Helden, Sieger, Ordnungsstifter
Humanitäres Völkerrecht in den Zeiten asymmetrischer Kriege
Von der Konfrontation zwischen Athen und Sparta über den Ersten Weltkrieg bis hin zum Einsatz von Kampfdrohnen – der Autor begibt sich auf eine Reise durch die Geschichte der Regulationsordnungen des Krieges. Und er stellt fest: Heute geht es nur noch um die Begrenzung von „Unordnung“, nicht mehr um die Befriedung ganzer Gesellschaften.
Land und Meer als Räume des Krieges
Globalgeschichtlich betrachtet ist die Nichtsymmetrie in bewaffnet ausgetragenen Konflikten die Regel. Das beginnt bei der Wahl der Waffen und endet bei der Konfrontation von Land- und Seemächten. Nun lässt sich der Unterschied zwischen Nahkampf- und Distanzwaffen dadurch ausgleichen, dass sich die Kämpfer beider Seiten sowohl mit Schwertern als auch mit Wurfspeeren, mit Lanzen, aber auch mit Pfeil und Bogen bewaffnen. Das ist jedoch nur bei professionellen Kriegern möglich und nicht bei Bürgersoldaten, die nur im Notfall zu den Waffen greifen. Sie müssen die ihnen unmögliche Selbststeigerung zum Virtuosen des Zweikampfs dadurch ausgleichen, dass sie „in Reih und Glied“ fechten.
Auch Landmächte können Schiffe bauen und Flotten ausrüsten, um gegen Seemächte zu kämpfen, so wie Seemächte ihrerseits Bewaffnete anlanden können, um Landkriege zu führen. Aber das strategische Denken des Krieges bleibt doch verschieden: Die Strategie von Landmächten zielt auf die Entscheidungsschlacht, während Seemächte den Erschöpfungs- und Ermattungskrieg präferieren.
In der Rede, mit der Perikles, der führende Politiker im demokratischen Athen, seine Landsleute zum Kriegsbeschluss gegen das aristokratische Sparta bringt, hat er den Unterschied von Land und Meer ins Zentrum seiner Argumentation gestellt: Die Spartaner lebten von ihrer Hände Arbeit, verfügten über keine nennenswerten Geldmittel und seien unerfahren in der Führung lange dauernder Kriege. „In einer einzigen Schlacht allen Griechen die Stirn zu bieten, dazu sind die Peloponnesier und ihre Bundesgenossen imstande, zu kämpfen aber gegen eine Macht ganz anderer Art, sind sie außerstande.“1
Perikles bzw. der Historiker Thukydides, der ihm diese Rede in den Mund gelegt hat, ist einer der ersten, der die Asymmetrie von See- und Landkrieg strategisch durchdacht und sie als Argument gebraucht hat, um Bürgersoldaten im Kampf gegen Berufskrieger Mut zu machen: Wenn die Spartaner keine Entscheidungsschlacht schlagen können und die Athener den Krieg in die Länge ziehen, wird sich schnell herausstellen, dass die Heldenkrieger der seegestützten Durchhaltefähigkeit der Bürgersoldaten nicht gewachsen sind. Auch wenn Athen den Krieg gegen Sparta zuletzt verloren hat – hier ist erstmals die Ungleichheit von Land- und Seekrieg zu einer Strategie der Asymmetrierung durchdacht worden. In Perikles’ Rede wird aus der bloßen Nichtsymmetrie von Land und Meer eine strategisch reflektierte Asymmetrie.
Aus spartanischer Sicht war die athenische Strategie eine von Händlern und keine von Helden, und in Reaktion darauf entschlossen sich die Spartaner, etwas ganz Unheldisches zu tun, nämlich die Olivenbäume und Weinstöcke in Attika abzuhacken, um die Athener so zur Entscheidungsschlacht zu provozieren. Nach damaliger Vorstellung war das ein Kriegsverbrechen, denn es dauerte mindestens ein Jahrzehnt, bis neu gepflanzte Olivenbäume Früchte trugen.
