Gegen den Strich

30. Juni 2025

Gegen den Strich: Der Globale Süden

Wenn schon die Bezeichnung für eine Ländergruppe umstritten ist, dann gibt es auch darüber hinaus jede Menge Fragen zu klären. Genau so verhält es sich bei den Staaten des sogenannten Globalen Südens. Was trennt sie, was haben sie gemeinsam? Wer gehört dazu, wer behauptet nur, Teil der Gruppe zu sein? Und was bedeutet das alles für die Zukunft der Geopolitik? Vier Thesen auf dem Prüfstand.

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Bild: Ramaphosa zu Besuch bei Trump, der ihm Völkermord an Weißen vorwirft
„Völkermord an Weißen“ in Südafrika: Wenn ein amerikanischer Präsident so leichtfertig mit dem Genozid-Begriff hantiert, dann schwächt das die Glaubwürdigkeit des Westens im Globalen Süden enorm.
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„Der Globale Süden ist kein analytisch präziser Begriff“ 

Das lässt sich nicht leugnen. Und es hat viel damit zu tun, dass der Begriff erst aufgrund wachsender Unzufriedenheit mit anderen Beschreibungen entstanden ist. „Dritte Welt“ empfand man als altmodisch und als abwertend, nachdem die Drei-Welten-
Theorie in Verruf geraten war. Die Begriffe Schwellenländer und Entwicklungsländer sind umstritten, weil sie eine neoliberale Fortschritts­erzählung voraussetzen. Sie implizieren, dass alle ärmeren Länder sich zwangsläufig auf einer gemeinsamen Entwicklungskurve bewegen, deren Ziel die vollständige Integration in die globale Marktwirtschaft ist. Diese Annahme blendet jedoch die komplexen Realitäten vor Ort aus. Kann man ein Land, das derart zerrüttet ist wie der Südsudan, ernsthaft als Entwicklungsland bezeichnen? Oder Nordkorea als Schwellenland?

Geprägt wurde der Begriff „Globaler Süden“ durch den amerikanischen Autor und Aktivisten Carl Oglesby. Im Kontext des Vietnamkriegs schrieb er über die „Dominanz des Nordens über den Globalen Süden“. Nach der weltweiten Welle der Dekolonialisierung in den 1950er und 1960er Jahren war der Vietnamkrieg ein ernüchternder Beweis für das Fortwirken des kolonialen Erbes. Die damals existierende Hierarchie der Staaten ging auf dieses Erbe zurück – kein Wunder, dass sie nach finanziellen und ethnischen Kriterien funktionierte.

Im sogenannten „Brandt-Report“, der 1980 von einer Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Bundeskanzlers im Auftrag der Weltbank vorgelegt wurde, wurde das Konzept des Globalen Südens im Kontext der wirtschaftlichen Entwicklung neu definiert. Spätere Autorinnen und Autoren haben den Begriff immer wieder neu entlang politischer Linien ausdifferenziert und verfeinert, insbesondere im Kontext postkolonialer Studien. Es gibt daher keine allgemein anerkannte Definition. 

Kritiker bemängeln, dass der Begriff geografisch unsinnig sei. So wies Joseph Nye darauf hin, dass bestimmte Länder des Globalen Nordens wie Australien auf der Südhalbkugel liegen, während sich wichtige Staaten des Globalen Südens wie Indien nördlich des Äquators befinden. Meines Erachtens wird dabei übersehen, dass der „Süden“ in der westlichen Vorstellung stets mehr als nur eine Himmelsrichtung war, nämlich eine kulturelle und geografische Projektionsfläche. 

Die Unterscheidung zwischen „Norden“ und „Süden“ findet sich sogar im europäischen Kontext in der Literatur, etwa in E.M. Forsters Roman „Zimmer mit Aussicht“, wo die rationalen und steifen britischen Protagonisten in ein entspanntes, chaotisches Italien reisen. Noch deutlicher ist der Antagonismus in Forsters Buch „Auf der Suche nach Indien“, das die kulturellen Konflikte zwischen Indern und Briten in Britisch-Indien während der Kolonialzeit Anfang der 1920er Jahre behandelt.

Die unterschwellige Bedeutung von „Süden“ wird in amerikanischen Redewendungen wie „south of the border“ deutlich, die Assoziationen zu tropischer Gesetzlosigkeit hervorrufen. Der binäre Gegensatz von Nord und Süd lehnt sich an Dichotomien wie hell/dunkel, zivilisiert/barbarisch oder rational/abergläubisch an, die zur Rechtfertigung des Kolonialismus dienten. Bis heute wirken die Folgen imperialer Ausbeutung nach, sei es in Form der strukturellen Benachteiligung oder des Ausschlusses von globaler Mitbestimmung und dem Zugang zu Ressourcen.

