Essay

01. Mai 2016

Kalter Krieg, mon amour

Warum zelebrieren Film und Fernsehen die Sehnsucht nach der Zeit vor 1989?

Saurer Regen, Atomtod, Raketen, Stellvertreterkriege, Mauer, WGs, Thatcher, Strauß, Aids, Karottenhosen, Duran Duran, Nena und „No Future“ – wer den Kalten Krieg ohne Koks miterlebt hat, weiß: Richtig Spaß gemacht hat das nicht. Woher also die gegenwärtige Nostalgiewelle von „Bridge of Spies“ bis „Deutschland 83“?

„Herrgott, wie ich den Kalten Krieg vermisse“: dieser Stoßseufzer von „M“, Chefin der britischen Auslandsspionage MI6 im Bond-Film „Casino Royale“ von 2006, scheint sich wie ein popkultureller Virus in die Hirne der Drehbuchschreiber zwischen Los Angeles und Berlin geschraubt und dort nachhaltige Bewusstseinserschütterungen ausgelöst zu haben. Vielleicht auch deshalb, weil, „M“ in der Verkörperung durch Judi Dench selbst in Kostüm und Perlenkette mit einem einzigen entnervten Schnauben erheblich mehr erotische Energie freisetzte als der 007-Neuling Daniel Craig, der – in einem bemühten Zitat der ikonischen Strandszene mit Ursula Andress im Ur-Bond-Streifen „Dr. No“ – nur mit einer knappen Badehose bekleidet den Wellen entsteigen musste, während die untergehende Sonne seine Ohren in flammendem Rot erstrahlen ließ.

Jedenfalls haben wir es neuerdings mit einer auffälligen Häufung von Filmen und Fernsehserien über die Zeit zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Fall der Berliner Mauer zu tun: Zu „Tinker, Tailor, Soldier, Spy“ (2011), „The Americans“ (1. Staffel 2013, die vierte Staffel läuft in den USA gerade) kamen allein im vergangenen Jahr „Bridge of Spies“ und „The Man From U.N.C.L.E.“ sowie die in Deutschland und auf deutsch spielende US-Fernsehserie „Deutschland 83“. Die grandiose deutsche Serie „Weissensee“ (drei Staffeln zwischen 2010 und 2015) hält dabei mühelos mit. Zufall? Auf diese Frage gibt es bekanntlich nur eine einzige korrekte Antwort: Wohl kaum!

Aber selbst wenn es sich hier tatsächlich um eine Verschwörung oder auch nur eine Zusammenrottung der Ereignisse handeln sollte, stellt sich immer noch die Frage: Warum bloß? Saurer Regen, Atomtod, Raketen, Stellvertreterkriege, Todesstreifen, WGs, Margaret Thatcher, Franz-Josef Strauß, Aids, Karottenhosen, Duran Duran, Nena und „No Future“: Wer den Kalten Krieg ohne Koks oder Hasch (also einigermaßen bei Bewusstsein) miterlebt hat, weiß – so richtig Spaß gemacht hat das nicht. Woher also ausgerechnet jetzt diese plötzliche Nostalgiewelle?

Immerhin ist sie von keinem geringeren als John Mearsheimer vorhergesagt worden, dem Politikwissenschaftler an der Universität von Chicago und Gottvater der so genannten „realistischen“ Schule, derzufolge das nationale Interesse der einzig wahre Leitstern aller Außenpolitik ist. Schon 1990 schrieb er in der Einleitung zu einem berühmt gewordenen Essay: „Frieden: wunderbare Sache. Er gefällt mir genauso wie dem Mann nebenan. Ich will auch nicht stur Trübsal blasen in einer Zeit, in der mit so viel Optimismus auf die Zukunft der Weltordnung geschaut wird. Und dennoch stelle ich hier die These auf, dass wir das Ende des Kalten Krieges wahrscheinlich bald bedauern werden.“1

Die Zunft der Professoren ist in textexegetischen Fragen notorisch leicht erregbar, deshalb soll sogleich klargestellt werden: Mearsheimer ging es natürlich nicht um so ephemere Oberflächenabsonderungen der Kultur wie Film und Fernsehen. Seine Sorge galt der erhabensten Form menschlichen Strebens: den internationalen Beziehungen, deren Priesterschaft sich zumindest damals noch aus dem elitärsten Männerorden von allen rekrutierten, den Nukleartheologen.