Das Kriegsverbrechen war die spartanische Reaktion auf die Fähigkeit der Athener, der spartanischen Überlegenheit im Kampf Mann gegen Mann die Relevanz zu nehmen. Die Asymmetrierung des Krieges geht zumeist mit einer wachsenden Bereitschaft zur Regeldurchbrechung einher. Oder anders formuliert: Die Bindekraft ethischer Normen und rechtlicher Regeln ist in hohem Maße an symmetrische Kampfkonstellationen gebunden.
Die Verwandlung des Kriegers in den Helden
Wie aber ist es zur Ausbildung solcher Symmetrien gekommen? Sie sind nicht da, sondern müssen hergestellt werden. Es sind die Kämpfer selbst, die ein Interesse an Symmetrien haben und sich ihren Bedingungen unterwerfen. Als professionelle Krieger nämlich sind sie nicht ausschließlich am nackten Sieg interessiert, sondern es geht ihnen immer auch um Anerkennung und Respekt, um Auszeichnung und Ehre. Die Idee des Heroischen ist, wenn es um den Kampf gegen andere Krieger – und nicht den Kampf gegen Drachen und Ungeheuer – geht, an die Konstellationen der Symmetrie gebunden. Nur im regel-gerechten Kampf kann der Sieger für sich in Anspruch nehmen, er sei der „bessere Mann“ gewesen. Wenn sich dann noch ein Dichter oder Historiker findet, der einen Kampfbericht verfasst, kann er als „Held“ gelten. Es sind die Dichter, die aus bloßen Kämpfern strahlende Helden machen, und dadurch wird die Heldenepik zum Wächter der Symmetrie.
Die Orientierung am Heldenideal führte zur Ausbildung ethischer und ästhetischer Normen, mit denen sich die Krieger als Stand vom Rest der Gesellschaft absetzen und ein gemeinsames Ethos entwickeln, das die Unterscheidung von Freund und Feind übergreift: Man kämpft wohl gegeneinander, aber in der Art des Kämpfens bildet man Gemeinsamkeiten aus, durch die man sich von den Nichtkriegern unterscheidet und absetzt. Das Ideal des Helden wirkt auch auf die Sozialverbände, denen die Krieger als Beschützer verbunden sind und die für ihren materiellen Unterhalt aufkommen.
Max Weber hat gezeigt, dass Krieger und Heilige als Träger von Charisma nicht selbst für ihr materielles Auskommen sorgen, sondern diese Aufwendungen ihrer sozialen Umgebung auferlegen.2 Deren Bereitschaft dazu steigt, wenn zur Rechtfertigung dieser Aufwendungen nicht allein Nutzenkalküle und Zweckmäßigkeitserwägungen zur Geltung gebracht werden, sondern das Ideal des Helden all dem Glanz verleiht. Die Idee des Heroischen ist ein Abglanz von Transzendenz in der begrenzten Sinnhaftigkeit der Weltimmanz. Diese Ideale des Heroischen bestimmen bis heute unsere Vorstellungen von Krieg und Kampf. Das zeigt sich zurzeit in der Kritik am Einsatz von Kampfdrohnen, bei dem der Kämpfer zum Spieler geworden ist.3
Die Transformation des Kämpfers in den Helden verändert dessen Verhalten und Auftreten in zwei Richtungen: Sie konstituiert so etwas wie eine „Internationale der Heroen“, die unabhängig davon, welcher Seite sie verbunden sind, eine gemeinsame Vorstellung davon haben, was ein schöner und ehrenhafter Sieg sei. Das gemeinsame Ethos wird zur Grundlage gegenseitiger Anerkennung, und durch dieses Ethos setzen sich die Krieger von jenen Sozialverbänden ab, die für ihr Auskommen sorgen.
