Essay

01. Juli 2011

Jedermanns Glückes Schmied

Über die Schwierigkeit, das Glück zu finden und zu erklären

Dass die Ökonomen vor nahezu nichts zurückschrecken, ist bekannt. Nun widmen sie sich auch noch der „Glücksforschung“.1  Dabei geht es nicht etwa um Glück im Sinne des Gegenteils von Pech; solche günstigen Ergebnisse des Zufalls sind der herkömmlichen Wahrscheinlichkeitsrechnung zugänglich und insofern ein so klassischer wie unspektakulärer Bestandteil der statistischen Analyse. Die Glücksforschung dreht sich um etwas Größeres, Höheres, Erhebenderes: um den Gemütszustand, der einen Menschen auch, aber nicht nur dann erfassen mag, wenn er Glück gehabt hat im Leben. Es geht um den Flow des Glücklichseins und darum, wie man ihn auch jenseits des Zufalls erreicht.

Es ist wohl bezeichnend für die Mentalität der Deutschen als ewig unzufriedenem, notorisch melancholischem Volk, dass sie schon in ihrer Sprache zwischen Zufallsglück und Glückseligkeit nicht unterscheiden können. Wo der Angelsachse „luck“ und „happiness“ gedanklich voneinander trennt, der Franzose „chance“ und „bonheur“, da kennt der Deutsche einfach nur das Glück. Vielleicht liegt das daran, dass man Glück haben muss, um das Glück zu finden? Manchmal liegt es direkt vor einem und man sieht es erst, wenn es der Zufall will. „Willst Du immer weiter schweifen?/Sieh, das Gute liegt so nah/Lerne nur das Glück ergreifen/Denn das Glück ist immer da“, schrieb Goethe.

Die Ökonomen und das Glücklichsein – die trauen sich aber etwas, möchte man verwundert ausrufen. War es nicht schon als vermessener „ökonomischer Imperialismus“ gegeißelt worden, als der spätere Nobelpreisträger Gary S. Becker in den sechziger Jahren begann, die Instrumente der volkswirtschaftlichen Analyse auf ganz andere als die gewohnten und vermeintlich fachfremde Fragen anzuwenden? Als er krude ökonomische Rationalität bemühte, um beispielsweise die auf den ersten Blick paradoxe Diskriminierung von Schwarzen am Arbeitsmarkt zu erklären, die schließlich nicht nur den Ausgeschlossenen schadet, sondern auch die Kosten für die Arbeitgeber erhöht? Als er sich mit der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau im Haushalt beschäftigte, der Partnerwahl, der Ehescheidung, der Entscheidung für oder gegen Nachwuchs? Solche persönlichen Dinge würden doch nicht nach einer kühlen Kosten-Nutzen-Rechnung entschieden, wurde Becker entgegengehalten. Derlei auch nur hypothetisch zu unterstellen, sei nicht nur völlig unangemessen, sondern drohe die Ökonomisierung des Lebens – horribile dictu – noch weiter voranzutreiben.

Überhaupt sei der gesamte Analyserahmen der Ökonomen für solche „weichen“ Fragen gänzlich ungeeignet. Den Menschentypus des eigeninteressierten, rationalen und allzeit perfekt informierten Homo Oeconomicus, den die Theorie der Einfachheit halber unterstelle, gebe es in der Realität gar nicht. Stimmt – aber auch wenn die Realität komplexer ist als das Modell, kann die ökonomische Logik immerhin helfen, gesellschaftliche Entwicklungen und individuelles Verhalten zumindest tendenziell aus den jeweiligen Anreizkonstellationen heraus zu verstehen. Und das ist von einigem Wert, weil Anreize zu einem großen Teil das Werk der Politik sind.

