Buchkritik

01. Mai 2012

Grüße vom Rest der Welt

Was für den Westen wie ein Abstieg erscheint, kann insgesamt ein Gewinn sein

Gibt es Leben außerhalb der EU? Diese Frage ist berechtigt, wenn man die Titelseiten der europäischen Zeitungen mit dem alles beherrschenden Thema Schuldenkrise betrachtet. Darüber gerät die außereuropäische Welt aus dem Blick – die parallel zu Europas Schwäche an Stärke gewinnt. Sieben Neuerscheinungen.

Beginnen wir unseren Streifzug durch die Welt außerhalb Europas mit Bettina Gaus in Afrika, für die politische Korrespondentin der taz ein „unterschätzter“ Kontinent. Durch insgesamt 16 Länder südlich der Sahara ist sie für ihr Buch gereist – von Kenia, Tansania, Mosambik über Sambia und Angola bis nach Nigeria, Ghana und Senegal. Ihr Ziel: Das klischeehafte Bild von Afrika als einem Kontinent zu widerlegen, in dem lediglich Arme, korrupte Eliten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen leben.

In Wirklichkeit, so Gaus, existieren überall in Afrika Mittelschichten – Lehrer, Verwaltungsbeamte, Ärzte, Anwälte, Architekten, Journalisten und Unternehmer –, die verhindern, dass der „schlecht verwaltete“ und „oft chaotische“ Kontinent flächendeckend zum Rückzugsgebiet von Terroristen werde, zur unkontrollierten Giftmüllhalde, zur Geldwaschanlage, zum Versuchslabor für wissenschaftliche Experimente.

Es sind vergleichsweise ungewohnte Eindrücke von Afrika, die Bettina Gaus in ihren lesenswerten Reisereportagen vermittelt. Immerhin scheint es, als setze sich allmählich auch bei internationalen Investoren eine neue Sichtweise durch: Gaus zitiert einen Bericht aus dem Finanzmarkt-Ressort der FAZ vom Juni 2010, wonach Fondsmanager und andere Anleger in steigendem Maße ein „anderes“ Afrika entdecken, „einen Kontinent, der wirtschaftlich aufstrebt und der eine breiter werdende Mittelschicht herausbildet“.

Vorbild Lateinamerika

Kommt es Bettina Gaus vor allem darauf an, ihren Lesern ein anderes Bild von Afrika zu vermitteln, geht Sebastian Schoepp für Lateinamerika noch einen Schritt weiter: Der Korrespondent der Süddeutschen Zeitung glaubt, dass die Welt von diesem Kontinent etwas lernen kann. Zwei Jahrhunderte nach der Unabhängigkeit haben sich in beinahe allen Ländern des Kontinents Demokratien etabliert, die stabiler scheinen als ihre Vorgänger. Wahlen verlaufen in der Mehrzahl fair und frei. Die Wirtschaft – über Jahrhunderte das Sorgenkind der Region – boomt nicht nur, sie zeigt sich sogar krisenresistenter als in Europa und Nordamerika.

Und wie in Afrika wächst auch in Lateinamerika die Mittelschicht. Die Armut, weiterhin das drängendste Problem, wird durch Sozialprogramme signifikant verringert. Nach einem jahrhundertelangen, konfliktreichen Integrationsprozess haben die verschiedenen Völker – Kreolen, Indigene, Schwarze – gelernt, zusammenzuleben. Schoepp zitiert den kolumbianischen Schriftsteller und Essayisten William Ospina, der aus der gelungenen Integration, dem Mestizentum, eine Vorbildfunktion ableitet: „Die Mestizaje, die unsere große Schwierigkeit war, ist auch unsere große Chance auf der Bühne der derzeitigen Kultur, da die Tendenzen zur Vermischung eine der Hauptcharakteristiken der Modernität sind.“

Selbst den Machismo wähnt 
Schoepp auf dem Rückzug. Und in der Tat: Im Jahr 2010 standen in Brasilien, Argentinien, Chile und Costa Rica vier Frauen an der Spitze großer oder wichtiger Staaten – im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, Frankreich, Spanien, Portugal oder Italien, wo noch nie eine Präsidentin oder Ministerpräsidentin regierte. Und bereits 1950 skizzierte der mexikanische Literaturnobelpreisträger Octavio Paz, wo die Stärke Lateinamerikas dereinst liegen könne: in der „Aktualisierung des europäischen Gedankens“. In seinem Essay „Das Labyrinth der Einsamkeit“ fragte Paz in Bezug auf Mexiko: „Können wir eine Gesellschaft entwickeln, die nicht in der Beherrschung des anderen begründet liegt?“

