Internationale Presse

28. Febr. 2011

Gruppenbild mit Damen

In den amerikanischen Medien beginnt der Präsidentschaftswahlkampf 2012

So früh wie der damalige Senator Barack Obama am 16. Januar 2007 hat sich diesmal keiner aus der Deckung gewagt, um das Rennen zu eröffnen. Zwei Gründe können dies erklären: Es geht gegen einen Amtsinhaber, nicht um ein offenes Weißes Haus, dessen Ansehen damals in Trümmern lag, und niemand will den halsbrecherischen, sündhaft teuren Irrsinn eines zweijährigen landesweiten Wahlkampfs wiederholen.

Aber die mediale Aufmerksamkeit richtet sich nach dem politischen Kalender. Nach dem republikanischen Erdrutschsieg bei den Kongresswahlen im November 2010 und Obamas mirakulösem Rebound noch vor Weihnachten – Durchsetzung seines zweiten gigantischen Programms zur Wirtschaftsförderung, Verabschiedung des kontroversen New START-Vertrags zur nuklearen Abrüstung und die historische Öffnung des US-Militärs für bekennende Homosexuelle – bleibt daher auf absehbare Zeit kein anderes Thema als die nächste große Wahl. So schreibt John Podhoretz in Commentary (Januar): „Das ansteckende, unwiderstehliche Gesellschaftsspiel dieser Tage ist die Wahl 2012. Was ist mit Palin? Kann Obama die wirtschaftliche Lage überstehen? (Eine andere Frage ist, ob die wirtschaftliche Lage Obama überstehen kann.) Was ist mit Palin? Wird Obamas Zugeständnis an die Republikaner, die Steuersenkungen fortzuschreiben, ihn die notwendige Unterstützung auf der Linken kosten? Nicht zu vergessen: Was ist mit Palin?“

Dementsprechend fand zum Jahreswechsel die große Vergleichsstudie der Clarus Research Group zu den Chancen einzelner Kandidaten in der nächsten Präsidentschaftswahl erheblichen Widerhall in den Medien. Die Meinungsforscher haben herausgefunden, dass Mitt Romney, der ehemalige Gouverneur von Massachusetts, die besten Chancen auf die Nominierung durch seine Partei hat – 19 Prozent der befragten republikanischen Wähler sprechen sich für ihn aus. Es folgen Mike Huckabee, der ehemalige Gouverneur von Arkansas, mit 18 und Sarah Palin, die ehemalige Gouverneurin von Alaska, mit 17 Prozent. Andere denkbare Kandidaten sind abgeschlagen. Sowohl Romney als auch Palin würden heute jedoch in der Hauptwahl Obama unterliegen, Romney mit drei, Palin mit elf Prozent Unterschied (Huckabees Chancen wurden nicht ermittelt). Das gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der zentristische und milliardenschwere New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg als unabhängiger Kandidat an der Präsidentschaftswahl teilnimmt. Ihm sind laut Clarus bis zu 20 Prozent der Stimmen zuzutrauen, so wie einst Ross Perot, der Bill Clinton zu seinen Wahlsiegen verhalf. Träte der ehemalige Präsident heute gegen Obama an, würde er den Amtsinhaber mit 16 Prozent Unterschied bezwingen.

Schon dieser Ausschnitt verdeutlicht, dass es sich bei den derzeitigen Umfragen um ebenso endlose wie hypothetische Zahlenspiele handelt. Sie zeigen lediglich, dass die Kandidaten gut im Rennen liegen, deren Namen aus vorherigen Vorwahlen (und zusätzlich, im Falle Palins und Huckabees aus eigenen Fernsehshows) bereits bekannt sind. Dieser Bonus ist üblich und kann sich sehr schnell verflüchtigen, wenn der tatsächliche Wahlkampf begonnen hat und auch andere Kandidaten mehr Aufmerksamkeit erhalten. Zuletzt musste das Rudy Giuliani erfahren, der als „9/11-Bürgermeister“ König der Umfragen war, aber dann in den Vorwahlen früh scheiterte.

