Große Sprünge
Wachsende Rolle, auch weltweit: Sport und Wirtschaft in den USA
Wenn ein 30-sekündiger Werbespot während der Übertragung eines Sportereignisses 3,8 Millionen Dollar kostet, eine Sportliga allein neun Milliarden Dollar pro Jahr umsetzt und der gesamte Wirtschaftszweig fast drei Prozent des BIP erwirtschaftet, dann befinden wir uns in der amerikanischen Sportindustrie. Wohin wird ihr Weg gehen? Eine Analyse.
Jedes Jahr kurz vor dem großen Saisonfinale kursiert in den Vereinigten Staaten eine Zahl, die die besondere Faszination der amerikanischen Bevölkerung und Wirtschaft für den Football auf einen simplen Nenner bringt. Es ist der Betrag, den Unternehmen für 30 Sekunden lange Werbespots während der Liveübertragung des Super Bowl bezahlen müssen.
Die Summe hat sich im Laufe der Zeit massiv vervielfacht. Auch 2013 wird es wieder einen happigen Preisanstieg geben. Diesmal gleich um neun Prozent. Der übertragende Fernsehsender verlangt 3,8 Millionen Dollar. In diesem Posten sind die Produktionskosten selbstverständlich nicht enthalten. Die liegen oft ebenfalls im siebenstelligen Bereich, weil sich die Firmen an diesem Sonntag im Februar stets von ihrer kreativsten und aufwändigsten Seite zeigen möchten. Die Werbetreibenden wollen Eindruck schinden, koste es, was es wolle. Was zumindest theoretisch durchaus gelingen kann.
Mehr als 100 Millionen Amerikaner schalten ein, um das Vorprogramm, das Spiel und die aufwändige Halbzeitmusikshow zu sehen. Darunter nicht wenige, die sich hauptsächlich für die neuesten Werbespots interessieren, die nicht selten mehr Gesprächsstoff liefern als die Akteure auf dem grünen Rasen. Manche Werbespots wurden denn auch berühmt: Etwa die Big-Brother-Szenerie des Computerherstellers Apple im Jahr 1984. Oder der Auftritt des Schauspielers und Regisseurs Clint Eastwood 2012 auf Rechnung von Chrysler, bei dem er die Wiederbelebung der amerikanischen Autoindustrie und der Stadt Detroit thematisierte.
Der Super Bowl ist eine relativ späte Erfindung in der Geschichte des amerikanischen Profisports, der Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist, als sich in den Großstädten im Nordosten zwei wirtschaftlich stabile Baseball-Ligen formierten: die American League und die National League. Es ist eine auf vielerlei Weise aufgeladene und gehypte Idee, die schon mit ihrer Zählweise an ein Gladiatoren-Theater der Antike erinnert. Jeder Super Bowl hat eine laufende Nummer – geschrieben in römischen Ziffern.
Laizistisches Hochamt
Allerdings dürften die Initiatoren Ende der sechziger Jahre kaum damit gerechnet haben, was sie mit diesem Match zweier Mannschaften zum Ende der Saison in einem ausverkauften Stadion alles auslösen würden. Genauso wie die stetige Expansion der Sportindustrie in den USA kaum vorhersehbar war.
Denn entlang der Trendlinie der vergangenen 50 Jahre hat sich vieles parallel entwickelt und gegenseitig verstärkt. Synergien nennt man das wohl. Zu nennen wären da unter anderem: Der Aufstieg von Football zur Nationalsportart Nummer eins, noch vor Baseball; das Engagement des kommerziellen Fernsehens, das das knochenharte Spiel mit mehr als 30 Kameras einfängt und mit Hilfe computertechnischer Gestaltungselemente für die Uneingeweihten verständlich macht; die Ausdehnung der Liga auf 32 Klubs in 31 Städten, die eine flächendeckende Vermarktung und eine regionale Identifizierung ermöglicht; die Bereitschaft großer US-Firmen, an diese Strukturen ihre Markennamen anzuheften, und zum Beispiel die Namensrechte von Stadien zu erwerben – zum Preis von 20 Millionen Dollar pro Jahr; und nicht zuletzt die Fähigkeit der National Football League (NFL), den Super Bowl jedes Jahr zum laizistischen Hochamt hochzukitzeln.
Um den Stellenwert zu belegen, den die NFL in der amerikanischen Gesellschaft genießt, genügt es, eine Zahl zu nennen: Die NFL macht neun Milliarden Dollar Umsatz im Jahr, den größten Teil davon durch den Verkauf von Fernsehrechten. Keine andere Sportorganisation auf der Welt setzt mehr Geld um. Nicht die britische Premier League, nicht das Internationale Olympische Komitee. Die National Football League mit ihrem Super Bowl ist so etwas wie das markanteste Ausstellungsstück einer Entwicklung, deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung mit ihrem wachsenden Stellenwert in der Alltagskultur einhergeht.
