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01. Apr. 2008

Gute Absichten, schlechte Aussichten

Was Gordon Brown von Ludwig Erhards Erfahrungen lernen kann

Der britische Premierminister Gordon Brown steht vor großen innen- und wirtschaftspolitischen Problemen. Kann er die Krisenstimmung im Lande überwinden? Und wann endlich wird es ihm gelingen, eigene außenpolitische Akzente zu setzen?

„Events, my dear boy, events“. Mit diesem Satz beantwortete der frühere britische Premierminister Harold Macmillan die Frage, was für einen Politiker wohl die größte Herausforderung darstellte. Das eifrige, zustimmende Kopfnicken von Premierminister Gordon Brown ist leicht vorzustellen. Nach einem kurzen Honeymoon scheinen sich die weltpolitischen Ereignisse gegen Brown verschworen zu haben. Aus dem angesehenen und finanzpolitisch überaus erfolgreichen Schatzkanzler, der die britische Wirtschaft viele Jahre lang auf Erfolgskurs gehalten hatte, wurde ein wenn nicht angeschlagener, so doch ein sich deutlich in der Defensive befindender Regierungschef.1

Der entscheidende Wendepunkt kam Anfang Oktober 2007, als Brown sich nach langem Zögern entschied, doch nicht das Parlament durch die Queen auflösen zu lassen, um Neuwahlen abzuhalten. Liebend gerne hätte er sich vom Wähler einen persönlichen Regierungsauftrag geben lassen, statt auf die noch von Tony Blair in den Wahlen von 2005 erkämpfte große Parlamentsmehrheit der Labourpartei angewiesen zu sein. Doch die ansteigenden Umfragewerte für die Tories und den jungen konservativen Oppositionsführer David Cameron schienen Neuwahlen zu risikoreich zu machen.

Und natürlich haben die finanz- und wirtschaftspolitischen Turbulenzen der letzten Monate mit potenziell desaströsen Auswirkungen für die eng an den USA orientierte britische Wirtschaft dem Ansehen des Premierministers sehr geschadet. Der gerade noch mit regierungsamtlicher Intervention verhinderte Zusammenbruch der Northern Rock Bank drohte das gesamte britische Finanzsystem in Mitleidenschaft zu ziehen. Doch der Premierminister tauchte während dieser Bankenkrise ab und überließ dem deutlich überforderten Wirtschaftsminister Alistair Darling das Feld.

Weitere innenpolitische Skandale in dieser Zeit waren der Verlust von vertraulichen elektronischen Informationen von Tausenden von Kindergeldempfängern sowie die Beschäftigung von 11 000 illegalen Einwanderern, die ohne sonderlich intensive Kontrollen Arbeit als Sicherheitskräfte gefunden hatten. Die Bevölkerung machte die Brown-Regierung verantwortlich und die seit Machtübernahme der Labourpartei in fast allen Bereichen des täglichen Lebens ständig wachsende und inkompetente Bürokratie im Land.

Großbritannien steht, ähnlich wie den USA, vor enormen wirtschafts-politischen Problemen, die sich durch die hohe Verschuldung vieler Haushalte und dem drohenden Kollaps der stark überhöhten britischen Immobilienpreise2 zu einer ernsten Rezession auszuweiten drohen. Dem deutschen Leser drängt sich womöglich die Parallele mit dem „Vater“ des Wirtschaftswunders auf: Als Ludwig Ehrhard nach langem Warten endlich den charismatischen Kanzler Konrad Adenauer politisch beerben konnte, wurde ihm die erste große (und von den Zeitgenossen völlig überschätzte) Wirtschaftskrise der Bundesrepublik zum Verhängnis. Nach nur drei Jahren als Kanzler wurde er von der eigenen Partei zum Rücktritt gedrängt. Ein ähnliches Schicksal könnte auch Gordon Brown drohen, falls es ihm nicht gelingt, der britischen Politik doch noch seinen klaren und vor allem erfolgreichen Stempel aufzudrücken.

Aber Brown verbleiben nur wenige Instrumente, um der drohenden Wirtschaftskrise entgegenzusteuern. Als die Labourregierung 1997 an die Macht kam, war es eine der ersten Amtshandlungen des neuen Schatzkanzlers, der von der Regierung unabhängigen britischen Zentralbank, der Bank of England, die volle Autorität über den Leitzinssatz zu geben. Dies wurde von allen Experten als weise und längst überfällige Maßnahme gepriesen, doch verlor der Schatzkanzler damit ein in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wichtiges konjunkturpolitisches Instrument. Auch die Möglichkeit der Regierung, mit einem großen Ausgabenprogramm keynesianischer Art der drohenden Rezession zu begegnen, ist begrenzt. Der britische Staatshaushalt schreibt tiefrote Zahlen, das Handelsbilanzdefizit des Landes nimmt immer bedrohlichere Ausmaße an und auch die Inflationsrate steigt langsam, aber stetig an. Anstelle von Steuergeschenken und teuren Programmen zur Ankurbelung der Wirtschaft ist daher bald mit harten Tarifauseinandersetzungen und weiteren subtilen Steuererhöhungen, wie beipielsweise bei der Rohölsteuer, zu rechnen, die ohnehin eine der höchsten in Europa ist.