Barack Obama preist die Demokratisierung in Ländern wie Chile und Brasilien als Vorbild für den Nahen Osten. Die Lektionen Lateinamerikas sind für den amerikanischen Präsidenten eine Anleitung für alle, „die ihre eigene Reise zur Demokratie beginnen“. Nach Schoepps zurückhaltenderer Bewertung scheint Lateinamerika zumindest für sich selbst eine erfolgreiche Formel gefunden zu haben. Beinahe alle Länder haben sich ihrer Gewaltherrscher aus eigener Kraft entledigt; viele dieser Gewaltherrscher sind bereits abgeurteilt worden – und dies meist ohne Hilfe von außen, ohne Weltgerichtsbarkeit, Blauhelme und UN-Sicherheitsratsbeschlüsse. Damit macht Schoepp auf eine Entwicklung aufmerksam, die in einer Welt, die in wachsendem Maße multipolar wird und ohne zentrale Ordnungsmacht auskommen muss, eine immer größere Rolle spielen dürfte.

Beunruhigendes Bild

Dass in dieser neuen Weltordnung Asien eine Schlüsselrolle übernehmen wird, gehört in der westlichen Hemisphäre allmählich zur Allgemeinbildung. Der langjährige China-Korrespondent des Spiegel Andreas Lorenz zeichnet ein beunruhigendes Bild von Asien: „Hier leben so unvorstellbar viele Menschen, es besitzt so viel Geld, dass sein Einfluss stetig wächst – sei es in Afrika, Lateinamerika oder in Europa, sei es in unternationalen Gremien wie dem Internationalen Währungsfonds oder der UNO.“

Was Lorenz nachdenklich stimmt, ist die Tatsache, dass mit dem Erstarken Asiens neue Unsicherheiten und Gefahren entstanden seien: Erstens habe ein Wettlauf um Rohstoffe begonnen, die Asiens Aufschwung speisen müssen; zweitens schürten nationalistische Regierungen Kontroversen um Schifffahrtsrouten, Inseln und Grenzen, die in einen Krieg münden könnten; drittens rüsteten viele asiatische Länder energisch auf; viertens verfüge ein unberechenbares Regime in Nordkorea über Atombomben; fünftens herrsche in China eine Partei, von der ungewiss sei, ob sie in der Lage sei, die wachsenden sozialen Konflikte friedlich zu bewältigen; und sechstens sei der Grad der Umweltverschmutzung in Asien so hoch, dass womöglich Hunderttausende auf der Suche nach sauberem Wasser und sauberer Luft ihre Heimat verlassen könnten.

Wie soll der Westen mit diesen Entwicklungen umgehen? Lorenz gibt angenehm pragmatische Ratschläge, wie der asiatischen Herausforderung zu begegnen sei; etwa, indem man mehr Ausländer in Deutschland ausbilde – und zwar nicht nur Europäer. Europa brauche Ideen und Innovationskraft. Dies sei nur mit einer neuen Einwanderungspolitik zu erreichen. Noch lägen die bürokratischen Hürden zu hoch. Parallel erkennt Lorenz in Bildung und Ausbildung einen Schlüssel dafür, dass der Westen auch künftig wettbewerbsfähig bleibt.

Keine Angst vor China

Hier setzt folgerichtig auch einer der profiliertesten deutschen China-Experten an. Frank Sieren, Autor mehrerer Bestseller zur Entwicklung Chinas und Kolumnist des Handelsblatts mit Wohnsitz Peking, warnt vor Stimmen, die behaupten, die Chinesen würden noch sehr lange benötigen, um den technischen Vorsprung des Westens einzuholen. In Wirklichkeit sei China der größte Gewinner etwa des deutschen Atomausstiegs: Die Ingenieure des Reichs der Mitte hätten eine besonders fortschrittliche Atomtechnologie von den Deutschen übernommen und entwickelten sie nun weiter. Auch eigene Großraumflugzeuge würden bereits mit westlicher Hilfe gebaut.