Wie stark, zeigt eine Zahl, die die texanische Firma Plunkett Research ermittelt hat. Sie schätzt den Leistungsanteil der Sportindustrie an der gesamten US-Wirtschaft (rund 15 Billionen Dollar pro Jahr) auf zwischen 400 und 425 Milliarden Dollar. Das entspricht einem Anteil von fast drei Prozent. Zum Vergleich: Die Filmindustrie erwirtschaftet 175 Milliarden Dollar. Die gesamte so genannte Copyright-Industrie (inklusive Softwareentwicklung, Videospiele, Filme, Bücher, Musik und Fernsehen) kommt auf 931 Milliarden Dollar, was 6,4 Prozent des gesamten volkswirtschaftlichen Ausstoßes entspricht.
Insgesamt betrachtet machen die 23 Milliarden Dollar, die die großen Ligen in den populären Sportarten Football, Baseball, Basketball und Eishockey generieren, jedoch nur einen kleinen Teil der Summe für den Sport aus. Zum sehr viel bedeutenderen Rest gehören die Umsätze der Sportartikelindustrie mit ihren weltweit agierenden Marken wie etwa Nike (40 Milliarden Dollar). Aber auch die Sportabteilungen der großen Universitäten, wo Trainer mehr als zwei Millionen Dollar pro Saison verdienen und echte Superstars sind. Die Studenten, die für die Coaches die Knochen hinhalten, bekommen übrigens kein Geld, sondern nur ein Stipendium.
Einen noch größeren Anteil macht der Freizeitsport aus. So schafft allein der Unterhalt von Golfplätzen in den 50 Bundesstaaten Arbeitsplätze für über 300 000 Menschen. In den Skigebieten in den Rocky Mountains, in Vermont und New Hampshire sind 36 000 Amerikaner saisonal beschäftigt. Nicht zu vergessen die Fitness-Center landauf landab, die fast eine halbe Million Angestellte auf der Gehaltsliste haben, die sich um eine Kundenschar von insgesamt rund 50 Millionen Menschen kümmern.
Kein Wunder, dass angesichts eines solchen weitreichenden Aktionsradius die von den amerikanischen Finanzmärkten ausgelöste internationale Rezession auch Auswirkungen auf den Sportbereich hatte, wie Plunkett Research in ihrer Untersuchung schreibt.
„Profimannschaften mussten erleben, dass der Eintrittskartenverkauf zurückging. Die Umsätze der Sportartikelhersteller sanken. Das Geschäft mit Sportwetten ging zurück.“ Ligen wie die NFL und NBA entließen eine Reihe von Angestellten, um die Ausgaben zu senken.
Die jüngsten Tarifauseinandersetzungen im Football und im Basketball, während denen die gewerkschaftlich organisierten Spieler ausgesperrt wurden, spiegelten zu einem Teil den Kostendruck wider, den die Konjunkturflaute gebracht hat. Sie zeigten aber auch, dass die Profis nach Jahren ständiger monetärer Verbesserungen gegen eine selbstbewusste Schar von Clubeigentümern machtlos sind, die Zugeständnisse einfordern statt sie zu machen. Dieses Kräftespiel ist Teil eines ureigenen amerikanischen Systems, das im Verlauf von mehr als 100 Jahren herangereift ist. Die Professionalisierung begann einst mit zwei Baseball-Ligen im Nordosten der Vereinigten Staaten und expandierte im Laufe der Zeit in alle Richtungen. Und das in vielfacher Hinsicht. Sie erfasste nach und nach eine Reihe von Sportarten und dehnte sich nach dem Zweiten Weltkrieg auch geografisch aus: Richtung Westen über den Mississippi hinweg, der in der Zeit der Eisenbahn eine Demarkationslinie war.
Abenteuer ohne Happy End
Nachdem die populären Ligen den Kontinent flächendeckend im Griff hatten und auf dem Weg dahin sogar die Wintersportart Eishockey in Sonnenstaaten wie Florida und Arizona exportiert hatten, nahm man den Rest der Welt in den Blick. Die Auswirkungen sind sehr unterschiedlich. So hat die National Football League ein mehrjähriges Abenteuer hinter sich, bei dem Millionenverluste aufgehäuft wurden. Es handelte sich um den Versuch, in Europa eine Liga zu etablieren, um die exotische Sportart auch außerhalb der USA zu verankern. Einen Zuschauererfolg verzeichnete man mit der NFL Europe eigentlich nur in Deutschland, wo es gegen Ende des Projekts in Frankfurt, Düsseldorf, Köln, Berlin und Hamburg Mannschaften gab. Das Personal bestand hauptsächlich aus amerikanischen Spielern, denen das Zeug für einen Stammplatz in der NFL fehlte. So kamen in Frankfurt zu den Galaxy in der letzten Saison mehr als 30 000 Zuschauer pro Spiel.