Gleichzeitig idealisieren sie durch ihr Ethos die Beziehung zu den sie Alimentierenden, die dadurch mehr ist als eine bloße Zweckbeziehung von Sicherung und Schutz, sondern der etwas für Nutzenkalküle Unbefragbares zu eigen wird. Solche Helden beanspruchten die Herrschaft über den von ihnen geschützten Verband bzw. die Herrschenden waren darauf bedacht, sich die Aura des Heroischen zu verschaffen, um über eine zusätzliche Legitimation ihrer Herrschaft zu verfügen.
David und Odysseus als Herausforderer des regulierten Heldentums
Heldentum ist also immer auch eine Immunisierung gegen den Maßstab der Effizienz. Effizienz steht für einen heroismuskritischen Blick auf das Kampf- und Kriegsgeschehen. Ihr geht es nicht um ethisch-ästhetische Ideale, sondern um das Verhältnis von Aufwand und Ertrag. Der Held wird nicht an seinen eigenen Idealen, sondern an denen seiner Auftraggeber und Finanziers gemessen, und dabei stellt sich heraus, dass er eigentlich zu teuer ist, dass er für das, was er kostet, zu wenig leistet.
Den ansonsten so unterschiedlichen mythischen Gestalten des David aus dem Alten Testament und des Odysseus in Ilias und Odyssee ist gemeinsam, sowohl Evaluationen des offiziellen Heroenbilds als auch Verkörperungen eines neuen, stärker effizienzorientierten Heldentypus zu sein. David gelingt dies mit Hilfe einer extrem kostengünstigen Distanz-waffe, der Steinschleuder, wie sie unter Hirten für die Abwehr wilder Tiere üblich war, und Odysseus grenzt sich durch permanente strategische Innova-tionen von den auf die Akkumulation von Zweikampfsiegen fixierten Helden ab.
Der Hirtenjunge David, der den hochgerüsteten Philisterhelden Goliath besiegt, steht nicht nur für den Sieg über einen lange als unbesiegbar geltenden Feind, sondern personifiziert auch eine Demütigung der eigenen Krieger, die nicht vermochten, was David mit leichter Hand gelingt. David ist die verkörperte Alternative zur ausdifferenzierten Schicht der Krieger und die von ihnen verursachten Kosten, denen keine Leistung entspricht. Aber der Hirtenjunge kann es nur besser, weil er sich nicht an das Ethos der Krieger hält, weil er den gewaltigen Gegner durch angetäuschte Waffenlosigkeit irritiert, um ihn mit der Schleuder gefechtsunfähig zu machen.
David ist ein Asymmetrierer des Zweikampfs. Was unserer Sympathie für den Kleinen in der Regel entgeht: David steht auch für die Eskalation des Krieges durch die Entregelung des Kampfes; spätere Goliaths werden Hirtenjungen nie mehr so nahe an sich heranlassen. Sie werden nicht abwarten, bis sich der scheinbare Nonkombattant in einen Kombattanten verwandelt hat, sondern präventiv zuschlagen.
Odysseus verkörpert einen ganz anderen Typ des Asymmetrierers: Er nimmt zwar an den Kämpfen der Helden teil, denkt aber über anderes als den Sieg im Zweikampf nach. Er weiß, dass diese Duelle für den Ausgang des -Krieges bedeutungslos sind. Außerdem sind ihm Ehrpusseligkeiten fremd wie die, die Achill vor Troja in den Kampfstreik gebracht haben. Er will, dass Troja fällt, und zu diesem Zweck dringt er zunächst durch die Kanalisation in die belagerte Stadt ein, um das Standbild der Göttin Athene zu stehlen, und schließlich erfindet er das Täuschungsmanöver des großen Pferdes, mit dem als eine Opfergabe präsentiert wird, was tatsächlich eine Eskalation der Kriegführung ist. Nach Troja eingedrungen, sind die Helden anschließend keine heroischen Duellanten mehr, sondern Massenabschlächter. Keine Regeln, keine Ehrengaben, keine gegenseitige Anerkennung: Der Krieg endet in einem entsetzlichen Blutbad.