Damit der Begriff des „Globalen Südens“, der immerhin eine antikoloniale Alternative zu offen imperialistischen Bezeichnungen wie „Bananenrepublik“ ist, als politische Kategorie funktionieren kann, ist er bewusst vage formuliert. Denn nicht alle Länder des Globalen Südens sind ehemalige Kolonien – Äthiopien etwa ist es nicht. Genauso wenig sind alle arm – die Vereinigten Arabischen Emirate etwa gehören zu den ausgesprochen reichen Staaten dieser Erde. Stattdessen sind sie durch eine gemeinsame Erfahrung verbunden, die zwar eine koloniale Vergangenheit einschließen kann, aber ebenso für verschiedene Formen struktureller Ausgrenzung steht. 

Dazu zählen die alltägliche Realität systemischer Unterentwicklung, Visa-Hürden, die Erfahrung neoliberaler Schocktherapien durch Institutionen des Bretton-Woods-Systems und vieles mehr. Dieser Aspekt geteilter Erfahrungen verleiht dem Begriff eine aktivistische Energie, die sich bewusst von der neoliberalen Unterscheidung zwischen „Ländern mit niedrigem Einkommen“, „Ländern mit mittlerem Einkommen“ und so weiter absetzt.


„Der Globale Süden versteht sich als Einheit“

Das ist gleichzeitig richtig und falsch. Natürlich löst das Konzept des Globalen Südens nicht die Konflikte zwischen Ländern wie Indien und Pakistan oder Marokko und Algerien. Nationale Interessen wiegen schwerer als Solidarität. Der Begriff darf auch nicht dafür verwendet werden, ungleiche Machtverhältnisse innerhalb des Globalen Südens zu verschleiern. Dass Brasilien eine Steuer auf Emissionen aus dem Schiffsverkehr ablehnte, deren Erträge an besonders durch den Klimawandel gefährdete Staaten wie Mikronesien fließen sollen, mag an dieser Stelle als anekdotische Evidenz genügen.

Und doch wurden auf der Grundlage des Begriffs und verwandter Konzepte wie der „Süd-Süd-Kooperation“ nicht nur neue Wege der politischen Zusammenarbeit und der Entwicklungsfinanzierung, sondern auch eine gemeinsame Sprache für globale Reformen gefunden. Durch Konzepte wie diese ist die institutionelle Zusammenarbeit der Länder in Zusammenschlüssen wie BRICS oder G77 geprägt. Während der Begriff die benachteiligte Position der Staaten im globalen System betont, hat seine Offenheit einen Rahmen für Zusammenarbeit trotz bestehender Unterschiede geschaffen.

Ein häufiger Einwand gegen die Formel vom Globalen Süden ist, dass sie Unterschiede zwischen verschiedenen Entwicklungsländern unzureichend beleuchtet. Zwar stimme ich diesem Einwand grundsätzlich zu, halte ihn aber für nicht weiter gravierend. Denn dass der Begriff die Unterschiede zwischen relativ reichen Entwicklungsländern wie Mexiko oder Indonesien und deutlich ärmeren Staaten wie Togo oder Palau verschwimmen lässt, ändert ja nichts an der Tatsache, dass keine dieser beiden Gruppen realistische Chancen haben, etwa den Präsidenten der Weltbank zu stellen.

Die eigentliche Bedeutung des Begriffs liegt darin, die anhaltenden strukturellen Privilegien hervorzuheben, mit denen die G7 ihre Vormachtstellung gegenüber dem Rest der Welt, einschließlich China, verteidigen. In diesem Sinne ist der Globale Süden in erster Linie ein politischer Begriff. Er steht für die Erkenntnis, dass die historischen Wurzeln der heutigen euro-amerikanischen Macht in einer langen Geschichte globaler Ungleichheit liegen, und für den bitteren Befund, dass nur ganz wenigen Staaten der Aufstieg über die Nord-Süd-Grenze hinweg gelungen ist. Dieser Fokus auf globale Machtasymmetrien dürfte ein zentraler Grund dafür sein, dass der Begriff in Europa und Amerika immer wieder auf Kritik stößt.


„China behauptet zu Unrecht, Teil des Globalen Südens zu sein“

So einfach ist es nicht. Zugegeben: Der Aufstieg Chinas verleiht dem Konzept des Globalen Südens erhebliche politische Macht, wirft jedoch auch grundlegende Fragen auf. Chinas Selbstbeschreibung als Mitglied des Globalen Südens ist wohl einer der umstrittensten Aspekte dieses Begriffs. Wie kann die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, einer der größten CO₂-Emittenten mit einer riesigen Armee und bedeutenden Investitionsprojekten auf der ganzen Welt, gleichzeitig ein Land des Globalen Südens sein? Die Gegner einer Einbeziehung Chinas behaupten, das Land gebe nur vor, ein Entwicklungsland zu sein. 

