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05. Mai 2014

Grüne Gestaltungsmacht

Deutschland sollte den ökologischen Umbau in Entwicklungsländern anführen

Deutschlands Wohlstand basiert auf dem Zugang zu Rohstoffen, die endlich sind. Nachhaltigkeit ist deshalb alternativlos. Dieses Prinzip zum Dreh- und Angelpunkt deutscher Außen- und Entwicklungspolitik zu machen, wäre der wohl beste Weg, die oft angemahnte internationale Führungsrolle auszufüllen – zum eigenen Wohl und dem des Planeten.

Wir hatten es verdrängt, wie abhängig wir von ausländischen Rohstoffen sind. Die Krim-Krise macht unsere strukturellen Abhängigkeiten wieder sichtbar: Was passiert, wenn Russland den Gashahn zudreht? Oder wenn wir uns aus übergeordneten politischen Gründen dazu gezwungen sähen, auf russische Importe zu verzichten? Dabei spielt es für die Analyse keine Rolle, ob unsere Gasspeicher für Wochen oder Monate ausreichen. Denn dies ändert nichts an der Tatsache, dass unsere Versorgung mit fossilen Energieträgern von nur einer Handvoll Ländern abhängt, in erster Linie Russland. Das macht uns im Extremfall politisch erpressbar.

Die Schlussfolgerung kann deshalb nur lauten: Wir müssen unsere Importstrukturen diversifizieren. Es ist ohnehin nur eine Frage der Zeit, dass wir in immer stärker umkämpften Märkten neue und verlässliche Lieferanten für fossile Rohstoffe finden müssen. Denn alle Förderstaaten, von denen wir Öl oder Gas beziehen, haben ihr Fördermaximum bereits überschritten – zumindest, wenn man konventionellen Berechnungen folgt.

Was für Öl und Gas gilt, trifft auch für andere Rohstoffe zu, ohne die unsere führende Stellung als Exportnation infrage gestellt ist. Die schon längst wieder in Vergessenheit geratene „Seltene-Erden-Krise“ von 2008/09 ist nur ein Beispiel dafür. Doch Deutschlands Abhängigkeit von strategischen und kritischen Rohstoffen reicht viel weiter – ein Grund, warum die Bundesregierung seinerzeit eine umfassende Rohstoffstrategie entwickelte.

Zweifelsohne genügt es nicht länger, allein mit jenen 20 Haupthandelspartnern vertrauensvolle Beziehungen zu pflegen, mit denen wir derzeit 80 Prozent unserer Ein- und Ausfuhren abwickeln. Unser wirtschaftliches – und damit politisches und gesellschaftliches – Augenmerk muss sich vermehrt auf die aufstrebenden Entwicklungsländer richten, die zwar rohstoffreich, bislang aber wirtschaftlich, politisch und deshalb auch gesellschaftlich weitgehend marginalisiert sind.

Interessen und Verantwortung

Doch Deutschland hat nicht nur weltweit wirtschaftliche Interessen; es trägt auch globale Verantwortung. Als rohstoffarmes Land basieren unser volkswirtschaftliches Modell, unser Wohlstand und unser sozialer Friede auf der dauerhaften Verfügbarkeit von Rohstoffen und natürlichen Ressourcen aus anderen Ländern. Zugleich profitiert Deutschland weit überdurchschnittlich von der Globalisierung: Trug der Export 1993 weniger als ein Viertel zum Bruttoinlandsprodukt der Deutschen bei, so basiert heute bereits die Hälfte der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung auf unseren Ausfuhren – Tendenz steigend. Der jüngste „Globalisierungs­report“ der Bertelsmann-Stiftung hat dies noch einmal unterstrichen.

Industrieller Ressourcenverbrauch, hohe Lebensqualität und überbordende Konsummuster haben aber auch zur Folge, dass unser ökologischer Fußabdruck im Vergleich zu den meisten anderen Gesellschaften deutlich größer ist. Ein durchschnittlicher Deutscher beansprucht viermal mehr Ressourcen als ein durchschnittlicher Asiate. Eine europäische Hauskatze hinterlässt einen größeren ökologischen Fußabdruck als ein durchschnittlicher Erwachsener in Afrika südlich der Sahara.

