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01. Jan. 2014

Kalter Krieg am Golf

Das Interimsabkommen mit dem Iran spaltet die Region

Die jüngst von der E 3+3 ausgehandelte Übereinkunft mit dem Iran zur Lösung des Atomprogramms findet in Saudi-Arabien keinen Zuspruch. Im Gegenteil: Die Rivalität zwischen Riad und Teheran um regionale Vorherrschaft wächst und könnte zu einem Stellvertreterkrieg in Syrien führen.

Die offizielle Reaktion Saudi-Arabiens auf das Interimsabkommen mit dem Iran war sehr verhalten: „Wenn guter Wille besteht, könnte diese Übereinkunft ein erster Schritt in Richtung einer umfassenden Lösung des iranischen Nuklearprogramms sein.“ Doch die inoffiziellen Kommentare in der saudisch kontrollierten Presse machten deutlich, dass die Führung in Riad nicht davon ausgeht, dass die iranische Seite „guten Willens“ sei. 

Tatsächlich ist es ein offenes Geheimnis, dass die führenden Prinzen entsetzt und wütend auf die Kompromissbereitschaft der Obama-Administration reagierten. Denn so sehr die saudische Herrscherfamilie das aus ihrer Sicht vor allem militärisch motivierte iranische Atomprogramm fürchtet, so sehr sorgt sie sich, dass die USA infolge eines Ausgleichs mit ­Teheran eine iranische Hegemonie im Nahen Osten und am Persischen Golf akzeptieren könnten. 

Wie groß die Unzufriedenheit der Saudis mit ihrem amerikanischen Verbündeten ist, zeigte sich zuletzt im Oktober 2013, als Saudi-Arabien einen Sitz im UN-Sicherheitsrat ablehnte, um den es sich seit Jahren heftig bemüht hatte. Anlass waren die Absage des bereits angekündigten US-Militärschlags gegen Syrien und die amerikanisch-russische Übereinkunft über die Zerstörung des syrischen Chemiewaffenarsenals vom September. Ursache war jedoch das seit Jahren wachsende Misstrauen gegenüber den USA, die aus der Sicht Riads nicht entschlossen genug gegen iranische Einflussgewinne in der arabischen Welt vorgehen. 

Die Saudis gaben schon seit 2007 häufiger ihre traditionell sehr diskrete Scheckbuchdiplomatie auf, um den Iranern aggressiv entgegenzutreten. Ihre endgültigen Konturen gewann diese Politik dann mit dem Arabischen Frühling 2011: Die saudische Führung setzte sich an die Spitze der Gegen­revolution, indem sie die Monarchien stärkte und den Staatsstreich des Militärs in Ägypten massiv unterstützte. Instabilität in der arabischen Welt, so die saudische Argumenta­tion, erlaube Teheran, lokale Verbündete zu gewinnen und seinen Einfluss zu Lasten Saudi-Arabiens auszuweiten. 

Offensive Regionalpolitik

Wie entschlossen sich Riad den Umwälzungen entgegenstellen würde, deutete sich bereits im März 2011 an, als Truppen des Golf-Kooperationsrats unter saudi-arabischer Führung in Bahrain einmarschierten. Im Februar waren in dem kleinen Inselstaat Unruhen ausgebrochen, die einen immer offener konfessionellen Charakter annahmen. Denn in Bahrain fordert die schiitische Bevölkerungsmehrheit politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Gleichberechtigung, die ihnen das sunnitische Herrscherhaus vorenthält. Die Familie Khalifa und ihre saudischen Verbündeten sahen in den Protesten jedoch den Versuch iranhöriger Gruppierungen, mithilfe Teherans eine legitime Regierung zu stürzen. Nach dem Einmarsch sicherten saudische und emiratische Truppen wichtige Einrichtungen, während die bahrainischen Sicherheitskräfte die Proteste brutal niederschlugen.

In den darauffolgenden zwei Jahren bemühte sich Saudi-Arabien zunächst, die weiterhin stabilen Monarchien im Golf-Kooperationsrat, in Jordanien und Marokko zu stärken. Wie sehr die Führung in Riad eine Destabilisierung verbündeter Regime fürchtet, zeigte sich jedoch in Ägypten, wo sie den Staatsstreich der Militärs im Juli 2013 unterstützte. Das Mubarak-Regime war eine der wichtigsten Stützen einer Allianz prowestlicher und antiiranischer arabischer Staaten gewesen, die bis 2011 bestanden hatte und von Saudi-Arabien angeführt worden war. Die saudische Herrscherfamilie war zutiefst schockiert über den Sturz Hosni Mubaraks und die Gleichgültigkeit, mit der US-Präsident Barack Obama auf den Verlust dieses Verbündeten reagiert hatte. Als die Militärs dann gegen den Präsidenten und Muslimbruder Mohammed Mursi putschten, schienen sie die Aktion im Vorfeld mit Riad abgestimmt zu haben. Schon am Tag nach dem Staatsstreich sagte Saudi-Arabien gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kuwait dem neuen alten Regime Milliardenhilfen zu.

