Kommt Zeit, kommt Rat?
Deutschland streitet über die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats
Mit der Forderung nach einer Sicherheitsstrategie in der letzten Ausgabe der IP entfachte die CDU/CSU eine Debatte über die Ausgestaltung deutscher Sicherheitspolitik. Ein Kernpunkt: die Forderung nach einem -Nationalen Sicherheitsrat, der besonders bei der SPD auf Widerstand stößt. Doch was ist Parteitaktik, was ernsthafter Diskurs? Nach der Politik kommt nun die Wissenschaft zu Wort – und führt die Kontroverse weiter.
Verantwortung, nicht Denkmalpflege!
Sicherheitspolitik muss Notwendigkeiten definieren statt Ressorts reklamieren
Angesichts der zunehmenden Bedeutung sicherheitspolitischer Fragen und der Erweiterung des Sicherheitsbegriffs (und der damit einhergehenden Vermischung von innerer und äußerer Sicherheit) diskutieren wir in Deutschland alle Jahre wieder über die bessere Koordinierung und Vernetzung sämtlicher Akteure in der Krisenbewältigung. Zwar ist in den vergangenen Jahren einiges in die richtige Richtung bewegt worden (u.a. Gemeinsames Terrorabwehrzentrum, Einsatzführungskommando der Bundeswehr), zudem arbeitet die operative Ebene durchaus professionell. Auf dem Feld der strategischen Planung und Abstimmung gibt es jedoch nach wie vor Verbesserungsbedarf.
In den Mittelpunkt der jetzigen Auseinandersetzung gerät dabei wieder ein bestehendes, doch wenig genutztes Organ der Bundesregierung: der im Bundeskanzleramt angesiedelte Bundessicherheitsrat. In der jetzigen Struktur erfüllt dieser weder die ihm – ursprünglich zugedachte – Rolle als Organ der Koordinierung deutscher Sicherheitspolitik noch ist er in der Lage, als maßgebliches Gravitationszentrum der strategischen Willensbildung der Bundesregierung zu wirken. Dazu fehlt ihm sowohl der administrative Unterbau als auch die zentrale, mit Machtbefugnissen versehene Rolle im Entscheidungsprozess. Beides sollte, beides muss sich ändern.
Einem wie auch immer zu bezeichnenden Nationalen Sicherheitsrat sollten wir auch in Deutschland eine wichtigere Rolle zubilligen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Wer von vernetzter Sicherheit redet, muss endlich auch das eigene sicherheitspolitische Handeln stärker vernetzen. An unverbindlichen politischen wie ministeriellen Vernetzungsformaten mangelt es hierzulande nicht (vielleicht gibt es sogar zu viele davon). Was jedoch fehlt, ist eine strategische Verknüpfung auf höchster Ebene, die dem Netz hilft, einen einheitlichen Willen zu finden und diesen auch umzusetzen. Das bedeutet nicht, auf die jeweils eigene Willensbildung der Ressorts zu verzichten, mit denen unterschiedliche Interessen und Blickwinkel in den Entscheidungsprozess einfließen. Es bedeutet aber sehr wohl, eine Art sicherheitspolitische Richtlinienkompetenz auszuüben. Neben der besseren internen Koordinierung unterschiedlicher sicherheitspolitischer Instrumente und Ideen könnte ein solcher Rat, den entsprechenden Willen der politischen Führung vorausgesetzt, systematischer mit den Partnerländern in Kontakt treten und die sicherheitspolitischen Konzepte und Strategien der Bundesrepublik international verflechten.
Bisher ist dies reines Wunschdenken. Reflexartig werden alle in diese Richtung zielenden Vorschläge in der Luft zerrissen. Eine zentralisierte -sicherheitspolitische Beratungs- und Entscheidungsstruktur sei der politischen Verfasstheit Deutschlands als föderalem und parlamentarischem System fremd, untergrabe das „bewährte“ Ressortprinzip des Grundgesetzes, entlarve sich angesichts der Realität von Koalitionsregierungen (bei denen Kanzleramt und außen-politische Schlüsselressorts traditionell von unterschiedlichen Parteien geführt werden) als weltfremd, ja gefährde gar die Errungenschaften der strategischen Kultur Deutschlands als vermeintlicher „Zivilmacht“. Dem ist entgegenzuhalten: Es geht nicht um Denkmalpflege, sondern um Anpassung des politischen Systems an neue Herausforderungen. Verantwortungsvolle Sicherheitspolitik darf sich nicht in erster Linie von bestehenden Zuständigkeiten leiten lassen, sondern muss vielmehr Notwendigkeiten definieren!
Die gestiegene Verantwortung Deutschlands in der Sicherheitspolitik sollte daher mit einer Reform des sicherheitspolitischen Entscheidungsprozesses einhergehen. Eine bessere interne Abstimmung ist, wie auch das rechtzeitige Einbringen deutscher Interessen in die Bündniszusammenhänge, unerlässlich und entscheidet über den Handlungsspielraum und Erfolg deutscher Sicherheitspolitik. Institutionelle Neuerungen können zwar keine kluge Politik ersetzen, aber durchaus dazu beitragen, Sicherheitspolitik professioneller zu gestalten.
Falsche Frage zur falschen Zeit!