Mehr noch: Wir können unser Wohlstandsniveau und unseren Lebensstil nur deshalb aufrechterhalten, weil wir selbst auf lebensnotwendige Ressourcen anderer Gesellschaften zugreifen: Als eine der größten Handelsnationen und, nach Bevölkerung gemessen sechzehntgrößte Nation der Welt handeln wir nicht nur mit Gütern, sondern auch mit „global commons“ – wie zum Beispiel Wasser. Die Hälfte unseres globalen „Wasserfußabdrucks“ basiert auf so genanntem virtuellen Wasser. Die Maßeinheit des virtuellen Wassers bemisst den Wasserverbrauch, der zur Produktion von Waren und Dienstleistungen nötig ist. Statistisch wird es dem Land zugeordnet, das diese Waren und Dienstleistungen konsumiert, nicht dem Herkunftsland.

Virtuelles Wasser ist damit eine Größe zur Bemessung von Globalisierungskosten. Zwar verbraucht ein Deutscher pro Tag nur gut 120 Liter für den unmittelbaren persönlichen Bedarf. Rechnet man aber den täglichen „virtuellen Wasserkonsum“ hinzu, schlagen täglich 4000 Liter Wasser pro Person zu Buche – das sind etwa 30 Badewannenfüllungen. 15 000 Liter für ein Kilo Rindersteaks, 11 000 Liter für eine Jeans, 20 000 Liter für einen Laptop.

Allein durch unseren Bedarf an ausländischen Agrarprodukten importieren wir jährlich mehr als 100 Milliarden Kubikmeter virtuelles Wasser – etwa die doppelte Wassermenge des Bodensees. Wir leben also in einem Paradoxon: Als wasserreiches Land sind wir auf lange Sicht extrem wasserabhängig – und zwar von Regionen, die aufgrund des Bevölkerungsdrucks, der Urbanisierung und der Auswirkungen des Klimawandels an Wasserknappheit leiden.

Man mag das als zynisch oder ungerecht empfinden. Doch all diese Erkenntnisse werden wohl nicht zu einer grundlegenden Veränderung unserer Konsummuster führen. Doch früher oder später werden wir zum Handeln gezwungen sein. Das offenbart schon die schiere Zahlenlogik: Bereits heute verbraucht die Weltgemeinschaft 30 Prozent mehr natürliche Ressourcen als nachwachsen können. Machen wir so weiter, dann brauchen wir 2030 zwei Erden, 2050 – mit einer Weltbevölkerung von dann rund zehn Milliarden Menschen – bereits drei.

Wir haben also nicht nur ein vitales Interesse an einer dauerhaften Versorgung mit Rohstoffen und natürlichen Gütern – wie übrigens alle anderen Gesellschaften auch. Aufgrund unserer zentralen Stellung in der globalisierten Weltwirtschaft haben wir auch eine besondere Verantwortung zur dauerhaften Erhaltung dieser Lebensgrundlagen. Nur wenn es uns gelingt, nachhaltiges Wirtschaften weltweit zum handlungsleitenden Prinzip zu machen – zuerst in den großen und aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens, Amerikas und bald schon Afrikas –, nur dann werden wir auch in Zukunft ein Recht auf Wohlstand formulieren können.

Die größte Herausforderung wird dabei sein, die gleichermaßen berechtigten Versorgungs- und Konsumerwartungen einer rapide wachsenden Weltbevölkerung vom Verbrauch fossiler und anderer natürlicher Rohstoffe zu entkoppeln. Entscheidend ist dabei das Bewusstsein, dass wir in einer Welt der endlichen Ressourcen und des begrenzten Raumes Gesellschaftsverträge auf Gegenseitigkeit schließen müssen, um unsere jeweiligen mittel- und langfristigen Interessen miteinander zu versöhnen.