Das größte Risiko geht die saudische Führung jedoch in der Syrien-Politik ein. Nach anfänglichem Zögern setzte sie ab Sommer 2011 – nachdem die zunächst friedlichen Proteste in einen bewaffneten Aufstand umgeschlagen waren – auf einen Regimewechsel. Das vielleicht wichtigste Motiv war, mit dem Assad-Regime den wichtigsten Verbündeten des Iran im Nahen Osten zu stürzen und durch eine weniger iranfreundliche Regierung zu ersetzen. Im Jahr 2012 begannen die Saudis, aufständische Gruppen mit Geld und Waffen zu unterstützen. Dennoch blieb ihre Politik vorsichtig, da sie darauf warteten, zusammen mit der US-Regierung vorzugehen, die aber zögerte, die mehrheitlich islamistischen Aufständischen aufzurüsten. 

Drohung mit Atomprogramm 

Saudi-Arabien reagiert aber auch direkt auf das iranische Nuklearprogramm. Um den USA zu verdeutlichen, dass eine atomare Bewaffnung des Iran zu einem regionalen Rüstungswettlauf führen könnte, drohen Vertreter der saudischen Herrscherfamilie immer wieder, dass sich auch ihr Land in einem solchen Fall Nuklearwaffen beschaffen werde. So sagte im Juni 2011 der ehemalige Geheimdienstchef Turki al-Faisal Al Saud, „wenn der Iran eine Atomwaffe entwickele, würde dies Saudi-Arabien zwingen … eine Politik zu verfolgen, die zu unsagbaren und möglicherweise dramatischen Konsequenzen führen würde“.

Tatsächlich könnte es für Saudi-Arabien eine Möglichkeit geben, sich rasch Nuklearwaffen zu beschaffen. Das Königreich trug in den achtziger und neunziger Jahren maßgeblich zur Finanzierung des pakistanischen Atomprogramms bei, und es wird vermutet, dass die saudische Regierung damals Gegenleistungen verabredete, die einen wie auch immer gearteten nuklearen Schutz für Saudi-Arabien umfassten. Die seit Jahrzehnten enge militärische Kooperation zwischen Riad und Islamabad macht solche Berichte besonders glaubwürdig. 

Hinzu kommt, dass Saudi-Arabien seit 1988 über chinesische Mittelstreckenraketen des Typs Dongfeng DF-3 (CSS-2) verfügt, die eigentlich für die Verbringung von nuklearen Sprengköpfen konzipiert wurden. Die chinesische und die saudische Seite ver­sicherten damals, dass die ausgelieferten Raketen nur konventionelle Sprengköpfe tragen würden, was bedeutet, dass die DF-3 modifiziert worden sein muss. Eine abermalige Umrüstung wäre jedoch möglich. Unbestätigte Berichte, wonach Saudi-Arabien und China vor kurzer Zeit über eine Modernisierung des saudischen Raketenarsenals verhandelt haben, dürften zumindest auf den Wunsch Riads hinweisen, den USA die pakistanisch-chinesische Nuklearoption ins Gedächtnis zu rufen. 

Uneinigkeit der Golf-Staaten

Die Reaktionen Saudi-Arabiens und seiner Verbündeten im Golf-Kooperationsrat verdeutlichten zugleich, wie weit ihre Vorstellungen über die richtige Reaktion auf die iranische Politik auseinandergehen. Saudi-Arabien konnte sich zwar der Unterstützung der Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrains und – mit Abstrichen – Kuwaits sicher sein. Doch zeigte der Ablauf der Ereignisse, dass vor allem Oman den antiiranischen Kurs Riads nicht mitträgt und dessen Position somit schwächt. 

Es ist kein Zufall, dass die geheimen Verhandlungen zwischen den USA und dem Iran, die den Verhandlungserfolg der E 3+3 vorbereiteten, in Oman stattfanden, und dass der omanische Sultan Qabus bin Said, der seit 1970 regiert, noch im August 2013 zur Vermittlung nach Teheran reiste. Schon seit den siebziger Jahren unterhält Oman enge Beziehungen zum Iran, die es auch nach der Islamischen Revolution 1979 pflegte. 

Das ist einerseits die pragmatische Politik eines kleinen Landes gegenüber einem sehr großen Nachbarn, mit dem es sich die Kontrolle über die geostrategisch so wichtige Straße von Hormus teilt. Ein weiterer Grund dürfte in dem sehr schwierigen Verhältnis Omans zu Saudi-Arabien liegen, das seit langem eine Führungs­position auf der Arabischen Halbinsel beansprucht, diese aber gegenüber den selbstbewussten Omanis nie hat durchsetzen können.

