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01. Sep 2008

Gute Geschäfte

Das globale Self-Netzwerk fördert Unternehmertum mit sozialem Mehrwert

„Die Stunde ruft, nutze die Zeit“ steht an der ockergelben Klinkerfassade des Gründerzeitbaus. Die Uhr darunter ist stehen geblieben. Im dritten Stock, hinter den großen Sprossenfenstern der Berliner Elisabethhöfe, ist die Devise eine andere: „Der Tag ist 24 Stunden lang, aber unterschiedlich bunt.“ Einer von mehreren optimistischen Sinnsprüchen, die auf DIN-A4-Zetteln die Küche des Self-Büros schmücken. Die ist so groß, dass man darin Roller fahren könnte. Ebenso wie das Großraumbüro nebenan, in dem seit Januar all jene einen Ort finden, für die Unternehmertum mehr bedeutet als nur Geld verdienen. Und mehr als ein Bürojob von neun bis fünf.

Starre Arbeitszeiten kennt hier niemand mehr. Von fünf Stunden im Monat für 11 Euro bis zur Flatrate für 270 Euro – wann und wie lang sich jeder seinen Arbeitsplatz mietet, ist unterschiedlich. Gemeinsam ist: Alle wollen auf die eine oder andere Art die Welt verbessern und nutzen die Self-Plattform, um sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Ihre Sprache ist denglisch: Sie nennen sich „Social Pioneers“, das Büro ist der „Hub“ und die Vorstellung neuer Projekte heißt „Pitching“. Schließlich kommt die Idee aus London, Berlin ist nach Brüssel, Rotterdam, Johannesburg, Bombay und São Paulo die siebte Netzwerkplattform weltweit. Hier in Kreuzberg treffen sich „Kulturkreative, die schon länger mit ihren Projekten unterwegs sind“, erklärt Frauke Godat, eine der beiden Geschäftsführerinnen der Self-Genossenschaft.

Godat hat ein großes, freundliches Gesicht mit breitem Begrüßungslächeln. Sie sitzt gleich am Eingang der umgebauten Fabriketage und behält den Überblick: Grauer Betonboden, Regale aus Pappe, verstreute Zimmerpflanzen, lindgrüne Stellwände mit dunkelgrünen Netzwerksymbolen. Mittendrin die „Arbeitsinseln“, flügelförmige Holztische mit Computer- und Telefonanschluss für zwei bis fünf Mitglieder. Es riecht nach neuen Möbeln und gebratenen Zwiebeln. Im hinteren Teil des Raumes packt Anna Lena Schiller gerade ein Paket mit T-Shirts. Schiller ist 28 und hat eine angenehm melodische Stimme, der man glaubt, dass sie Arbeit mit „sozialem Mehrwert“ verbindet. Die Shirts in dem Päckchen tragen das Logo ihres Arbeitgebers, der Internet-Plattform Utopia. Sie informiert kritische Konsumenten über schadstoffarme Autos, fair gehandelte Kleidung und gesunde Babynahrung. Die Redaktion der Seite ist in München, die beiden Berliner Mitarbeiter haben sich bei Self eingemietet. Schiller ist froh, nicht alleine zu sein: „Ich arbeite 90 Prozent online. Da ist es wichtig, den menschlichen Kontakt nicht zu verlieren.“

Im Self-Netz kam sie auch an ihren Job. An einem „Pitching-Abend“ stellte sie ihr Studienabschlussprojekt vor: Wie man aus Müll neue Produkte herstellen kann. Dabei lernte sie den Berliner Utopia-Chef kennen, der eine Mitarbeiterin suchte. Seit einem Monat vernetzt Schiller sich jetzt mit den anderen Mietern: Mit Phil Gloeckner zum Beispiel, der die Seite „Ecofashionjunkies“ betreibt und sie in die Shirt-Druckerei begleitete, um dann in seinem Blog darüber zu berichten. Gloeckner ist einer von neun „Sozialpionieren“, die sich später am Abend beim „Pitch“ vorstellen und auf Mitarbeit, Interesse und Sponsoring hoffen. Etwa 40 Besucher drängen sich in einen der kahlen Seminarräume im hinteren Teil der Etage, Anna Lena Schiller moderiert zusammen mit Frauke Godat. Sie beginnt mit interaktiver Eigenwerbung: „Kann mir jemand in einem Satz sagen, was Utopia ist?“ Nach einigem Zögern ruft eine Frau „Ein Portal für strategischen Konsum, für Leute, die die Welt verbessern wollen.“ Ein Mann weiter hinten nickt: „Für die Guten.“

Dabei geht es nicht um gut und böse, und noch weniger um Kapitalismuskritik. Vorbild im Self-Netzwerk ist der Nobelpreisträger Muhammed Yunus, dessen Bank Kleinkredite an die Armen vergibt. Berührungsängste mit Unternehmern, die sich nicht explizit als „sozial“ bezeichnen, haben die Self-Organisatoren ohnehin nicht. Zwar finanziert sich die Plattform größtenteils durch die inzwischen fast 40 Genossenschaftler und die Beiträge der Büromieter, aber für größere Investitionen braucht es Sponsoren. Etwa für weitere Dienstleistungen: Die Self-Akademie bietet Kurse über soziales Unternehmertum, die hauseigene Beratungsfirma hilft Gründern auf die Sprünge. „Wir wollen Brücken bauen. Wer etwas ändern will, ist willkommen“, sagt Frauke Godat. Gemeinsame Interessen sind wichtiger als ideologische Prinzipien: „Yunus arbeitet ja auch mit Danone zusammen.“

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2008, S. 42 - 43

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