Immerhin: Die Kriege in Korea und Vietnam, die kubanische Raketenkrise, den Bau der Berliner Mauer oder die Sputnik-und-Spionage-Paranoia der McCarthy-Ära werde auch er nicht vermissen, räumte Mearsheimer ein. Doch dem europäischen Kontinent drohe nach dem Ende des Ost-West-Konflikts nun ein Wiedererstarken von Nationalismus, Misstrauen, Gewalt und Anarchie. Verhindert worden sei alles dies bis zum Ende des Kalten Krieges durch die bipolare Ordnung der Welt, das militärische Kräftegleichgewicht zwischen den USA und der Sowjetunion sowie die Tatsache, dass beide Seiten über ein gewaltiges Arsenal an Atomwaffen verfügten: In dieser Trias sah der Wissenschaftler den Anker des „langen Friedens“ (einen Begriff des Historikers John Lewis Gaddis zitierend) von 1945 bis 1989, und damit aller Stabilität auf Erden. Kurz: Die Männer waren an der Macht, die Interkontinentalraketen in ihren Stellungen, die Völker hinter Mauern und die Frauen in der Küche.

Heute dagegen herrscht allenthalben Unordnung. Die Feinde unserer offenen Gesellschaften leben mitten unter uns, in Amerika will eine Frau Präsidentin werden, und Deutschland wird schon seit über einem Jahrzehnt von einer Ostdeutschen regiert. Die Lage wird nicht klarer dadurch, dass gleichzeitig in Moskau mit Wladimir Putin ein Mann an der Macht ist, der nichts dabei findet, im rostigen Werkzeugkasten des Kalten Krieges herumzukramen und ostentativ damit zu spielen, als sei das alles wieder aktuell und zum Benutzen gedacht: von Propaganda, Subversion und grünen Männlein bis hin zum lauten Nachdenken über die Reichweite russischer Atomwaffen. Verwirrend und beängstigend, das alles. Da wird der Blick zurück in Sehnsucht schnell verständlich.

Apropos Sehnsucht. Rein praktisch hing die Sache mit dem Gleichgewicht der Weltmächte vom Imstandesein jeder Seite ab, in Erfahrung zu bringen, was für „Fähigkeiten“ (Truppen, Panzer, Sprengköpfe, Raketen) die andere auf die Waagschale bringen konnte, um sie dann entsprechend zu kontern oder noch besser zu übertreffen (ein Sachverhalt, den die Nuklearexperten mit dem unvergleichlich präzisen Begriff des „overkill“ belegten). Zum Zweck der Informationsgewinnung aber gab und gibt es zwei Arten von Mitteln, technische und menschliche. Oder anders gesagt: Satelliten und Spionage.

Erstere eignen sich, als still und auf fixen Umlaufbahnen zwischen den Sternen schwebende Sensoren, für die popkulturelle Verarbeitung epochaler Ängste nur begrenzt. Die Spionage dagegen, das Ausforschen von Menschen durch Menschen, ist zum schlechthin fruchtbarsten Motiv, ja der zentralen Metapher des Kalten Krieges geworden, weil sie das Ringen der Supermächte für jeden greifbar auf die zwischenmenschliche Ebene herunterdekliniert. Reizvoll an der Spionage als narrativem Vehikel ist auch ihre fundamentale Doppelbödigkeit: Aus Wissen erwächst Nähe und Vertrauen, aber auch die Angst vor dem Nichtwissen (der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld führte hier einst die feine Unterscheidung zwischen Known Unknowns und Unknown Unknowns ein) – und die Fähigkeit zur gegenseitigen Zerstörung.

