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01. März 2005

(K)ein Bluff wie jeder andere

Nach Nordkoreas Bekenntnis zu seinen Atomwaffen muss China Position beziehen

Die Erklärung Pjöngjangs, über Nuklearwaffen zu verfügen und die Mitwirkung an den Sechs-Parteien-Gesprächen auszusetzen, fordert die internationale Gemeinschaft heraus. Besonders China muss jetzt Farbe bekennen und seine Unterstützung für Nordkorea überdenken.

Die offizielle Erklärung des nordkoreanischen Außenministeriums, das Kim-Regime verfüge über Nuklearwaffen, ist kein Bluff wie jeder andere, denn die Behauptung ist glaubwürdig und sie kommt zur Unzeit für die internationale Staatengemeinschaft.

Glaubwürdig ist die Erklärung, weil das Land nicht nur über den erklärten Willen, sondern auch über die Fähigkeit verfügt, aus seinem Plutoniumprogramm nukleare Sprengsätze herzustellen. Diese Fähigkeit, die bis 2001 auf waffenfähiges Material für ein bis zwei Sprengkörper beschränkt blieb, wurde seit der Ausweisung der IAEO-Inspektoren im Dezember 2002 aber wahrscheinlich systematisch ausgebaut. Nach der Wiederaufbereitung der durch das Genfer Rahmenabkommen zunächst „eingefrorenen“ 8017 Brennstäbe hat das Regime heute mit ziemlicher Sicherheit sechs bis acht Sprengkörper aus seinem Plutoniumprogramm hergestellt. Hinzu kommt, dass es durch die Wiederinbetriebnahme seines Fünf-Megawatt-Reaktors in Yongbyon Spaltmaterial für einen weiteren Kernsprengkopf pro Jahr produzieren kann, wenn es den Reaktor entlädt und das Material wieder aufbereitet.1

Zur Unzeit kommt das Bekenntnis, weil es nicht nur die jüngste chinesische Initiative zur Wiederbelebung der Sechs-Parteien-Gespräche nach dem Amtsantritt in den USA kompromittiert. Die nordkoreanische Erklärung wird im Vorfeld der Nichtverbreitungs-Überprüfungskonferenz (April/Mai 2005) auch die Zweifel an der Bindewirkung und Durchsetzungsfähigkeit des Vertrags weiter nähren, denn mit Nordkorea erlangt ein ehemaliges Mitglied Kernwaffen, deren Bau auf einen ungestraften Vertragsbruch zurückgeht. Und auch für die Regierung Bush, die sich nach der vergeblichen Suche nach Massenvernichtungswaffen im Irak nun um eine gemeinsame harte Haltung gegenüber dem Iran bemüht, kommt die Ankündigung aus Pjöngjang ungelegen, zeigt sie doch, das Washingtons Nordkorea-Politik das Streben eines Mitglieds der „Achse des Bösen“ nach Kernwaffen nicht bremsen konnte, sondern vielmehr – schenkt man den nordkoreanischen Bedrohungsbekundungen Glauben – befördert hat.

Doch der diplomatische Schaden der rhetorischen Eskalation Pjöngjangs wird begrenzt bleiben, weil das Regime seine Machtposition zwischen den Verhandlungsbefürwortern China und Südkorea und den Sanktionsgeneigten Japan und USA überschätzt hat. Nicht nur ist die Reaktion in den meisten Hauptstädten betont zurückhaltend, sondern es mehren sich auch Anzeichen dafür, dass die chinesische Führung ihre bereits jetzt schon distanzierte Rolle als Schutzmacht Nordkoreas weiter einschränken könnte.

Den Ausgangspunkt für die jüngste Fehleinschätzung der nordkoreanischen Führung bildet die Vorliebe des Regimes, seine marode Wirtschaft durch den Handel mit Massenvernichtungswaffentechnologie aufzupäppeln, ohne dafür Sanktionen befürchten zu müssen. Seit Anfang der neunziger Jahre exportiert Nordkorea – neben Drogen und gefälschten Devisen – Einzelteile, Designs und ganze Trägersysteme nach Südasien (Pakistan) und in den Nahen und Mittleren Osten (Syrien, Ägypten, Libyen, Iran) im Wert von mehreren hundert Millionen Dollar. Seit Ende der neunziger Jahre verdichten sich die Hinweise, dass das Land als Teil des illegalen Proliferationsnetzwerks um den pakistanischen Atomwissenschaftler Abdul Khadir Khan auch mit Uranprodukten und -technologie gehandelt hat. Konkret besteht der (bisher nicht bestätigte) Vorwurf, Nordkorea habe direkt oder über pakistanische Mittelsmänner Uranhexafluorid (UF-6) in erheblichem Umfang an Libyen geliefert. Unklarheit besteht weiterhin auch über mögliche Geschäftsverbindungen zwischen Nordkorea und dem Iran im Handel mit Uranprodukten und -technologie.