Wer fordert dass sich die Ökonomie auf Ökonomisches beschränken sollte, offenbart außerdem ein gespaltenes Weltbild: Da gibt es das Wirtschaftliche, und jenseits dessen alles andere. Doch so ist das Leben nicht. Jeder Mensch wirtschaftet, besser oder schlechter. Jeder Mensch muss damit umgehen, dass jenseits des Schlaraffenlands Knappheit herrscht. Deshalb muss er Entscheidungen treffen – und dabei helfen ihm sachliche Vorteilskalküle. Worauf es dem Einzelnen dabei ankommt und was er tatsächlich als vorteilhaft empfindet, ist seine Sache. Ökonomie ist eine Sozialwissenschaft, die individuelle Entscheidungen und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen zu erklären sucht. Und genau deshalb ist der Ökonomie in der Tat keine Frage zu abwegig. Da nimmt es nicht wunder, dass sich einige Vertreter des Faches der Glücksforschung verschrieben haben.

Was macht glücklich?

Die Glücksforscher arbeiten zumeist empirisch und bedienen sich dabei des Instruments der Umfragen, die zum Teil Erstaunliches, mitunter auch Befremdliches darüber zutage fördern, was die Menschen angeblich glücklich macht. Berühmt für ihre Arbeiten auf dem Feld der Glücksforschung sind im englischen Sprachraum Wissenschaftler wie Richard Layard und William Easterlin, im deutschen Sprachraum insbesondere der Schweizer Bruno Frey. Sie fragen genau nach dem, was bisher in der herkömmlichen Analyse aus häufig als Indifferenz missinterpretierter Demut bewusst ausgeblendet wurde: Was sind eigentlich die üblichen Zielvariablen der menschlichen Entscheidungen? Wie materialistisch sind wir? Geht es immer nur um Einkommen oder verfolgen die Menschen mitunter auch ganz andere, zum Materiellen vielleicht sogar im Widerspruch stehende Ziele? Welche Ziele sind das? Was macht uns glücklich außer dem Geld, von dem wir ohnehin immer pflichtschuldig behaupten, es lasse uns kalt? Diese Fragen zu stellen ist nicht verkehrt, schon deshalb, weil sie jeden, der sie vernimmt, zum bewussten Nachdenken über das eigene Wertesystem inspirieren können. Dabei ist die biblische Erkenntnis, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, fast schon trivial: Wer einen besser bezahlten Job ausschlägt, den machen vermutlich andere Dinge glücklich als das zusätzliche Einkommen, zum Beispiel seine Freizeit. Jemand anders mag das Stück Heimat nicht aufgeben, von dem er für die neue Arbeitsstelle wegziehen müsste.

Schon diese wenigen Beispiele lassen indes die Crux erkennen: Was die Leute glücklich macht, ist so verschieden wie die Menschen selbst. Auf die Frage, was „Glücklichsein“ für ihn bedeute, verwies der Nobelpreisträger Paul A. Samuelson in einem Interview schlicht auf seine intellektuellen Beschäftigungen; Robert Solow auf Segeltörns gemeinsam mit seiner Ehefrau. Und Edmund Phelps griff zu einer symbolischen Erzählung: „Einmal hatte man meiner Frau und mir in einem Hotel in St. Paul de Vence ein Zimmer gegeben, das uns nicht gefiel. Viviana ging gleich wieder hinunter an die Rezeption und beschwerte sich. Und daraufhin gaben sie uns diesen phantastischen Raum mit einer wundervollen Aussicht, das war einfach herrlich. Wir begannen, ein wenig im Raum umherzutanzen, dann erhob sich unser Hund und wollte mitmachen und mit uns tanzen, und am Ende löste sich alles in ein großes Gelächter auf.“2  Jeder Mensch erkennt das Glück, wenn er es erlebt. Wie aber soll man universalisierbare Erkenntnisse über das Glück gewinnen können, wenn schon das subjektive Glücksempfinden derart variiert, wenn der eine in der Kopfarbeit seine Seligkeit findet, der andere aber erst bei einer schönen Aussicht in Verzückung gerät? Wenn rastlose Menschen ein kontinuierliches Feuerwerk von Glücksmomenten brauchen, um kraftvoll durchs Leben zu schreiten; andere hingegen stoischer veranlagt sind und auf einen längerfristigen Zustand des Glücklichseins im Sinne ganz allgemeiner Lebenszufriedenheit hoffen? Ein objektiver Glücksbegriff scheint unmöglich.