Die Erhebungen zeigen aber auch, dass das republikanische Bewerberfeld weit offen ist – und schwach. Denn außer den Genannten drängt sich kein natürlicher Herausforderer auf. Das erlaubt auch abseitige Spekulationen. So bringt das New York Magazine (17. Januar) Jon Huntsman ins Spiel: Obamas Botschafter in China könnte den perfekten Abtrünnigen geben. Während man aber Romney seine Zugehörigkeit zu den Mormonen inzwischen nachsieht, hätte Huntsman – einst Gouverneur von Utah – diesbezüglich noch viel Arbeit zu leisten.

Anderen (ehemaligen) Gouverneuren wie Tim Pawlenty (Minnesota) und Mitch Daniels (Indiana) werden schon ernsthaftere Chancen zugesprochen, aber von Begeisterung für ihre mögliche Kandidatur ist wenig zu spüren. Und Jungstars der Partei wie Bobby Jindal (Gouverneur Louisiana) und Marco Rubio (Senator aus Florida) sind gut beraten, noch einen Wahlzyklus abzuwarten oder sich zunächst nur als Vizekandidat rekrutieren zu lassen. Zu denken wäre da zum Beispiel an Nikki Haley, die vergangenen Herbst mit Unterstützung der Tea Party in South Carolina zur Gouverneurin gewählt wurde. Ein faszinierendes Porträt im Atlantic Monthly (Januar/Februar) zeigt, wie die 40-jährige indisch-amerikanische Haley die patriarchalischen Strukturen des Südstaats aufbrach und sich zur Repräsentantin einer neuen Generation konservativer Frauen in den USA entwickelte.

Auffällig ist, dass alle hoch gehandelten Kandidaten auf Erfahrungen in der Exekutive eines Bundesstaats verweisen können und nicht aus der landesweiten Legislative, dem Kongress, stammen. Die starken republikanischen Senatoren wie Mitch McConnell (ebenfalls im Atlantic porträtiert) und Abgeordneten wie der Vorsitzende des Haushaltsausschusses Paul Ryan, dem der neokonservative Weekly Standard (17. Januar) eine ausschweifende Liebeserklärung macht, sind unverzichtbar für den politischen Prozess, der Obama in den nächsten zwei Jahren in die Enge treiben soll. Aber das öffentliche Ansehen des Kongresses als Institution ist auf einem Tiefstand; die Stimmung an der Basis der Republikanischen Partei wird keinen „Washington Insider“ als Herausforderer Obamas zulassen.

Hinzu kommt, dass die Wirtschaft wohl das beherrschende Thema der kommenden Wahlsaison sein wird. Gegen Arbeitslosigkeit, Haushaltsdefizit und Staatsverschuldung lässt sich überzeugender aus einem betroffenen Einzelstaat wettern als aus dem Zentrum der Macht. Unter diesem Blickwinkel munitionieren die konservativen Medien und Redenschreiber ihre Kandidaten mit Argumenten zu drei Themenfeldern: dem Stimulus-Programm zur Wirtschaftsförderung, der Gesundheitsreform und den Verteidigungsausgaben.

Die Regierung Obama hat Anfang 2009 Staatsausgaben in Höhe von 862 Milliarden Dollar durchgesetzt, die allein darauf angelegt waren, die Wirtschaft anzukurbeln. Ohne dass dieser erste Stimulus eine signifikante Verbesserung der Lage gezeitigt hätte, legte Obama im Dezember 2010 ein zweites Programm nach, diesmal 990 Milliarden Dollar schwer. Dass der abgewählte Kongress dem – auch mit republikanischer Unterstützung – zustimmte, war ein Affront gegen die Tea Party und die im November gewählten Abgeordneten, die Haushaltsdisziplin zu ihrem Mantra erklärt hatten, aber erst im Januar ihr Amt antreten konnten. Außerdem, schreibt Charles Krauthammer in der Washington Post (17. Dezember), war es ein wahltaktischer Fehler, weil „Stimulus II“ gerade rechtzeitig zur Jahresmitte 2012 seine Wirkung entfalten und somit Obama die Wiederwahl sichern wird.

