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01. Juli 2013

Große Chancen, kleine Hürden

LVI-Vorstand Wolfgang Wolf über die Interessen des Mittelstands

Für mittelständische Unternehmen ist es sehr wichtig, ein funktionierendes Umfeld vorzufinden, in dem sie langfristig produzieren können. Deshalb ist Brasilien auch so interessant für Mittelständler, denn hier herrscht Rechtssicherheit, der Patentschutz wird respektiert, und durch gemeinsame Ausbildungsinitiativen stehen geeignete Mitarbeiter zur Verfügung.

IP: Was macht Brasilien attraktiv für mittelständische Unternehmen?

Wolfgang Wolf: Brasilien ist ein riesiger Markt für deutsche Unternehmen, die ja schon seit vielen Jahren in dem Land präsent sind, vor allem die Automobilindustrie und somit auch die Automobilzulieferer. Um die Autoindustrie hat sich auch eine Luftfahrtindustrie mit entsprechenden Zulieferbereichen etabliert, insbesondere um São Paolo. Im Bundesstaat Paraná hat sich bereits eine ganze Reihe mittelständischer Unternehmen aus Baden-Württemberg angesiedelt, darunter ein Netzwerk für die Holzverarbeitung, das auch die duale Berufsausbildung anbietet. Dieses Zentrum hat sich mit unserer Unterstützung zu einem Umweltzentrum weiterentwickelt. Und im Bundesstaat Santa Catarina haben wir ein erstes Projekt zur Ressourceneffizienz (REEF) durchgeführt – finanziert mit Unterstützung der Deutschen Investitions- und Entwicklungs-gesellschaft mbH (DEG) aus Mitteln des BMZ zur Entwicklungszusammen-arbeit. Hier setzen wir ganz stark auf die Zusammenarbeit mit dem SENAI, der bei den Industrieverbänden angesiedelten Einrichtung für die Aus-, Fort- und Weiterbildung, die in Brasilien für alle die Berufsausbildung betreffenden Bereiche bis hin zur Hochschulbildung zuständig ist. Der SENAI versucht beispielsweise auch, unsere duale Ausbildung umzusetzen.

IP: Umweltthemen sind also relevant?

Wolf: Ja, wir wollen versuchen, die Thematik Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und umweltschonende Verfahren in und mit brasilianischen Unternehmen zu testen und durchzuführen – natürlich auch mit dem Ziel, unsere Technologie in Brasilien einzuführen. Das REEF-Projekt, an dem zehn brasilianische Unternehmen beteiligt waren, war ein Pilotprojekt, das im vergangenen Jahr abgeschlossen werden konnte. In Santa Catarina sind vornehmlich die Textil- und metallverarbeitende Industrie angesiedelt, die insbesondere Wasser- und Reststoffprobleme haben, aber auch verstärkt in Technologien zur Reinhaltung der Luft und zur Steigerung der Energieeffizienz investieren müssen. Unser Projekt hat ein hohes Potenzial an Einsparmöglichkeiten aufgezeigt. Wir wollen versuchen, mit den brasilianischen Kollegen des Industrieverbands und des SENAI nicht nur „nachgeschaltete“ Umwelttechnologien einzusetzen, sondern vor allem die Prozesse in der Produktion zu verbessern. Das wird in enger Zusammenarbeit mit Hochschulen stattfinden. So hat die Universität Stuttgart in Santa Catarina einen Masterstudiengang Umwelttechnik aufgebaut – viele der Absolventen nehmen dann auch in brasilianischen Unternehmen entsprechende Funktionen in der Produktion und im Umweltmanagement wahr. Die Fachkräfte, die in Deutschland ein Praktikum oder auch ihre Abschlussarbeit ableisten, kehren in aller Regel wieder nach Brasilien zurück. Dass sie natürlich dann auch für deutsche Unternehmen zur Verfügung stehen, kann für alle ausländischen Engagements, vor allem mittelständischer Unternehmen bedeutsam sein. Die großen Unternehmen bringen ja eigene Ressourcen mit und können eine eigene Infrastruktur aufbauen. Die Mittelständler sind auf ein bestehendes, funktionierendes Umfeld angewiesen. 

IP: Wo sehen Sie das größte Potenzial?