Angesichts dieser großen Herausforderungen richten gerade die aufsteigenden Schwellen- und Entwicklungsländer große Erwartungen an Deutschland. Denn unser Land befindet sich bereits inmitten dieser industriellen Revolution, in der „Green Economy Transformation“. Wir haben uns vom fossilen Zeitalter mental verabschiedet und wichtige Wegmarken identifiziert, an denen entlang wir uns in den kommenden Jahren fortbewegen wollen. So ist die Energiewende weit mehr als eine bloße Kurskorrektur. Sie ist ein Pfadwechsel. Das erklärt auch ihre enorme internationale Ausstrahlungskraft als vielzitierte „German Energiewende“. Ihr Gelingen ist der Schlüssel für einen erfolgreichen Umbau hin zu grünen Volkswirtschaften – hierzulande wie auch weltweit.

Nachhaltigkeit als deutsche Marke

Die Welt in Richtung Nachhaltigkeit zu verändern, sämtliche Gesellschaften und Volkswirtschaften so umzubauen, dass sie nicht mehr verbrauchen als nachwächst – das ist die existenzielle Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Von ihr hängt nicht nur unser eigenes Wohlergehen, sondern die Zukunft aller ab.

Doch trotz des inflationären Gebrauchs des Begriffs „Nachhaltigkeit“ stehen wir erst ganz am Anfang eines ressourceneffizienten, kreislaufwirtschaftlichen und CO2-neutralen Umbaus der globalen Wertschöpfungs­ketten. Und dennoch: Seit dem Waldsterben in den achtziger Jahren, den Katastrophen von Sandoz, Tschernobyl und Fukushima haben wir in Deutschland beim Umweltschutz und im nachhaltigen Ressourcenmanagement große Fortschritte erzielt: Kreislauf- und Abfallwirtschaft, Gewässer-, Wald- und Klimaschutz, Sanierung von agrarischen Nutzflächen, jetzt die Energiewende.

Doch das genügt nicht. Unsere Erfahrungen und Fortschritte wirken sich nur dann aus, wenn wir sie weltweit verankern. Denn Effizienzgewinne hierzulande und beispielhaftes Tun bleiben im globalen ökologischen Gleichgewicht fast folgenlos. Die Zukunft der Biosphäre – und damit die Verfügbarkeit von Rohstoffen – wird in den bevölkerungsstarken und sich wirtschaftlich rapide entwickelnden Volkswirtschaften des globalen Südens entschieden.

Um davon einen Eindruck zu vermitteln: Allein in China gehen Woche für Woche zwei neue Kohlekraftwerke ans Netz, wird alle zwei Jahre städtischer Wohnraum geschaffen, der dem gesamten Wohnungsbaubestand Deutschlands entspricht, wächst eine konsumhungrige, 300 Mil­lionen Menschen starke Mittelschicht heran, die westlichen Konsumidealen nacheifert. Ähnlich dynamisch werden sich bald andere Länder entwickeln – Indien, Nigeria, Indonesien, um nur die größten zu nennen.

In diesen Wachstumszentren werden beinahe täglich grundlegende Richtungsentscheidungen getroffen: Für neue Kohlekraftwerke oder den Ausbau erneuerbarer Energien; für die Einführung kreislaufwirtschaftlicher Grundlagen oder eine achtlose Erhöhung der Industrieproduktion mit immer größerem Verbrauch natürlicher Ressourcen; für die Einführung des Verursacherprinzips bei der Nutzung öffentlicher Güter oder die kollektive Ausbeutung der Allmende mit einer Lastenverschiebung auf künftige Generationen. Und weil wir auf Waren- und Rohstofflieferungen aus diesen Ländern angewiesen sind, beeinflusst uns die Entwicklung anderer Gesellschaften weit stärker, als uns lieb sein mag – und wir uns in den vergangenen Jahren bewusst gemacht haben.

Wie einst in Deutschland erkaufen sich diese Wachstumsgesellschaften der südlichen Erdhalbkugel ihren wirtschaftlichen Aufstieg mit der Zerstörung jener natürlichen Grundlagen, die diesen Aufschwung ermöglichen. Doch was lange nur für die Wasserversorgung zu gelten schien, trifft mittlerweile für sämtliche irdischen Ressourcen zu: Am Ende des Tages leben wir alle stromabwärts.

