Koalition der Zahlungswilligen
Lastenteilung nach den US-Wahlen: Auch Europa wird gefordert sein
Wirtschaftliche Probleme und wachsendes Haushaltsdefizit werden Amerika veranlassen, die Kosten seines internationalen Engagements mittels multilateraler Instrumente auf Alliierte abzuwälzen. Wenn Deutschland nicht bereit ist, sich in Krisengebieten stärker finanziell und militärisch zu engagieren, ist der nächste transatlantische Streit vorprogrammiert.
Amerika führt zwei Kriege gleichzeitig. Aus der Sicht des Oberbefehlshabers George W. Bush sind die Militäreinsätze in Afghanistan und im Irak gar nur zwei Feldzüge im „globalen Krieg gegen den Terror“. Obschon die Lage in den Einsatzgebieten und geostrategische Rahmenbedingungen relevant für das weitere Engagement der Weltmacht bleiben, sind die Einstellungen der eigenen Bevölkerung und der sie repräsentierenden Vertreter im Kongress nicht minder wichtig. Ebenso wie der amtierende Präsident muss auch der Nachfolger Bushs weiterhin die „Heimatfront“ mobilisieren, um den innenpolitischen Rückhalt für seine Außenpolitik zu gewährleisten.
Bereits in der Neuauflage seiner Nationalen Sicherheitsstrategie vom März 2006 warnte Präsident Bush seine Landsleute eindringlich, dass Rückzug und Passivität für Amerika keine Optionen seien. Vielmehr gelte es, mittels internationaler Zusammenarbeit die gemeinsamen Herausforderungen aktiv zu bewältigen.
Ganz ähnlich erläuterte der republikanische Kandidat für Bushs Nachfolge, John McCain, in seiner außenpolitischen Grundsatzrede vom Mai 2007 seinen „zweifelnden“ Landsleuten, dass der mit dem Ende des Kalten Krieges als überwunden geglaubte „epochale Kampf zwischen Freiheit und Despotismus“ nunmehr im Zeitalter des Terrorismus mit den Mitteln des Militärs, zivilen Wiederaufbaus und wirtschaftlicher Entwicklung fortgeführt werden müsse.1 Und auch der Präsidentschafts-kandidat der Demokraten, Barack Obama, der sich der europäischen Öffentlichkeit als „stolzer Bürger der Vereinigten Staaten“, ja als „Mitbürger der Welt“ vorstellte, erklärte in seiner Berliner Rede im Juli 2008 nicht zuletzt auch seinen Wählern in der Heimat, „warum sich Amerika nicht von der Welt abwenden darf“.2
Kostspielige Kriege
In der amerikanischen Debatte spielt derweil das Kostenargument eine immer wichtigere Rolle. „Weshalb -sollen die USA blühende Landschaften im Irak errichten, wenn doch auch zu Hause marode Infrastruktur wie Straßen, Telekommunikations- und Elektrizitätsnetze dringend saniert werden müssten?“, fragen sich amerikanische Wähler, die im Zuge der Wirtschaftskrise zusehends von Kaufkraftschwund und Arbeitsplatz-unsicherheit betroffen sind. Auch die dringenden Reformen des Bildungs-, Gesundheits- und Rentensystems würden Milliarden benötigen, die angesichts der desolaten Haushaltslage fehlen. Nach Angaben des Office of Management and Budget wird das US-Haushaltsdefizit im nächsten Jahr voraussichtlich auf eine Rekordhöhe von 490 Milliarden Dollar anschwellen (siehe Grafik).3 Der Haushaltsdirektor des Weißen Hauses, Jim Nussle, führte diesen Anstieg auf das geringe Wirtschaftswachstum, die Immobilienkrise und den Anstieg der Inflation zurück. Laut medienwirksamer Expertenmeinungen ist die prekäre Haushaltslage insbesondere den direkten und indirekten Kosten für die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan geschuldet.4
Auch die Kassen der privaten Haushalte sind leer. Ihre hohe persönliche Verschuldung, die Immobilienkrise und steigende Energiepreise schmälern die Kaufkraft der Amerikaner. Der Konsumindex ist seit einem Jahr kontinuierlich stark abgefallen und pendelt sich auf einem Rekordtief ein.5 Mit der kritischen Wirtschaftslage sind die Kriegsschauplätze im Irak und in Afghanistan in der Wahrnehmung der meisten Amerikaner nunmehr viel weiter entfernt als noch vor einem Jahr. Weitaus häufiger als außenpolitische Themen wie „Irak“ oder „Terrorismus“ werden in Meinungsumfragen innenpolitische Belange wie „Wirtschaft“, „Ausbildung“, „Arbeitsplätze“, „Gesundheitsfürsorge“, „Energie“ und „soziale Sicherung“ als ausschlaggebend für das Abstimmungsverhalten im kommenden November genannt.6
Differenzierte Analysen zeigen, dass jene Wähler, denen Wirtschaftsthemen am wichtigsten sind, den de-sig-nierten Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, Barack Obama, klar dem Bewerber der Republikaner, John McCain, vorziehen.7 Wenn nicht bis zum November eine außenpolitische Krise wieder die Aufmerksamkeit auf Sicherheitsthemen lenkt, dann hätte der Demokrat Obama einen großen Vorteil bei den Präsidentschaftswahlen – aber auch ein umso größeres Problem als Präsident: Einem demokratischen Präsidenten würde es in der Auseinandersetzung – selbst mit einem vermutlich ebenso demokratisch kontrollierten Kongress – um einiges schwerer fallen, die eigene Wählerbasis und seine Landsleute vom nachhaltigen außenpolitischen Engagement Amerikas zu überzeugen.