Ist Odysseus ein Kriegsverbrecher? Aus der Perspektive des Helden könnte man das so sehen, und Odysseus selber scheint derlei zu befürchten. Über lange Zeit vermeidet er, sich namentlich vorzustellen und als den Sieger von Troja feiern zu lassen. Auch als er nackt an den Strand des Phäakenlandes gespült wird und die Königstochter Nausikaa ihn dort findet, verbirgt er seine Identität; ein Fremder sei er. Erst als am Abend ein Sänger den uninformierten Phäaken vom Krieg um Troja und vom Untergang der Stadt berichtet und Odysseus als Helden rühmt, laufen dem Fremden Tränen über die Wangen. Gefragt, was ihn zum Weinen bringe, antwortet er: „Ich bin Odysseus.“
Man kann darin die Geburtsstunde individuellen Selbstbewusstseins sehen, kann es aber auch dahingehend interpretieren, dass der Stratege Odysseus erst, nachdem der Sänger ihm den Heldenstatus attestiert hat, zu seiner Identität stehen mag. Wie kein anderer hat er den Krieg asymmetriert, als er Effizienzkriterien und Zweckmäßigkeitskalküle gegen das alte Heldenideal durchgesetzt hat, aber er muss sich zunächst vergewissern, wie die Gesellschaft darauf reagiert. Dass er dennoch als Held gilt, beruhigt ihn. Nunmehr gibt er sich zu erkennen: Odysseus, Eroberer von Troja.
In den Erzählungen von David und Odysseus nimmt die alimentierende Gesellschaft auf den verselbständigten Stand der Krieger und seine elitären Ideale Zugriff. Sie will Ergebnisse sehen. Bei der Einforderung von Effizienz verbleibt sie jedoch in der Semantik des Heroischen. Weder spricht sie von barer Zahlung, für Marx ein Schlüsselbegriff bürgerlicher Zweckhaftigkeit gegen die Sakralisierungen und Mythisierungen der Adelsgesellschaft, noch verlangt sie einen Bodycount, um berechnen zu können, was die Tötung eines Feindes kostet. Die Logik der Zweckhaftigkeit hat sich dem Heroendiskurs anverwandelt und greift in ihn durch Umcodierungen und Bedeutungsverschiebungen ein.
Der Zugriff des Zweckdenkens auf die Selbstbezüglichkeit der Heroen erfolgt subversiv; er lockert die strengen Regeln und Bindungen und zersetzt das Ethos des Helden von innen. David ist der arkadische, Odysseus der bürgerliche Held, der gegen das ständische Heldenideal ins Feld geführt wird. Beide stehen für die Deregulierung des Kampfes.
Die Idee des „gerechten Krieges“ und das erneuerte Duellideal
Seit dem Auftauchen immer neuer David- und Odysseusfiguren sowie dem Überhandnehmen der Strategen vom Typ des Perikles genügte das Krieger-ethos als Modus der Selbstbindung nicht mehr. Die ethischen Regeln mussten durch Rechtsnormen überformt werden. Von Cicero über Augustin bis Thomas von Aquin wurden Theorien des „gerechten Krieges“ entwickelt,4 die auch asymmetrische Konstellationen der Kriegführung einer gewissen Regelhaftigkeit unterwarfen. Auf der Ebene der Normgeltung ist die Theorie des gerechten Krieges als komplementär zu den herkömmlichen sakralen Gewaltbegrenzungen und den ethischen Regeln der Kriegerhelden anzusehen. Sie sorgte dafür, dass die Krieger nicht länger ihre eigenen Herren waren, wie dies beim Krieger-ethos der Fall war, sondern unter die normative Kontrolle des politischen Verbands gestellt wurden, der sie in Marsch gesetzt hatte.
Neben der Bindung eines mit militärischen Mitteln durchgesetzten Willens an einen gerechten Grund (causa iusta) und eine aufrechte Absicht (intentio recta) wurden die Autorisierung zum Krieg und die Angemessenheit der Mittel ins Spiel gebracht. Das Problem der Theorie des gerechten bzw. gerechtfertigten Krieges ist jedoch, dass letzten Endes der Kriegführende selbst überprüft, ob ihnen Genüge getan wird. Vor allem aber steht in Frage, wer überhaupt das Recht hat, gegen einen Rechtsbrecher Krieg zu führen und bis zu welcher Instanz die Akteure verpflichtet sind, bei einem Höheren um ihr Recht nachzusuchen.
