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01. Juli 2011

Ist Aufklärung im Dialog möglich?

Stiftungen als Soft Power. Ein Zwischenruf zu ihrer Rolle im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik

Private Stiftungen leisten neben den politischen, parteinahen Stiftungen in Deutschland in oft „schwierigen“ Zielländern bedeutende Beiträge zur auswärtigen Kulturpolitik und darüber hinaus. Dies wird selten gesehen, aber auch die Stiftungen können von amerikanischen Vorbildern lernen und sich weiter professionalisieren.

Kaum ein Land steht derzeit in der deutschen politischen Diskussion so stark in der Kritik wie die Volksrepublik China. Jedes wirtschaftliche, politische und kulturelle Engagement dort ist genau abzuwägen und daraufhin zu prüfen, ob es den vielfältigen Bestrebungen zu mehr Demokratie schadet, ob es der chinesischen Regierung zur fortgesetzten Legitimierung gereicht, ob es dem Schutz der Menschenrechte dient. Dies war bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking der Fall und ist es heute bei der Neueröffnung des Chinesischen Nationalmuseums auf dem Platz des Himmlischen Friedens mit einer Ausstellung zur „Kunst der Aufklärung“ der Staatlichen Museen zu Berlin, der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München.

Die Stiftung Mercator konzipierte begleitend zur Anfang April eröffneten Ausstellung die Veranstaltungsreihe „Aufklärung im Dialog“ und investiert Fördermittel in Höhe von 1,5 Millionen Euro in dieses Programm. Der Stiftung ging es dabei vor allem darum, den Dialog zwischen China und Deutschland aufrechtzuerhalten. Eine renommierte deutsch-chinesische Expertengruppe entwickelte die Reihe, die die Grundlagen der europäischen und chinesischen Aufklärung beschreibt und den Bogen zur Gegenwart schlägt. Zwei Formate ergänzen sich dabei gegenseitig: Jeder Dialogblock besteht aus einem Forum mit Vortrag und Podiumsdiskussion in Zusammenarbeit mit dem chinesischen Nationalmuseum und je zwei unabhängigen Salons an verschiedenen Orten in Peking, bei denen sich deutsche und chinesische Intellektuelle über philosophische, gesellschaftliche und künstlerische Aspekte der Aufklärung und ihre heutige Relevanz austauschen. Diese Salons sind dem klassischen Salon der Aufklärung nachempfunden und bieten Raum für offene Gespräche über Kunst, Kultur und Philosophie.

Die europäischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts waren nicht zuletzt von den Traditionen und der Philosophie Chinas inspiriert. Einen Teil dieser Inspiration können wir heute zurückgeben. Die Ausstellung selbst ist ein binationales Projekt und hat in der Bundesrepublik nicht nur Zustimmung, sondern auch Protest hervorgerufen. Tiananmen, Tibet-Frage und zuletzt die Verhaftung von Ai Wei Wei haben jeden, der mit der chinesischen Regierung spricht, in den Verdacht der Unterstützung einer menschenrechtsverachtenden Politik gebracht. Doch gerade in dieser Diskussion ist die Plattform, die die Stiftung Mercator mit ihrer Veranstaltungsreihe bietet, als besonders wirkungsvoll für die Verständigung unabhängig von chinesischer Zensur und Repressalien beschrieben worden.1

Denn „Aufklärung im Dialog“ schafft ein Angebot, sich ohne Zwang über das Zeitalter der europäischen Aufklärung zu informieren, über die chinesische Aufklärung zu debattieren und Aufklärung heute zu erleben. Und wer könnte das Motto der Aufklärung, die Herauslösung des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, besser umsetzen als eine gemeinnützige private Stiftung?

Da Stiftungen eine andere Form von Dialog mit ihren jeweiligen Partnern führen können als insbesondere staatliche Institutionen, kommt ihnen gerade in Deutschland eine besondere Rolle zu. Sie können unabhängig vom Staat agieren und geraten in der Regel nicht in den Verdacht allzu großer Nähe zum Staatsapparat. Andererseits transportieren sie die Werte des Grundgesetzes, werden zu Vermittlern deutscher Kultur im Ausland und sind dabei oft wirkungsvoller, als es der Staat sein kann. Deutsche Stiftungen sind durch ihre Projekte vernetzt und verfügen wohl über die größte „convening power“ So können sie Mediatoren überall dort sein, wo ganze Gesellschaften und Kulturen einander fremd sind oder einzelne Akteure aus unterschiedlichen Lagern nicht mehr miteinander sprechen.