Anleitungen zum Glü̈cklichsein

Schon seit der Antike zerbrechen sich die Philosophen den Kopf darüber, wie man das Glücklichsein denn wohl konzeptionell fassen mag. Aristoteles hatte nur die tautologische Definition anzubieten, dass uns glücklich macht, was wir um seiner selbst willen anstreben, nicht um damit etwas anderes zu erreichen. Für Epikur hingegen war schon alles Glück, was nicht Schmerz war. Die Stoiker sahen das Glück als etwas Naturgegebenes, für das man sich nur von äußerer Unruhe fernhalten müsse. Auch für Aurelius Augustinus war Glücklichsein nicht Ekstase, sondern sehr viel bescheidener bloß Zufriedenheit. Eineinhalb Jahrtausende später erkannte der Philosoph Albert Camus, dass auch Sisyphos ein glücklicher Mensch ist. Der Mann aus der antiken Sage ist zwar dazu verdammt, einen großen, schweren Stein immer wieder den Berg hinanzustemmen, der dann, am Gipfel angekommen, wieder hinabrollen wird. Das klingt auf den ersten Blick nicht wirklich wie eine Anleitung zum Glücklichsein – ist es aber doch und kommt dabei gänzlich ohne das Happy End aus, in welches die amüsante moderne Version der Geschichte mündet, der amerikanische Spielfilm „Groundhog Day“. Denn Sisyphos überwindet die Absurdität des Daseins, indem er sie annimmt.

Wie erfährt der Wissenschaftler, was die Menschen glücklich macht? Viele Menschen wissen es selbst nicht, sind in dem lebenslangen Projekt, es für sich herauszufinden, nicht weit fortgeschritten. Manchmal ahnen es eng vertraute Personen, die ein allfälliges Strahlen in den Augen des anderen zu erspähen vermögen und daraus ihre Schlüsse ziehen. Was ein Mensch will und auch was ihn glücklich macht, kann man manchmal an seinem Tun oder seiner Zahlungsbereitschaft ablesen; Ökonomen nennen dies den hedonischen Ansatz. Wenn jemand regelmäßig Geld ausgibt, um am Wochenende ins Grüne zu fahren, dann könnte das darauf hinweisen, dass die Natur ihn glücklich macht. Vielleicht aber auch nicht. Oft ist die Motivlage komplizierter. Womöglich fährt die betreffende Person ins Grüne, weil der mitreisende Partner das mag und sie den Partner. Dann ist es aber die Partnerschaft, die hoffentlich Glück beschert, nicht die Natur; und der Ausflug in die Natur ist schlicht zur Pflege der Partnerschaft nützlich. Das Beispiel illustriert, wie methodisch unsauber es ist, Zahlungsbereitschaft, Nutzen und Glück kurzerhand gleichzusetzen.

Die Wissenschaftler versuchen dieses schwerwiegende Problem dadurch zu lösen, dass sie die Umwege aufgeben und die Menschen einfach direkt fragen. Aber dabei tut sich dann wieder die Falle auf, dass sich viele Menschen gar nicht richtig bewusst machen, was tatsächlich zu ihrem Glück beiträgt. Davon unbeirrt bemüht man sich darum, die Antworten vergleichbar zu machen und sie in „Glücksindizes“ zusammenzufassen. Zu diesem Zweck gibt man Begriffe und Skalen vor, nach dem Motto: „Wie glücklich macht es Sie, wenn Sie Sport treiben, auf einer Skala von 0 bis 10?“. Mit solchen Skalen ist es allerdings immer so eine Sache. Typischerweise meiden die Befragten bei solchen Skalen die Extreme; die Antworten ballen sich optisch in der Mitte – und das hat weniger mit dem tatsächlichen Glücklichsein zu tun als mit der Sorge, sich zu irren und etwas Falsches anzugeben. Außerdem ist das Glücksempfinden von der Tagesform des Befragten abhängig. Wenn gefragt wird, wie glücklich einen der Sonnenschein mache, man sich aber gerade mit seinem Liebsten gestritten hat, dann fällt die Antwort verhaltener aus als nach einem harmonischen Wochenende.