Sollten sich diese Hinweise jedoch bestätigen, dann würde sich die bisher abwartende Haltung der Bush-Regierung gegenüber der langsam anwachsenden Nuklearmacht deutlich verschärfen. Zwar bliebe die bisher stabile Abschreckungssituation auf der koreanischen Halbinsel auch bei einem moderat wachsenden nordkoreanischen Kernwaffenpotenzial  erhalten, doch der Export dieses Potenzials in andere Weltregionen ist für Washington und die internationale Staatengemeinschaft inakzeptabel. In diesem Fall wäre auch die chinesische Führung genötigt, sich zu entscheiden, ob die weitere Stützung Nordkoreas den Preis einer gleichzeitigen Destabilisierung anderer Weltregionen und damit auch der Beziehungen zu Washington rechtfertigt.

Einen ersten Vorgeschmack dieser neuen Dynamik geben das nordkoreanische Bekenntnis und die gleichzeitige Ankündigung, die Mitwirkung an den Sechs-Parteien-Gesprächen auf unbestimmte Zeit auszusetzen, denn offenbar reagierte Pjöngjang damit auf die Mission einer Delegation von Mitarbeitern des Nationalen Sicherheitsrats (NSC) in der ersten Februarwoche, die die Regierungen der Anrainerstaaten über die Indizienlage hinsichtlich der vermuteten nordkoreanischen UF6-Lieferungen an Libyen informierten. In Peking überbrachten die NSC-Mitarbeiter ein persönliches Schreiben von US-Präsident Bush an seinen chinesischen Amtskollegen Hu Jintao, der die niederrangige Delegation selbst empfing.

Anstatt die amerikanischen Vorwürfe öffentlich zu widerlegen, nahm die nordkoreanische Führung den Hinweis auf eine Verschiebung der Gesprächsagenda und damit möglicherweise auch der chinesischen Position in den Sechs-Parteien-Gesprächen so ernst, dass sie sich ihrerseits genötigt fühlte, das Thema zu wechseln: Nordkorea spricht nicht gern über Nuklearexporte in sensible Regionen, die auch die Schutzmacht China ablehnen muss, sondern lieber über „bestehende Nuklearkapazitäten“, die es nach einer Wiederaufnahme der Gespräche als „starke Argumente“ einbringen kann.

Aus nordkoreanischer Sicht machte die Nuklearerklärung nur dann Sinn, wenn sie als Druckmittel für die Verbesserung der nordkoreanischen Verhandlungsposition eingesetzt werden konnte, denn militärisch betrachtet war das Land während der Wiederaufbereitungsphase im Sommer 2003 deutlich gefährdeter – durch amerikanische Präventivschläge gegen entsprechende Anlagen – als heute. Auch ist derzeit ein militärisches Vorgehen der Bush-Administration auf der koreanischen Halbinsel vor dem Hintergrund der Belastung des US-Militärs im Irak und der schwelenden Krisensituation im Iran eher noch unwahrscheinlicher geworden.

Kim setzt auf Ablenkung

Der Versuch, durch Säbelrasseln die eigene Verhandlungsposition zu verbessern, ist eine alte nordkoreanische Strategie. Sie stößt aber zunehmend an Grenzen. Zum einen stellt sich in den Anrainerstaaten ein gewisser Gewöhnungseffekt für nordkoreanische Provokationen ein. Zum anderen nähert sich das Regime immer mehr jenem kritischen Punkt in der Eskalationsleiter, der ein Umkippen der Gesprächsbereitschaft in den Nachbarstaaten herausfordern würde. So steht der Führung in Pjöngjang ein nur noch begrenztes Provokationspotenzial zur Verfügung, denn ein Nukleartest birgt erhebliche Risiken für das Regime und würde wahrscheinlich erst in einer militärischen Krisensituation eingesetzt, um die konkrete Abschreckungsfähigkeit Nordkoreas unter Beweis zu stellen.

Ein nordkoreanischer Nukleartest würde aber nicht nur die innenpolitische Debatte in Japan und den USA über weitere Anreize in den Gesprächen mit dem Norden vollständig umschlagen lassen. Er würde auch die chinesische Führung zwingen, eine nordkoreanische Nuklearkapazität öffentlich einzuräumen und dadurch die seit Jahren intensiv gepflegte diplomatische Offensive Chinas zur friedlichen Beilegung des Konflikts weitgehend zunichte machen. Ein Nukleartest würde auch jenen Stimmen in Japan Auftrieb geben, die einen Ausbau einer eigenständigen Abschreckungsfähigkeit gegen Nordkorea (und China) das Wort reden. Ein Albtraum für chinesische Sicherheitspolitiker, weil dann der Druck im eigenen Land, wesentlich mehr Geld für Rüstung (und weniger für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes) auszugeben, rapide anwachsen würde.

