüllen. Kroatien befand sich seit seiner Aufnahme in die EU 2013 nur einmal in einem Defizitverfahren; dieses Verfahren wurde 2017 beendet. Seit März 2020 ist es für die EU-Mitgliedstaaten allerdings auch nicht mehr möglich, in ein Defizitverfahren zu gelangen, da der Stabilitäts- und Wachstumspakt seitdem ausgesetzt ist. Wirft man dennoch einen Blick auf den kroatischen Schuldenstand, sieht es durchwachsen aus: Zwar liegt er mit 77,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) unterhalb des Euroraum-Durchschnitts von 95,6 Prozent. Diese Quote liegt jedoch deutlich oberhalb der 60-Prozent-Grenze des Stabilitäts- und Wachstumspakts.



De facto hat die 60-­Prozent- Grenze in der Vergangenheit allerdings nie eine große Rolle bei der Einleitung eines Defizitverfahrens und mithin bei der Euroeinführung gespielt. Auch Belgien, Griechenland und Italien wiesen bei Einführung des Euros erheblich höhere Schuldenstände auf. Vergleicht man den kroatischen Schuldenstand mit denen der anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens, wird das kroatische Bild weiter getrübt. Denn nur Montenegro, welches sich beim Bau einer ­Autobahn ­finanziell übernommen hat, weist aktuell einen höheren Schuldenstand auf.



Nur wenig besser sieht es beim zweiten Kriterium aus, stabilen Preisen. Kroatien hat dieses zum Zeitpunkt der Entscheidung, ob das Land den Euro einführen darf, zwar erfüllt. Aktuell sieht es aber anders aus. Denn die kroatische Inflationsrate ist in den vergangenen Monaten stark angestiegen. Seit April liegt sie über dem Durchschnitt des Euroraums. Im August betrug die ­kroatische Inflationsrate stattliche 12,6 Prozent gegenüber 9,1 Prozent im Euroraum. Ursächlich für den Anstieg der Inflation sind die stark gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise.



Immerhin konnte Kroatien den Wechselkurs gegenüber dem Euro, wie für die Euroeinführung gefordert, über zwei Jahre stabil halten (drittes Kriterium). Allerdings musste die kroatische Notenbank im ersten Quartal 2020 intervenieren, um eine Abwertung der Kuna zu verhindern. Das vierte Kriterium – stabile Zinssätze – hat Kroatien problemlos erfüllt. In Summe ergibt dies ein gemischtes Bild. Zwar hat Kroatien formal alle vier Kriterien erfüllt, das Land hatte dabei aber etwas Glück.



Auch jenseits der vier Konvergenzkriterien gibt es Punkte, die nachdenklich stimmen. So sind die Rahmenbedingungen für unternehmerisches Engagement in Kroatien schlechter als in den meisten anderen Eurostaaten. Insbesondere ­Baugenehmigungen sind schwer zu bekommen und die Hürden, ein Unternehmen zu gründen, sind hoch. Zudem weist Kroatien Schwächen bei der Rechtsstaatlichkeit auf. Die EU-Kommission sieht insbesondere die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet.



Nicht zuletzt ist Korruption ein verbreitetes Problem in Kroatien. Der Europarat hat im März 2020 hierzu umfangreiche Empfehlungen an die Regierung in Zagreb gerichtet. Diese hat jedoch keine einzige Empfehlung zufriedenstellend umgesetzt, über die Hälfte der Empfehlungen sogar überhaupt nicht.



Hoffnung und Sorgen

Die Bevölkerung befürwortet ­insgesamt die Einführung des Euros. Sie hofft auf günstigere Kredite, mehr ausländische Investitionen und eine stärkere Anbindung an die EU. Letzteres wird positiv gesehen, denn das Vertrauen in europäische Institutionen ist größer als in heimische. Die Umstellung wird zudem dadurch erleichtert, dass die Bevölkerung bereits an den Euro gewöhnt ist. So werden Ersparnisse seit Langem in Euro gehalten und größere Käufe in Euro abgewickelt. Auch politische Erwägungen spielen bei der Euroeinführung eine Rolle, denn das Land möchte sich möglichst vom Rest des ehemaligen Jugoslawiens ­distanzieren.



Sorgen bereitet den Menschen dagegen, dass die Euroeinführung zu einem weiteren Anstieg der Preise führen könnte. 2007 war dies in Slowenien zu beobachten. Um es Unternehmen zu erschweren, die Umstellung für Preis­erhöhungen zu nutzen, müssen seit dem 5. September 2022 alle Preise in Euro und Kuna angegeben werden.



Institutionelle Schwächen

Damit sich die Hoffnungen der kroatischen Bevölkerung erfüllen und der Euro tatsächlich zu mehr Wohlstand führt, müssen die heimischen Probleme gelöst werden. Denn ausländische Investitionen hängen nicht nur vom Wechselkursrisiko ab. Die Rahmenbedingungen für unternehmerisches Engagement sind ebenfalls wichtig. So werden keine Investitionen in neue Hotels getätigt, wenn Baugenehmigungen nicht erteilt werden. Allein die Tatsache, dass das ohnehin geringe Wechselkursrisiko wegfällt, wird also nicht zu einem sprunghaften Anstieg der Investitionen in Kroatien führen.



Gleiches gilt für den internationalen Handel. Dies hat die Euroeinführung in Deutschland seinerzeit gezeigt. Denn damals wuchsen deutsche Exporte in die Nicht-Eurostaaten stärker als die Exporte in Eurostaaten. Die Euroeinführung kann zudem weder die Korruption in Kroatien beenden noch die dortigen Rechtsstaatlichkeitsprobleme ­lösen. Auch der sehr wichtige Tourismussektor – 2019 trug er knapp 20 Prozent zum BIP bei – wird nicht automatisch von der Euroeinführung profitieren. Denn bereits heute können Touristen in vielen Urlaubsorten in Euro oder bargeldlos zahlen. Für Touristen wird sich also wenig ändern.



Kurzum, der Euro ist kein Wundermittel. Damit er zu Wohlstand führt, braucht es funktionierende Institutionen. Ohne diese kann sich der Euro schnell als negativ erweisen. Der griechische Staatsbankrott und die jahrelange Wachstumsschwäche Italiens sind mahnende Beispiele: In beiden Staaten hat der Euro die institutionellen Schwächen gnadenlos offengelegt. Es ist also noch viel zu tun in Kroatien.



Trotz dieser getrübten Bilanz müssen sich die anderen Eurostaaten keine Sorgen machen, denn wirtschaftlich ist Kroatien ein Leichtgewicht. Das BIP entspricht ungefähr dem Litauens, und mit etwas über vier Millionen Einwohnern ist die Bevölkerung in etwa so groß wie in Rheinland-Pfalz. Das heißt: Unabhängig davon, wie sich Kroatien entwickelt, wird der Eurobeitritt des Landes den Euro nicht gefährden. Kroa­tien ist kein zweites ­Griechenland. Das Schicksal der Euro­zone liegt weiterhin maß­geblich an der Zukunft Italiens.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2022, S. 12-14

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Dr. Matthias Kullas leitet am Centrum für Europäische Politik in Freiburg den Fachbereich Wirtschafts- und Fiskalpolitik.

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