Begehren, Verrat, Tod: die ganze Palette internationaler Beziehungen

Es geht also um Anziehung und Abstoßung, Begehren und Verdacht, Verführung und Verrat, Liebe und Hass, um Sex und Tod; um internationale Beziehungen eben. Da die Handelnden dieser Welt vor 1989 sämtlich Männer waren (Golda Meir, Indira Gandhi und ganz besonders Margaret Thatcher eingeschlossen) kam noch das subversive Element der unterdrückten, da verbotenen Anziehung dazu, was wiederum die Auswahl der verfügbaren Druckmittel um den Tatbestand der Erpressung erweitert.

Und was ist eine Liebesbeziehung bitteschön anderes als eine erweiterte bipolare Ordnung? Beruht ein stabiles Verhältnis nicht auf einem Gleichgewicht der Kräfte – mit der Konsequenz der „mutually assured destruction“ (MAD, oder garantierte gegenseitige Zerstörung), wenn’s schief geht? Vergebung, Professor Mearsheimer, aber starke Paradigmen haben es nun mal an sich, dass sie ein Eigenleben entwickeln und andere kulturelle Reviere wie Film und Fernsehen infizieren.

Kommen wir also zu den neuen Filmen. Sie sind, um es gleich zu sagen, trotz eines gewaltigen Aufgebots an Meisterregisseuren, Starschauspielern, dramatischen Drehorten und kinetischen Ereignissen (das ist Raketenzählersprech für wenn es Bumm macht), deutlich weniger interessant als die Serien.

„Bridge of Spies“, gedreht unter der Regie von Steven Spielberg, erzählt eine sensationelle historische Begebenheit: die Geschichte vom Austausch des in den USA verhafteten russischen Spions Rudolf Abel gegen den amerikanischen Piloten Francis Gary Powers, dessen Aufklärungsflugzeug vom Typ U-2 im Jahr 1960 über der Sowjetunion abgeschossen worden ist. Beide haben in ihren Köpfen hochsensible Geheiminformationen abgespeichert, deren Abschöpfung durch den ideologischen Gegner katastrophal wäre. So verkörpern sie perfekt das Gleichgewicht des Schreckens.

Doch die USA und die UdSSR sind in Feindschaft erstarrt wie zwei Stiere auf dem Eis. Keine Seite kann sich bewegen, weil sonst alles krachend zusammenbrechen könnte. Auftritt James Donovan (Tom Hanks), Pflichtverteidiger des Spions, der hartnäckig auf der Einhaltung der westlichen Werte pocht und ein rechtsstaatliches Verfahren für den Spion einfordert. Damit gewinnt er den Respekt der US-Behörden sowie das Vertrauen des Spions und der Sowjets – und findet sich so alsbald in der Rolle des Unterhändlers der Supermächte wieder. Donovan fliegt nach Ost-Berlin, wo es scheußlich kalt ist (Wettermetapher!) und er sich einen schweren Schnupfen holt, weil ihm ein paar depravierte DDR-­Jugendliche auf der Suche nach Stoff (für das Opium des Ostpunk ist es noch 20 Jahre zu früh) den Wintermantel abnehmen. Hanks lässt sich nicht beirren und verhandelt mit dem KGB und der Stasi den Gefangenentausch, der schließlich 1962 in klirrendem Frost (!) auf der Glienicker Brücke stattfindet.

„Bridge“ bekam sechs Oscar-Nominierungen und einen Oscar für die Schauspielleistung von Mark Rylance (der Brite ist in seiner Heimat als Shakespeare-Interpret und Direktor des Globe Theatre bekannt) als Spion Abel. Hanks verkörpert wie immer den Inbegriff des edlen Amerikaners, und deutsche Wertarbeit liefern Burghart Klaußner als Harald Ott, Generalstaatsanwalt der DDR, und Sebastian Koch als Anwalt Wolfgang Vogel.