Der Anteil der Amerikaner, die meinen, dass sich die USA international weniger engagieren und sich mehr um die Probleme im eigenen Land kümmern sollten, überschritt bereits im Oktober 2005 mit 42 Prozent die bisherige Post-Vietnam-Höchstmarke (1976: 41 Prozent) und hat sich seitdem auf diesem Niveau stabilisiert. Dieser „isolationistische Reflex“, wie ihn die Herausgeber einer Studie des Pew Research Center und des Council on Foreign Relations nennen, ist vor allem bei den Demokraten ausgeprägt. Zudem haben im schrumpfenden Lager der so genannten „Internationalisten“ die multilaterale Kooperationsbereitschaft und die Wertschätzung der Vereinten Nationen abgenommen – sowohl in der Bevölkerung als auch bei der politischen Elite.8
Allianz der Demokratien
Das heißt nicht, dass die USA, die einen wesentlichen Beitrag zur Gründung der Vereinten Nationen geleistet haben, das für sie über viele Jahrzehnte nützliche Instrument bereits abgeschrieben haben. Doch entscheidend bleibt, ob sich die UN künftig als effektives Problemlösungs-instrument bewähren. Die Zeit ist knapp: Mittlerweile entwerfen schon einige ihrer bislang treuesten Unterstützer in den USA Blaupausen für eine grundlegende Reform der Vereinten Nationen. Einige denken auch über Alternativen für den Fall nach, dass sich die UN als reformresistent erweisen sollten.9
Nach dem Konzept des Konkurrenz-Multilateralismus sollte Konkurrenz das Geschäft beleben und dazu beitragen, dass sich multilaterale Organisationen auf ihre Kernaufgaben besinnen. Das wäre im Falle der UN das Post-Conflict-Peacebuilding, also Friedenseinsätze nach (!) den Kampfhandlungen. Zudem könnte eine „Allianz der Demokratien“, die es in den Augen einiger Befürworter bereits in Form der „globalen NATO“ gibt, mit den UN konkurrieren oder als Alternative bereitstehen, wenn es darum geht, Effizienz, Legitimation und damit auch Lastenteilung zu verbinden.
Diese Ideen werden auch in der Entourage der beiden Präsidentschaftsbewerber beraten. Dass der designierte Kandidat der Demokraten, Barack Obama, solchen Konzepten gegenüber aufgeschlossen scheint, wurde einmal mehr in seiner Berliner Rede deutlich, als er die UN nicht einmal erwähnte, dagegen die NATO als „großartigste Allianz“ pries, „die je gebildet wurde, um unsere gemeinsame Sicherheit zu verteidigen“. Zudem stellte Obama die rhetorische Frage, ob es denn nicht gelingen könnte, „eine neue und globale Partnerschaft zu etablieren“, um dem Terrorismus den Garaus zu machen, wenn doch schon mithilfe der NATO die Sowjetunion bezwungen werden konnte. Es sei an der Zeit, „neue, global übergreifende Brücken“ zu bauen, die genau so stark sein sollten wie die transatlantische Verbindung, um die größer werdenden Belastungen zu tragen.10
Der designierte Präsidentschaftsbewerber der Republikaner, John McCain, favorisiert freimütiger eine so genannte „League of Democracies“. Der neue „weltweite Bund von Demokratien“ sollte das Kernelement einer freiheitlichen und friedlichen Weltordnung bilden und „dort handeln, wo die UN versagen“, menschliches Leid zu verhindern.11 Diese in ihren Grundzügen von der Clinton-Administration inspirierte Idee wird schon seit längerem auch von Demokraten nahestehenden Experten in Think-Tanks befürwortet.
