Gehörnter Ehemann
Der Iran treibt ein doppeltes Spiel. Deutschland nimmt es dröge hin
Deutlicher kann man nicht werden. „Dank der Verhandlungen mit den Europäern“, hatte der iranische Chefunterhändler Hussein Musavian kürzlich in einem TV-Interview zum Nuklearprogramm erklärt, „haben wir ein weiteres Jahr gewonnen, in dem wir die Anlage in Isfahan fertigstellen konnten.“ Diese Verhandlungen hätten den Iran in den Augen der Weltgemeinschaft erst hoffähig gemacht für den Kreis der Staaten mit eigenem Brennstoffkreislauf.
Man sollte meinen, ein solches Eingeständnis würde auf der europäischen Seite des Verhandlungstischs zumindest ein gereiztes Hüsteln hervorrufen. Immerhin hatte man die spärlichen Fortschritte bei den Gesprächen bislang damit erklärt, die Amerikaner hätten zu wenig Belohnungen für ein iranisches Entgegenkommen angeboten. Das Atomprogramm des Iran war das außenpolitische Prestigeobjekt, mit dem man sich als die Friedensmacht präsentieren wollte, die im Gegensatz zu den USA keine Brachialgewalt braucht, um Konzessionen zu erreichen.
Nun steht man als der Gehörnte da. Aber die Nachricht dringt gar nicht durch. Bei den zuständigen Stellen winkt man müde ab: Wussten wir schon. So sind die halt, die Iraner. „Man kann dies als Zeitgewinn interpretieren“, sagte SPD-Außenexperte Gernot Erler gegenüber der Welt. „Entscheidend ist, dass die Türen vom Iran für Verhandlungen nicht zugemacht worden sind.“ Das erinnert an einen Ehemann, der seine Frau mit einem Fremden im Bett erwischt und fragt, wann er die Erfrischungsgetränke bringen darf.
Dabei hatten die EU-3 (Deutschland, Frankreich und Großbritannien) mit den Iranern durchaus hartnäckig verhandelt. Und da die Amerikaner, gebunden durch den Schlamassel im Irak, ihnen die Federführung auch überließen, ergab sich ein einträchtiges „Good Cop, Bad Cop“-Rollenspiel, das bei konsequenter Weiterführung vor dem UN-Sicherheitsrat hätte enden können.
Aber kaum ist Wahlkampf, lässt man alle Vernunft fahren und hält der Reitgerte der Mullahs die andere Wange hin. Wenn dieser triste Opportunismus auf die Regierungsparteien beschränkt wäre, würde man einfach auf bessere Zeiten hoffen. Aber die Vorsitzende der Union hat den Friedenskanzler in Sachen Iran voll unterstützt: „Für mich“, hat Angela Merkel nun auf einer Wahlveranstaltung erklärt, „stellt sich die Frage einer militärischen Auseinandersetzung nicht.“ Ihren außenpolitischen Experten Wolfgang Schäuble, der immerhin schon die Entzweiung des Westens durch Schröder thematisierte, hatte sie damit ebenso düpiert wie den US-Präsidenten.
Denn natürlich stellt sich die militärische Frage – und sei es, um dann verneint zu werden. Auch George W. Bush weiß, dass man mit einem Angriff auf den Iran keinen Regimewechsel in Gang setzen wird, und dass ohne Regimewechsel das Nuklearprogramm einfach weiterbetrieben werden wird.
Es kommt vor allem darauf an klarzumachen, dass man mit dem Westen nicht unbegrenzt Schlitten fahren kann. Dass im Iran nun die Fundamentalisten auf allen Ebenen die Macht an sich ziehen, heißt nicht, dass sie bereit wären, sich und die Welt in ein atomares Abenteuer zu stürzen. Das Regime besteht nicht aus Selbstmordattentätern. Man wünscht sich ein langes Leben in Ruhe und Wohlstand. Das Volk, das zuletzt wenig Neigung zeigte, der Elite dies zuzugestehen, hat man mit der nuklearen Option ebenso in den Schwitzkasten genommen wie die Verhandlungspartner im Westen: Kein Oppositionsführer könnte sich zu der nationalen Demütigung bekennen, die ein Verzicht auf die Uran-Anreicherung darstellte. Am Modell der Nordkoreaner haben die Iraner gesehen, dass einem alle aus der Hand fressen, wenn man die Bombe erst einmal hat.