Möglicherweise ist es Spielberg gelungen, den einzigen Spionagefilm der Neuzeit zu drehen, in dem die Protagonisten im Grunde ihres Wesens anständige Leute sind, die bloß ihre Arbeit machen, und in dem eine Männerfreundschaft wirklich nur eine Männerfreundschaft ist. Allerdings ist so viel ironiefreie Redlichkeit auf allen Seiten leider tödlich für die Erzählung. Zumal wenn sie libidinös so gründlich desinfiziert ist, dass ein sekundenlanger sehnsüchtiger Seitenblick der Kamera auf Donovans schmollende Teenager-Tochter (Eve Hewson)2 schon wie ein Blitzschlag wirkt.

Auch in Guy Ritchies „The Man from U.N.C.L.E.“ (deutsch: Codename Uncle) tun sich die verfeindeten Supermächte widerwillig zusammen, um eine Gefahrenquelle zu neutralisieren, die in skrupellosen Händen das Gleichgewicht des Schreckens aus dem Lot bringen könnte: und zwar „Hitlers Lieblings-­Raketenwissenschaftler“, entführt von einem größenwahnsinnigen Paar, das mit seiner Hilfe die Weltherrschaft an sich reißen will. Der Leser ahnt: Wo Spielberg und Hanks durchweg schwere Eiche schnitzen, ist bei Ritchie zwar auch alles hölzern, aber in hochglanzlackiertem Furnier. Das fängt schon mit den Handelnden an: Beide Seiten mobilisieren ihre schönsten Spione – den Ami Napoleon Solo (gespielt von dem Briten Henry Cavill) und den Russen Ilya Kuryakin (der Amerikaner Armie Hammer) – und stellen sie der keineswegs unansehnlichen Ost-Berliner Automechanikerin Gabi (die Schwedin Alicia Vikander) zur Seite, der Tochter des Raketenbauers.

Auch in diesem Streifen sind Deutsche bei Hilfsarbeiteraufgaben zu besichtigen: Sylvester Groth, wie meistens für drei chargierend als Gabis Onkel, ein Nazi-Doktor; und Christian Berkel, der seit „Der Untergang“ auf das Fach des eigentlich-anständigen-Nazis abonniert zu sein scheint, ergeben leidend als der Raketenfachmann.

Älteren wird der sperrige Titel der Serie irgendwie bekannt vorkommen: Richtig, hier wird (wie bereits mit „Mission Impossible“) wieder einmal der Versuch unternommen, eine Straßenfeger-Fernsehserie aus den sechziger Jahren wiederzubeleben, um im Epochenringen der Studiotitanen endlich den Siegeszug der „X-Men“ und sonstiger Marvel-Comics-Verfilmungen einzudämmen, oder zumindest eine ähnlich lukrative Franchise abzuschleppen. Doch unter der Regie des bereits einschlägig auffällig gewordenen Guy Ritchie3 gerät das Ganze zu einer manisch-hippen Ausstattungsschlacht, die – wie der Filmkritiker des New Yorker treffend bemerkte – nur ein einziges Mal die Möglichkeit eines annähernd authentischen Gefühls aufflackern lässt: als die beiden Agenten in einer römischen Boutique verbissen miteinander streiten, ob die den Konsumterror ablehnende Gabi zum Kleid von Patou einen Gürtel von Paco Rabanne tragen darf. Hier wäre wohl (falls es eine Fortsetzung gibt) mehr als Freundschaft drin, allerdings voraussichtlich mit einem gegen Null tendierenden Erkenntnisgewinn.