Das bedeutet für Sieren zwar nicht, dass Deutschland seinen technologischen Vorsprung ganz verlieren werde. „Aber wir werden uns in Zukunft genauer überlegen müssen, welche neuen Produkte wir entwickeln. Und wir müssen unsere Kinder besser ausbilden, damit wir innovativ bleiben. Die Zeit, in der wir uns auf unseren Lorbeeren ausruhen konnten, ist vorbei.“

„Angst vor China“ – so der Titel von Sierens Buch – brauche Deutschland aber nicht zu haben. So sei die weltweite Expansion chinesischer Konzerne auch eine Chance für Deutschland. Je mehr Chinesen im Zuge einer globalen Verzahnung mit Deutschen zusammenarbeiten müssten, desto eher seien sie gezwungen, Kompromisse zu finden. Grundsätz­licher Streit werde unwahrscheinlicher, da mehr auf dem Spiel stehe.

Problematischer hingegen findet Sieren chinesische Investitionen in Euro-Staatsanleihen. Hier warnt er zu Recht vor einer wachsenden politischen Abhängigkeit Europas – das abschreckende Beispiel der USA vor Augen, wo China als größter Gläubiger der Amerikaner gleichsam zur „Bank of America“ geworden ist; eine Situation, in der Peking Washington unter Druck setzen kann. Daher sollen die Europäer nach Sierens Empfehlung China ermutigen, eher europäische Unternehmen zu kaufen als Staatsanleihen: „Das balanciert die Machtverhältnisse zu unseren Gunsten aus. Und das ist nötig.“

Asiens Weg

Eine globale Balance muss auch beim Ressourcenverbrauch und beim Umgang mit dem Ökosystem gefunden werden. Der Gründer des „Global Institute For Tomorrow“, Chandran Nair, appelliert an die asiatischen Länder, nicht auf Entscheidungen des Westens zu warten, sondern ihren eigenen Weg zu gehen. Allzu lange hätten sie ihre Zukunft in den Begriffen der entwickelten Länder definiert, sich als „Emerging Market“ oder als „Investmentziel“ verstanden, als „exportorientiert“ oder als Quelle eines enormen „Nachholbedarfs“ beim Konsum.

Doch nun müssten sie beginnen, ihre eigenen Entwicklungsziele festzulegen. Und diese Ziele sollten langfristig und nachhaltig sein – aus einem ureigenen Interesse heraus: Nair zitiert Prognosen von Noeleen Heyzer, dem Vorsitzenden der UN-Wirtschafts- und Sozialkommission für Asien und den Pazifik, nach denen nur 15 Jahre im Stil des gegenwärtigen Wachstumsmodells genügen werden, um verheerende soziale und ökologische Folgen heraufzubeschwören.

Zugleich erkennt Nair in Asien das Potenzial, den Kapitalismus umzugestalten und ein neues Wirtschaftsmodell für das 21. Jahrhundert zu entwickeln, das auf „echter“ Nachhaltigkeit beruht. Dafür müssten die Regierungen Asiens allerdings einen Schlussstrich unter die bisherige kapitalistische Praxis ziehen, nach der die Kosten von Umweltbelastungen und Ressourcenverbrauch kaum in die Preise für Produkte einflössen. Vielmehr müssten die Länder der Region die Regeln, die das Wachstum bislang bestimmt haben, neu definieren. Sie sollten sich den allein auf Konsumsteigerung bedachten Strategien verweigern, die dem Westen zu seiner Vormachtstellung in der Welt verholfen hätten, und sie durch neue Methoden des Wirtschaftens ersetzen, die der Umweltbelastung durch den Menschen Grenzen setzen.

Doch wie kann ein solcher „asiatischer Weg“ aussehen? Nair skizziert ein neues volkswirtschaftliches Modell – „für Asien und den Rest der Welt“. So seien gewisse regulierende Maßnahmen nötig: steuerliche und andere wirtschaftliche Instrumente, Steuerungs- und Kontrollmechanismen. Natürlich, einzelne Länder dürften auch in Zukunft unterschiedliche Ansätze beim Ressourcenmanagement befolgen; zu strengen Obergrenzen beim Verbrauch von Energie und Rohstoffen gebe es aber keine Alternative.

