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01. Juli 2017

„Man muss berichten“

Bastian Obermayer über den Umgang mit Leaks und Hacker-Angriffen

Im US-Wahlkampf halfen Hacker-Angriffe auf die Demokratische Partei und darauffolgende Leaks Außenseiter Donald Trump ins Weiße Haus, ein angebliches „Macron-Leak“ kurz vor der Stichwahl verpuffte dagegen in Frankreich wirkungslos. Deutschlands Medien würden bei ähnlichen Vorgängen verantwortlich handeln, sagt SZ-Journalist Bastian Obermayer.

IP: Noch ist es eine theoretische Frage, aber womöglich nicht mehr lange: Wenn mitten im Bundestagswahlkampf eine Website namens „bundestagleak.org“ auftaucht, mit einer Vielzahl von Dokumenten, die aus dem russischen Hacker-­Angriff auf den Bundestag von 2015 stammen – wie sollten die Medien damit umgehen?

Bastian Obermayer: Zuallererst wäre zu klären, ob die Dokumente authentisch sind – was eine sehr schwierige Frage ist, wie wir beim so genannten Macron-Leak gesehen haben, als Dokumente, die bei Hacker-Angriffen auf das Wahlkampfteam von Emmanuel Macron erbeutet, aber eben teilweise auch „bearbeitet“ und gefälscht wurden, am Vorabend der Stichwahl gegen ­Marine Le Pen ins Internet gestellt wurden. Die nächste Frage lautet: Ist eine Berichterstattung im öffentlichen Interesse? Falls ja, muss man als Medium darüber berichten, dann ist die Herkunft des Materials erst einmal zweitrangig. Nehmen wir an, es würde offenbart, dass ein Parlamentarier von einem Rüstungskonzern bestochen wurde. Dann ist es zwar nicht schön, dass diese Daten wahrscheinlich von Russland hochgeladen wurden, aber es ist ein Vorgang, der absolut berichtenswert ist.

IP: Wie prüft man solche Unterlagen auf Authentizität? Wie kann man verlässlich feststellen, was echt und was Fälschung ist?

Obermayer: Im Fall Macron war es wahnsinnig schwer, deswegen haben die meisten Zeitungen in Frankreich auch erst einmal nicht berichtet. Angesichts des Timings war eine Überprüfung kaum möglich – was ja vermutlich Absicht war. Wenn man das nicht verantwortungsvoll machen, sondern nur Spekulationen verbreiten kann und den Leser damit im Zweifel gegen einen bestimmten Kandidaten oder dessen Partei einschwört, dann muss man es meiner Meinung nach sein lassen.

Bei den Panama Papers haben wir erst einmal monatelang recherchiert, um Abgleichdaten zu erhalten – aus Firmenregistern auf der ganzen Welt und von frei zugänglichen Registern in Panama, gecheckt und gegengecheckt und dann festgestellt: Das stimmt! Jedes einzelne Firmengründungsdatum in diesen Dokumenten war korrekt. Bei einer Fälschung hätte sich also jemand sehr viel Mühe machen müssen, wir hatten ja 11,5 Millionen Dokumente.

Außerdem haben wir Vorgänge aus alten Gerichtsakten nachvollzogen, zum Beispiel die zur Siemens-Affäre. Damals wurde gerichtsbekannt, wie Schmiergeldzahlungen über Offshore-Firmen abgewickelt wurden. Wir sahen in den Unterlagen, wer zu der Zeit Firmenbevollmächtigter war, wann die Firma gegründet wurde, wieviel Geld überwiesen wurde, und auch in diesem Fall konnten wir abgleichen und feststellen, dass alles übereinstimmte. So lief auch die Zusammenarbeit mit unseren vielen hundert Kollegen auf der ganzen Welt. Jeder hat versucht, in seinem Bereich so viel wie möglich gegenzuchecken. Und immer auch darauf zu schauen: Sind da irgendwo Dokumente, die nicht authentisch wirken? Welche, die seltsam wirken? Mithilfe unserer Techniker haben wir uns die elektronischen Dokumente außerdem forensisch angeschaut: Wann wurden Daten verändert, wer hat sie verändert? Waren das Leute von Mossack Fonseca oder waren das andere? Wir haben nie gefunden, was man beim Macron-Leak gefunden hat, russische Schriftzeichen in Daten-Zwischenwänden zum Beispiel.

Was hinzukam: Wir haben die Daten relativ tagesaktuell bekommen. Wenn ein neues Paket ankam mit ein paar hunderttausend Daten, waren da E-Mails vom Vortag darunter. Das heißt, da hatte niemand Zeit, zu durchsuchen und Vorgänge herauszufischen, die beispielsweise für die USA peinlich sein könnten – wie manche meinen, die die Panama Papers für eine CIA-Aktion halten. Und enge US-Verbündete waren ja betroffen: Der britische Premierminister David Cameron geriet unter Druck, der isländische Regierungschef Sigmundur Gunnlaugsson musste zurücktreten.