„Tinker, Tailor, Soldier, Spy“ vollbringt die bemerkenswerte Leistung, den gleichnamigen Roman von John le Carré in einen zweistündigen Film zu destillieren, der gegen die mythische Statur genießende BBC-Fernsehserie von 1979 besteht. Das ist der lakonischen Regie des Schweden Tomas Alfredson zu verdanken, aber auch einer eindrucksvollen Riege von Schauspielern, die sich sämtlich einem atmosphärisch dichten Ensemblespiel unterwerfen: Gary Oldman als der Antiheld George Smiley von der britischen Spionageabwehr, Colin Firth als sein schillernder Widersacher Bill Haydon; des weiteren Mark Strong, Benedict Cumberbatch, Tom Hardy, Ciarán Hinds, John Hurt, um nur die bekanntesten zu nennen. Was anderswo die Deutschen sind, sind hier die Frauen: Für sie sind die Nebenrollen reserviert. Bei Le Carré geschieht alles Wichtige unter Männern. Vor allem alles, was mit nationaler Sicherheit oder Gefühlen zu tun hat.

Der Regisseur erlaubt sich dabei in einer ansonsten höchst respektvollen Bearbeitung der Vorlage eine entscheidende Modernisierung, die einen Le Carrés Werk durchziehenden Subtext ans Licht hebt: aus Smileys Gehilfen Peter Guillam, einem routinierten Casanova, wird (gespielt von Cumberbatch) ein Mann, der kühl eine Beziehung zu einem anderen Mann beendet, um nicht erpressbar zu sein; endlich allein, bricht er schluchzend zusammen. Hier ist, anders als bei Spielberg oder Ritchie, echtes Gefühl im Spiel, und wie alle echte Liebe ist sie tragisch.

Le Carré hält sich vordergründig an die erzählerische Konvention des Ost-West-Konflikts. Smileys Gegenspieler im Great Game des Kalten Krieges ist Karla, so der Deckname des sagenumwobenen Chefs der russischen Spionageabwehr, der es fertigbringt, einen Maulwurf auf der obersten Ebene von MI6 unterzubringen und den britischen Dienst damit fast in die Knie zu zwingen. Aber in seinem gesamten Werk ist der eigentliche Feind ein anderer. Es sind nicht die Nazis; auch die Nachkriegs-Deutschen interessieren allenfalls im Vorbeigehen. Nein, Le Carrés tiefinnigste Hassliebe gilt – ebenso wie die seiner großen Verräterfigur Bill Haydon – dem übermächtigen Verbündeten, der dem stolzen früheren Empire seine Männlichkeit geraubt hat. Nicht umsonst heißt das Bündnis mit den „cousins“, wie die US-Dienste in Großbritannien genannt werden, „the special relationship“. Russland ist der äußere Widersacher, aber der wahre Feind ist der beste Freund.

Am Ende führt allerdings kein Weg an der Einsicht vorbei, dass keiner der drei Filme es auch nur annähernd aufnehmen kann mit den besten Streifen, die der Kalte Krieg selbst hervorgebracht hat. Und schon gar nicht mit Meisterwerken wie „Dr. Strangelove: Or How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb“ (Stanley Kubrick, 1964, mit Peter Sellers) oder „The Spy Who Came in From the Cold“ (Martin Ritt, 1965, mit Richard Burton, Claire Bloom und Oskar Werner).

Der Feind am heimischen Couchtisch

Womöglich sind Serien tatsächlich das geeignetere Vehikel, um den Nachgeborenen die Ära des Kalten Krieges nahe zu bringen – aus dem einfachen Grund, weil sie sich mehr Zeit nehmen können, Charaktere, Handlungen, Lebenswelten und Stimmungen zu entwickeln. Im viel gelobten „Deutschland 83“ wird der 24-jährige NVA-Grenzsoldat Martin Rauch (Jonas Nay) im Jahr 1983 von der Stasi – genauer gesagt, von seiner Tante Lenora bei der HVA – auf einen neuen Arbeitsplatz als Adjutant eines NATO-Generals in einer Kaserne in den Tiefen der Eifel eingeschleust. Seine Mission: feststellen, ob die Pershing-II-­Raketen, die vom amerikanischen Verbündeten gerade in Deutschland stationiert werden, wirklich nur der Abschreckung dienen (wie vom Klassenfeind behauptet), oder (wie die Stasi argwöhnt) dem dritten Weltkrieg den Weg bereiten sollen.

