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01. Juni 2006

Israel in die NATO!

Die Allianz muss Treuhänder für einen Nahost-Frieden werden

Gleich drei Krisenherde machen den Nahen und Mittleren Osten derzeit zum globalen Puverfass: die chaotische Lage im Irak, das atomare Auftrumpfen des Irans und der schwelende Israel-Palästina-Konflikt. Alle drei Konflikte tangieren die USA und die EU. Um zu deren Lösung beizutragen, müssen sie kooperieren. Der geeignete Ort dazu? Die NATO.

Im Nahen und Mittleren Osten verschmelzen drei Konfliktherde miteinander, die schon jeder für sich brandgefährlich sind. Der Irak droht unter seinen internen ethnopolitischen und religiösen Konflikten auseinander zu brechen. Das radikalislamische Regime im Iran fordert die USA heraus und testet den politischen Zusammenhalt des Westens im Konflikt um die Atomtechnik und das Existenzrecht Israels. Zwischen Israel und den Palästinensern herrscht nach der Wahl der Hamas-Regierung ein gespannter Waffenstillstand, der jederzeit in eine neue Runde von Gewalt und Gegengewalt umkippen kann. Die „Roadmap“, der Fahrplan zu einem Verhandlungsfrieden, ist klinisch tot. Stattdessen setzt Israels neu gewählte Regierung auf eine Politik vollendeter Tatsachen, eine Kombination aus Rückzügen und Annektionen, mit der die Grenzen dauerhaft festgeschrieben werden sollen.

In alle drei Konflikte ist der Iran direkt oder indirekt verwickelt. Im Atomstreit bietet er dem Westen die Stirn und lotet die Handlungsspielräume für eine Veränderung des Kräftegewichts in der Region aus. Im Irak mischt er längst über die „Shia Connection“ mit. Und die Hamas findet im Iran einen Bruder im Geiste des „Antizionismus“, der es versteht, auf der Klaviatur des ideologischen und des bewaffneten Kampfes gegen Israel zu spielen. Auch die USA sind in alle drei Konflikte involviert. Sie sind Besatzungsmacht im Irak, sie sind der Hauptgegenspieler des Irans im Atomkonflikt, und sie sind die (einzige) Garantiemacht Israels, wenn es hart auf hart kommt.

Welche Rolle spielt Europa in diesen Verwerfungen vor seiner Haustür? Eine europäische Irak-Politik gibt es bislang nicht. Die alten Spaltungen aus der Zeit der amerikanischen Intervention wirken fort. Die europäischen Alliierten von damals versuchen, mit halbwegs heiler Haut aus dem irakischen Abenteuer herauszukommen, die „Kriegsgegner“ schwanken zwischen Rechthaberei und der leisen Hoffnung, dass der Atem der Amerikaner lang genug sein möge, um die Lage militärisch und politisch zu stabilisieren. Im israelisch-palästinensischen Konflikt spielen die Europäer allenfalls eine Rolle als Geldgeber; eine gemeinsame Strategie angesichts der veränderten Lage ist nicht erkennbar und dürfte wegen der internen Differenzen auch schwer fallen. Im Atomstreit mit dem Iran hat die europäische Troika ihre Trümpfe ausgereizt; jetzt liegen die Karten in den Händen der Großmächte. Keine schöne Bilanz für die Gemeinsame Europäische Außen- und Sicherheitspolitik.

Wenn die Europäer eine aktive Rolle im Konfliktmanagement an ihrer südlichen Gegenküste spielen wollen, können sie das nur im Verbund mit den USA. Man kann im Irak studieren, wohin das Auseinanderdriften des Westens führt. Die USA können die Probleme nicht im Alleingang lösen; umgekehrt ist der Versuch einer Gegenmachtbildung entlang der Achse Paris–Berlin–Moskau kläglich gescheitert. Dieses Debakel darf sich gegenüber dem Iran nicht wiederholen. Nur ein gemeinsames transatlantisches Vorgehen kann eine politische Lösung des Atomkonflikts erzwingen. Wenn Europa sich jetzt von Amerika abzusetzen versucht, provoziert das eine Situation, in der die USA (und Israel) vor dem Dilemma stehen, entweder die iranische Atomrüstung hinzunehmen oder einen Militärschlag zu riskieren. Auch eine Wiederbelebung des Verhandlungsprozesses zwischen Israel und den Palästinensern ist, wenn überhaupt, nur durch eine konzertierte Aktion des Westens möglich. Darin liegt eine Verpflichtung für beide Seiten, von Alleingängen abzusehen und sich um eine gemeinsame Strategie zu bemühen.

Für eine erfolgreiche Einhegung des revolutionären Regimes im Iran ist eine Entspannung des Nahost-Konflikts zentral. Wenn die USA und Europa Rückhalt in der arabischen Welt für eine harte Haltung gegenüber Teheran gewinnen wollen, müssen sie glaubwürdig für die Lebensinteressen der Palästinenser eintreten, ohne die Sicherheit Israels zu gefährden. Zwar ist die iranische Bombe auch für die herrschenden Regime in Ägypten, Saudi-Arabien und den Golf-Staaten ein Alptraum; aber unter den arabischen Massen sind die Sympathien anders verteilt. Solange Hoffnungslosigkeit und Verbitterung unter den Palästinensern grassieren, hat der Iran auch alle Möglichkeiten, die terroristische Karte gegen Israel zu spielen.

