Der Bankrott der Ökonomen
Die Finanzkrise enthüllt auch das Versagen der Wirtschaftswissenschaften
„Heute wissen wir, was zu tun ist.“ Dieser selbstbewusste Ausspruch des amerika-nischen Wirtschaftswissenschaftlers George Akerlof klingt angesichts der aktuellen Finanzkrise wie Hohn. Wir erleben einen Zusammenbruch von Märkten, wie ihn die Welt seit den dreißiger Jahren nicht gesehen hat – und auch die Wissenschaft hat das nicht verhindert. Ganz im Gegenteil, als Wegbereiter der Politik trägt sie eine gehörige Mitschuld daran, dass es so weit hat kommen können.
Wissenschaftliche Selbstüberschätzung und politischer Machbarkeitswahn sind im modernen Mainstream der Ökonomie eine unheilvolle Allianz eingegangen. Unzählige Forscher haben sich von Formalismus und Eleganz ihrer Modelle blenden lassen. Vor allem aber haben große Teile der Zunft mit ihren keynesianischen Politikempfehlungen jene Grube gegraben, in die wir jetzt mit der Finanzkrise gestürzt sind: Wir sind Opfer einer allzu lockeren Geldpolitik, einer zügellosen Sozialpolitik, die jeglichen Bezug zwischen Einnahmen und Ausgaben ignoriert, sowie einer krampfhaften Dauer-Konjunkturankurbelung in Amerika.
Die „keynesianische Revolution“ ist ein Kind der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre. Händeringend wurden Erklärungen gesucht. John Maynard Keynes lieferte mit seiner „Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ ein gedankliches Modell dafür. Es berücksichtigte die Erwartungen der Menschen; es suchte ein Stocken makroökonomischer Transmissionsmechanismen abzubilden; es ging nicht länger von Selbstheilungskräften des Marktes aus – und es lieferte somit einen Ansatzpunkt für Regierungshandeln. Wenn die private Nachfrage ausblieb, sollte die Fiskal- oder Geldpolitik einspringen.
Keynes’ Adepten mussten sich erst mit Hilfe der mathematischen Formalisierung einen Pfad durch das Dickicht der Ideen des Meisters schlagen. Daraus wurden dann die Pioniertage der mathematischen Makroökonomik. Der Trend war nicht aufzuhalten. Der neue Mainstream verdrängte die Österreichische Schule mit ihrem ökonomisch-sozialphilosophischen Ansatz, welcher die Interaktion in der Gesellschaft und auf Märkten ganzheitlich zu ergründen sucht. Er verdrängte auch weitgehend die Ordnungstheorie, die politische Ökonomie, die Institutionenökonomik und die Wirtschaftsgeschichte in nunmehr als exotisch geltende Gefilde. Die Dogmengeschichte – die historische Auseinandersetzung mit den Methoden und Erkenntnissen des Faches – starb fast völlig aus. All das rächt sich jetzt.
Der moderne Mainstream sperrt die Wirtschaftswissenschaften ein in einer Sackgasse der intellektuellen Hybris. So sagt Akerlof: „Wenn die Wissenschaft in den dreißiger Jahren etwas fortgeschrittener gewesen wäre, dann hätten wir die Weltwirtschaftskrise nie erleben müssen. Und das hätte uns dann vielleicht auch den Zweiten Weltkrieg erspart. Es wäre so einfach gewesen, mit Deficit Spending aus der Depression zu kommen.“ Viele Ökonomen wähnen tatsächlich, das Wirtschaftsleben korrekt modellieren zu können, Verhalten einigermaßen präzise prognostizieren sowie gesellschaftliche Ziele bei hinreichend gutem Willen auch politisch verwirklichen zu können. Wenn das fehlschlägt, dann sucht man eben nach besseren Modellen, feineren Prognosen und größerer staatlicher Durchschlagkraft.
Das kann nicht gelingen. Das Paradigma ist von Grund auf falsch. Die Ökonomie hat sich methodisch auf einen naturwissenschaftlichen Pfad begeben, obwohl ihr Gegenstand dafür ungeeignet ist. Denn die Sozialwissenschaften haben es, wie der Vertreter der Österreichischen Schule, Friedrich August von Hayek, erklärt hat, mit komplexen Phänomenen zu tun. Es geht dort nicht um objektiv beobachtbare Gegebenheiten, sondern um subjektive Wahrnehmungen, die sich erst ihrerseits auf die reale Welt beziehen: Meinungen, Erwartungen, Überzeugungen. Das Beste, was man bei einer derart „fuzzy“ daherkommenden Materie erreichen kann, sind Erklärungen von Wirkungsprinzipien und Muster-vorhersagen. Wirkungsprinzipien beschreiben, wie etwas abläuft; Mustervorhersagen geben qualitative Richtungsangaben. Mehr nicht. Präzise Vorhersagen sind unmöglich. Bescheidenheit tut not. Doch diese Wahrheit haben viele Ökonomen verdrängt. So kam es, dass die fundamentale Kontingenz, die im sozialen Miteinander immer bestehen muss, solange Menschen frei über ihr Tun entscheiden, schlicht ignoriert wurde. Das gilt für die dem staatlichen Interven-tionismus den Weg bereitende Makroökonomik ebenso wie für die hochkomplizierte mikroökonomische Finanztheorie, die all die riskanten Innova-tionen hervorgebracht hat, die nun niemand mehr versteht.
Es ist Zeit für eine radikale Umkehr in den Wirtschaftswissenschaften, auch und gerade bei der Neubesetzung von Lehrstühlen. Wir brauchen viel mehr Ordnungstheorie, viel mehr Sozialphilosophie. Wir müssen wieder mehr denken und weniger rechnen. Es ist Zeit, „unser Nichtwissen ernster zu nehmen“. Gerade wenn man es mit George Akerlof hält: „Wir haben die Pflicht, keine Fehler zu machen.“
KAREN HORN leitet das Hauptstadtbüro des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln.
Internationale Politik 12, Dezember 2008, S. 54 - 53