Es hat hierzulande Jahrzehnte gedauert, ehe wir dieser Einsicht nachgegeben und verstanden haben, dass man seinen natürlichen Lebensraum aktiv erhalten muss. Deshalb ist in Deutschland das Prinzip der Nachhaltigkeit zum politischen Leitmotiv geworden. Gewiss, auch hierzulande stehen wir noch am Anfang; die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Energiewende zeigen, was es bedeutet, eine der größten Volkswirtschaften der Welt unter Volllast zu werden.

Stellen wir uns aber jetzt entschlossen dieser Aufgabe und übernehmen zugleich beim globalen Umbau der Volkswirtschaften zu grünen Ökonomien eine Führungsrolle, dann nützt uns das selbst am meisten. Zugleich wäre dies ein bedeutender Beitrag, um die Welt zu stabilisieren, die sonst unweigerlich in Ressourcenkonflikte und Verteilungskämpfe schlitterte. Der Klimawandel und andere globale Entwicklungen werden diese noch befeuern.

Die Schlussfolgerung aus alledem kann nur lauten: Wenn die langfristige Verfügbarkeit endlicher natürlicher Ressourcen die Grundvoraussetzung für die Erhaltung nicht nur unseres Gesellschaftsmodells ist, sondern für die weltweite Entwicklungs- und Zukunftsfähigkeit schlechthin, dann muss Nachhaltigkeit zum Leitmotiv all unseres Handelns werden – hierzulande wie auch in unserer internationalen Zusammenarbeit.

Mehr Gestaltungswillen aufbringen

Die Krim-Krise hat uns nicht nur unsere Rohstoffabhängigkeit erneut vor Augen geführt, sondern auch eine alte Binsenweisheit in Erinnerung gerufen: Deutschland hat weder die finanziellen noch die wirtschaftlichen und schon gar nicht die militärischen Mittel, um seine Interessen in der Welt durchzusetzen. Ganz abgesehen davon, dass sich unser Land nach 1945 einem friedlichen Interessenausgleich verschrieben hat.

Deutschland kann auf Dauer also nur durch Kooperation und einen gerechten Interessenausgleich zu Frieden und Stabilität in der Welt beitragen – und seinen eigenen Anliegen Gehör und Geltung verschaffen. Schon aus wohlverstandenem Eigennutz sollte Deutschland in der internationalen Politik also mehr Gestaltungswillen aufbringen als bisher. Dabei geht es in erster Linie um offene Weltmärkte und Freihandel, den Zugang zu natürlichen Ressourcen und ihre langfristige Verfügbarkeit, um rechtsstaatliche Ordnung und die Wahrung der Menschenrechte.

Dabei leben wir in einer Welt des Umbruchs. Was jahrzehntelang für Deutschland und die Welt als ein angemessener Beitrag zu internationaler Sicherheit und wirtschaftlicher Entwicklung erschien, ist heute nicht länger hinreichend. Denn die alte Ordnung geht allmählich in eine neue über. Bipolare Hegemonie ist dem Polyzentrismus gewichen. Politik und Diplomatie werden durch rund 100 000 transnationale Konzerne, 50 000 global agierende Nichtregierungsorganisationen, weltweit tätige Stiftungen, gesellschaftsübergreifende Kommunikationsnetzwerke, Terrororganisationen und mächtige, weil milliardenschwere Privatiers herausgefordert.

Aus dem Wechselspiel der Mächte und Einflussgruppen wird allmählich deutlich, dass es die eine Weltordnung nicht geben wird. Wir werden es in Zukunft vielmehr mit einer noch komplexeren Welt zu tun haben, deren Protagonisten ihre jeweiligen Vorstellungen durchzusetzen suchen. Wir Deutschen haben die Wahl: Entweder gestalten wir diese Welt nach unseren Werten, Vorstellungen und Interessen aktiv mit, oder aber wir sind es, die gestaltet werden.

