Gegen den Strich

28. Apr. 2025

Gegen den Strich: Journalismus versus Medien

Die Zeiten, in denen sie Seite an Seite stritten, scheinen vorbei. Heute wächst  das Trennende: Journalismus ermittelt die Fakten, im Medienbetrieb herrscht Meinungsinflation. Journalismus ist sachlich; der Medienbetrieb will emotionalisieren. Journalismus hält Abstand; die Medien biedern sich ihrem Zielpublikum an. Die Kunst wäre es, Journalismus zu machen trotz der Medien. Wie? Sechs Thesen auf dem Prüfstand.

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Bild: Ein Briefkasten mitten im "Nirgendwo" in Lappland
In den bevölkerungsarmen Flächenstaaten Nordeuropas, in denen schon die Zustellung gedruckter Zeitungen ruinös werden kann, ist man gut beraten, eine kluge Medienförderung zu betreiben: Briefkästen in Lappland (Finnland).
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„Wenn wir eine informierte Öffent-
lichkeit wollen, brauchen wir mehr Meinung in den Medien“ 

Nein, wichtiger sind die Fakten. Das Wichtigste ist das Recherchieren: Journalistinnen und Journalisten müssen die Fakten suchen, prüfen, überprüfen, analysieren, einordnen, gewichten, darstellen, erklären, eventuell kommentieren und bei Bedarf aktualisieren oder korrigieren. Das ist seriöse Verarbeitung von Information. 

Von all diesen Aufgaben wird in den sozialen Medien hauptsächlich eine wahrgenommen, und das ist die fakultative – das Kommentieren, in einer Endlosschleife. Etliche Nutzer unterscheiden nicht mehr zwischen journalistischen und nichtjournalistischen Angeboten, fundierter Berichterstattung und leerer Meinungsmache.

Als Antwort auf den raumgreifenden Meinungsüberschuss sollten Reporter und Redakteurinnen sich erst recht mit den Fakten befassen: mehr denn je auf die Kraft des Faktischen setzen wider die postfaktische Gesellschaft, die Donald Trump verkörpert. Besonders wichtig ist dafür die Arbeit internationaler Investigativnetzwerke, die in Zeiten globaler Interdependenz über alle Grenzen hinweg recherchieren, etwa in Sachen russische und chinesische Desinformation.

Doch im Alltag müssen die meisten Redaktionen mehr produzieren, sie können weniger recherchieren. Das Geld fehlt, zumal für Recherchen im Ausland. In einem Interview mit ­fachjournalist.de bekräftigt der Chefredakteur des Centrums für Europäische Politik, Jörg Köpke, etwas, das offensichtlich scheint: „Nicht alles vom Schreibtisch aus machen. (…) Wer einmal in Butscha die Leichenfelder gesehen hat, die Massengräber, der wird niemandem mehr auf den Leim gehen, der behauptet, das sei eine ukrainische Inszenierung gewesen. Ein Reporter muss raus.“ Doch das verhindern bei vielen Medien die Etatkürzungen.

Und wer den Dingen nicht auf den Grund geht, bildet sich umso leichter seine schnelle Meinung: bis zu dem Punkt, da Meinungen buchstäblich x-beliebig werden wie auf der Plattform von Elon Musk. X: ein Tummelplatz für Propagandisten und Trollfabriken. Köpke: „Die Steigbügelhalter für Autokraten sitzen inzwischen im Silicon Valley. Und auch das gehört zur Sicherheitspolitik: darüber nachzudenken, ob und wie diese Macht eingehegt werden kann.“


„Aufregung schafft Aufmerksamkeit“

Irrtum: Aufregung ist das Gegenteil von Aufmerksamkeit. Und der Wettbewerb bringt nicht Unterscheidbarkeit, sondern Angleichung des Angebots. Die „Boulevardigitalisierung“ kleidet selbst Banales, Belangloses in dramatische Worte. Wir erleben den Strukturwandel der veröffentlichten Meinung von der Aufmerksamkeitsökonomie zur Aufregungsökonomie. „Content Manager“ in den Redaktionen meinen, Aufregung sei Aufmerksamkeit. In Wahrheit mindert Aufregung die Aufmerksamkeit: Wer erregt ist, hört einem Podcast nicht richtig zu, schaut eine Sendung nur so nebenbei, liest Texte flüchtig. In einer ohnehin hypernervösen Weltlage zermürbt der hypernervöse Medienbetrieb viele Nutzer. Die Zahl der sogenannten Nachrichtenvermeider steigt.