In der politischen Ordnung des Mittelalters waren dies, idealiter, Papst oder Kaiser – mit der Folge, dass Kriegsgewalt, ebenfalls idealiter, aus einem Akt der Willens- zu einem der Rechtsdurchsetzung wurde. Bewaffneter Widerstand gegen eine päpstliche oder kaiserliche Entscheidung war danach ein Akt der Rebellion, die niederzuschlagen die weltliche Gewalt aufgerufen war. Was Morris Janowitz als „Konstabularisierung des Krieges“ bezeichnet hat,5 hat also schon im Hohen Mittelalter eingesetzt: eine Verpolizeilichung des Kriegsgedankens bzw. die Durchsetzung dessen, was Carl Friedrich von Weizsäcker später „Weltinnenpolitik“ genannt hat.6
Das mittelalterliche Modell einer Verpolizeilichung des Krieges ist letzten Endes an einigen unbeantwortet gebliebenen Fragen gescheitert: an der nach dem Verhältnis zwischen Kaiser und Papst sowie an der, wer diese obersten Instanzen einsetzt und so sicherstellt, dass sie allgemeine Akzeptanz finden. Zunächst ist das Kaisertum am Papst und danach das Papsttum an der in Frankreich aufgekommenen Idee der Territorialsouveränität gescheitert. Deren Formel lautete, dass der (französische) König in weltlichen Angelegenheiten innerhalb seines Herrschaftsbereichs kaisergleich sei. Infolge der Pluralität der Souveräne wurde der Krieg damit wieder zum Duellkrieg.
Die Normasymmetrie, bei der allein Kaiser und Papst das Recht zum Krieg hatten, wurde durch die Resymmetrierung des Kriegsrechts abgelöst, bei der die Idee des gerechten Krieges (bellum iustum) durch die des legitimen Feindes (iustus hostis) abgelöst wurde. Das Duell der Heldenkrieger wurde in den Duellkrieg der sich gegenseitig als legitim anerkennenden Souveräne überführt, und auf dieser Grundvorstellung ruht noch die Haager Landkriegsordnung.
Alles dreht sich um das Aufeinandertreffen der Kombattanten auf einem Territorium (Schlachtfeld), das von Nonkombattanten frei ist, und der Bewegung militärischer Kräfte in einem Raum (Kriegsschauplatz), in dem zwischen Kombattanten und Nonkombattanten unterschieden werden kann und letztere zu schonen sind. Solange diese symmetrische Normkonstruktion mit der Realität des Krieges tendenziell zur Deckung zu bringen war, konnte sie Bindekraft entfalten, und die Kriegführenden waren bestrebt, mit Hilfe von Militärstraf-gesetzen deren Geltung im je eigenen Machtbereich durchzusetzen.
Waffentechnische und militärstrategische Asymmetrien
Die kriegsvölkerrechtliche Symmetrie zwischen den Staaten blieb freilich an deren Kraft zur Monopolisierung des Krieges und an ihre tendenziell gleichen Fähigkeiten bei der Führung eines Krieges gebunden. Die geostrategische Grundasymmetrie von Land und Meer bestand fort,7 und das wirkte sich nur so lange nicht destruktiv auf das symmetrische Verhältnis der großen Landmächte aus, wie deren Kriege als reine Landkriege geführt wurden.