Nicht institutionelle Reformen, sondern inhaltlicher Streit gehört auf die Agenda
Auch in der sicherheitspolitischen Diskussion gibt es das Phänomen von Loch Ness. Zu den Vorschlägen, die nicht zum ersten Mal, stets aber in einer nachrichtenarmen Zeit auftauchen, gehört die Forderung nach der Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats für die Bundesrepublik Deutschland. Diesen Vorschlag präsentiert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in einer neuen sicherheitspolitischen Positionsbestimmung, nachdem sie mit dem Thema bereits im Bundestagswahlkampf 2005 erfolglos aufgetreten war, und nachdem – noch länger zurückliegend – Bundeskanzler Kohl Anfang der neunziger Jahre mit einem entsprechenden Vorschlag bei seinem damaligen Außenminister Genscher auf vollständige Ablehnung gestoßen war.
Dafür, dass diese Idee bisher nicht verwirklicht wurde, gibt es gute Gründe. An deren Stichhaltigkeit hat sich nichts geändert, auch nach 9/11 nicht.
Ein Nationaler Sicherheitsrat passt nicht in das bewährte, anpassungsfähige Gefüge des außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungsprozesses. Durch die Einrichtung eines solchen Rates stiege zudem – dem Vorbild der USA folgend – die Gefahr, Sicherheit wieder stärker auf ihre militärische Dimension zu verengen. Eine Debatte über dessen (vermeintliche) Notwendigkeit setzt zudem die falsche Priorität zur falschen Zeit: Nicht eine überflüssige institutionelle „Reform“, sondern die konkrete Auseinandersetzung mit drängenden sicherheitspolitischen Streitfragen gehört auf die ersten -Plätze unserer Agenda.
Wer von der Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats spricht, denkt an die USA. Und damit beginnt das Missverständnis. Bekanntlich sind die Vereinigten Staaten als präsidentielle Demokratie verfasst. Damit der Präsident seine vielfältigen Aufgaben als Staats- und Regierungschef wahrnehmen kann, wurde das Hilfsorgan des Nationalen Sicherheitsrats (bzw. der Sicherheitsberater) geschaffen. Ihm (oder ihr) obliegt es, die Informationsströme für und den Zugang (auch der Minister) zu seinem Chef zu bündeln bzw. zu kanalisieren. Abhängig vom Vertrauen des Präsidenten und von der eigenen Sachkompetenz kann er – wie Kissinger bei Nixon und Brzezinski bei Carter – zur außenpolitischen Schlüsselfigur werden oder schlicht das bleiben, was ihm die Funktion zuweist: Sekretär zu sein.
Ganz anders stellt sich die Lage in der parlamentarischen Demokratie Deutschlands dar. Der Bundeskanzler verfügt zwar über die Richtlinienkompetenz und erhebliche Möglichkeiten, Themen zu setzen und Prioritäten festzulegen. Die jeweilige inhaltliche Ressortkompetenz liegt hingegen bei den Fachministerien. Doch nicht nur die erprobte Verfassungsrechtslage, auch die Verfassungswirklichkeit steht in Deutschland gegen das Sicherheitsratsmodell. Auf absehbare Zeit wird jede Bundesregierung aus mehreren Koalitionsparteien bestehen, durch die das spezifische (sach-) politische Gewicht ihrer Minister noch erhöht wird.
Für eine solche Realität ist das amerikanische Modell ungeeignet. Kein selbstbewusster Außen- und Innenminister wird einen dirigierenden Sekretär im Kanzleramt über oder neben sich dulden. Effizienzdefizite im System sollten nicht durch eine neue Institution, sondern durch bessere Koordinierung behoben werden.
Der Aufstieg des Nationalen Sicherheitsrats in den USA ging zudem mit einer Tendenz innerhalb des politischen Systems einher, alle Probleme vornehmlich unter militärischen Aspekten zu betrachten oder – noch unangemessener – für jedes Sicherheitsproblem zunächst nach einer militärischen Lösung zu suchen. Es ist bekannt, welche Fehlentscheidungen diese Deformation produziert hat: in Lateinamerika, in Indochina, nach 9/11 in der Welt, aber auch im eigenen Land. Darin liegt gewiss kein Vorbild für Deutschland.
In der Fachdebatte hat sich daher seit längerem der „erweiterte Sicherheitsbegriff“ durchgesetzt, der die ökologisch-klimapolitische, die soziale oder die politisch-kulturelle Dimension in die Sicherheitspolitik einbezieht – und zwar sowohl auf Seiten der Herausforderungen als auch der inhaltlichen Antworten und ihrer einzusetzenden Instrumente. Dieser multidimensionale Sicherheitsbegriff korrespondiert mit dem außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungsprozess Deutschlands.
Dass das deutsche System lernfähig ist, hat es gerade in den letzten Jahren bewiesen. Auch eine frühzeitige Einrichtung ressortübergreifender, regelmäßig tagender Staatssekretärsausschüsse für sicherheitspolitische Schlüsselthemen würde die Koordinierungsprozesse optimieren. Darüber hinaus lohnt sich jedoch der Streit über Sachthemen: über gut ausgerüstete und besoldete Sicherheitskräfte, über die Integration des Islam in unserem Land, über eine rechtsstaatliche Antiterrorstrategie. Demgegenüber ist der Sicherheitsrat schlicht unwichtig.
Prof.Dr. JOHANNES VARWICK, geb.1968, lehrt europäische Integration und Internationale Organisationen an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Prof. Dr. MICHAEL STAACK, geb.1959, lehrt Theorie und Empirie der Internationalen Beziehungen an der Helmut-Schmidt-Universität /Universität der Bundeswehr in Hamburg.
Internationale Politik 6, Juni 2008, S. 80 - 83