Journalismus ist wie die Demokratie ein Kind der Aufklärung, die auf den erkenntnisorientierten Diskurs setzt. Der journalistische Dreiklang war seit je: Information, Bildung, Unterhaltung, am besten mit Haltung. Doch weil beispielsweise der Kulturjournalismus zwar leidenschaftliche, aber wenige Leser hat, vernachlässigen ihn immer mehr Medienhäuser. Jürgen Kaube, einer der F.A.Z.-Heraus­geber, hält dagegen: „Wir folgen dem Prinzip der homogenen Neugier, die sich auf alles erstreckt. Alles kann interessant sein.“ Das ist Journalismus.
Anders der Medienbetrieb, er setzt auf das, was „zieht“: was das große Publikum lockt. Doch wenn immer mehr Medien das bringen, was „funktioniert“, dann bringen schließlich alle das Gleiche – die ARD bis zu 30 Talkshows pro Woche. Medialer Wettbewerb erzeugt paradoxerweise nicht Unterscheidbarkeit, sondern öde Angleichung. Fazit: Aufregung ist langweilig.


„An den Klicks misst sich der Erfolg“

Nein, nur langfristige Leserbindung ist rentabel. Der Journalismus braucht künftig eine ganz andere Aufmerksamkeitsökonomie. Erstens: Im On-demand-Zeitalter sollte unser Gewerbe nicht länger nur das große Publikum ansprechen, sondern – wie einst die gedruckte Zeitung – viele kleine Publika kumulieren. Denn jeder ruft ab, was ihn interessiert. Mit kurzfristiger Klickmaximierung lässt sich, zweitens, kein Publikum langfristig binden. Qualitätsbewusste Redaktionen setzen auf das Gegenprogramm: ruhig und sachlich bleiben. So mag das Zielpublikum weniger klicken, aber länger die Treue halten. 

Drittens: Der Journalismus hat sein Monopol als Gate Keeper eingebüßt. Jedoch verliert er zusätzlich an Geltung, wenn er das Anspruchsvolle fürchtet. In einer komplexen Welt ist das Komplexe relevanter denn je, trotz aller „schrecklichen Vereinfacher“ im Journalismus wie im Populismus, die eine Art Allianz bilden. 

So zeigen sich beispielsweise an einer akribischen Analyse des Verteidigungsetats Schwächen und Stärken der Bundeswehr. Die sicherheitspolitischen Redakteure, die diesen Haushalt durchleuchten, werden wenige Klicks erzielen, aber viel journalistisches Gewicht auf die Waage bringen. Mittelfristig schafft relevanter Journalismus mehr Publikumsbindung als der Anbiederungsbetrieb.

Berufshalber kritisieren Redaktionen, viertens, die Fehlentwicklungen in Politik und Wirtschaft – sie sollten frontal auch die Missstände in der eigenen Branche thematisieren. Wer über die Misere der Medienbranche immer nur jammert, verliert den Sinn dafür, dass jede und jeder am Arbeitsort einen Spielraum hat, um all jene Content Manager auflaufen zu lassen, die Journalisten als Content Provider sehen, als „Inhaltebesorger“. Ein furchtbares Wort. Verbünden sich aber die hellen Köpfe in einer Redaktion und pochen auf Substanz, hat das Gewicht. 

Fünftens: Jene Medienhäuser, die nach wie vor in ihre Redaktion investieren – wie etwa die F.A.Z. – halten sich besser als diejenigen, die abbauen und den Kompetenzverlust durch Reißerisches zu kaschieren oder wettzumachen versuchen. In der ­Weltunordnung brauchen Redaktionen rasch abrufbare Fachkompetenz auf fast jedem Feld. Je kleiner das Team, desto dürftiger seine Einordnungskraft.