„Deutschland 83“, eine auf deutsch gefilmte und englisch untertitelte Produktion der US-Firma Sundance TV, und geschrieben von dem deutsch-amerikanischen Autorenpaar Anna und Jörg Winger, ist von grantigen Kritikern vorgeworfen worden, es habe eine allzu konstruierte Handlung. In der Tat ist Martins verzweifelter Versuch, seine DDR-Oberen von einer Überreaktion abzuhalten, mit einer erfolgreichen Mauerflucht in umgekehrter Richtung verbunden; und auch sonst gibt es manche absurden Ungereimtheiten.

Aber die Serie ist hervorragend besetzt, mit einem jungen Hauptdarsteller, dessen Gesicht in Bruchteilen einer Sekunde von Verletzlichkeit zu Hass und zurück changieren kann, und überzeugend inszeniert. Wer das Bonn der achtziger Jahre mit Schützenpanzern, NATO-Stacheldraht und Hofgarten­demos erlebt hat, dem wird manches verblüffend bekannt vorkommen. Nicht zuletzt das Gefühl, dass die Erwachsenen emotionale Schlafwandler sind, die mit Gerätschaften hantieren, die jederzeit die Welt in die Luft jagen könnten. Der Feind lauert hier nicht nur auf der anderen Seite der Mauer – er sitzt auch am heimischen Couchtisch.4

Wo „Deutschland 83“ zwischen Westen und Osten hin- und herspringt, verlegt „Weissensee“ den Ort des Konflikts konsequent in die Hauptstadt der DDR, ins Ende der achtziger Jahre und in den Schoß der Familie. Nicht irgendeiner Familie: Die Kupfers sind dekorierte Stützen des Sozialismus. Vater Kupfer (Uwe Kockisch) ist ein hochrangiger Beamter des MfS, wo auch sein Ältester Falk (Jörg Hartmann) dient; Martin, der Jüngste (Florian Lukas), hat es dagegen wegen mangelnder Linientreue nur zur NVA geschafft. Vater Kupfer ist ein loyaler Staatsdiener, der dennoch klarsichtig das Scheitern des Systems diagnostiziert. Sein erster Sohn dagegen ist ein liebender Familienvater, aber vor allem ein eiskalter Überzeugungstäter. Jede Kritik ist ihm Verrat, jeder Verräter ist zu vernichten – und wenn es der eigene Bruder ist.

„Weissensee“ ist bis in die kleinsten Rollen und Details hinein stimmig erzählt, inszeniert und besetzt. Großartig sind besonders Hartmann, Kockisch und Katrin Sass als dessen alte Liebe, eine oppositionelle Liedermacherin: Wie im Brennglas wird hier der selbst verschuldete Niedergang der DDR in der unglücklichen Geschichte der Familie Kupfer gespiegelt. Doch der Mauerfall bringt kein Happy End: „1989“, schrieb die ZEIT zum Ende der dritten Staffel, „schwebt das ehemals so verkapselte Misstrauen wie Blütenstaub übers Land.“ Freiheit, aber ohne Erlösung.

„The Americans“ – die seit 2014 inzwischen in der vierten Staffel angelangt ist – gehört schlicht mit zum Besten, was ein an guten Serien nicht gerade armes amerikanisches Fernsehen derzeit zu bieten hat. Intelligent, subtil und bewegend erzählt sie die Geschichte zweier russischer Spione im Washington der achtziger Jahre. Philip (Matthew Rhys) und Elizabeth Jennings (Keri Russell) wurden als jugendliche Schläfer vom KGB in die USA eingeschleust, mit dem Auftrag, zu heiraten sowie eine Familie und ein Reisebüro zu gründen – und auf die Aktivierung als Agenten zu warten. Dieser Augenblick im Jahr 1981 ist der Auftakt der ersten Staffel.