Auch ausländische Beobachter fordern heute deutlich eine aktivere Rolle Deutschlands in der Welt ein. Der Tenor lautet stets: Deutschland soll seine liebgewonnene Zurückhaltung aufgeben und sich stärker an der Lösung globaler Zukunftsfragen beteiligen. Angesichts sich häufender internationaler Krisen, amerikanischer Überforderung, europäischer Schwäche und deutschen Zauderns werden die Forderungen bestimmter: Ob US-Präsident Barack Obama („Nicht der Versuchung erliegen, sich nach innen zu wenden“), UN-Generalsekretär Ban Ki-moon („Die internationale ­Gemeinschaft erwartet, dass Deutschland eine größere Rolle spielt“) oder der polnische Außenminister, Ra­dosław Sikorski („Weniger Angst vor deutscher Macht als vor deutscher Untätigkeit“) – die Aussagen ähneln sich und zeigen umso deutlicher, dass wir dem Thema nicht länger ausweichen können. In der Essenz bedeutet dies: Deutschland sollte endlich Verantwortung für jene Sicherheit, Stabilität und globale Ordnung übernehmen, die es dem Land in den zurückliegenden Jahrzehnten ermöglicht haben, seinen Wohlstand zu mehren und seine internationale Bedeutung wiederzuerlangen.

Dieser Befund deckt sich auch mit den Ergebnissen einer Studie, die die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in fast zwei Dutzend Ländern auf allen Erdteilen durchgeführt und dafür mehr als 120 Politiker, Künstler, Unternehmer und Wissenschaftler befragt hat. Mit wenigen Ausnahmen sahen die meisten Befragten Deutschland als potenzielle (grüne) Gestaltungsmacht, die ihre Rolle aufgrund ihrer Geschichte noch nicht gefunden hat. „Zieht die größeren Schuhe an, sie werden Euch passen!“, formulierte es ein amerikanischer Politikberater treffend.

Doch wie könnte eine verantwortungsbewusste, gestaltende Rolle Deutschlands in der Welt aussehen? Wo können wir angesichts eingeschränkter Möglichkeiten und begrenzten politischen Einflusses legitim und dauerhaft Verantwortung übernehmen, die Welt mitgestalten? Und wo überlappen unsere vitalen Interessen mit den Anforderungen der Weltgemeinschaft an unser Land, sodass der notwendige gesellschaftliche Konsens für ein dauerhaftes internationales Engagement mobilisiert werden kann?

Deutschlands Schlüsselposition

Man kann es kurz fassen: Deutschland befindet sich in einer Schlüsselposi­tion. Einerseits sind wir in hohem Maße von natürlichen Ressourcen abhängig und wesentlich an der Ausbeutung unseres Planeten beteiligt. Andererseits verfügt unser Land über den wohl leistungsfähigsten grünen Industriekomplex der Welt und über eine exzellente inter­nationale Reputa­tion.
Weil wohlverstandener Eigennutz und das Prinzip Verantwortung unserer Politik als Leitsätze dienen, wird die nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen eine unserer Kernkompetenzen werden müssen. Wir haben die notwendige gesellschaftliche Grundhaltung und den politischen Willen, um eine solche Führungsrolle übernehmen und ausfüllen zu können – schon weil unser Außenhandeln nicht auf anderen Prinzipien beruhen kann als unsere Innenpolitik.

Doch hierzu bedarf es zunächst eines gesellschaftlichen Diskurses in Deutschland. Es muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass Nachhaltigkeit keine leere Worthülse ist, kein Modetrend, auch keine „Öko-Diktatur“, sondern dass es bei Lichte betrachtet kaum Alternativen dazu gibt. Deshalb sollte Nachhaltigkeit zur deutschen „Premium-Marke“ werden.

Um international bei der „Green Economy Transformation“ eine tragende Rolle spielen zu können, bedarf es hierzulande der Erkenntnis, dass Deutschland ein eigenständiger Akteur, Ideengeber und Machtfaktor in den internationalen Beziehungen ist. Sich weiterhin hinter der eigenen Geschichte zu verstecken, würde weder unserer internationalen Bedeutung, den Erwartungen der Welt noch unseren eigenen Anliegen gerecht.