Wolf: Brasilien ist über Produktionstechnik gewachsen, es stehen also geeignetere Produktionsbedingungen zur Verfügung. Außerdem hat das Land auch in Infrastruktur, in die Zusammenarbeit von Industrie und Hochschulen und in den Aufbau von Clustern investiert. Im Bereich Klima, Umwelt und Energie sehe ich, zumindest in einigen Regionen Brasiliens, eine große Aufgeschlossenheit und Wachstumspotenzial. Außerdem besteht auch Potenzial in den Querschnittstechnologiebereichen, die wiederum für die Industriestruktur in Brasilien passend sind, also das ganze Thema Luft- und Raumfahrt, das ja ganz stark in den Automobilbereich, den Maschinenbau, die Elektrotechnik, den Softwarebereich hineingreift, oder auch das Thema neue Werkstoffe. Das hat sicherlich viel damit zu tun, dass dort Industriestrukturen aufgebaut worden sind. Wir müssen zwischen „nachgeschaltetem“ infrastrukturellen und dem integrierten Umweltschutz unterscheiden. Auch in Deutschland haben wir damit angefangen, umweltbelastende Produktionen durch „nachgeschaltete“ Anlagen zu verbessern. Viel wichtiger und der Wettbewerbsfähigkeit der -Unternehmen dienlicher war aber die Implementierung von Umweltschutzmaßnahmen direkt in die Prozesse. Mit jeder Maschine, die in Deutschland produziert und in Brasilien eingesetzt wird oder die in Brasilien mit deutschen Standards gebaut wird, erreicht man verbesserte Umwelt-situa-tionen und eine generell verbesserte Effizienz. Solch eine Investition wird nicht unbedingt unter Umweltaspekten realisiert, sondern zunächst einmal, um Prozesse zu verbessern und produktiver zu werden. Aber als -„Nebeneffekt“ wird damit auch die Umwelt geschont. Und das ist eigentlich die große Stärke der deutschen Industrie, die ständig Prozess-innovationen kreiert.

IP: Experten warnen vor protektionistischen Tendenzen … 

Wolf: Brasilien ist Austragungsort der  Fußballweltmeisterschaft und der Olympischen Spiele, man hat Erdöl gefunden und das Land weist seit zehn Jahren  Wachstumsraten auf, die eine Emerging Markets-Entwicklung zeigen – es ist sich seiner Stärke bewusst. Und es gibt Tendenzen, den eigenen Markt abzuschotten und sich selbst genug sein zu wollen. Welche Seite – die brasilianische oder die deutsche – dafür nun die Verantwortung trägt, lässt sich nicht genau sagen. Aber es gibt kein Doppelbesteuerungsabkommen, keine Möglichkeiten, Gewinne von dort zu transferieren, dafür aber Einfuhrzölle. Das alles ist vor allem für mittelständische Unternehmen abschreckend. Wenn Brasilien, wie es vor zwei Jahren bei den deutsch-brasilianischen Wirtschaftstagen in Rio besprochen wurde, tatsächlich einen stärkeren Mittelstand aufbauen will – und daran haben wir durchaus Interesse, denn so entstehen ganz andere strukturelle Marktgegebenheiten –, dann muss es diesem Hang zu einem neuen Protektionismus widerstehen. Neuerdings sollen sogar selbst in Brasilien ansässige deutsche Unternehmen einen Einfuhrzoll aufgebürdet bekommen, wenn sie sich von Deutschland oder Europa Rohstoffe zuliefern lassen müssen. Das ist ein Unding. Die brasilianische Seite müsste zumindest solche Bedingungen schaffen, als handle es sich dabei um ein brasilianisches Unternehmen. Es war schon immer ein Irrglaube, man könne durch Schutzzäune eigene Unternehmen schützen. 

Am Ende wird sich Brasilien selbst schaden, denn die Treiber für Innova-tion, Wachstum und Beschäftigung sind mittelständische Unternehmen. Man darf auch nicht vergessen, was sich um Brasilien herum abspielt. Inzwischen gehen unsere Unternehmen auch nach Mexiko, da sie dem Land eine strategische Position zwischen den USA und Brasilien zuschreiben. Mexiko hat stark aufgeholt und weist heute schon gute Bedingungen auf, die im Bereich Wachstums- und Ausbildungspotenziale noch deutlich besser werden können. Auch Märk-te wie Kolumbien oder Chile sind interessant. Wenn der Mittelstand in Brasilien nicht auch eine Basis findet, wird es keine nachhaltige Entwicklung geben.