Der im März 2008 vorgelegte erste Haushalt der Regierung Brown verschob angesichts der globalen Finanzkrise und der drastisch gestiegenen Ölpreise die Erhöhung der Mineralölsteuer auf Oktober. Zudem verkündete die Regierung, dass während der nächsten vier Jahre neue Schulden von über 140 Milliarden Pfund Sterling aufgenommen werden müssten und das Wirtschaftswachstum nur noch etwa 1,75 Prozent betragen werde – eine Zahl, die von vielen Experten als recht optimistisch betrachtet wurde.

Lediglich das rapide Absinken des Wechselkurses des Pfund Sterling, insbesondere gegenüber dem Euro, ist von Vorteil für die britische Exportindustrie, die sich ein wenig erholt hat. Doch kommt der Wertverlust der britischen Währung bei der eigenen Bevölkerung nicht gut an. Für viele Briten symbolisiert das Absinken der Währung den Verlust der ökonomischen Potenz des Landes und trägt damit zur allgemeinen Krisenstimmung und der Skepsis gegenüber dem wirtschaftspolitischen Kurs der Regierung Brown bei. Zusätzlich muss sich auch Gordon Brown, wie zuvor schon Tony Blair, mit einer ausufernden Parteispendenaffäre herumschlagen, die bereits den Rücktritt eines Kabinettsmitglieds erzwang.

Schon werden in der britischen Presse vereinzelt Vergleiche mit den langen Jahren des Niedergangs, der Korruption und regelrechten Inkompetenz der Regierungszeit John Majors hergestellt, der 1990 Nachfolger von Margaret Thatcher geworden war. Ohnehin war Brown nie ein wirklich populärer Politiker. Seine puritanische Ausstrahlung, ein nicht sonderlich stark ausgeprägtes rhetorisches Talent und zuweilen eine gewisse Unbeholfenheit im parlamentarischen Auftreten und vor den Kameras machen dem Sohn eines schottischen Pastors das Leben in dem nach wie vor von den Engländern dominierten Vereinigten Königreich schwer.

Denn auch in anderen Bereichen ist die Politik des Premiers umstritten. Beispielsweise geriet er unter Druck, den neuen EU-Vertrag von Lissabon nicht nur durch eine Abstimmung im Parlament, sondern durch ein Referendum absegnen zu lassen. Doch darauf konnte sich Brown nicht einlassen: Es wäre zu erwarten, dass die europaskeptischen Briten den Vertrag ablehnen und damit scheitern lassen würden. Anfang März 2008 entschied das House of Commons mit einer Mehrheit von 311 gegen 248 Stimmen, dass kein Referendum abgehalten wird, sondern dass das Parlament über die Ratifizierung des Lissabonner Vertrags abstimmen wird.

Auch die neue Terrorgesetzgebung, die Brown unbedingt durchsetzen will und wodurch beispielsweise die Zeit der Inhaftierung eines Terrorverdächtigen ohne Haftbefehl von 28 auf 42 Tage ausgeweitet werden soll, wird kontrovers diskutiert. Selbst vielen Mitgliedern seiner eigenen Partei ist unklar, inwiefern dies Großbritannien vor weiteren terroristischen Anschlägen schützen kann.

Keine neuen Akzente

Innen- und wirtschaftspolitisch geht Brown daher schweren Zeiten entgegen. Sein einstmals so hohes Image als überaus kompetenter Wirtschaftsfachmann ist stark beschädigt. Aber auch auf außenpolitischem Gebiet ist es Brown bisher nicht gelungen, neue Akzente zu setzen. Dabei konnte nach der Ernennung des jungen und unerfahrenen Außenministers David Milliband davon ausgegangen werden, dass Brown sein eigener Außenminister sein wollte. Doch davon ist bisher wenig zu merken. Die britische Außenpolitik bewegt sich nach wie vor weitgehend in den Bahnen von Blair.