Vor diesem Hintergrund stehen die Chancen für eine Wiederaufnahme diplomatischer Gespräche trotz der rhetorischen Eskalation Nordkoreas nicht schlecht. Eine maßgebliche Voraussetzung, vor allem aus Sicht der Bush-Regierung, dürfte allerdings sein, dass das Kim-Regime nachweislich davon absieht, die sich jetzt in dem 5-MW-Reaktor befindlichen abgebrannten Brennstäbe wieder aufzubereiten, so dass ein weiteres, wenn auch moderates Wachstum (ein Sprengkopf pro Jahr) verhindert werden kann. Gleichzeitig müsste Pjöngjang, wie zuvor schon Pakistan, auch auf den weiteren Export uranbasierter Technologie bzw. von Vorprodukten verzichten, damit eine wachsende Destabilisierung anderer Regionen künftig ausgeschlossen werden kann.

Eine solche positive und nachvollziehbare Erklärung Pjöngjangs ist dabei durchaus im nordkoreanischen Interesse, denn die Gefahren, die eine weitere Verbreitung von Massenvernichtungswaffentechnologie für das Regime mit sich bringen würde, sind beträchtlich. Der mögliche Transfer von nordkoreanischem UF-6 an Libyen zeigt, dass schon der Export von Vorprodukten für Kernwaffen auf den Produzenten zurückverfolgt werden kann. Die politischen Kosten eines nachgewiesenen Exports an weitere Staaten, z.B. Iran, wären für Nordkorea möglicherweise sehr hoch, weil sich China im UN-Sicherheitsrat in der Frage der Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen Nordkorea der Stimme enthalten könnte.

Würde das Regime in Pjöngjang jedoch größere nukleare Komponenten oder ganze Waffensysteme transferieren, so müsste es sicher sein, dass diese Waffen niemals zum Einsatz kämen, weil Nordkorea dafür gleichsam in Produkthaftung genommen und für die Mittäterschaft an diesem Angriff haftbar gemacht werden würde. Vorausgesetzt, kein anderer von der nordkoreanischen Regierung unabhängiger Akteur verfügt über die Fähigkeit zum Export von sensitiver Massenvernichtungswaffentechnologie, ist die Beendigung des Handels also im Interesse des Regimeerhalts, weil der nachgewiesene Transfer solcher Technologie mit einiger Sicherheit zu einer von China gestützten Quarantänepolitik führen würde. Sollte sich die chinesische Regierung diesem konkreten amerikanischen Wunsch nach Kooperation bei der Stabilisierung der bestehenden Weltnuklearordnung mit einer begrenzten Zahl von Nuklearwaffenstaaten verweigern, dann würde die Bush-Administration, insbesondere nach den Ereignissen des 11. September und der Intervention im Irak, die bestehenden wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Beziehungen zu Peking sehr wahrscheinlich grundsätzlich neu ordnen.

China muss Position beziehen

Es wäre daher für die internationale Staatengemeinschaft falsch, den jüngsten Erklärungen Pjöngjangs wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Zwar hat das Regime in der Vergangenheit auch inoffiziell erklärt, über Kernwaffen zu verfügen, aber die rasche und für viele Beobachter überraschende Eskalation des Konflikts zeugt paradoxerweise deutlich von der Sorge des Regimes, dass sich nach der Wiederwahl des amerikanischen Präsidenten eine Sanktionsfront unter chinesischer Beteiligung aufbauen könnte. Zwar ist noch nicht nachgewiesen, dass Nordkorea tatsächlich Urantechnologie und Produkte exportiert hat – und einige gute Argumente sprechen gegen den Transfer von Plutoniumwaffensystemen – aber nachdenklich muss stimmen, dass das Regime bisher keinen Versuch unternommen hat, durch eine offensive Informationspolitik die von Washington erhobenen Vorwürfe zu zerstreuen. Stattdessen setzte die Führung auf rhetorische Eskalation und damit auch auf Ablenkung. Aufgabe der chinesischen Unterhändler wird es deshalb sein, Pjöngjangs Besorgnis über den zukünftigen chinesischen Kurs insoweit zu nähren, dass die Sorge zu einer Verhaltensänderung und einer Einstellung der nordkoreanischen Proliferationstätigkeit führt.

Konkreter Ausgangspunkt für den neuerlichen Versuch einer Verhandlungslösung könnte deshalb sein, wenn die chinesische Führung ihre bisherige Interessendefinition über eine nuklearwaffenfreie koreanische Halbinsel dahingehend öffentlich erweitert, so dass sie auch die Beendigung des Exports von Massenvernichtungswaffentechnologie aus Korea umfasst. Dass Peking zu einem solchen Schritt grundsätzlich bereit und in der Lage ist, zeigt die Verabschiedung von Sicherheitsratsresolution 1540 unter chinesischer Beteiligung, die den Transfer von Massenvernichtungswaffen weiter kriminalisiert. Im Fall Nordkoreas muss es nun darum gehen, diese Resolution aktiv mit Leben zu erfüllen und so einen ersten Schritt in Richtung auf eine Begrenzung und Reduzierung der nordkoreanischen Kernwaffenkapazität auf dem Verhandlungsweg zu tun.

1 Die Güte der nordkoreanischen Sprengköpfe sowie die Fähigkeit zur Miniaturisierung, um diese auf Trägersysteme installieren zu können, stehen allerdings in Frage.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, März 2005, S. 104 - 107.

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