Jahrhundertelang finanzierte sich der Journalismus bis zu drei Vierteln über Kleinanzeigen und Werbung. Die Kleinanzeigen freilich haben sich längst auf Online-Märkte verlagert, die Werbung ist zu Suchmaschinen und sozialen Medien abgewandert, wo sie das Zielpublikum zielsicher erreicht. Also muss sich der Journalismus selbst finanzieren. Das ist eine Chance – sofern die Medienhäuser die Substanz ihres Angebots mehren (können). Denn auf Dauer verkauft sich Gehaltvolles besser und zu einem höheren Preis.

Xavier Niel, der Eigentümer des Weltblatts Le Monde, hat über 16 Jahre die Redaktion von 300 auf 550 aufgestockt und auf diese Weise die Zahl der Abonnements auf 600 000 verdoppelt. Der Franzose meint: „Zeitungen machen alle dasselbe; sie verkaufen nicht genug Exemplare, also entlassen sie Redakteure, und dann verlieren sie noch mehr Leser. Es ist eine Abwärtsspirale. Bei Le Monde haben wir das Gegenteil gemacht. Denn wenn man nichts zu verkaufen hat, findet man auch keine Käufer!“

Eine Strategie, die aus Sparen beim redaktionellen Angebot besteht, verbaut die Zukunftsperspektiven. Im digitalen Zeitalter gewinnt derjenige, der sich nicht beirren lässt und in den Journalismus investiert, auch wenn das zunächst die Dividenden der Aktionäre drückt. So ist auch die ZEIT unter anderem deshalb eine Erfolgs­story, weil die Eigentümer in deren Ausbau zu einer ­Verlagsgruppe investierten.


„Journalismus und soziale Medien sind zwei Paar Schuhe“

Schön wär’s. Derzeit stärkt der Journalismus die globalen Plattformen, indem er sie nachahmt. Ein Post muss plakativ sein, sonst wird er kaum beachtet. Parallel dazu wird der Journalismus noch plakativer als ohnehin. Alles ist entweder gut oder schlecht, das mediale Schwarzweiß überwiegt, wo doch die realpolitische Wirklichkeit grau ist und es darauf ankäme, die unterschiedlichen Grautöne hervorzubringen, wie in einem alten Stich. Guter Journalismus differenziert, nuanciert, erörtert die Zielkonflikte – erst recht in der Sicherheitspolitik, die im Wechselspiel mit anderen Werteordnungen Unvereinbares zu vereinbaren hat.

Immer öfter imitieren journalistische die sozialen Medien. Auf Instagram tummeln sich Influencerinnen und Influencer, die uns erläutern, wie wir optimiert leben und lieben. Ebenso raumgreifend ist das Life Coaching selbst in Qualitätszeitungen: Tipps für ein langes Leben, ein erfülltes Liebes­leben, ausgeglichenes Familienleben, optimiertes Büroleben. Der Menschenverbesserungsjournalismus tritt an die Stelle des Weltverbesserungsjournalismus. Überdies sind soziale Medien ein Jahrmarkt der Selbstdarsteller. In diesem Fahrwasser breitet sich der Ich-Journalismus aus. Unlängst veröffentlichte ein Magazin eine Reportage über Grönland. Doch große Enttäuschung schon bei der Lektüre der Überschrift: „Eine Reise durchs grönländische Packeis – und die eigene Midlife Crisis“. Der Autor kümmerte sich im hohen Norden mehr um sich selbst als um Trumps imperiale Fantasien. Der Berichterstatter war wichtiger als der Gegenstand der Berichterstattung. Es mehren sich die Ich-­Beiträge. Viel geklickte „Geschichten, die mein Leben schrieb“.