Kurz: Wir waren uns ziemlich sicher, nicht das Geschäft einer bestimmten Seite zu erledigen. Und am Ende kommt hinzu: Um die Authentizität zu gewährleisten, muss man die Leute, über die man schreibt, vor der Veröffentlichung ansprechen und sie mit den Rechercheergebnissen konfrontieren. An den Reaktionen merkt man oft schon, ob da jemand aus allen Wolken fällt und glaubwürdig erklärt, das könne nicht sein. Oder ob dann kommt: Sie müssen verstehen, das war damals soundso usw. Niemand unter denjenigen, über die wir berichtet haben, hat behauptet, die Dokumente seien gefälscht. Selbst Wladimir Putin nicht.

IP: Muss man grundsätzlich differenzieren: Hier ein Leak, bei dem ein Whistle­blower skandalöse Vorgänge publik machen will, oder einfach ins Internet gestellte „data dumps“, die Ergebnis von Hacker-Angriffen sind wie bei Emmanuel Macron und bei den US-Demokraten und dem Wahlkampfteam von ­Hillary Clinton?

Obermayer: Es gibt natürlich Unterschiede. Nach unserem Dafürhalten und nach Aussage der Person, die uns die Panama Papers zugespielt hat, ging es darum, auf Ungerechtigkeiten und fehlende Chancengleichheit in der Welt aufmerksam zu machen. Und Edward Snowden wusste ja auch ganz genau, was er mit seinen Enthüllungen erreichen wollte. Aber schon im Fall Snowden gibt es Leute, die das Ganze für eine Aktion des russischen Geheimdiensts halten.

Auf der einen Seite gibt es den WikiLeaks-Standpunkt: Laut Julian Assange ist Transparenz immer gut, egal, woher die Informationen kommen. Auf der anderen Seite gibt es Leute, die sagen, in Sachen Hillary Clinton sollte doch eindeutig Wahlkampf gemacht werden – wovon auch ich überzeugt bin, was aber nichts daran ändert, dass manche Enthüllungen nach allen journalistischen Kriterien berichtenswerte Geschichten waren.

Womit man sich als Journalist natürlich schwertut, ist, wie da Geschichten gestreckt werden, wie in einer Wahlkampfphase immer wieder Stück für Stück mehr veröffentlicht wird, mit dem ganz klaren Ziel, einem bestimmten Kandidaten zu schaden. Da ist es sehr schwer, seine Linie zu finden: Auf der einen Seite will man auf Berichterstattung nicht verzichten, wenn es ein öffentliches Interesse gibt – schon allein, um sich nicht den „Lügenpresse“-Vorwurf einzuhandeln, dass man Dinge verschweigt, die für die Entscheidung der Wähler wichtig sind. Man will sich aber auch nicht zum Helfershelfer von ­jemandem machen, der einfach nur sein Interesse durchsetzen will, zum Beispiel einen bestimmten Kandidaten zu verhindern.

Wenn jemand wie Assange klar sagt, dass er zwar nicht für Donald Trump, aber gegen Hillary Clinton arbeite, dann muss man das thematisieren; sicher ist ein solcher Einfluss von außen – und sei es aus der ecuadorianischen Botschaft in London – ein Problem für die Demokratie. Aber es wäre auch ein Problem, wenn man die Tatsache verschwiege, dass Clintons Konkurrent Bernie Sanders mit unlauteren Mitteln aus dem Rennen gekickt wurde. Das ist eine Geschichte, die man machen muss – auch wenn die Informationen jemand liefert, der sagt, er wolle nicht, dass Clinton Präsidentin wird. Es ist schlicht eine wichtige Information, die dem Leser hilft, eine informierte Wahlentscheidung zu treffen. Und würde man diese Geschichte nicht machen, wäre sie ja nicht aus der Welt, sondern sie würde dann auf bestimmten Websites so lange gesponnen, bis die so genannten Mainstream-Medien einräumen müssen: Ja, wir haben das ignoriert. Und das wiederum ist für die Legitimation von Medien in der Demokratie ein Problem: wenn die Bürger denken, dass ihnen Dinge verheimlicht werden. Ich sehe da ein Dilemma, aus dem man nicht wirklich herauskommt.

IP: Finden sich die Medien nicht in der Rolle von Getriebenen wieder – gerade ­unter den verschärften Bedingungen eines Wahlkampfs?