IP: Welche Faktoren spielen neben einer guten Infrastruktur ebenfalls eine Rolle für ein Engagement mittelständischer Unternehmen?

Wolf: Eine gewisse kulturelle Verbundenheit ist wichtig – und als oberstes Prinzip ganz eindeutig Rechtssicherheit. Die politischen Rahmenbedingungen müssen also stimmen. Unser Ordnungskonzept ist das der sozialen Marktwirtschaft. Der Staat hat nach dem Subsidiaritätsprinzip zu handeln. Im Vergleich mit den anderen BRIC-Ländern lässt sich sagen: Russland kämpft mit korruptiven Strukturen, Wachstum wird nicht über marktwirtschaftliche Prozesse generiert, sondern politisch „verordnet“. China weist ein riesiges Wachstums-potenzial auf, aber der gerade für Mittelständler existenziell wichtige Patentschutz ist ein Fremdwort. Hier hat Brasilien einen deutlichen Vorteil. Was die Forschungs- und Hochschullandschaft betrifft, existieren hervorragende Bedingungen. Denn die Arbeitskosten spielen bei den Investitionsentscheidungen zwar eine, aber nicht die entscheidende Rolle. Allein wegen des – nach aller Erfahrung bestehenden – Lohnkostenvorteils Investitionen vorzunehmen, hat sich nur kurzfristig als erfolgreich erwiesen. Aufgrund der Knappheit von hoch qualifizierten Arbeitskräften gerade in Europa, aber auch weltweit, fallen innerhalb von zwei oder drei Jahren dieselben Lohnkosten an wie in den angestammten Bereichen. Eine ganz klar verfasste ethische Grundlage der Arbeit unserer Unternehmen ist auch, dass gerade im Bereich Umwelt- und Sozialstandards überall auf der Welt zu denselben Bedingungen produziert wird wie in Deutschland. Mittelständische Unternehmen treffen im Gegensatz zu einigen DAX-Unternehmen ihre Entscheidungen für Investitionen außerhalb Deutschlands und Europas auch nach Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit. Das dauert gelegentlich etwas länger, aber diese Investments sind in ganz hohem Maß von langfristiger Natur.

IP: Welche Rolle spielen Brasiliens Ölvorkommen?

Wolf: Energieversorgung, Rohstoffe, die großen Erdölvorkommen, aber auch Brasiliens große Potenziale in der Wasserkraft sind äußerst wichtig und schaffen gute Rahmenbedingungen für die Ansiedlung von Unternehmen. Weltweit sinken die Energiepreise, während wir hier in Europa und speziell in Deutschland mit steigenden Preisen zu rechnen haben, was gerade für die energieintensiven Branchen von Bedeutung ist. Die Energiefrage kann ein wichtiges Thema werden. Die Brasilianer werben teilweise im größeren Stil mit günstigen Rahmenbedingungen für Produktionsansiedlungen. Dabei sollten wir nicht nur auf die Direktinvestitionen schauen, denn diese werden meist von größeren Unternehmen getätigt. Wenn wir an mittelständische Strukturen denken, müssen wir alle Möglichkeiten der Markterschließung in Betracht ziehen. Ein Unternehmen schaut sich einen Markt genau an und überlegt, ob er für das eigene Vorhaben interessant ist, ob Kooperationspartner vorhanden sind. Dann überlegt man, ob man vielleicht mit einem Partner zusammengeht. Bei solchen Joint Ventures sind Mittelständler ganz vorsichtig, weil dabei sofort die Sorge aufkommt, zu sehr „umarmt“ zu werden. Die Direktinvestition ist eigentlich nicht die klassische Vorgehensweise eines mittelständischen Unternehmens. Und deshalb wäre es auch hier eine wichtige Empfehlung an die politischen Entscheidungsträger in Brasilien, die Bedingungen noch weiter zu verfeinern, um solche Ko-operations- und Einstiegsmöglichkeiten stärker zu fördern.

Wolfgang Wolf ist Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Landesverbands der Baden-Württembergischen Industrie e.V. (LVI)

 
Bibliografische Angaben

IP Länderporträt Brasilien, Juli/August 2013, S. 50-53

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