„Presseförderung mindert die Staatsferne“

Nein, sie stärkt die Pressefreiheit. Regional- und Lokalzeitungen fehlt in der Regel das Geld, um ihr redaktionelles Angebot auszubauen. Hier sollte die öffentliche Hand für das nötige Kapital sorgen. Denn Journalismus ist eine elementare Infrastruktur der Demokratie, und es ist eine elementare Aufgabe des demokratischen Staates, sie nicht verlottern zu lassen wie die Deutsche Bahn. Wo der Markt versagt, steht die Politik in der Pflicht, zumal in Zeiten der Desinformation durch äußere und innere Feinde der Demokratie.

Bleibt die öffentliche Hand untätig, übernehmen Oligarchen so manche Zeitung: nicht, um damit Geld zu verdienen, sondern um den eigenen Machtbereich zu arrondieren. Siehe den Amazon-Gründer Jeff Bezos, der seiner Washington Post verbot, gegen Donald Trump Stellung zu nehmen, und der Kommentare wider seine Gesinnung untersagt. Siehe den französischen Milliardär Vincent Bolloré, der traditionsreiche Medien erworben hat, um sie in rechtsextreme Putin-Lautsprecher zu verwandeln.

Vorreiter einer klugen Medienförderung ist Nord­europa mit seinen vorwiegend bevölkerungsarmen Flächenstaaten, in denen vor drei Jahrzehnten schon die Zustellung gedruckter Zeitungen ruinös wurde. Deshalb handelte man frühzeitig. 

Die vier nordeuropäischen Länder belegen die Spitzenplätze im Ranking der Medienfreiheit, das die Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ jährlich veröffentlicht. Aber auch in Sachen Medienvielfalt, Medienvertrauen und Medienförderung liegen sie ganz vorne. Die Hilfsgelder verteilen völlig unabhängige Instanzen quasi-­automatisch gemäß festen Regeln. Faktisch widerlegt ist damit das Klischee, Staatshilfen müssten von vornherein die Staatsferne mindern.

Was wäre Pressefreiheit mit immer weniger Presse? Dank proaktiver Medienpolitik hat jede schwedische Kleinstadt, selbst im hohen Norden, ein bis zwei unabhängige Lokalmedien, die weitgehend unabhängig von der Zentralredaktion eines Verlags arbeiten. Dänemark unterstützt die journalistische Arbeit auf seine Art: Verleger, die das Redaktionsbudget kürzen, erhalten weniger Zuschüsse.

Öffentliche Hilfen werden umso wichtiger, als der Niedergang des Journalismus frei nach Ernst-Wolfgang Böckenförde die Voraussetzungen von Demokratie bedroht: die politische Kultur, die Qualität der öffentlichen Debatte, die fundierte Meinungsbildung, den Gemeinsinn – und in der Außenpolitik den Outlook der Bevölkerung. Das Beispiel der USA, wo 70 Millionen Menschen kein lokales Medium mehr haben, muss Deutschland aufhorchen lassen. 20 Prozent der US-Amerikaner leben in sogenannten Medienwüsten; in diesen news deserts informieren sie sich über soziale ­Medien und radikalisieren sich.

Globale Plattformen sind keine „Sturmgeschütze der Demokratie“, wie Spiegel-Gründer Rudolf Augstein die Rolle seines Magazins definierte. Vielmehr handelt es sich teils um Demokratiezerstörungs­maschinen. Sie gehören Oligarchen, die sich in den Dienst der politischen Macht stellen und diese zugleich instrumentalisieren. Siehe Mark Zuckerberg (Meta) und Elon Musk (X & Co.), die bei Trumps Amtseinführung gleich hinter der Trump-Familie saßen, vor den Ministern. 

Noch nie zuvor hat eine Privatperson so viele Dimensionen der Macht auf sich vereinigt wie Musk: die Medienmacht, Propagandamacht, Technologiemacht, Wirtschaftsmacht, Geldmacht, Weltraummacht, innenpolitische Macht in Washington, geopolitische Macht, ja Militärmacht in der Ukraine: „Wenn ich Starlink abschalten würde, bräche ihre gesamte Front zusammen“, sagt Musk.