Das Engagement deutscher Stiftungen in Krisengebieten, in undemokratischen Strukturen, als Vermittler zwischen Konfliktparteien und als Wegbereiter für Kontakte zu isolierten Gesellschaften hat eine besondere Tradition. Zu dieser gehört, dass sich deutsche Stiftungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs relativ früh für die Völkerverständigung eingesetzt haben. Die Körber-Stiftung bringt seit 50 Jahren im „Bergedorfer Gesprächskreis“ Menschen über alle kulturellen Grenzen  hinweg zusammen. Der Titel des 127. Gesprächskreises in Isfahan im Jahr 2004 – „Mittlerer Osten und westliche Werte“ – belegt einleuchtend das Bewusstsein deutscher Stiftungen für die Vermittlung deutscher Kulturpolitik in anderer Dimension.

Die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius steht für den Dialog mit Israel und Amerika, und seit 1964 schafft die Robert Bosch Stiftung Plattformen für den Dialog der Deutschen mit ihren Nachbarn. Polen und Frankreich bilden seit vielen Jahren einen Themenschwerpunkt. Zu Beginn der siebziger Jahre lud die Robert Bosch Stiftung zum ersten deutsch-polnischen Erfahrungsaustausch. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnte zu diesem Zeitpunkt die Neue Ostpolitik noch ab. Immer wieder brachte die Stiftung in den folgenden Jahrzehnten das Verhältnis beider Länder voran.

Auch für die Brücke nach Nordamerika haben die Stiftungen in Deutschland mit die Fundamente gelegt. 1972 entstand der German Marshall Fund (GMF). Gemeint als Dank Deutschlands für die Unterstützung durch den Marshall-Plan in den Nachkriegsjahren, arbeitet der GMF für die Festigung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Staatlicher Ursprung und Dotierung des GMF müssen dabei kein Nachteil sein: Auch die politischen Stiftungen gehen nicht auf private Stifter, sondern die deutschen Parteien zurück und sind doch zu wichtigen Akteuren der Zivilgesellschaft geworden. Gerade nach Mittel- und Osteuropa pflegen sie seit Jahrzehnten Kontakte, beispielsweise Heinrich Böll mit Stipendien im südlichen Kaukasus, Friedrich Naumann mit einer Konferenz über Bildungspolitik im nationalkonservativ regierten Ungarn, Friedrich Ebert mit dem Dialog zur deutschpolnischen Geschichte, Konrad Adenauer mit der Unterstützung der demokratischen Opposition in Weißrussland, Rosa Luxemburg mit der politischen Sommerschule im serbischen Novi Sad, Hanns Seidel mit der Verbindungsstelle Moskau. Alle sechs politischen Stiftungen können unabhängiger vom politischen Tagesgeschäft agieren und bringen Menschen zusammen, die auf offiziellem Parkett kaum zueinander gefunden hätten.

Glaubwürdig handeln

Wie erfolgreich die parteinahen Stiftungen ihr Potenzial als Soft Power der deutschen Außenpolitik einsetzen, zeigt sich gerade im Umbruchprozess der arabischen Welt, wo Nationalstaaten nur noch eingeschränkt handeln können. In einer globalisierten Welt werden Netzwerke immer wirkungsvoller und effektiver. Denn dort regiert die Soft Power, die Robert O. Keohane und Joseph S. Nye als Kraft beschreiben, die bewirkt, dass das Gegenüber genau das tut, was man selbst beabsichtigt hat.2  Hier gilt das Ansehen der handelnden Institution viel mehr als gesetzliche Macht, Zwang oder Geld; wer weit geachtete Grundsätze verfolgt, wird sich langfristig breiteren Einfluss sichern.

Die Bundesregierung hat die Rolle der politischen Stiftungen in Tunesien und Ägypten unterstrichen, und Zeitungen im breiten Spektrum von der Islamischen Zeitung bis zur Süddeutschen Zeitung schreiben von den Stiftungserfolgen, auch wenn gefordert wird, die Stiftungen müssten „den Politikern in Deutschland differenziertere An- und Einsichten liefern.“3  Doch Soft Power funktioniert nur so lange, wie sie als solche eingesetzt wird und nicht verlängerter Arm der Regierungen ist. Hier verläuft die „rote Linie“ eines solchen Stiftungsengagements. Immer wieder geraten die politischen Stiftungen in den Verdacht der (partei-)politischen Einflussnahme. Hier können die unabhängigen Stiftungen, die von Privatpersonen und Unternehmen errichtet wurden, noch glaubwürdiger handeln.

Trotz der mutigen Aktivitäten einiger deutscher Stiftungen – gegen den Strom und wider die Skepsis der Gesellschaft – arbeiten die meisten jedoch auch heute noch im internationalen Vergleich relativ unprofessionell. Dies gilt vor allem bei der Frage der Führung. Im Personalaufbau, im Verständnis von Führungsstil und in der Frage nach der Evaluation von Wirkung sind die amerikanischen Stiftungen den deutschen um etwa 30 Jahre voraus. Es kann auch für deutsche Stiftungen beim Engagement für internationale Kulturpolitik, für Friedensinitiativen und Völkerverständigung nicht darum gehen, nur Fördergelder auszuschütten.4  Vielmehr müssen Stiftungen selbst in der Zivilgesellschaft aktiv werden. Genau das lernen sie von ihren amerikanischen Geschwistern.