Erst am 12. November 2007, fast fünf Monate nach dem Amtsantritt, hielt Brown seine erste größere außenpolitische Rede: die traditionelle Mansion House-Rede des Premierministers beim Lord Mayor’s Banquet in London. Diese Rede war jedoch unspektakulär. Er bezeichnete die britische Außenpolitik als „hardheaded internationalism“ und betonte wenig überraschend, dass das Verhältnis zu den USA nach wie vor Britanniens „wichtigste bilaterale Beziehung“ sei.3

In seiner bisherigen Amtszeit ist es Brown allerdings gelungen, sich etwas von der Bush-Administration zu distanzieren. Brown wollte unter allen Umständen verhindern, als „Bushs Pudel“ zu gelten – ein Vorwurf, der Blair seit der Irak-Invasion sehr zu schaffen gemacht und seine Autorität in Großbritannien deutlich unterminiert hatte. Brown scheute sich daher nicht, den als sehr Bush-kritisch bekannten Lord Malloch-Brown zum Staatssekretär im Außenministerium zu ernennen. Malloch-Brown fiel auch gleich durch eine kritische Bemerkung über die anglo-amerikanische „special relationship“ auf und musste zurückgepfiffen werden.

Bei einem Besuch in Camp David im August 2007 verhielt sich der neue Premierminister dann auch recht kühl gegenüber Bush. Es schien sich nicht so sehr um ein Treffen zwischen zwei engen Alliierten, sondern um eine lockere Verabredung zwischen zwei nicht sonderlich eng verbundenen Geschäftspartnern zu handeln. Gegenüber dem Präsidenten deutete Brown an, dass die Anzahl der britischen Truppen im Irak reduziert werden würde, und tatsächlich übergaben die Briten Mitte Dezember 2007 das Kommando über die südirakische Stadt und Provinz Basra an irakische Truppen. Sehr zum Missfallen Washingtons verkündete Brown bereits im Oktober im Parlament, dass bis zum Frühjahr 2008 die derzeitige Truppenstärke von 5000 britischen Soldaten um die Hälfte verringert werden würde. Mit einem vollständigen Abzug aus dem Irak würde bis Ende 2008 zu rechnen sein; das britische Engagement in Afghanistan sei davon aber nicht betroffen.

Doch die betont kühle Haltung gegenüber der Bush-Administration im Sommer und Herbst 2007 erklärte sich auch aus dem Umstand, dass Brown zu diesem Zeitpunkt noch damit rechnete, im November Neuwahlen gewinnen zu müssen. Und Distanz zu dem in Großbritannien wenig angesehenen George W. Bush konnte dabei nur hilfreich sein. Dennoch werden auch unter Premierminister Brown die britisch-amerikanischen Beziehungen traditionell intensiv gepflegt, wenngleich etwas leiser und weniger publikumswirksam, als dies unter Blair der Fall war. Gerade die sicherheitspolitische Kooperation im Kampf gegen den Terrorismus ist nach wie vor überaus eng. Die Beziehungen zwischen den beiden Außenministern sind gut, ebenso ist die Zusammenarbeit in Afghanistan und im Nahen Osten, trotz mancher kleinerer Unstimmigkeiten, weiterhin sehr eng.

Dies überrascht nicht. Denn Brown ist ein überzeugter „Atlantiker“ und ein offener Bewunderer der USA. Lange Zeit machte er regelmäßig Urlaub auf Cape Cod; er verfügt über viele enge persönliche Beziehungen zu einflussreichen Mitgliedern der politischen und ökonomischen Führungsschicht in Washington. Seine Wirtschaftspolitik als Schatzkanzler war entsprechend stark am amerikanischen Vorbild orientiert; insbesondere beeindruckte ihn die Politik der Clinton-Regierung. Von der Invasion des Irak soll Brown wenig gehalten und Blair davon abgeraten haben, doch verhielt er sich ihm gegenüber dann in der Sache loyal und ließ seine Bedenken nur sehr verhalten an die Öffentlichkeit dringen. Amerikakritische Äußerungen von Brown während seiner Zeit im Kabinett Blair sind nicht bekannt.

Die vorsichtige Distanz, die Brown zwischen sich und Bush brachte, hat jedoch nicht zu einer größeren Annäherung an Britanniens europäische Nachbarn geführt. Zwar verfügt der Premierminister über gute Arbeitsbeziehungen zu Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, doch fehlt es an persönlicher Wärme. Auch sind seit Blairs Abgang keine neuen europapolitischen Initiativen der Brown-Regierung zu verzeichnen gewesen. In der bereits erwähnten Mansion House-Rede im November 2007 drückte der Premierminister lediglich die Hoffnung aus, dass die EU sich in eine offenere und internationalere Richtung bewegen und die internen institutionellen Debatten endlich überwinden möge.