Innerhalb des Globalen Südens nimmt China zweifellos eine Sonderstellung ein. Allerdings sollte der globale Erfolg der Volksrepublik nicht vom starken Entwicklungsgefälle zwischen der chinesischen Ostküste und den viel ärmeren Provinzen im Landesinneren ablenken. Während Chinas Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf rapide gestiegen ist und heute 13­ 690 US-Dollar beträgt, liegt es immer noch hinter Ländern, die ohne jede Diskussion zum Globalen Süden gehören, wie den Bahamas (36 780 US-Dollar) und Costa Rica (19 100 US-Dollar). Das BIP pro Kopf der Volksrepublik steht auch in Kontrast zu dem von chinesischen Sonderverwaltungszonen wie Hongkong (56 030 US-Dollar) und Macau (76 310 US-Dollar), was erneut die starken Entwicklungsunterschiede offenbart, die ein Merkmal des Globalen Südens sind.

In diesem Zusammenhang liefert China ein weiteres wichtiges Argument dafür, den Globalen Süden als entwicklungspolitischen Begriff und nicht als Konzept einer wirtschaftlichen Unterscheidung zu betrachten. Dass China wie viele andere Länder lange Zeit einem großen imperialen Druck ausgesetzt war, dient der Regierung in Peking heute als wirkungsvolles Mittel politischer Mobilisierung.

Chinas Staatspräsident Xi Jinping nutzt die Erinnerung an das sogenannte „Jahrhundert der Demütigung“ – vom Ersten Opiumkrieg 1839 bis zum Sieg der Kommunistischen Partei 1949 –, um heutige Opfer und Entwicklungsanstrengungen als Teil einer fortdauernden Auseinandersetzung mit ausländischer Einflussnahme zu deuten. 

Über die eigene Erfahrung kolonialer Gewalt hinaus spielte China auch eine zentrale Rolle für die globale antikoloniale Bewegung: von der berühmten Konferenz in Bandung 1955, bei der sich führende Vertreter antikolonialer Bewegungen trafen, bis hin zur Unterstützung von Befreiungskämpfen in Afrika und anderen Teilen der damaligen Dritten Welt – trotz der großen Armut im eigenen Land.

All das macht deutlich, dass China sich selbst als Land des Globalen Südens versteht und diese Identität als zentrales Mittel internationaler Koordination nutzt, unabhängig davon, ob Kritiker diese Einordnung für gerechtfertigt halten oder nicht. Es geht nicht darum, ob China sich als Land des Globalen Südens präsentieren sollte, sondern darum, dass es sich bewusst so inszeniert. 

Chinas, aus meiner Sicht realistische, Selbstdarstellung als Land des Globalen Südens hebt die massiven Unterschiede zu anderen Ländern des Globalen Südens nicht auf, sondern zeigt, dass China im Unterschied zu Japan ein nicht-westliches Land ist, das seine Ambitionen nicht denen des Globalen Nordens unterordnet. 

In der Folge sehen wir uns mit einer neuen Kategorie globaler Macht konfrontiert: der Supermacht des Globalen Südens, ein Status, den auch Länder wie Indien, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate anstreben. 

Zugleich zeigt sich daran ein größeres Dilemma: Selbst für China scheint der Übergang in den Kreis der entwickelten Länder kaum erreichbar. Denn als „entwickelt“ anerkannt zu werden, erfordert mehr als wirtschaftlichen Fortschritt, es verlangt eine grundlegende Revision der bestehenden globalen Ordnung.


„Die Zukunft der Geopolitik wird von Nord-Süd-Konflikten bestimmt sein, nicht von Ost-West-Konflikten“

Das könnte so geschehen. Derzeit ist die geo-
politische Debatte von der Annahme geprägt, dass der Konflikt zwischen China und Amerika die maßgebliche Rolle spielen wird. Diese Vorstellung beruht auf der Erwartung, dass die Verlagerung des globalen wirtschaftlichen Schwerpunkts vom atlantischen Raum nach Ostasien zwangsläufig zu einer Konfrontation zwischen der etablierten und der aufstrebenden Großmacht führt.

Umfragen des European Council on Foreign Relations zeigen jedoch, dass diese Vorstellung überwiegend in Europa und den USA verbreitet ist. In Ländern wie China, Indien, der Türkei und anderen aufstrebenden Staaten des Globalen Südens wird die Zukunft nicht als Konfrontation zweier Supermächte gesehen, sondern als Phase des Aufstiegs mehrerer Länder. 

Der geopolitische Wandel wird dort nicht als bipolare Rivalität, sondern als multipolare Dynamik verstanden, die von einem allgemeinen Aufwärtstrend nicht nur Chinas, sondern mehrerer aufstrebender Mächte im Globalen Süden angetrieben wird. Die Verschiebung des globalen wirtschaftlichen Schwerpunkts nach Asien wird durch das ökonomische und demografische Wachstum im Globalen Süden begünstigt.