Kann die Forschung überhaupt seriöse Ergebnisse liefern?

Wenn aber sowohl das Glücklichsein als auch die dazu notwendigen Faktoren etwas Subjektives und Variables sind, das sich zudem statistisch nur schwer erfassen lässt und hochgradig von Persönlichkeiten und Situationen abhängig ist, dann sind die Aussichten für eine seriöse wissenschaftliche Forschung nach universalisierbaren Aussagen über das Glück von vornherein schlecht. Entweder die Erkenntnisse bleiben anekdotisch, strikt auf Einzelfälle und Einzelsituationen beschränkt – oder sie bieten bloß eine grobe Annäherung an den Durchschnitt. Durchschnittsbetrachtungen jedoch sind trivial und haben zudem den Nachteil, dass die realen Fälle, die sie exakt beschreiben, an einer Hand abzuzählen bleiben. In die Kategorie der eher putzigen, trivialen Erkenntnisse der Glücksforschung gehört zum Beispiel, dass es die meisten Menschen glücklich macht, wenn sie verliebt sind, wenn sie gute Freundschaften pflegen können, wenn sie Kinder haben, wenn sie Sport treiben, wenn sie ihre Religion ausüben. Dass eine gute Ausbildung zum Glück beiträgt. Dass Stress unglücklich macht. Dass Fernsehen neue materielle Wünsche weckt, Ängste schürt und unzufrieden macht. Dass sie Gewinne als positives Erlebnis schneller vergessen als schmerzliche Verluste. So ist die menschliche Psyche offenbar gestrickt.

Mit solchen Trivialitäten geben sich aber auch die Glücksforscher selbst gar nicht gerne ab. Viel spannender sind für sie empirische Ergebnisse, die einen staunen lassen oder befremden und nach einer theoretischen Erklärung verlangen: Paradoxa. So hat man beispielsweise mit Blick auf das Einkommen beobachtet, dass die Glücksindizes eines Landes gar keine höheren Glücksniveaus anzeigen, wenn die Wirtschaft ohne Änderung der Verteilungssituation insgesamt wächst („Easterlin-Paradoxon“). Offenbar mache eine Einkommenssteigerung an sich, absolut betrachtet, niemanden glücklich, wurde gemutmaßt. Es komme wohl vielmehr auf die relative Position an. Dem entgegenstehende empirische Resultate wurden dann mit der Vermutung kommentiert, dass sich die Menschen beim Vergleich ihrer Position gar nicht am gesamten Rest der Gesellschaft orientieren, sondern nur an ihrem unmittelbaren Umfeld. Aber in welche Richtung geht dieser Vergleich? Wollen die Leute sein wie die anderen („keeping up with the Joneses“) oder sich eher von ihnen abhe-ben? Hier würde es spannend, wenn denn eine Aussage überhaupt möglich wäre. Doch „die Menschen“, „die Leute“ gibt es nicht – insofern fragt man besser gar nicht erst. Das Maß an generalisierender Küchenpsychologie, zu dem sich die Ökonomen hier hinreißen lassen, ist so schon ungeheuerlich.