Wie immer mehr Vertreter von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik glaubt auch Nair, dass Steuern auf Emissionen und Ressourcenverbrauch zusammen mit der Beschränkung des Konsums das Hauptinstrumentarium dieses neuen Weges bilden werden. Zugleich setzt der ausgebildete Biochemiker darauf, dass es die Wissenschaft mit ihren Erkenntnissen der Menschheit ermöglichen wird zu wachsen, ohne dabei die eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören.

Westliches Zivilisationspaket

Wenn also Asien zugetraut wird, den nachhaltigen Kapitalismus zu erfinden, sich Afrika und Lateinamerika im Aufwind befinden und die amerikanisch-europäische Dominanz ihrem Ende entgegengeht – kann der Westen seinen Laden dann nicht gleich im wahrsten Sinne des Wortes dicht­machen? Derlei Angstmacherei in Europa und Amerika ist nach dem Urteil von Niall Ferguson übertrieben. In seinem neuen Werk hat der in Harvard und Oxford lehrende Historiker die Lebenszyklen der großen Mächte und Kulturen der Weltgeschichte untersucht.

Ferguson warnt die westliche Zivilisation vor übertriebenem Fatalismus: Sicherlich seien die Dinge, die den Westen einmal vor dem Rest der Welt ausgezeichnet hätten, nicht mehr sein Monopol – die Chinesen hätten den Kapitalismus übernommen, die Iraner die Naturwissenschaften, die Russen – zumindest formal – die Demokratie. Die medizinische Versorgung Afrikas werde besser und nähere sich modernen Standards an. Aber das bedeute zugleich, dass die westliche Art, die Dinge zu gestalten, eben nicht überholt sei, sondern beinahe überall auf der Welt blühe und gedeihe – oder wie Ferguson es prägnant zusammenfasst: „Eine wachsende Zahl von Nicht-Westlern schläft, duscht, arbeitet, spielt, isst, trinkt, reist und kleidet sich wie die Leute aus dem Westen.“

Somit bietet die westliche Zivilisation der übrigen Welt ein ganzes „Paket“, wie Ferguson den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Standortvorteil des Westens beschreibt: politischen Pluralismus, Kapitalismus, Gedankenfreiheit, wissenschaftliche Methode, Rechtsstaatlichkeit, das Recht auf Eigentum und Demokratie. Bis heute besitze der Westen mehr von diesen institutionellen Vorteilen als die übrige Welt: China hat keinen politischen Wettbewerb, der Iran keine Gewissensfreiheit. In Russland wird zwar gewählt, aber die Rechtsstaatlichkeit existiert nur zum Schein. Und in keinem dieser Länder gibt es eine freie Presse.
Diese Unterschiede können nach Fergusons Analyse auch erklären, warum diese Staaten in qualitativen Indizes, welche die „nationale innovative Entwicklung“ und die „nationale Innovationsfähigkeit“ messen, hinter den westlichen Ländern weit hinterherhinken. Und nicht zuletzt: Fergusons „Killer Apps“ des Westens bieten ein Angebot, mit dessen Hilfe es am ehesten möglich scheint, die individuelle menschliche Kreativität freizusetzen, mit der sich die Probleme der Welt im 21. Jahrhundert lösen ließen.

Ethik des Überlebens

Auch Amitai Etzioni sieht keinen Grund, warum der Westen den Glauben an sich verlieren sollte – allen Krisen zum Trotz. Zugleich erwartet der an der George Washington University lehrende Soziologe, dass die USA ihre Rolle als Supermacht zwar nicht aufgeben, ihre Kraft aber vermehrt in multilaterale und legitime Bestrebungen investieren werden – etwa den Kampf gegen den Terrorismus oder die nukleare Abrüstung –, die eine gute Grundlage für eine globale Sicherheitsbehörde bilden könnten. In einer solchen Institution sieht Etzioni das Fundament für einen globalen Staat, dessen oberste Pflicht darin bestehe, die Sicherheit der auf seinem Territorium lebenden Menschen zu gewährleisten.