Seitdem scheuen die beiden keine Mittel, um ihre Aufträge (die nicht einmal der KGB-Residentur vor Ort bekannt sind) auszuführen: Erpressung, Sexualdelikte, eiskalte Morde und eine erschütternde Bandbreite von üblen Achtziger-Jahre-Perücken. Mit dem Beginn der vierten Staffel sind an Komplikationen dazu gekommen: eine Scheinehe (Philip); ein FBI-Agent als Nachbar, der eine Sekretärin in der Residentur liebt, die aber auch von einem anderen russischen Agenten geliebt wird; und die Tochter von Elizabeth und Philip, die die Wahrheit über sie entdeckt, aber von der eigenen Mutter als Nachwuchsagentin rekrutiert werden soll.

Auch diese Serie bemüht sich hingebungsvoll darum, die Schauplätze und Atmosphäre der achtziger Jahre wieder auferstehen zu lassen. Ihre eigentliche Leistung aber besteht darin, dem Täterpaar und ihrem zunehmend komplizierten Beziehungsgeflecht nicht nur Plausibilität und Tiefenschärfe als komplexe Charaktere zu verleihen, sondern sie eine zarte und reife Liebesgeschichte leben zu lassen. Wie das von einer Folge zur nächsten immer wieder gelingt und wie es dem Zuschauer wider Willen Empathie und Zuneigung abringt, ist atemberaubend. Die Ehe der beiden Spione gewinnt ihre Kraft daraus, dass sie sich einander ausliefern. Dem Zuschauer schwant allerdings, dass diese bipolare Ordnung auf eine Katastrophe zusteuert.

Was also reizt uns – die wir erkennbar in einer Übergangszeit leben, mit immer ungewisserem Ziel – so sehr am Topos des Kalten Krieges? Was erkennen wir darin, das wir im eigenen Leben vermissen?

Zum einen zieht uns sicherlich die Tatsache an, dass das Andere, der Feind, ein Gesicht und eine regierungsamtliche Adresse hatte; und dass sein Verhalten sich an Maßstäben orientierte, die für den Westen nicht nur erkennbar, sondern kalkulierbar schienen. Vielleicht ist es auch die Vorstellung, dass es da, wo es Geheimnisse gibt, auch Wahrheiten geben muss. Nicht zuletzt hängen wir auch deshalb der Epoche vor 1989 nach, weil sie ein klares, lineares Narrativ der Konfrontation zwischen Gut und Böse anbot. Der Kalte Krieg folgte auf das Grauen des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust; ihm folgte ein Happy End: das Ende der Geschichte, der unipolare Moment, die Ausschüttung der Friedensdividende. Dachten wir jedenfalls.

Heute dagegen müssen wir uns fragen: War die Zeit zwischen 1990 und heute nicht vielleicht doch ein zweiter Langer Frieden? Und ist alles, was ab jetzt kommt, schlimmer?

Dr. Constanze ­Stelzenmüller ist Robert Bosch ­Senior Fellow an der Brookings Institution, Washington, DC.

  • 1John Mearsheimer: Why we Will Soon Miss the Cold War, The Atlantic, August 1990, S. 35–50.
  • 2Was Hewson leisten kann, wenn sie entsichert ist, ist in der fabelhaften Fernsehserie „The Knick“ von Steven Soderbergh zu besichtigen (zwei Staffeln erschienen 2014 und 2015).
  • 3Siehe, statt vieler, seine zwei Sherlock-Holmes-Filme im Steampunk-Stil (2009 und 2011).
  • 4 In Form von Sylvester Groth, der zur Abwechslung einen MfS-Funktionär spielen darf.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/ Juni 2016, S. 122-129

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