Deutsche Stiftungen haben zudem zu lange ehrfürchtig auf die politisch Mächtigen geschaut. Sie haben trotz der eigenen Leistungen der vergangenen Jahrzehnte ihr Potenzial unterschätzt und nicht die Position eingefordert, die ihnen angesichts ihrer Bedeutung für die Gesellschaft zukommt. Helmut K. Anheier und Siobhan Daly haben unterstrichen, dass europäische Stiftungen staatliches Handeln durchaus ergänzen wollen.5  Die amerikanischen Stiftungen definieren dagegen von sich aus überhaupt kein Verhältnis zum Staat. Auch dies können deutsche Stiftungen lernen. Weil die Stiftungen jenseits des Atlantiks seit jeher selbstbewusster auftreten, sind sie früher Gegenstand von öffentlicher Kritik, aber auch von Forschung gewesen. Beides war und ist wichtig für die Weiterentwicklung. Viele Kritikpunkte, die die Forschung im Agieren der Stiftungen erkannte – ungenügende Mittel für den Stiftungszweck, Partikularismus, Paternalismus und Unprofessionalität6  – treffen auch auf deutsche Stiftungen zu. Eine umfassende Analyse ist aber bis heute leider ausgeblieben.7

Die oben aufgeführten Beispiele zeigen, dass Stiftungen dort, wo sie mit eigenen Projekten vor Ort sind, die Interessen der deutschen Kulturpolitik stärken, indem sie die normativen Ziele deutscher Außenpolitik fördern, Isolierung aufbrechen und auf zunächst vermeintlich aussichtslosem Posten agieren. Durch ihre neue, demokratisch- zivilgesellschaftliche Tradition haben sie eine spezifische Form auswärtiger Kulturpolitik entwickelt. Wie unter anderem das Engagement von Stiftungen hinter dem „Eisernen Vorhang“ vor 1990 gezeigt hat: Das Offenhalten von Dialogplattformen ist eine ihrer großen Stärken. Dabei müssen die Regeln eingehalten werden, dass die Gesprächspartner im Ausland geschützt bleiben und der Dialog offen geführt werden kann. In den von der Stiftung Mercator organisierten Salons ist dies nur wenige Meter von Ai Wei Weis Atelier entfernt und nur wenige Tage nach seinem Verschwinden gelungen. Solange dies möglich ist, soll es auch weiter geschehen. So können Stiftungen im Sinne von Soft Power einer deutschen auswärtigen Kulturpolitik wirken, ohne der deutschen oder der jeweiligen ausländischen Regierung nach dem Munde zu reden. Ihr tatsächliches Potenzial hierfür aber haben sie bislang bei weitem noch nicht ausgeschöpft.

Dr. BERNHARD LORENTZ ist seit 2008 Geschäftsführer der Stiftung Mercator, eine der großen privaten Stiftungen in Deutschland.

  • 1So zuletzt vom Präsidenten des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann, in Der Tagesspiegel, 15.4.2011. Vgl. auch den Leitartikel von Moritz Müller-Wirth in der ZEIT und Tilman Spengler in der Süddeutschen Zeitung, beide 14.4.2011.
  • 2Robert O. Keohane und Joseph S. Nye jr.: Introduction, in: dies. (Hrsg.): Governance in a Globalizing World, Brookings Institution Press 2000, S. 1–41, hier S. 25; vgl. auch Anne-Marie Slaughter: A New World Order, Princeton 2004.
  • 3Süddeutsche Zeitung, 23.3.2011; siehe auch Islamische Zeitung, 18.3.2011.
  • 4Siehe David C. Hammack und Helmut K. Anheier: American Foundations. Their Roles and Contributions to Society, in: dies. (Hrsg.): American Foundations. Rules and Contributions. The Brookings Institution Washington 2010, S. 3–27; siehe auch Bernhard Lorentz: Führung stiften. Zur Frage von Führung und Führungskräfteentwicklung im Stiftungsbereich, in: Klaus Siebenhaar (Hrsg.): Leadership. Vom Führen in modernen Zeiten, Berlin 2010, S. 77–85, hier S. 77.
  • 5Siehe Helmut K. Anheier und Siobhan Daly: Comparing foundation roles, in: dies. (Hrsg.): The Politics of Foundations. A comparative analysis, New York 2007, S. 27–44, hier S. 28.
  • 6Ebd., S. 13.
  • 7Es laufen aber einige wichtige empirische Forschungsarbeiten, die an der NRW School of Governance und am Centrum für soziale Investitionen und Innovationen (CSI) in Heidelberg angebunden sind, beispielsweise von Anne Rolvering und Kristine Weissenbach.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2011, S. 112-116

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