Obermayer: Ich bin froh, dass wir bei den Panama Papers ein ganzes Jahr an den Enthüllungsgeschichten arbeiten konnten; wir hätten sonst natürlich Fehler gemacht. Am Ende muss jedes Medium, jeder Journalist für sich entscheiden – man kann keine allgemeinen Kriterien entwickeln, die an der Wirklichkeit vorbeigehen. Natürlich ist man getrieben. Das ist manchmal aber auch gar nicht schlecht. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die Veröffentlichungen à la ­WikiLeaks furchtbar finden, weil man sich für sein Editorial nicht mehr drei Tage Zeit lassen kann. Meiner Meinung nach hat diese Entwicklung auch dazu beigetragen, dass die Medien besser und schneller geworden sind.

Ich bin auch kein Freund von Aussagen wie: Wir wissen schon, was man den Leuten zumuten kann und was nicht. Ich glaube, man kann ihnen sehr viel zumuten. Gefährlich wird es vielmehr, wenn die Menschen das Vertrauen in die Medien verlieren. Und Leak heißt ja nicht unbedingt Tausende Dokumente. Es kann auch einfach eine schlecht kopierte Seite sein, die irgendwo rausgeschmuggelt wird, in der Regel mit dem klaren Interesse, jemandem zu schaden. Wenn bekannt wird, dass ein Spitzenpolitiker ein uneheliches Kind hat, dann ist das ja auch ein Leak, das aus den niedrigsten Beweggründen an die Öffentlichkeit kommt – von jemandem, der den Betroffenen mit seinem Privatleben zu Fall bringen will. Die Medien stehen dann im Prinzip vor derselben Entscheidung: Will man da mitgehen? Oder sagt man, wie noch in den 1960er und 1970er Jahren üblich: Das bleibt geheim.

IP: Beunruhigt Sie die Rolle, die Moskau derzeit in Sachen Leaks spielt?

Obermayer: Natürlich macht es das Ganze noch komplizierter, weil ein weiterer Mitspieler seine Finger mit drin hat; jemand, der sich an keine Regeln hält und der entweder Wahlen beeinflussen oder zumindest die Personen schwächen will, wie im Fall von Hillary Clinton. Ich weiß nicht, wie man dem begegnen soll. Es gibt keine einfachen Lösungen. Man muss sich bei jeder einzelnen Geschichte anschauen: Was sind die Fakten? Wie groß ist das öffentliche Interesse an dieser Geschichte? Wie sicher bin ich mir, dass das alles stimmt? Wenn es ein öffentliches Interesse gibt, dann ist es zwar bedauernswert, dass das Material aus der russischen Ecke kommt, aber es lässt sich auch nicht verschweigen oder kleinhalten. Und für die Entscheidung, ob ein öffentliches Interesse vorliegt, haben wir ausreichend Erfahrungswerte und Präzedenzfälle. Ich meine schon, dass es in Deutschland ein relativ gutes Gespür dafür gibt. Journalisten sind sich da generell schnell einig, jedenfalls ist das bei unserem Team so. Wir haben selten größere Auseinandersetzungen darüber, ob wir eine Geschichte machen sollen oder nicht.

IP: Haben die Mechanismen, die während des US-Wahlkampfs zum Tragen kamen, nicht auch deshalb so gut funktioniert, weil die amerikanische Medienlandschaft so polarisiert ist? Ist Deutschland in gleicher Weise anfällig?

Obermayer: Ich glaube, jedes offene System ist anfällig. In Amerika ist die Lage allerdings schon verschärft. Für rechte Online-Medien wie Breitbart oder Infowars sind Fakten ja eher beliebig. Wenn es die eigene Weltanschauung untermauert, werden Geschichten einfach fabriziert. Wenn man solche Medien im Nacken weiß, die aus jeder Mücke einen Elefanten machen , neigt man womöglich stärker dazu zu sagen: Das machen wir, bevor die anderen es machen und sagen, wir hätten es nicht gemacht, weil wir parteiisch sind oder, wie Donald Trump immer wieder sagt, fake news. In Deutschland sind wir noch nicht in dieser Situation und ich hoffe, wir kommen da auch nicht hin. Aber Geschichten totschweigen – ich glaube nicht, dass das hierzulande noch funktioniert.

Die Fragen stellten Henning Hoff und Sylke Tempel.

Bastian Obermayer ist stv. Leiter des Ressorts Investigative Recherche bei der Süddeutschen Zeitung und war 2016 zusammen mit seinem Kollegen Frederik Obermaier maßgeblich an der Veröffentlichung der Panama Papers beteiligt. Darüber schrieben beide auch ein Buch („Panama Papers. Die Geschichte einer weltweiten Enthüllung“). Im Mai 2017 wurden sie mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2017, S. 85 - 89

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