Dem widersprechen die Wirtschaftsprofessoren John F. Cogan und John B. Taylor in Commentary (Januar). Ihrer Ansicht nach ist „Stimulus I“ wirkungslos verpufft, weil die Gelder aus Washington vorwiegend dazu verwendet wurden, Schulden von Konsumenten und lokalen Regierungen zu senken. Auch „Stimulus II“ werde aus diesem Grund weder Konsum noch Produktion steigern und sich daher als teurer Flop erweisen. Cogan und Taylor, die schon unter Ronald Reagan und George W. Bush Regierungsverantwortung getragen haben, empfehlen sich mit diesem Aufsatz nicht nur als Champions der Reagonomics, sondern auch als Berater ambitionierter republikanischer Kandidaten.

„Teurer Flop“ halten die allermeisten Republikaner auch für eine gute Zusammenfassung der „Obamacare“ genannten Gesundheitsreform. In den nächsten zwei Jahren werden sie darum ringen, einzelne Aspekte der Reform zurückzunehmen. Das wird zwar im Wesentlichen an der demokratischen Senatsmehrheit scheitern, aber die Aufmerksamkeit auf ein Thema bündeln, das sich als Wahlkampfknüller entpuppt hat. So rechnet Tevi Troy (ebenfalls Commentary) vor, dass ein Drittel der demokratischen Verluste bei den Kongresswahlen auf Obamacare zurückzuführen sind. Die demokratischen Abgeordneten, die sich für die Reform aussprachen, reduzierten ihre Chancen auf Wiederwahl drastisch. Die Republikaner werden alles daransetzen, diese Stimmung aufrechtzuerhalten. Das erfordert taktische Feinarbeit, denn die Bevölkerung urteilt inzwischen milder über Obamacare.

Diese taktische Feinarbeit wird auch beim dritten derzeit zentralen Thema der Republikaner notwendig: den Verteidigungsausgaben. Denn hier besteht ein grundlegender Widerspruch: Die Republikaner wollen Schulden und Steuern senken, aber den größten Ausgabenposten des Landes, die Verteidigungsausgaben, nicht antasten. Als Verteidigungsminister Robert Gates Anfang 2011 das Pentagon auf Kürzungen bei Rüstungsprojekten und der Truppenstärke verpflichtete, reagierte das Lager der Neocons und der America First!-Nationalisten mit lauten Warnrufen. So schrieb Max Boot im Weekly Standard (17. Januar), dass unter diesen Bedingungen Amerika seine Rolle als Garant internationaler Stabilität kaum noch wahrnehmen könne – insbesondere angesichts der Aufrüstung Chinas. Die Gegenrede der linken Blogosphäre auf die vermeintlichen Kriegslobbyisten war nicht verwunderlich. Interessant ist aber, dass auch zahlreiche Republikaner, selbst aus der Tea Party, das Pentagon ebenso unter den Sparzwang stellen wollen wie alle anderen Budgets des nationalen Haushalts. So fordert beispielsweise das National Interest (Januar/Februar) eine grundlegende Abkehr von der „imperialen Außenpolitik“ der vergangenen 20 Jahre. Dieser republikanische Richtungsstreit wird auch in den Vorwahlen eine wichtige Rolle spielen.

Was sagen die Kaffeesatzleser in den Medien nun also über die republikanische Kandidatenfindung? Zunächst einmal gilt der Leitsatz, dass sowieso alles von der Wirtschaft abhängt: Sollte im Herbst 2012 die Lage immer noch so finster sein, verliert Obama auch gegen eine Nullnummer als Kandidat – verbessert sich die Lage, gewinnt er in jedem Fall. Für die Republikaner geht es also darum, für den Fall einer uneindeutigen wirtschaftlichen Situation ein attraktives Paket zu schnüren. Der Herausforderer sollte also eher zentristisch als radikal sein, eine Aura der Verlässlichkeit besitzen und sich im Idealfall schon als moderat-konservativer Reformer bewährt haben. Das heißt nicht zuletzt, dass Sarah Palin eher die Rolle der Königsmacherin als die der Königin zufallen wird. Sollten Sie also von John Podhoretz beim nächsten Spieleabend zu einer Wette aufgefordert werden, setzen Sie auf ein von Palin unterstütztes Romney/ Haley-Ticket. You could do worse.

Dr. PATRICK KELLER ist Koordinator für Außen- und Sicherheitspolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, April 2011, S. 130-133

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