Deshalb muss der Westen gerade angesichts der Herausforderung durch den Iran zu einer aktiven Nahost-Politik zurückfinden. Um Bewegung in die erstarrten Fronten zu bringen, braucht es eine kühne Rochade: Die NATO muss die Rolle einer Garantiemacht für Frieden und Sicherheit im Nahen Osten übernehmen. Das beinhaltet ein ganzes Paket von Initiativen:

  • das Angebot einer NATO-Mitgliedschaft für Israel, verbunden mit einer Wiederaufnahme von Verhandlungen mit den Palästinensern über eine stabile Zwei-Staaten-Lösung;
  • die Initiative für die Bildung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten, verbunden mit einer Sicherheitsgarantie für Israel;
  • das Angebot eines Marshall-Plans für die wirtschaftliche und soziale Modernisierung der Region, gekoppelt an rechtsstaatliche und demokratische Mindeststandards.

Die bisherige Erfahrung mit dem Nahost-Konflikt zeigt: Es geht um mehr als um einen fein austarierten Friedensplan, der nur noch implementiert werden muss. Friedenspläne gab es schon viele. Was blieb, ist der Konflikt. Ein wesentlicher Grund für die Stagnation ist der Mangel an Vertrauen, der – nicht ohne Grund! – auf beiden Seiten herrscht. Das Misstrauen auf der israelischen Seite in die Friedensfähigkeit der Palästinenser ist inzwischen so groß, dass große Teile der Bevölkerung – einschließlich eines Teiles des Friedenslagers – glauben, dass nur eine hohe Betonmauer ihnen die lang ersehnte Sicherheit bringen kann. Strittig ist lediglich der Verlauf dieses „Sicherheitszauns“. Viele haben es aufgegeben, auf eine friedliche Nachbarschaft zu setzen – das einzig realistische ist in dieser Perspektive die Abwesenheit von Krieg.

Wer eine Wendung zum Frieden im Nahen Osten unterstützen will, muss auf die legitimen Sicherheitsinteressen Israels eingehen. Jede realistische Friedenspolitik muss sich damit konfrontieren, dass in den Augen der meisten Israelis auch im Rückzug aus den besetzten Gebieten und der Gründung eines palästinensischen Staates ein schwer kalkulierbares Risiko für die Zukunft Israels liegt. Es spricht viel dafür, dass dem grassierenden Antisemitismus in der arabischen Welt mit einem gerechten Frieden zwischen Israelis und Palästinensern der Nährboden entzogen werden kann. Aber sowohl unter den Palästinensern wie in den radikalislamischen Bewegungen gibt es genügend Kräfte, die sich mit der Existenz Israels als jüdischem Staat nicht arrangieren wollen. Es bedarf deshalb belastbarer Garantien für Israel im Rahmen eines umfassenderen Abkommens, das für beide Seiten Sicherheit schafft.

Wer außer der NATO kann als Treuhänder für Frieden und Sicherheit im Nahen Osten einstehen? Fakt ist, dass die große Mehrheit der Israelis den UN nicht vertrauen und ihre Sicherheit nicht einer UN-geführten Friedenstruppe überantworten werden. Dafür gibt es zu viele Achmadinedschads in den Vereinten Nationen, die Israel als Stachel im Fleisch der islamischen Welt und als kolonialen Vorposten der USA sehen. Die EU allein ist mit der Rolle des Friedensstifters im Nahen Osten überfordert. Das gilt – aus anderen Gründen – auch für die USA. Aber gemeinsam könnten sie diese historische Aufgabe schultern, und zwar im eigenen Interesse. Deshalb muss die NATO diese Aufgabe übernehmen.

Der Nahe Osten braucht kühne Perspektiven, um die Modernisierungsblockade in der Region aufzubrechen und die demokratische Transformation der arabischen Staatenwelt zu befördern. Ein historischer Kompromiss zwischen Palästinensern und Israelis, der zum Frieden an dieser Nahtstelle des Kon-flikts zwischen dem Westen und der islamischen Welt führt, ist von überragendem Interesse für die USA wie für die EU. Der Konflikt ist ein Brutkasten des Terrorismus, er ruiniert die Autorität der USA in der Region, gefährdet potenziell die Sicherheit Europas und schürt die bestehenden Spannungen zwischen ethnischen und religiösen Gruppierungen in den europäischen Einwanderungsländern. Geld und gute Worte allein werden nicht reichen, um Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten zu fördern. Die Mitgliedschaft in der NATO würde Israel die politische und psychologische Sicherheit geben, einen Kompromiss mit den Palästinensern zu vereinbaren, mit dem sich beide Staaten gegenseitig als souveräne Staaten anerkennen. Die Beistandsgarantie gemäß Art. 5 des NATO-Vertrags gäbe Israel den Rückhalt, den es braucht, um das Risiko eines Rückzugs aus der Westbank einzugehen. Umgekehrt würde eine solche Lösung es Palästina ermöglichen, endlich ein souveräner Staat zu werden, der über sein eigenes Schicksal bestimmt. Als flankierende Maßnahme sollte Palästina internationale Wiederaufbau-Hilfe nach dem Muster des Marshall-Plans zugesichert werden. Diese Hilfe muss an die Verpflichtung gebunden werden, einen demokratischen Verfassungsstaat aufzubauen.

Weshalb sollte sich das Angebot einer NATO-Mitgliedschaft zunächst an Israel richten? Die Mitgliedschaft in der transatlantischen Allianz sollte demokratischen Staaten vorbehalten bleiben, um die Identität und Kohärenz der Allianz als demokratische Wertegemeinschaft zu bewahren. Diese Bedingung zu formulieren ist keine Absage an eine künftige Einbeziehung arabischer Staaten in die NATO, sondern beschreibt einen möglichen Weg in diese Richtung. Die NATO sollte sich künftig ohnehin für neue Mitglieder in anderen Kontinenten öffnen. Ihre Perspektive liegt in einer globalen Sicherheitsallianz demokratischer Staaten.

RALF FÜCKS, geb. 1951, ist Vorstand der Grünen-nahen Heinrich Böll Stiftung.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2006, S. 34‑36

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