Der zweite Widersacher der Saudis in der Regionalpolitik ist seit Mitte der neunziger Jahre das kleine Emirat Katar. Unter der Führung des im Juni 2013 abgetretenen Emirs Hamad bin Khalifa Al Thani bemühte sich das Land um gute Beziehungen zum Iran, mit dem es sich die Kontrolle über das größte bekannte Gasfeld der Erde teilt. Gleichzeitig verschlechterten sich die katarisch-saudischen Beziehungen, da Emir Hamad sich seit seinem Amtsantritt 1995 bemühte, möglichst unabhängig von Riad zu agieren. Erst ab 2008 konnten beide Staaten ihr Verhältnis wieder verbessern. Die Sorge vor den iranischen Einflussgewinnen in der arabischen Welt scheint das wichtigste Motiv für diese Kehrtwende in Doha gewesen zu sein; ihr sichtbarster Ausdruck war, dass der katarische Sender Al-Dschasira Kritikern der saudi-arabischen Politik seit 2008 nicht mehr als Forum diente wie in den Jahren zuvor. 

Besonders deutlich wurde die Wiederannäherung, als auch Doha den Einmarsch der saudischen und emiratischen Truppen in Bahrain 2011 unterstützte. Dass Katar sich entschied, in den Wirren des Arabischen Frühlings auf die den Saudis verhasste Muslimbruderschaft zu setzen und diese in der gesamten Region zu unterstützen, sorgte trotzdem nicht für einen erneuten Bruch. Auch Meinungsunterschiede zum Vorgehen bei der Unterstützung der syrischen Aufständischen führten nicht zu größeren Auseinandersetzungen. Vielmehr musste Katar mit dem Staatsstreich in Ägypten eine schwere Niederlage hinnehmen. Die katarische Führung hatte die Muslimbruderschaft und Präsident Mursi mit Milliardensummen unterstützt, musste nun aber den Saudis und Emiratis als wichtigsten Geldgebern weichen und verlor dadurch ihren Einfluss auf die Entwicklung in Ägypten. Die Führung um den neuen Emir Tamim bin Hamad Al Thani fügte sich vorerst in ihr Schicksal und verhinderte so eine Auseinandersetzung mit den Verbündeten im Golf-Kooperationsrat. 

Schlachtfeld Syrien

Bisher gibt es keine Hinweise, dass sich das Interimsabkommen zum Atomprogramm auf die Regionalpolitik der Golf-Staaten ausgewirkt hat. Vielmehr ist seit September 2013 zu beobachten, dass die saudische Führung ihre Unterstützung für die syrischen Aufständischen ausweitet und damit den Konflikt nicht nur in Syrien, sondern auch mit dem Iran anheizt. 

Seit 2012 wurde Saudi-Arabien nach der Türkei und Katar zum wichtigsten Unterstützer der syrischen Aufständischen. Doch im Gegensatz zu ihnen zögerte die saudische Führung, weil sie zunächst gemeinsam mit den USA vorgehen und eine Stärkung nicht nur dschihadistischer Gruppierungen, sondern auch der Muslimbrüder zu verhindern suchte. Seit der zweiten Jahreshälfte 2012 wurde zwar immer wieder berichtet, dass die USA gemeinsam mit Saudi-Arabien und Jordanien Aufständische ausrüsten und trainieren würden. Doch scheint dies nur sporadisch geschehen zu sein, sodass sich die saudische Regierung im Sommer 2013 entschied, auch ohne amerikanische Hilfe von Jordanien aus zu handeln. 

Im September wurde mit saudischer Unterstützung eine neue Gruppierung namens „Armee des Islam“ gegründet, die im November in einem größeren Bündnis namens „Islamische Front“ aufging. Ziel war es, eine von Saudi-Arabien kontrollierte aufständische Gruppierung in Konkurrenz zu den Dschihadisten aufzubauen und auszurüsten. In einigen Berichten war die Rede von Plänen für die Finanzierung und Ausbildung einer Truppe von bis zu 50 000 Mann. Sollten diese Pläne Gestalt annehmen, würde in Syrien tatsächlich ein regionaler Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran einsetzen.

Angesichts dieser Entwicklung spricht einiges dafür, dass ganz unabhängig von einem möglichen Erfolg der Verhandlungen über das Atomprogramm der Konflikt zwischen ­Saudi-Arabien und dem Iran in Syrien, im Libanon und künftig vielleicht auch im Irak andauern wird. Dies birgt die Gefahr einer regionalen Eskalation. Es wird in den kommenden Jahren darum gehen, eine Ausweitung auf die Nachbarländer und vielleicht sogar auf den Persischen Golf zu verhindern.

Dr. Guido Steinberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der SWP und schreibt derzeit an einem Buch mit dem Titel „Kalter Krieg am Golf. Saudi-Arabien und der arabische Frühling“.

 
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2014, S. 91-95

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