Das änderte sich in den napoleonischen Kriegen, als nicht nur die spanische Guerilla einen folgenreichen Asymmetrierungsschub bewirkte, sondern der Krieg zwischen Frankreich und Großbritannien auch in unterschiedlichen Räumen und mit asymmetrischen Zeitvorstellungen geführt wurde: Gegen die napoleonische Strategie der Beschleunigung setzten die Briten eine auf langfristige Effekte angelegte Strategie des Wirtschaftskriegs.8 Sie führten darin die „unheldischen“ Überlegungen des Perikles fort und sorgten letztlich dafür, dass Napoleons Versuch, England durch den Angriff auf Russland zu treffen, zum Anfang seines politischen Endes wurde.
Dieser Gegensatz wurde in wachsendem Maße zur Signatur des modernen Krieges: Fast alle größeren Kriege des 20. Jahrhunderts sind nicht nur als militärische Konfrontationen, sondern auch als Wirtschaftskriege geführt worden. Der Erste Weltkrieg steht am Anfang dessen, und letzten Endes ist er nicht im Kampf der Landstreitkräfte, sondern in der Konfrontation der Wirtschaftsmächte und ihrer Ressourcen entschieden worden.9
Gleichzeitig war der Erste Weltkrieg der erste Krieg, in dem waffentechnische Innovationen, vom Gaseinsatz bis zur Entwicklung von Panzern und Kampfflugzeugen, großen Einfluss auf den Verlauf des Kampfgeschehens erlangten. Wer hier technische Überlegenheit gewann, war auf der Siegerstraße, und dementsprechend setzte die unterlegene Seite alles daran, ihren waffentechnischen Rückstand aufzuholen und das Kampfgeschehen zu resymmetrieren. Wissenschaftler und Ingenieure, Techniker und Rüstungsarbeiter waren bald so wichtig wie die Soldaten an der Front, und das hatte Folgen auch für das Ethos der „Helden“.
Durch die Entheroisierung des Kampfes wurde der Erste Weltkrieg zu einer tiefen Zäsur in der Kriegsgeschichte. Von nun an stand nämlich fest, dass einen Krieg gewann, wer die überlegenen Rüstungskapazitäten aufbieten konnte, und nicht, wer die tapfersten Soldaten hatte. Die Idee der Gefechts- oder Schlachtsymmetrie war damit erledigt. Das Projekt, einen Duellkrieg mit Hilfe von Kriegerethos und Kriegsrecht zu führen, war an sein Ende gekommen. Jetzt, zumal nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, ging es um die Abschaffung des Krieges oder aber seine definitive Verwandlung in eine Polizeiaktion.
Dass der klassische Staatenkrieg inzwischen ein historisches Auslaufmodell ist, liegt nicht nur an seiner völkerrechtlichen Ächtung, sondern auch daran, dass er für moderne, hochgradig vulnerable Gesellschaften nicht mehr führbar ist. Im internationalen Kriegsgeschehen spielen inzwischen jedoch substaatliche Akteure eine wachsende Rolle – seien es nun Terrornetzwerke oder die „Internationalen Brigaden“ der Dschihadisten, die sich dort sammeln, wo in der islamischen Welt ein gewaltsam ausgetragener Konflikt entstanden ist, seien es Warlords oder Private Military Companies, also Kriegsunternehmer, die das noble Pendant zu den Warlords darstellen und in großem Stil aus dem Krieg ein lukratives Geschäft gemacht haben.
Wenn die Truppen eines Staates gegen diese Akteure losgeschickt werden – haben sie dann nach den Regeln der Haager Landkriegsordnung zu handeln oder müssen dafür neue kriegsrechtliche Normen gefunden werden? Inzwischen hat sich eine große Konfusion entwickelt, die kaum noch zu entwirren ist. Die hier unternommene kurze Reise durch die Geschichte der Regulationsordnungen des Krieges kann einige Hinweise geben.
Die Normasymmetrie der humanitären militärischen Intervention
Zunächst ist da die Frage, wer die Rolle des Weltpolizisten spielen kann und spielen will. Der naheliegende Verweis auf die Vereinten Nationen scheitert an den Vetos der ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat. Obendrein können UN-Blauhelmsoldaten im Prinzip nur dann eingesetzt werden, wenn ein labiler Friedenszustand stabilisiert werden soll,10 während sie von Mandat und Fähigkeiten her überfordert sind, wenn ein notorischer Friedensbrecher aus dem Verkehr gezogen oder der Frieden gegen friedensunwillige Parteien durchgesetzt werden soll.