Das Verhältnis einer derartigen Behörde zu den Vereinten Nationen dürfte sich Etzioni zufolge ebenso „kompliziert“ gestalten wie das anderer, bereits existierender Institutionen wie dem Internationalen Strafgerichtshof oder der Welthandelsorganisation. Denn die UN träten im Wesentlichen wie eine legitimierende Instanz auf – eine wichtige Quelle „weicher Macht“. Zugleich ist nicht zu übersehen, dass die Vereinten Nationen ohne die „harte Macht“ der USA und anderer Staaten oft nicht wirkungsvoll handeln können. Für sich betrachtet bilden die UN daher nicht einmal den Ansatz zu einer globalen Regierung. In Verbindung mit mächtigen Staaten kann sie es allerdings sein.

Etzioni versteht sich nicht als „Realist“, der öffentliche und internationale Angelegenheiten von militärischen und wirtschaftlichen Faktoren beherrscht sieht. Im Gegenteil, der ehemalige Berater von Jimmy Carter hat sein neues Werk bewusst normativ angelegt; moralischen Fragen schenkt er viel Aufmerksamkeit. Seine Hauptthese lautet, dass im Zuge der Entstehung einer globalen Gesellschaft, der Ausweitung des globalen Regierungshandelns, des Eintretens von immer mehr Menschen aus immer mehr Weltgegenden in die Politik – kurz, mit beginnender Herausbildung einer globalen Gesellschaft – normative Faktoren an Bedeutung gewinnen werden.

Zudem beobachtet Etzioni einen verbreiteten spirituellen „Hunger“, woraus er folgert, dass Menschen, denen nach dem Zusammenbruch säkularer oder religiöser totalitärer Regime nur eine moralische Leere geblieben ist, eher bereit seien, Glaubens­systeme anzunehmen, die mit einer „guten“ Gesellschaft vereinbar sind; einer Gesellschaft, in der ein sorgfältig austariertes Gleichgewicht zwischen Autonomie – in Form von Rechten und Freiheit – und sozialer Ordnung besteht und in der diese Ordnung weitgehend auf Überzeugung statt auf Zwang beruht. Daraus ergebe sich die dringende Notwendigkeit, „weiche“, moralische Antworten zu geben.

Allerdings sieht Etzioni Vorzeichen, dass sich auch die neue globale Architektur zuerst um das kümmern werde, was er die „Ethik des Über­lebens“ nennt, und sich erst dann um andere transnationale Herausforderungen wie Umweltzerstörung oder Menschenhandel sorgen werde, mit denen weder Nationen noch zwischenstaatliche Organisationen alleine fertig werden. Doch eben sie spielen auch in Etzionis „neuer globaler Nation“ weiterhin eine Rolle. Transnationale kommunitaristische Körperschaften – INGOs, Netzwerke und soziale Bewegungen – hätten nach seiner Einschätzung durchaus ihre Meriten, aber weniger, als ihre Verfechter glaubten. Am Ende scheint Etzioni mehr „Realist“ zu sein, als er selbst glaubt. Ein Charakterzug, der einem aufgeregten und von Untergangsvisionen geplagten Westen ebenfalls nicht schaden könnte.

Bettina Gaus: Der unterschätzte Kontinent. Reise zur Mittelschicht Afrikas. Frankfurt am Main: Eichborn 2011, 253 Seiten, 19,95 €
Sebastian Schoepp: Das Ende der Einsamkeit. Was die Welt von Lateinamerika lernen kann. Frankfurt am Main: Westend 2011,  282 Seiten, 17,99 €
Andreas Lorenz: Die asiatische Revolution. Wie der „Neue Osten“ die Welt verändert. Hamburg: Edition Körber-Stiftung 2011, 273 Seiten, 16,00 €
Frank Sieren: Angst vor China. Wie die neue Weltmacht unsere Krise nutzt. Berlin: Econ 2011, 447 Seiten, 19,99 €
Chandran Nair: Der große Verbrauch. Warum das Überleben unseres Planeten von den Wirtschaftsmächten Asiens abhängt. München: Riemann 2011, 255 Seiten, 17,95 €
Niall Ferguson: Der Westen und der Rest der Welt. Die Geschichte vom Wettstreit der Kulturen. Berlin: Propyläen 2011, 559 Seiten, 24,99 €
Amitai Etzioni: Vom Empire zur Gemeinschaft. Ein neuer Entwurf der Internationalen Beziehungen. Frankfurt am Main: S. Fischer 2011, 362 Seiten, 22,95 €

Dr. THoMAS SPECKMANN lehrt am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2012, S. 136-141

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