Klimaschutzpolitik als Beitrag zur Versorgungssicherheit
Emissionen senken, Stromverbrauch sichern: Es geht, ohne Atomkraftwerke
Der Klimawandel ist eine nicht zu leugnende Realität. Wenn wir seine Auswirkungen auf ein erträgliches Maß begrenzen wollen, müssen wir jetzt entschieden handeln. Klimaschutzpolitik ist die intelligentere Form der Wirtschaftspolitik. Sie kostet Geld – aber unterlassener Klimaschutz kommt unseren Volkswirtschaften ungleich teurer zu stehen. Die Imperative der Klimapolitik sind im Kern die gleichen wie die der Versorgungssicherheit: Effizienzsteigerung und weg von fossilen Energieträgern.
Die Kernziele der Klimaschutzpolitik der Bundesregierung bis zum Jahr 2020 sind:
- Ausbau der erneuerbaren Energien im Strombereich auf 25 bis 30 Prozent,
- Ausbau der erneuerbaren Energien im Wärmebereich auf 14 Prozent,
- Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung auf 25 Prozent,
- Reduktion des Stromverbrauchs um elf Prozent auf 550 Terawattstunden,
- Erneuerung des fossilen Kraftwerksparks: Ersatz alter, ineffizienter durch neue, effizientere Anlagen,
- Reduktion des Energieverbrauchs von Gebäuden.
Diese Ziele werden durch die bestehende und geplante bzw. in Novellierung befindliche Gesetzgebung erreicht: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) fördert gezielt den Ausbau erneuerbarer Energien. Es ist zugleich ein Innovationsinstrument, da neue und innovative Techniken stärker gefördert werden als bereits etablierte. Das Kraft-Wärme-Koppelungsgesetz fördert die effizienteste Form der konventionellen Stromerzeugung: die Koppelung von Stromerzeugung und Wärmeerzeugung. So können Wirkungsgrade von bis zu 90 Prozent erreicht werden. Bei reiner Stromerzeugung sind es maximal knapp 60 Prozent. Das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz fordert einen Anteil Erneuerbarer bei der Wärmeversorgung von Neubauten. Das Marktanreizprogramm fördert zugleich den Ausbau erneuerbarer Wärme im Gebäudebestand. Die Energieeinsparverordnung sorgt für hohe Effizienzstandards bei Gebäuden – bei Neubau und Sanierungen. Eine Vielzahl von Maßnahmen von Beratung und Förderung über öffentliche Beschaffung bis zu EU-weiter Standardsetzung steigert die Energieeffizienz von Industrie, Gewerbe und Haushalten.
Durch die Regelungen des Emissionshandels werden Anreize gesetzt, in effiziente neue Kraftwerke zu investieren, anstatt ineffiziente alte Kraftwerke mit hohem Kohlendioxidausstoß allzu lange weiter zu betreiben. Berechnungen – z.B. für den Energiegipfel 2007 – zeigen: Deutschland kann sein Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2020 gegenüber 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, einhalten und die Stromversorgung ist dabei sicher, auch ohne Atomkraftwerke. Deutschland verfügt derzeit über einen vielfältigen Kraftwerkspark und nach wie vor über ungenutzte Kapazitäten, die als Reserve dienen und kurzfristig zur Stromerzeugung eingesetzt werden können. Allein ein kurzer Rückblick auf 2007 zeigt das: Die Bruttostromerzeugung in Deutschland betrug 2007 637 Terawattstunden (TWh), wobei 19 TWh Strom exportiert wurden. Gleichzeitig lagen mehrere Atomkraftwerke wegen Sicherheitsmängeln über längere Zeiträume still (Biblis A und B, Brunsbüttel, Krümmel). Dies wurde kompensiert durch einen höheren Anteil von erneuerbaren Energien. Bis 2020 kann der Stromverbrauch um elf Prozent auf 550 TWh reduziert werden. Die erneuerbaren Energien werden auf über 150 TWh ausgebaut, die Kraft-Wärme-Kopplung auf 130 TWh.
Hinzu kommt die Erneuerung des fossilen Kraftwerksparks, bei der alte Kraftwerke durch neue, hochmoderne Kraftwerke ersetzt werden. Damit ergibt sich: Die bis 2020 etwa 160 TWh wegfallende Stromproduktion aus Atomkraft werden durch die geplanten Maßnahmen mehr als kompensiert. Die Kapazität der Stromerzeugung wird auch in Spitzenzeiten ausreichen. Denn: Versorgungssicherheit bedeutet nicht nur, dass jährlich mindestens soviel Strom produziert wird, wie verbraucht wird, sondern auch, dass der erzeugte Strom zeitgleich zum Strombedarf zur Verfügung steht. Die Jahreshöchstlast ist ein Maß dafür, wie viel Kraftwerkskapazität gleichzeitig zur Verfügung stehen muss. Im Jahr 2006 betrug die Jahreshöchstlast 77,8 Gigawatt (GW). Es standen 86,2 GW gesicherte Leistung zur Verfügung, um die Nachfrage zu decken. Auch mittelfristig wird jederzeit genügend gesicherte Leistung zur Verfügung stehen. Im Jahr 2020 werden ca. 14 GW Leistung aus Atomkraftanlagen wegfallen, es werden jedoch hinzukommen etwa 14 GW aus nichtfluktuierenden erneuerbaren Energien (Wasser, Biomasse, Geothermie) und Müllkraftwerken sowie ca. 30 GW fluktuierende erneuerbare Energien (Wind, Photovoltaik), die ebenfalls zu rund zehn Prozent zur gesicherten Leistung zählen können.
Auch gilt, dass die Energieübertragung vom Ort der Erzeugung zum Verbraucher sichergestellt ist. Die Stromnetze in Deutschland müssen in Zukunft einer sich ändernden Situation gerecht werden. Zum einen wird der Nord-Süd-Transport von Strom auf Grund von Windparks und Kraftwerken am Meer stärker werden. Dazu brauchen wir einen Ausbau sowie eine intelligente Optimierung der Netze. Zum anderen erfordert die Integration der fluktuierenden erneuerbaren Energien ein besseres Lastmanagement. Dies beinhaltet die Regelung der Stromerzeugung – aber auch die Anpassung der Nachfrage. Gut isolierte Kühlhäuser können beispielsweise zu teuren Spitzenlastzeiten ihre Kühlaggregate ausschalten und zu anderen Zeiten etwas stärker kühlen. Eine konsequente Politik für Energieeffizienz und erneuerbare Energien nützt dem Klima, macht unabhängiger von Energieimporten und fördert eine dynamische Wirtschaft, die mit Innovationen in diesen wachstumsstarken Bereichen die Leitmärkte der Zukunft erschließt.
MATTHIAS MACHNIG, geb. 1960, ist seit November 2005 Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Internationale Politik 4, April 2008, S. 32 - 33