Globales Schwarzer-Peter-Spiel
Ökonomie
An die Stelle globaler Wirtschaftskoordination sind wechselseitige Schuldzuweisungen getreten. Produktiver wären echte Koordinierungsgespräche
Ein beliebtes, aber zunehmend kontraindiziertes Motto der internationalen Währungspolitiker aus Notenbanken und Finanzministerien ist: Mache jede Nation ihre Hausaufgaben, dann fügt sich auch für die globale Wirtschaft alles zum Besten.
Ostasiens enorme Währungsreserven, ein Resultat ihrer Koppelung zum US-Dollar, und Chinas wachsende Marktmacht, ein Produkt aus Bevölkerungsgröße und anhaltendem Wachstum, mehren Zweifel an diesem bequemen Motto. An die Stelle globaler Koordination tritt ein globales Schwarzer-Peter-Spiel: Die Amerikaner werfen Europa ihr Wachstumsdefizit vor; die Chinesen den Amerikanern ihr Spardefizit; die Europäer beklagen die „brutale“ Dollarabwertung und die größten Industrieländer (die G-7, zu der China seltsamerweise noch nicht gehört) Ostasiens implizite Dollarbindung.
Früher bekannt als Produzent „billiger“ Waren, produziert China nun auch „billige“ Ersparnisse. Da ein Großteil der Reserven in niedrig verzinste US-Staatsanleihen investiert ist und die USA ein Leistungsbilanzdefizit in Höhe von sechs Prozent ihres Inlandsprodukts aufweisen, gewährt China den Amerikanern gleichsam billige Lieferantenkredite. Die Asiaten, angenommen ihre Kapitalproduktivität übersteigt vier Prozent (dem Zins auf US-Anleihen), vernichten daher Kapital in großem Ausmaß. Auch droht ihnen ein enormer Kapitalverlust, sollten Dollar und US-Anleihen crashen. Das wird von der chinesischen Regierung in Kauf genommen: Die Dollaranbindung soll den Arbeitsmarkt räumen, also den Transfer ungelernter Arbeitskräfte aus dem ländlichen Hinterland in die exportorientierten Städte erleichtern. Wie reibungslos das vonstatten geht, davon hängt die politische Legitimation der chinesischen Regierung ab.
Zwar bilden die USA und Ostasien keinen optimalen Währungsraum, aber einen effektiven Dollarraum. Dieser Dollarraum lebt ganz gut: Hier ist das Weltwachstum zuhause. Dank flexibler Arbeitsmärkte ist der Wechselkurs als Anpassungsvariable weniger vonnöten. In den entwickelten Ländern halten billige Einfuhren und permanenter Lohndruck durch die verlängerten Werkbänke, die von Asiens unbegrenztem Arbeitsangebot Gebrauch machen, die Verbraucherpreise und Geldmarktzinsen in Schach. Das bewirkt zwar eine Inflation der Vermögenspreise, rechtfertigt sie aber auch zum Teil.
Bei dem Februar-Treffen der Finanzminister der G-7 ist man recht leise geblieben hinsichtlich der Forderung an China, seine Währung vom Dollar abzukoppeln. Damit geht die Ansammlung von Fremdwährungsreserven durch die Chinesen weiter. Deren Reserven und Dollaranbindung haben systemische Konsequenzen für das internationale Währungssystem:
1. 1. Die ostasiatischen Nachbarn werden ihre Dollaranbindung – sei sie explizit oder implizit – nicht aufgeben, solange China dies nicht tut. Also häuft ganz Ostasien fleißig weiter Reserven an. Die großen vier Reservenkrösusse sind Japan, China, Taiwan und Korea, mit derzeit mehr als zwei Billionen Dollar. Die Dollarbindung vermeidet Abwertungswettläufe in der Region; der Dollar ist die Vehikelwährung im internationalen Handel und erleichtert somit Asiens Integration in die Weltwirtschaft; gestern bot sie einen Anker gegen Inflation, heute eher gegen Deflation. Die anschwellenden Devisenreserven gewähren einen gewissen Schutz gegen spekulative Währungsattacken, welche Ostasien Ende der neunziger Jahre traumatisiert haben.
2.Asiens Dollaranbindung stützt auch weiterhin den Dollar gegen den Yen und den Euro, solange der Währungsmix der Reserven nicht drastisch verändert wird. Es ist unwahrscheinlich, dass die Chinesen den Dollaranteil in ihren Devisenreserven deutlich herunterfahren werden. Vertraulich geben chinesische Notenbanker zu, dass sie ihre Reserven trotz dieser Risiken vor allem in US-Anleihen investieren – als Verhandlungspfand: der beste Schutz gegen den amerikanischen Druck, den Yuan aufzuwerten und zu floaten. Denn eine Aufwertung der chinesischen Währung würde vor allem die Amerikaner treffen, direkt durch höhere Zinsen und indirekt durch schwächere Aktienkurse, solange die Reserven vornehmlich aus US-Anleihen bestehen.
3.China wird verstärkt versuchen, den durch unsterilisierte Devisenmarktinterventionen bedingten Inflationsdruck durch Auslandsinvestionen und graduelle Liberalisierung von Kapitalausfuhrkontrollen aufzufangen. Es sind daher weiterhin spektakuläre Akquisitionen zu erwarten, wie der 1,75-Milliarden-Dol-lar-Kauf der gesamten PC- und Notebooksparte von IBM durch das chinesische Staatsunternehmen Levono. Amerikanische Politiker machen sich nun Sorgen, dass China vermehrt in den Besitz geheimer Informationen und Technologien gelangt, manche mit militärischen Verwendungen.
4.Chinas Kapitalausfuhren können sogar hier und dort die Zahlungsmoral souveräner Schuldnernationen aushöhlen. Ende 2004 zeichneten die Präsidenten Argentiniens und Chinas Kooperationsverträge, in denen Investitionen in Höhe von 20 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt wurden; danach würden in den kommenden Jahren chinesische Firmen den argentinischen Eisenbahn- und Flugzeugbau entwickeln und Ferienpakete für Reisen in das südamerikanische Land schnüren. Ist es da purer Zufall, dass die „alten“ Gläubiger argentinischer Schulden (in Höhe von 104 Milliarden Dollar) mit Umschuldungen in Höhe von nur 25 Prozent auf den Buchwert ihrer Forderungen abgespeist wurden? Die internationale Währungspolitik wird sich also vermutlich darauf einstellen müssen, ohne Wechselkursflexibilität in Ostasien auszukommen. Das bedeutet: Der Lieferant Asien wird weiter die Vereinigten Staaten mit offizieller Kapitalzufuhr versorgen, die US-Zinsen, die Aktien- und Immobilienpreise, Vermögenseffekte und letztlich den privaten Verbrauch subventionieren. Euroland bleibt der verbliebene Freiheitsgrad im globalen Währungssystem, der Euro ist mit dem amerikanischen Spardefizit fest verknüpft. Vielleicht findet man von gegenseitigen Schuldzuweisungen wieder zu echten Koordinierungsgesprächen. Wetten werden angenommen.
Internationale Politik 4, April 2005, S. 94 - 95.