Wenn dem Glücksökonomen als „Narrativ“ gar nichts mehr einfällt, um seine Paradoxa zu erklären, dann verweist er einfach – und möglicherweise sogar durchaus zu Recht – auf Darwin: Die Fähigkeit zum Glücklichsein mag zu einem guten Teil genetisch angelegt sein. Wie ließe es sich sonst erklären, dass beispielsweise die Kubaner trotz Armut und Unfreiheit lange ein fröhliches Volk zu sein schienen? Eine so populäre wie billige Antwort wäre der üppige Sonnenschein, eine andere, ein wenig zynisch, der Verweis auf die Gewöhnung. Der Gewöhnungseffekt ist sogar in Längsschnittstudien empirisch belegt. Selbst an Krankheiten und Behinderungen gewöhnen sich Menschen, in ihren persönlichen Glücksindizes kehren sie nach einer gewissen Zeit fast oder ganz auf die früheren Niveaus zurück.

Spätestens angesichts dieses Befunds freilich mag man kaum mehr glauben, dass der Rest der Ökonomenzunft der methodisch zweifelhaften Spielerei der Glücksforscher aus ihren Reihen so lange in freundlichem Amüsement zugesehen hat. Das angebliche Paradoxon des Gewöhnungseffekts ist eine psychologische Binsenweisheit. Dass derlei als theoretisches Problem der Ökonomie thematisiert wird, könnte auf einen Mangel an wirklich relevanten Fragen des Faches schließen lassen. Der Gewöhnungseffekt erklärt sich schlicht aus der punktuellen Lokalisierung der Skala auf dem Zeitstrahl und dem sich ändernden Datenkranz: Der Befragte verortet diese Skala automatisch im Jetzt und vergleicht nicht mit dem Früher – außer vielleicht noch in der Anfangsphase der schmerzlichen Umstellung. Irgendwann nimmt er die Krankheit oder Behinderung als Teil des Datenkranzes und konzentriert sich auf die richtige Anordnung des relativen Grades an Glück, den ihm Arbeit oder Freundschaften oder anderes einbringen. Das Ergebnis ist allein der Perspektive der Erhebungsmethode geschuldet. Fragte man direkt den Vorher-Nachher-Effekt ab, wären die Ergebnisse natürlich anders. Es ist alles eine Frage des insinuierten Referenzpunkts.

Wer nicht mehr weiter weiß, gründet einen Arbeitskreis

Das Skalierungsproblem steckt auch hinter dem populären „Easterlin-Paradoxon“, nach dem – nicht unumstrittenen empirischen Erhebungen zufolge – das Wirtschaftswachstum und die damit verbundenen höheren Einkommensniveaus die Menschen gar nicht glücklicher machen. Während das Glücksniveau auf einer relativen Skala von 0 bis 10 (oder ähnlich) angegeben wird, lässt sich das Wirtschaftswachstum nur auf einer mindestens nach oben offenen Skala abtragen. Hier wird also mit zweierlei Maß gemessen. Wenn man nun das Glück zum Bruttoinlandsprodukt in Beziehung setzt, entsteht eine fehlkonzipierte Maßzahl: Der Nenner darf wachsen, der Zähler nur in engen Grenzen. Hinzu kommt auch hier der Datenkranz-Effekt. Der relevante Vorher-Nachher-Vergleich bleibt aus.

Mit solchen groben methodischen Fehlgriffen und – naiven oder sogar beabsichtigten – Manipulationen setzen die Ökonomen ihren ohnehin schon ramponierten Ruf aufs Spiel. Schlimmer noch, sie verwirren Öffentlichkeit und Politik. Einen Boom verzeichnete die Glücksökonomie nämlich just nach der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die im September 2008 ihren Lauf nahm und im Kielwasser eine erstarkte Kapitalismuskritik, Wachstumsskepsis und Abscheu vor Materialismus nach sich zog. Der vor knapp 40 Jahren von Dennis Meadows u.a. in die Welt gesandte Kassandraruf von den „Grenzen des Wachstums“ 3 hatte auf einmal wieder Konjunktur. Und wer nicht mehr weiter weiß, gründet bekanntlich einen Arbeitskreis: Nun begannen die Regierungen in aller Welt, Kommissionen ins Leben zu rufen, die nach Methoden suchen sollten, wie man nicht länger allein die materielle Wertschöpfung, sondern auch andere wichtige gesellschaftliche Ziele in einem Indikator abbilden und damit mehr in den Fokus der Öffentlichkeit und der Politik rücken könnte. Denn, wie Glücksökonomen in offenherziger Entlarvung ihrer eigentlichen Motivation verkünden: Man kann nur steuern, was man auch messen kann.