Also ist man auf die Streitkräfte einer Welt- bzw. Großmacht oder eines Bündnissystems angewiesen, die aber kaum zu haben sind, wenn mit ihrem Einsatz nicht auch deren/dessen spezifische Interessen zur Geltung gebracht werden. Damit aber sind der gerechte Grund und die aufrechte Absicht in Frage gestellt.
Wenn Frieden ein kollektives Gut ist – also ein Gut, bei dem Investition und konsumtive Teilhabe in keinem direkten Verhältnis zueinander stehen –, dann entwickelt sich eine Neigung zum Trittbrettfahrertum, der nur beizukommen wäre, wenn die Vereinten Nationen verpflichtende Aufträge zur Durchsetzung von Friedensordnungen an Staaten oder Bündnisse vergeben könnten.
Davon sind wir aber weit entfernt, und es ist zweifelhaft, ob eine solche Ordnung je erreicht wird. Humanitäre militärische Interventionen werden darum auf unabsehbare Zeit selektiv erfolgen und einer der Maßstäbe dabei wird sein, ob die Intervention im weiteren Interesse der Interventionsmacht liegt. Dieses Interesse kann von geopolitischem Einfluss bis zur Verhinderung von Flüchtlingsströmen reichen, die bei Fortdauer eines Bürgerkriegs entstehen und ins Gebiet der intervenierenden Macht gelangen würden.
Offenbar ist Interventionsbereitschaft an die asymmetrische Überlegenheit der Interventen gebunden, die vor allem waffentechnischer Art ist und durch die verhindert wird, dass bei einem militärischen Eingreifen größere Verluste auf Seiten der Interventionsmacht entstehen. Solche Verluste begrenzen die Interventionsbereitschaft, wenn es nicht um existenzielle Interessen der Interventen geht, was bei der humanitären militärischen Intervention per definitionem nicht der Fall ist bzw. sein darf.
Die waffentechnische Asymmetrie der Interventionsstreitkräfte markiert die fundamentale Differenz solcher Interventionen zu den Duellkonstellationen der klassischen Staatenkriege und relativiert die Anwendung der für diese entwickelten Regelwerke. Damit werden auch die ethischen Selbstbindungen des Heroischen obsolet, denn es gibt auf der Norm-ebene dabei auch keinen als symmetrisch anerkannten Gegner. Das Modell heroischer Selbstbindung kann also nicht auf Duellregeln zurückgreifen, sondern müsste sich eher an jenem Typus des Helden orientieren, der die Welt von Ungeheuern und Plagen befreit. Darin zeigt sich die Unmöglichkeit, Friedenseinsätze an das Heldenideal zu knüpfen, denn Herakles ist keine geeignete Ikone für deren politisches Selbstverständnis.
Eher muss man damit rechnen, dass die asymmetrierenden Siegertypen wie David oder Odysseus auf der Gegenseite auftauchen und der asymmetrischen Überlegenheit der Interventen durch konträre Asymmetrierung zu begegnen suchen. Dabei zielen sie insbesondere auf die normativen Zwecksetzungen und Selbstbindungen der Interventen, die von diesen nicht aufgegeben werden können, ohne die Basislegitimation ihres Einsatzes in Frage zu stellen.
Ansatzpunkt ist dabei eine neue Basisasymmetrie, die in ihrer Grundsätzlichkeit mit der von Land und Meer vergleichbar ist: Die Interventionsstreitkräfte kommen in der Regel aus Ländern mit einer niedrigen demografischen Reproduktionsrate, während es sich bei den Interventionsgebieten durchweg um Länder mit hohen demografischen Reproduktionsraten handelt.