Welch ein Kontrast zum Klein-Klein der Journalisten in ihrer bedrängten Branche, die spart und spart, während die Tech-Plattformen Milliarden in KI investieren. Vor diesem Hintergrund muss es nicht nur medienpolitisch, sondern auch demokratiepolitisch eine Priorität der neuen Bundesregierung werden, gegen die sich auch in Deutschland abzeichnenden Medienwüsten und die Konzentration von Medienmacht endlich eine zielstrebige Journalismuspolitik zu verfolgen. 

Die schwarz-rote Koalition sollte weniger den Medienbetrieb unterstützen, der oft verrückt spielt, als vielmehr den Journalismus. Und die EU muss ihren Kurs fortsetzen, die US-Plattformen zu regulieren, wie sie es mit dem Digital Services Act und dem Digital Markets Act unternommen hat – unbeschadet der Drohung von US-Vizepräsident J.D. Vance, man werde bei weiterer Regulierung sozialer Medien aus der NATO austreten.

Die Medienbranche ist in ähnlicher Verfassung wie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die europäische Textilindustrie: Unablässig geht es bergab, schrumpft das Redaktionsbudget, verabschieden sich viele kluge Köpfe. Enttäuschte Redakteurinnen und Journalisten wandern ab zu Stiftungen, Denkfabriken, PR-Agenturen, Kommunikationsstellen. Die Übriggebliebenen sind gestresst, weil sie immer schneller immer mehr leisten müssen. Die ungewissen Aussichten schrecken junge Talente ab, in den Journalismus einzusteigen. Solcher Braindrain ist die größte Gefahr, von der am wenigsten die Rede ist. Es gibt löbliche Ausnahmen und viel Idealismus bei angehenden Kolleginnen und Kollegen. Aber wenn zu viele Talente fern­bleiben, wird der Journalismus nicht besser.


„Journalismus und Populismus sind ein Gegensatzpaar“

Leider nicht immer, und hier und da sogar immer weniger. „Das Prinzip Trotzdem“, so der Titel meines Buches, gilt im Journalismus seit je: Wer als Reporter recherchiert, läuft immer wieder auf und macht trotzdem weiter. Weit darüber hinaus gilt es, trotz des Medienbetriebs dem Journalismus die Treue zu halten.

Ein Journalismus, der nur wenig recherchiert, mindert seine Glaubwürdigkeit. Aber wo nach wie vor seriös gearbeitet werden kann, bleibt das Vertrauen. Das zeigt das einzigartige Schweizer „Jahrbuch Qualität der Medien“ des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft an der Universität Zürich. Anhand von inzwischen allgemein anerkannten wissenschaftlichen Kriterien misst es die Verlässlichkeit der Berichterstattung. Und zieht den Schluss: Jene Medien, die genug Mittel für einen vertiefenden Journalismus aufbringen, genießen nach wie vor hohes Vertrauen – angefangen bei den öffentlichen Medienhäusern. Bei allen Stärken und Schwächen eines jeden journalistischen Angebots bieten ARD, ZDF und Deutschlandfunk hervorragenden Journalismus. Und dank ihres globalen Korrespondentennetzes wehren sie dem nationalistischen Rückzug und dem Provinzialismus. 

Doch die Feinde der offenen Gesellschaft bekämpfen die Öffentlich-Rechtlichen. Denn die Leistungsaufträge öffentlicher Medienhäuser gründen in den Werten der Aufklärung: gute Information für eine gute Demokratie, Respekt der Menschenwürde, Einbeziehung von Minderheiten, Förderung der Kultur, also des Zivilisierten. Rechtsradikale Antiaufklärer empfinden solche Leistungsaufträge als tendenziös. Und für Autoritäre gilt: „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich.“ Also sind unabhängig-kritische Journalisten „gegen mich“.
Virtuos nutzen Populisten den Medienbetrieb, der ihre klickträchtigen Provokationen reflexhaft aufgreift. Zugespitzt: Klicks sind reaktionär. Das lädt den Journalismus ein, keinesfalls auf die Mätzchen der Propagandisten hereinzufallen, nur weil diese für Publikumserfolg bürgen. Journalisten haben jeglichen Gegenstand der Berichterstattung distanziert, nüchtern und kritisch zu sehen.