In Großbritannien hat nun der konservative Premierminister David Cameron die nationale Statistikbehörde beauftragt, einen veritablen Glücksindex zu erstellen. Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy hatte schon im Jahr 2008 eine Expertenkommission unter Leitung der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Amartya Sen mit einem Bericht beauftragt. Und in Deutschland beschäftigt sich derzeit eine Bundestags-Enquêtekommission unter dem Titel „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ noch bis zum Ende der Legislaturperiode mit der Neuausrichtung der Politik und der Suche nach einem neuen Wohlstandsindikator, der das Bruttoinlandsprodukt um ökologische, soziale und kulturelle Kriterien ergänzt. Vorbild ist womöglich der südasiatische Staat Bhutan, der bislang allerdings noch nicht als besonders freiheitlicher Staat aufgefallen ist. Dort maximiert die Regierung das von ihr anhand der fünf Kernzielgrößen „menschliche Entwicklung“, „ausgewogene Entwicklung“, „Erhaltung der Umwelt“, „Bewahrung von Kultur und historischem Erbe“ sowie „gute Regierungsführung“ definierte Bruttosozialglück.

Eine Anmaßung der Politik

Verfehlt ist dabei hierzulande nicht nur schon die unterschwellig transportierte Unterstellung, die Politik habe bisher „bloß“ Wirtschaftspolitik betrieben und sei allein auf die Steigerung der heimischen Wertschöpfung fixiert gewesen, sie habe vor allen anderen gesellschaftlichen Fragen die Augen verschlossen. Auch ist das kolportierte Misstrauen gegenüber dem Bruttoinlandsprodukt als einigermaßen objektiver, sauber abgrenzbarer und international vergleichbarer Maßzahl des wirtschaftlichen Wohlstands schlecht begründet – wenn man sich dieser definitorischen Einschränkung klar ist. Noch mehr aber fragt sich: Ist die Politik überhaupt der richtige Adressat für Fragen des Glücks? Soll die Politik die Bürger beglücken – oder sollte sie sich vielleicht besser darauf beschränken, den Bürgern auf dem Weg zu ihrem persönlichen Glücklichsein nicht im Wege zu stehen? Der Philosoph Karl Popper schrieb: „Von allen politischen Idealen ist der Wunsch, die Menschen glücklich zu machen, vielleicht das gefährlichste.“4  Denn ein jeder solcher Wunsch führe unvermeidlich zu dem „Versuch, anderen Menschen unsere Ordnung ,höherer‘ Werte aufzuzwingen, um ihnen so die Einsicht in die Dinge zu verschaffen, die uns für ihr Glück am wichtigsten zu sein scheinen; also gleichsam zu dem Versuch, ihre Seelen zu retten“.5  Treffender kann man nicht ausdrücken, dass jeder Versuch der Politik, also jedermanns Glück zu schmieden, letztlich auf einer unhaltbaren Anmaßung beruht.

Schon der schottische Philosoph Adam Smith, Begründer der modernen Ökonomie, hatte den Politikern vorgeworfen, sich für Schachspieler zu halten, die auf dem „großen Schachbrett der menschlichen Gesellschaft“ die Figuren einfach hin- und herschieben dürften. Wer so denke, der „zieht nicht in Betracht, das die Figuren auf dem Schachbrett kein anderes Bewegungsprinzip haben als das, welches die Hand ihnen auferlegt; dass aber auf dem großen Schachbrett der menschlichen Gesellschaft jede einzelne Figur ihr eigenes Bewegungsprinzip hat, das völlig verschieden von jenem ist, das die Gesetzgebung ihnen aufzuerlegen wünschen mag.“6