Die gute Nachricht ist: Wir sind dafür, nicht trotz, sondern wegen unserer historischen Erfahrung gut gerüstet. Deutschland hegt keinerlei hegemoniale Ansprüche und ist durch seine Mitgliedschaft in rund 200 internationalen Organisationen tief eingebettet in die globale Ordnung. Dass es kooperieren, vermitteln und Kompromisse finden kann, ohne die Muskeln spielen zu lassen, nicht zuletzt im Verhältnis zu seinen unmittelbaren Nachbarn, hat Deutschland oft bewiesen – günstige Voraussetzungen für eine verantwortungsvollere Rolle in der Welt, in der es mehr denn je darum geht, einen gerechten und sinnvollen Ausgleich zu schaffen. Jetzt kann Deutschland seine lang eingeübte Zurückhaltung ummünzen und als Soft Power Eigenschaften aktiv in die internationale Politik einbringen – zum eigenen Nutzen, zum Vorteil anderer und zur Bewahrung der irdischen Lebensgrundlagen.

Deutschland verfügt über eine breite Palette nichtmilitärischer, aber wirksamer Instrumente, von denen wir noch zu wenig Gebrauch machen. Unsere Entwicklungszusammenarbeit in derzeit 130 Ländern der Welt ist hierfür ein geeigneter Ausgangspunkt. In der Entwicklungspolitik gibt es hoffnungsvolle Ansätze, die bisweilen künstliche Trennung von Außen-, Sicherheits-, Wirtschafts-, Umwelt- und Sozialpolitik zu überwinden und durch ein umfassendes Politikverständnis zu ersetzen.

Zukünftig werden diese Handlungsfelder noch enger miteinander verschränkt und zum Teil integriert sein, denn Sicherheit begreift man inzwischen breiter als „Human Secu­rity“ und Entwicklung umfassend als „nachhaltige Entwicklung“. Wenn heute Soldaten und Polizisten entsandt werden, um im Ausland den Staatsaufbau zu flankieren, und wenn Entwicklungsexperten tätig sind, um Staaten und ganze Regionen beim Wassermanagement zu unterstützen, was das Überleben von Millionen Menschen sichert, dann ist eine trennscharfe Abgrenzung von Politikfeldern nicht länger zielführend.

Das gilt auch für die Trennung von Innen- und Außenpolitik. Tatsächlich dürfte es zutreffen, dass äußere Einflüsse heute unser innenpolitisches Handeln weitaus stärker bestimmen als umgekehrt. Globale Entwicklungen und ihre innenpolitischen Folgen wieder stärker ins Bewusstsein und in die öffentliche Debatte zu rücken, diente nicht nur unserem Gemeinwohl, sondern würde auch einen starken Impuls zur Beantwortung globaler Zukunftsfragen setzen. Eine nach zeitgemäßen Kriterien fortentwickelte Politik der internationalen Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung kann dazu einen bedeutenden Beitrag leisten. Im Kern geht es um die Fortentwicklung deutscher Entwicklungspolitik und einer engeren Verschränkung mit der Außen- und ­Sicherheitspolitik unseres Landes.

Im Rahmen der Europäischen Union haben wir dieses Prinzip längst verinnerlicht. Seit Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl bündeln wir unsere vitalen Interessen durch eine immer weiter fortschreitende Integration unserer Gesellschaften und Politikfelder. Wenn es uns gelingt, dieses handlungsleitende Prinzip der Integration externer Bedrohungen in unseren Beziehungen mit der Welt zu übertragen, haben wir eine gute Chance, um auch in Zukunft in Wohlstand, Frieden und Stabilität zu leben.

In unseren Nachbarregionen sollten wir beginnen: Im Mittelmeerraum, in Osteuropa, im Kaukasus und in Zentralasien. Dort sollten wir die „Green Economy Transformation“ mit Ernsthaftigkeit, Entschlossenheit und Verlässlichkeit zur Reife bringen – im Verbund mit Gleichgesinnten, im Schulterschluss mit unseren Partnern und letztlich mit globalem Gestaltungsanspruch: Das wäre eine lohnende weltpolitische Rolle für Deutschland in einem starken Europa.
Wir sollten also noch einmal Maß nehmen – denn hierfür lohnt es, die größeren Schuhe anzuziehen.

Tanja Gönner 
ist Vorstandssprecherin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2014, S. 78-85

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