Vorprogrammierte Krise
Insbesondere Europa muss aus amerikanischer Sicht finanziell stärker in die Pflicht genommen werden. Der innenpolitische Druck in den USA wird eine kontroverse transatlantische Lastenteilungsdebatte forcieren. Unabhängig vom Ausgang der US-Wahlen werden die europäischen Alliierten bald Gelegenheit haben, ihr „effektives“ multilaterales Engagement unter Beweis zu stellen, sei es mit einem umfangreicheren Truppenkontingent in Afghanistan mit weniger Auflagen bei Kampfeinsätzen oder mit einem stärkeren finanziellen Engagement beim Wiederaufbau im Irak. Die nächste amerikanische Regierung wird sich an die diplomatische Arbeit machen, aus George W. Bushs viel gescholtener „Koalition der Willigen“ eine „Koalition der Zahlungswilligen“ zu schmieden.
Es bleibt abzuwarten, ob die deutsche Politik ihre Mitbürger von den Kosten und der Notwendigkeit robuster Friedenseinsätze zu überzeugen vermag. Auch hierzulande wurde dem ansonsten so frenetisch bejubelten Hoffnungsträger Obama nur wenig Applaus gespendet, als er die Weltgemeinschaft an ihre sicherheitspolitische und moralische Verpflichtung, insbesondere im afghanischen Krisengebiet, erinnerte. Für die politisch Verantwortlichen stellt sich im anstehenden Bundestagswahlkampf die immense Herausforderung, politische Führung zu zeigen und nicht der ängstlichen Stimmung der eigenen Bevölkerung zu entsprechen. Sonst wäre transatlantischer Streit vorprogrammiert. Amerika hat – von beiden Präsident-schafts-bewerbern mehr oder weniger deutlich ausgesprochen – neben Europa weitere Partnerschaftsoptionen und ehrgeizige Pläne, eine neue Ordnung in der Welt zu schaffen. Wir sollten uns im eigenen Interesse daran beteiligen.
Dr. JOSEF BRAML ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter der Redaktion des „Jahrbuch Internationale Politik“ der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Berlin.
- 1John McCain in seiner außenpolitischen Grundsatzrede vom 1.5.2007, www.johnmccain.com/informing/news/Speeches/43e821a2-ad70-495a-83b2-0986….
- 2Vgl. die Dokumentationsseite dieser Ausgabe (S. 13).
- 3Daten des Office of Management and Budget (OMB), zitiert in: Richard Wolf: Record Deficit Expected in 2009, USA Today, 27.7.2008. Auf die Wirtschaftsleistung bezogen erreicht das Defizit mit etwa drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes nicht die Mitte der achtziger Jahre erzielte Rekordmarke von sechs Prozent.
- 4Siehe zum Beispiel Joseph E. Stiglitz und Linda J. Bilmes: Die wahren Kosten des Krieges. Wirtschaftliche und politische Folgen des Irak-Konflikts, Pantheon 2008.
- 5ABC News Consumer Index – 7/27/08, veröffentlicht am 29.7.2008.
- 6Laut Umfragen des Pew Research Center for the People and the Press vom 21. bis 25. Mai 2008, zitiert in: Congressional Quarterly (CQ) Weekly, 9.6.2008, S. 1512.
- 7Kevin Friedl und Mary Gilbert: To Withdraw, Or Not To Withdraw?, National Journal Poll Track, 15.7.2008.
- 8Datenquellen: 1976 Gallup; Oktober 2005: Pew Research Center. Vgl. Pew Research Center/Council on Foreign Relations: America’s Place in the World 2005: Opinion Leaders Turn Cautious, Public Looks Homeward, Washington, D.C. 2005, S. 106.
- 9So etwa G. John Ikenberry und Anne-Marie Slaughter: Forging a World of Liberty Under Law: U.S. National Security in the 21st Century, Woodrow Wilson School of Public and International Affairs/Princeton University (The Princeton Project Papers), September 2006, S. 23–26, 61.
- 10Übersetzt aus dem Transkript der Rede von Barack Obama, a.a.O. (Anm. 2).
- 11John McCain, a.a.O. (Anm. 1).
Internationale Politik 9, September 2008, S. 92 - 97