Die absurdeste und infamste Anmaßung ist dabei der Versuch, Menschen mit dem meritorischen Argument in eine bestimmte Richtung zu schieben, sie wollten doch eigentlich auch dorthin, seien sich nur im Augenblick dessen offenbar noch nicht bewusst. Sie seien zu kurzsichtig, unterlägen Illusionen. „Menschen treffen Entscheidungen, die ihr Glück nicht fördern“ – so oder so ähnlich wird formuliert in den zahlreichen Ausarbeitungen zum Thema „liberaler Paternalismus“, die im Gefolge des Buches „Nudge“ (zu deutsch: Schubs) der beiden Amerikaner Richard Thaler und Cass Sunstein kursieren.7 Der grundlegende Befund ist durchaus korrekt. Man irrt sich, man schaut manchmal nicht über den Tellerrand hinaus – zum Beispiel bei einer irrationalen Übersprungshandlung, wenn man etwa wieder eine Stunde vor dem Fernsehgerät sitzt, obwohl man genau weiß, dass es noch etwas Dringendes zu erledigen gibt; wenn man den interessanteren Job ausschlägt und es später bitter bereut; wenn man verdrängt, dass man im Alter einmal auf Erspartes zurückgreifen muss.

Hiergegen lassen sich jedoch Mechanismen der freiwilligen Selbstbindung finden, analog zu Odysseus, der sich am Mast seines Schiffes festbinden ließ, um den Sirenenklängen nicht zu erliegen. Auch ganz rational maximiert der Mensch durchaus nicht immer sein Glück, sondern bringt gelegentlich einmal Opfer, zum Beispiel wenn man eine geliebte Person ziehen lassen muss. Aber zu alledem ist Freiheit die Voraussetzung. Nicht nur Geld ist nicht alles, auch Glücklichsein ist nicht alles. Ein noch höherer Wert ist die Freiheit. Nur wer frei ist, hat die Chance, aus Fehlentscheidungen zu lernen und sie zu verantworten. Nur wer frei ist, hat die Würde. Und nur wer frei ist, hat eine Chance, sein Glück zu entdecken und zu erfahren.

Wenn jeder Mensch sich ausprobieren und Fehler verkraften muss, um zu erfahren, was sein Glück wirklich fördert oder auch nur ihn zufrieden macht, dann fragt man sich umso mehr, woher sich wohl die Zuversicht speist, dass der Staat hierüber bessere Kenntnis besitzen soll. Aus höherer Einsicht? Oder gar aus den Umfragen der modernen Glücksökonomen? Also aus der methodisch wackeligen, subjektiven, von der Fragetechnik und der Skalierung beeinflussten Meinung des Durchschnitts? Gott bewahre. Der persönliche „Pursuit of Happiness“, auf den die amerikanische Unabhängigkeitserklärung jedem Bürger ein unveräußerliches Recht zuspricht, ist ein Pursuit in doppelter Hinsicht. Sein Glück zu verfolgen, heißt, dass man das Glück für sich höchstselbst erst einmal finden muss – und es dann tätig auch zu schmieden hat. Hoffentlich überzeugen die Glücksökonomen Politik und Öffentlichkeit nicht irgendwann vom Gegenteil.

Dr. KAREN HORN leitet das Hauptstadtbüro des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW).

  • 1Zur Lektüre empfohlen: Helen Johns und Paul Ormerod: Happiness, Economics and Public Policy, London 2007.
  • 2Karen Horn: Roads to Wisdom, Cheltenham 2009, S. 281.
  • 3Donella H. Meadows, Dennis L. Meadows, Jørgen Randers und William W. Behrens III: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Stuttgart 1972.
  • 4Karl Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band II, Tübingen 1958/2003, S. 277.
  • 5Ebd.
  • 6Adam Smith: Theorie der ethischen Gefühle, Hamburg 1985, S. 395 f.
  • 7Richard Thaler und Cass Sunstein: Nudge, New Haven 2008.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2011, S. 117-125

Teilen

Mehr von den Autoren