Trotz der Pleite träumt die Liga von einer Präsenz auf der anderen Seite des Atlantik. Und so fliegen seit 2005 in jeder Saison zwei Mannschaften zu einem regulären Punktspiel nach London. Alles weitere steht in den Sternen. Und auch die National Basketball Association (NBA), die sich 1992 bei den Olympischen Spielen mit dem „Dream Team“ von einer magischen Seite gezeigt hatte, wird nicht so schnell den Sprung in ferne Kontinente wagen. Und das, obwohl ihr Anteil von ausländischen Profis bei rund 20 Prozent liegt.
Die ganz große Erfolgsgeschichte des amerikanischen Sports aber hat wenig mit sportlichem Wettkampf zu tun. Sie wurde von der Firma Nike geschrieben, die in den siebziger Jahren in sehr bescheidenem Rahmen angefangen hatte. Zu ihren Innovationen gehören die ideologische Aufladung von professionellem Sport als Identifikationsobjekt und die Inszenierung von Figuren wie Michael Jordan, Tiger Woods und Lance Armstrong als Idole für eine Mittelklassekonsumentenschicht, denen die Vorbilder aus anderen gesellschaftlichen Zonen abgehandengekommen sind. Das Nike-Logo, das wie eine schlichte Schwinge aussieht, wurde zu einem der berühmtesten Markenzeichen in der an Botschaften und Emblemen übersäten Konsumwelt. Er ist das Identifikationssymbol der globalen Fitnessgesellschaft und der Eroberung riesiger außeramerikanischer Märkte durch eine unersättliche amerikanische Firma.
Nach Europa hat man nun China im Visier und demnächst Indien – mit Hilfe von Sportlern wie den Basketballern Kobe Bryant und LeBron James. Ihre „Niketowns”, eine Kette von Warenhäusern, die mit ihren elektronischen Darbietungen und ihren Vitrinen mit abgewetzten Athletenschuhen wie moderne Sportmuseen aussehen, wirken wie Paläste für den von Firmengründer Phil Knight ausgegebenen „aristotelischen Idealismus“. Wie Orte, an denen profane Freizeitkleidung und Sportartikel mehr sind als Gebrauchsgegenstände. Sie verkörpern eine narzisstische Dimension: die „Integrität im Zusammenhang mit Produkten und Versprechungen“ (so hat es Knight einmal beschrieben).
Nikes Umsätze liegen mittlerweile bei 20 Milliarden Dollar im Jahr. Das Unternehmen beschäftigt weltweit mehr als 30 000 Menschen – und zu denen gehören noch nicht die Tausenden von Arbeitskräften, die in Billiglohnländern die Produkte herstellen, die in den Hochlohnländern für gutes Geld umgeschlagen werden. Die Sportartikelbranche ist ein schwieriges Geschäft, was unter anderem an den modischen Launen der Verbraucher liegt, aber auch an den Eskapaden von Sportlern, die als Werbefiguren eingekauft werden.
Von solchen Risiken ist ein weiterer Riese aus dem Sportsegment weitestgehend verschont. Der Spartenfernsehsender ESPN, der einst als obskure Idee entstand, um das damals neue Kabel-TV-Netz mit Livebildern aus dem Sport zu füttern, hat sich innerhalb von 30 Jahren zu einem formidablen Profitcenter für die Konzernmutter, den Disney-Konzern, entwickelt. Während der größte Teil der Wirtschaftskraft auf einem ständig wachsenden Angebot an Fernsehkanälen beruht, hat es ESPN durchaus verstanden, sich auch anderswo zu etablieren – sei es im Radio, im Printsektor oder im Internet. Der „Worldwide Leader in Sports“ expandiert schon seit einer Weile auch in andere Länder und liebäugelte bereits mit dem Erwerb der Bundesligarechte, um auf diese Weise auch in Deutschland einen Fuß in die Tür zu bekommen. Der Ausbau der Aktivitäten geschieht jedoch eher bedächtig. Trotz beachtlicher Gewinne von fast einer Milliarde Dollar, die allesamt fast unauffällig in der Bilanz der Disney-Aktiengesellschaft verschwinden.
Durch ihre Erfolge sind Firmen wie ESPN und Nike zu so etwas wie Kulturbotschafter des internationalen Sports geworden, die auf eine entschlossene Weise Entwicklungen vorantreiben, von denen vor allem die klassischen amerikanischen Sportarten wie Football und Basketball profitieren. Auch die Hinwendung zu den so genannten Extremsportarten entsprang einer amerikanischen Keimzelle, der sich ESPN mit den „X Games“ als Starthelfer andiente. Die „X Games“ kommen 2013 nach München. Die Ausdehnung ist ein Beleg für den Einfluss und die Durchschlagskraft der amerikanischen Sportindustrie und einer amerikanischen Idee vom Sport. In ihr zählen vor allem die Sieger. Wer nur Zweiter wird, gehört zu den Verlierern.
JÜRGEN KALWA lebt seit 1989 in New York und berichtet für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und den Zürcher Tagesanzeiger über Sportthemen.
IP Länderporträt 2, Juli/ August 2012, S. 73-77