Die große Abneigung Browns gegen die Brüsseler Bürokratie und die EU-Agrarpolitik ist bekannt. Immer wieder beklagt er sich über das demokratische Defizit der EU, ohne aber gewillt zu sein, dem Europäischen Parlament größere Befugnisse auf Kosten des Ministerrats einräumen zu wollen. Es ist auch nicht damit zu rechnen, dass Brown den Euro in Großbritannien einführen wird. In der Tat, als Schatzkanzler verkündete er bereits 1997 das recht künstliche Konzept der fünf ökonomischen Tests, die Großbritannien bestehen müsse, um das Pfund Sterling gegen den Euro einzutauschen. Sehr zur Erleichterung der großen Mehrheit der Briten und anfänglich zum Ärger von Tony Blair bestand nie die Gefahr, dass alle diese Tests zum gleichen Zeitpunkt bestanden werden würden. Bezeichnenderweise beabsichtigt Brown, dem britischen EU-Kommisar Peter Mandelson, einem engen Vertrauten Tony Blairs, keine zweite Amtszeit in Brüssel zu ermöglichen. „Global society“ und „trade and aid“ als außenpolitische Leitlinien

Es fällt schwer, eine außenpolitische Vision des Premierministers oder auch nur ein klares außenpolitisches Programm Browns festzustellen. Am ehesten dient dazu sein Bekenntnis zu einer „global society“, die er entwickeln möchte und wobei Großbritannien eine führende Rolle spielen soll. Der Premier hat großes Interesse an der Umsetzung einer neuen globalen kooperativen Klima- und Umweltpolitik und möchte London als Umschlagplatz eines neuen weltweiten Energiemarkts aufbauen.

Browns außenpolitische Ideen beruhen im Grunde auf außenwirtschaftspolitischen Pfeilern. Der Premierminister ist überzeugt, dass – wie bereits beim erfolgreichen nordirischen Friedensprozess – auch andere Konflikte, z.B. der Israel-Palästina-Konflikt, durch ökomische Entwicklung und wirtschaftliche Hilfeleistungen gemäß einem konzentriert eingesetzten Marshall-Plan überwunden werden können. Auch der internationale Terrorismus ist seines Erachtens nicht durch militärische Mittel, wie von Bush und Blair praktiziert, sondern nur durch das Gewinnen der „hearts and minds“ der Bevölkerung in Afghanistan, Pakistan und vielen afrikanischen und asiatischen Ländern zu bekämpfen.

Sehr interessiert ist Brown daneben an einer umfassenden Rekonstruktion der wichtigsten internationalen Organisationen. Die Reform der Vereinten Nationen, der Weltbank und des IMF sind für ihn die Schlüssel zur Einbindung von schnell wachsenden Ländern, wie China, Indien, Brasilien, und auch Russland in die Weltgemeinschaft. Großbritannien soll sie dabei unterstützen und dadurch langfristig ökonomische und politische Vorteile erlangen. Brown beabsichtigt, die nationalen Interessen Großbritanniens mit der Hilfe für die Armen der Welt in Übereinstimmung zu bringen und somit gleichzeitig dem Terrorismus der Zukunft die Grundlage zu entziehen. Gemäß seiner Herkunft aus einem christlichen, leicht sozialistischen Elternhaus sollen „trade and aid“ und nicht so sehr die traditionelle Diplomatie – und schon gar nicht der Rückgriff auf Krieg – die Probleme der Gegenwart lösen.

Dies sind hehre Ziele, die von großem Optimismus und womöglich hoher potenzieller Willens- und Tatkraft zeugen. Genauer ausgearbeitete Pläne, wie dies alles zu erreichen wäre, sind bisher aber noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Zumal durch die berühmt-berüchtigten „events“, von denen Harold Macmillan sprach, Browns bisher nur vage vorgestellten außenpolitischen Ideen leicht untergraben werden könnten. Die über die westliche Welt hereingebrochene Finanz- und Wirtschaftskrise hat sicherlich dieses Potenzial. Immerhin musste bereits ein solch aus-gewiesener Ökonom wie Ludwig Erhard erkennen, dass gerade ein ehemaliger Wirtschaftsminister sich als Regierungschef noch weniger ökonomische Pannen als andere erlauben kann.

Prof. Dr. KLAUS LARRES, geb. 1958, lehrt Geschichte und Internationale Beziehungen an der Universität Ulster in Nordirland.

  • 1Vgl. Francis Beckett: Gordon Brown, London 2007; Tom Bower: Gordon Brown, London 2005.
  • 2 Innerhalb von zehn Jahren sind die Immobilienpreise im Vereinigten Königreich je nach Region um über 200 Prozent gestiegen.
  • 3Die Rede ist nachzulesen unter: http://www.number10.gov.uk/output/Page13736.asp.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2008, S. 100 - 105

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