Den Journalismus als Kind der Aufklärung verpflichten deren Werte. Und solche Grundhaltung fließt in die Auswahl der Themen hinein, die man für relevant oder aber für nachrangig hält. Mit anderen Worten: Es kann keinen wertfreien Journalismus geben – wohl aber einen, der sich bemüht, möglichst viele Fakten und Aspekte der jeweiligen Fragestellung aufzuarbeiten, und das ist besonders anspruchsvoll in der Meinungsbildung zur Außen- und Sicherheitspolitik. 

Die setzt nämlich historisches Wissen voraus, um Ereignisse als Wegmarken einer Entwicklung zu erkennen. Zudem ist es essenziell, die Werteordnung anderer Nationen und Player zu kennen und darzustellen – eine Voraussetzung des Verständnisses von Geopolitik. Doch die internationale Berichterstattung etlicher Medien leidet darunter, dass sie erfahrene, einordnungskräftige Redakteure in Frührente schicken, um sie durch kostengünstige Volontäre zu ersetzen, deren Elan ihre fehlende Belesenheit nicht wettmachen kann.

Manch bedrängtes Medienhaus setzt auf Künstliche Intelligenz. Die KI aber kennt bloß das Bekannte. Journalisten suchen das Unbekannte. Die KI kennt auch nur das Bekannte im Internet. KI kann nützlich sein bei Hilfsaufgaben, etwa dem Verarbeiten gewaltiger Datenmengen, dem Übersetzen oder dem Verfassen der Mitschrift eines Interviews. Aber im Kern bedarf es der menschlichen Intelligenz von Rechercheuren, die wissen wollen, was man noch nicht weiß – zumal wenn die Mächtigen verhindern möchten, dass man es weiß. Wissen ist Macht. Wissen wollen ist Gegenmacht.

Das gilt erst recht in der Außen- und Sicherheitspolitik, zumal wenn sie zur Show pervertiert. Am 28. Februar 2025 verwandelte sich das Oval Office in eine Weltbühne. Die Journalistenmenge bildete den Chor (den die alten Griechen in ihren Tragödien als kollektiven Erzähler einsetzten). Einer fragte den Gast Wolodymyr Selenskyj, warum er keinen Anzug trage. Der kleine Nebendarsteller und große Schweiger war US-Außenminister Marco Rubio, der einst nicht müde wurde, vor Wladimir Putin zu warnen. Und das Publikum waren wir, doch viele hielten es nicht aus, sie schalteten vorzeitig ab: Die tumultuöse Trump-Show war widerlicher noch als seine einstige Sendung auf NBC, „The Apprentice“, in der einer der Kandidaten unweigerlich hörte: Youʼre fired! In schlimmster public diplomacy drohten nun US-Präsident Donald Trump und sein Vize-Scharfmacher J.D. Vance, der ukrainischen Hilfskraft Selenskyj faktisch zu kündigen.

Der Epochenbruch wurde via Streaming und TV frei Haus geliefert: ein mediales Ereignis, vor allem ein Sinnbild jener Propagandagesellschaft, die nicht länger des Journalismus bedarf. Ins Oval Office dürfen jetzt vornehmlich die Korrespondenten propagandistischer Webseiten wie Breitbart. Unbotmäßige Nachrichtenagenturen grenzt Trump aus. Er spielt mit dem Gedanken, Zitate anonymer Whistleblower gesetzlich verbieten zu lassen. Trump bedrängt kleine Verlage mit ruinösen Gerichtsverfahren. Der neue Autoritarismus setzt auf den willigen Medienbetrieb, umso entschiedener bekämpft er den unabhängigen Journalismus.

Das lädt diesen ein, nun erst recht sich selbst treu zu bleiben.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2025, S.106-111

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Mehr von den Autoren

Roger de Weck ist Autor und Gastprofessor am College of Europe. Zuletzt erschien „Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen“ (Suhrkamp).
 

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