In einem Punkt allerdings könnte sich das Regime verkalkuliert haben: Es ist keineswegs sicher, dass China und Russland im Sicherheitsrat – wo der Konflikt nun schleunigst hingehört – gegen ein Embargo stimmen werden. Das würde zuerst die Unterschichten treffen, die den neuen Präsidenten gewählt haben. Einmal mehr würde sich zeigen, dass islamistische Regierungen nicht in der Lage sind, ihre sozialen Versprechungen zu erfüllen. Dem Obersten Revolutionsführer kann das egal sein. Dem Präsidenten nicht.
Sucht man nach Präzedenzfällen der iranischen Vorgänge, kommt einem die chinesische Kulturrevolution in den Sinn, als Mao Tse-tung die jungen Radikalen auf die Reste des Bürgertums hetzte, um dem verknöcherten Regime neue Legitimation zu verschaffen. Achmadinedschad ist kein islamischer Franziskaner, der im abgetragenen Anzug den Armen Speisung verspricht. Er ließ das Gerücht, er habe im Teheraner Evin-Gefängnis eigenhändig tausend Gefangene erschossen, mit feinem Lächeln unwidersprochen.
Auch die Armen hoffen nicht mehr auf bessere Zeiten. Sie hoffen auf Rache. Rächen werden sie sich aber nicht an den Mullahs, die sich mit den Petrodollars ein süßes Leben finanzieren. Sondern an den Mädchen, die unter Chatami den Schleier nach hinten rutschen ließen; den Internet-Bloggern, den aufmüpfigen Studenten, den frechen Zeitungen. Diese Rache wird Achmadinedschad ihnen gewähren. Die Tugendwächter werden mit neuem Elan durch die Straßen Teherans fegen und wie früher die Dinge an Ort und Stelle erledigen.
In der entsetzten Überraschung der liberalen Elite über diesen Ausgang der Dinge wiederholt sich ein Schauspiel, das die islamische Revolution von Anfang an begleitet hat. Damals hatte man den Sturz des Schahs als antiimperialistischen Kampf betrachtet, Khomeini belächelt und erwartet, die Mullahs würden so freundlich sein, nach dem Umsturz die Macht in die Hände der Linken zu legen. Nun ist man ebenso erstaunt wie die amerikanischen Demokraten, welche Kraft „moral values“ zu entfalten vermögen.
Das Deprimierende an der Haltung der Europäer gegenüber dem Iran ist, dass sie selbst auf ihrem angeblichen Kerngebiet – der Wahrung der Menschenrechte – kein Engagement an den Tag legen. Die Ermordung eines Dolmetschers der deutschen Botschaft in Teheran hat nicht einmal eine ärgerliche Note zur Folge gehabt; der Journalist Aghbar Ghandschi – der für seine Teilnahme an einer Konferenz der Böll-Stiftung bestraft wurde – war bis vor kurzem im Hungerstreik. Niemand weiß, wie es um ihn steht. Als Teheraner Studenten unter Lebensgefahr protestierten, war von unseren Alt-68ern nichts zu hören. Nur der Cowboy aus Texas hat sich gemeldet.
Man wird das klamme Gefühl nicht los, die deutsche Außenpolitik sei nach einer kurzen Phase der weltpolitischen Versuchung wieder kraftlos in sich zusammengesackt. Keine Ideen, kein Ehrgeiz, man wünscht sich nur noch business as usual. Vor 2001 war das nur dürftig. Jetzt ist es auch noch gefährlich.
Internationale Politik 9, September 2005, S. 100 - 101