Beide Seiten sind durch Verluste an Menschen also unterschiedlich verwundbar, und das hat zur Folge, dass schon eine geringe Anzahl von Gefallenen oder Verwundeten bei den Interventen zum Abbruch des Einsatzes und zum Rückzug führt. Weil das so ist, agieren die Interventen vorsichtig, meiden alle Risiken und gleichen einem belehrten Goliath, der keinen Hirtenjungen in seine Nähe kommen lässt. Auf diese Weise ist es jedoch ausgeschlossen, die Menschen im Interventionsgebiet für sich einzunehmen.11
Es kann unter diesen Bedingungen kaum verwundern, dass die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ausgerufene Ära des menschenrechtlichen Interventionismus schon wieder zu Ende gegangen ist. Eine für die Interventen zu vertretbaren Bedingungen erfolgende Durchsetzung des humanitären Völkerrechts ist an den Konstellationen eines asymmetrierenden Gegenhandelns gescheitert.
Seit geraumer Zeit beschränkt sich die Ordnungsstiftung auf die Begrenzung von „Unordnung“, geht aber dem Projekt einer Befriedung ganzer Gesellschaften aus dem Weg. Symbol dieser Transformation ist die Kampfdrohne, mit der sich die Herzen und Köpfe der Menschen in den Einsatzgebieten nicht gewinnen lassen, mit der aber die asymmetrische Überlegenheit der Interventen waffentechnisch zum Tragen gebracht werden kann. Kampfdrohnen sind die Waffen postheroischer Gesellschaften, die eigene Verluste ersparen, aber auch jede Form gegenseitiger Anerkennung der Kämpfer verhindern.
Ihr Einsatz ist durch kriegsvölkerrechtliche Regelungen zu limitieren, nur sind dies Limitierungen, die eher für die eigene Gesellschaft relevant sind und von der Bevölkerung des Einsatzgebiets nicht akzeptiert werden. Die Drohnen dürften freilich bloß die Vorhut von Kampf-robotern und Kriegsmaschinen sein, die mit der Reziprozität der gegeneinander Kämpfenden nichts mehr zu tun haben. Die Asymmetrie hat damit die Ebene der normativen Bindungen selbst erreicht, und das heißt, sie ist unüberwindbar geworden.
Prof. Dr.
Herfried Münkler
ist Inhaber des Lehrstuhls Theorie der
Politik an der Humboldt-Universität
zu Berlin.
- 1Thukydides: Der Peloponnesische Krieg. Übersetzt und hrsg. von Helmuth Vretska und Werner Rinner, Stuttgart 2000, S. 107f.
- 2Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, 5., revidierte Auflage, Tübingen 1972, S. 142.
- 3Vgl. dazu die Debatte in dem von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebenen Heft „High-Tech-Kriege. Frieden und Sicherheit in Zeiten von Drohnen, Kampfrobotern und digitaler Kriegsführung“, Berlin 2013.
- 4Georg Kreis (Hrsg.): Der „gerechte Krieg“. Zur Geschichte einer aktuellen Denkfigur, Basel 2006.
- 5Morris Janowitz: The Professional Soldier. A Social and Political Portrait, New York 1966, S. 420.
- 6Ulrich Bartosch: Weltinnenpolitik. Zur Theorie des Friedens von Carl Friedrich von Weizsäcker, Berlin 1995, S. 62ff.
- 7Carl Schmitt: Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung, Neuaufl. Köln-Lövenich 1981.
- 8Münkler: Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie, Weilerswist 2006, S. 169ff.
- 9Münkler: Der Große Krieg. Die Welt von 1914–1918, Berlin 2013, S. 563ff.
- 10 Vgl. dafür exemplarisch Tobias Debiel: UN-Friedensoperationen in Afrika. Weltinnenpolitik und die Realität von Bürgerkriegen, Bonn 2003.
- 11Für eine Geschichte der Fehlschläge solcher Formen der Aufstandsbekämpfung vgl. William Polk: Aufstand. Widerstand gegen Fremdherrschaft: Vom Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg bis zum Irak, Hamburg 2009.
Internationale Politik 3, Mai/Juni 2014, S. 122-127