Das macht die Forderungen der wachsenden Bevölkerung des Globalen Südens nach mehr Repräsentation in globalen Entscheidungsstrukturen umso nachvollziehbarer, und es ist ein Zeichen dafür, dass Entwicklung als zentrales Anliegen der internationalen Politik ernster genommen werden muss. Chinas anhaltender Streit mit den USA in den Vereinten Nationen darüber, ob Entwicklung als Menschenrecht gelten sollte, ist ein Beispiel für den grundlegenden Konflikt zwischen dem Globalen Norden und dem Süden. 

Vor diesem Hintergrund hat sich der Krieg in Gaza zum geopolitischen Brennpunkt entwickelt. Über die konkreten Auswirkungen der Bombardierungen und der Hungersnot hinaus ist der krasse Unterschied zwischen der Lebensrealität der Israelis und jener der Palästinenser zu einem Sinnbild für die Spaltung zwischen Nord und Süd geworden. Israels militärisches Vorgehen in Gaza und die Unterstützung westlicher Staaten dafür wird im Globalen Süden als Zeichen für die grundsätzliche Haltung des Globalen Nordens gegenüber dem Rest der Welt gewertet. 

Die Situation im Gazastreifen hat die Deutungshoheit des Globalen Nordens spürbar erschüttert – also seine Fähigkeit, eine gemeinsame globale Wirklichkeit zu definieren. Diese Fähigkeit war bislang zentral für die intellektuelle Führungsrolle in zentralen Bereichen wie der Demokratieförderung, der Menschenrechtspolitik und der Klimagerechtigkeit. 

Wenn zur Verteidigung des israelischen Vorgehens Begriffe wie „Völkermordprävention“ und „Bekämpfung von Antisemitismus“ verwendet werden, und wenn diese Begriffe dann auch noch durch inflationären Gebrauch entwertet werden, etwa durch das Trump-Narrativ vom „Völkermord an Weißen“ in Südafrika, dann wachsen die Zweifel an der Entschlossenheit des Westens, seine historischen Verbrechen wie Kolonialismus, Genozid und Apartheid nicht zu wiederholen. Diese Krise der normgebenden Sprache des Globalen Nordens wirft letztlich grundsätzliche Fragen über die Zukunft seiner globalen Führungsrolle auf. 

China nimmt diesen geopolitischen Wandel sehr bewusst wahr und positioniert sich gezielt als Stimme der globalen Mehrheit in internationalen Foren wie den Vereinten Nationen. Unter Xi Jinping hat sich Pekings Engagement im Globalen Süden in Form zahlreicher Initiativen, von denen die Seidenstraßeninitiative lediglich die bekannteste ist, deutlich intensiviert. 

Dieses Engagement knüpft an Chinas historische Unterstützung antikolonialer Bewegungen während der Ära Mao Zedongs an, ist heute jedoch stärker auf Entwicklung, Modernisierung und Zukunftstechnologien ausgerichtet, was aus Sicht vieler Entscheider im Globalen Süden eine ausgesprochen interessante Kombination ist. Durch den gezielten Aufbau eines Netzwerkes im Süden ist es China gelungen, seine Rohstoffquellen und Exportmärkte sowie seinen diplomatischen Rückhalt zu diversifizieren. Gleichzeitig sieht sich China mit dem wachsenden Widerstand der G7-Staaten konfrontiert, der im aktuellen Handelskrieg gipfelte. 

Diese Entwicklung spiegelt Chinas Sonderstellung als Supermacht des Globalen Südens wider. Anders als viele klassische Geberländer verfügt China über die technischen, logistischen und finanziellen Kapazitäten, um Finanzierungsmöglichkeiten in einem Umfang anzubieten, der mit denen der Weltbank vergleichbar ist. Zugleich kann es ein eigenes Entwicklungsmodell vorweisen, das für viele Länder mit strukturellem Entwicklungsbedarf eine attraktive Alternative zu den westlich dominierten Institutionen darstellt.

Die von US-Präsident Donald Trump angekündigten Strafzölle gegen zahlreiche Länder boten Peking kurzfristig die Gelegenheit zur Bildung neuer Koalitionen. Zwar könnten Chinas hohe Handelsdefizite mit vielen Staaten neben den Sorgen dieser Länder, von chinesischen Billigwaren überschwemmt zu werden, die Stabilität solcher Allianzen gefährden. Bislang hat China alle Krisen aber erfolgreich genutzt, um sich als verlässlicher und berechenbarer Partner zu präsentieren – gerade im Vergleich zu den USA.

Langfristig dürfte Chinas Ausrichtung auf Süd-Süd-Kooperationen eine Reihe struktureller Konflikte mit dem Globalen Norden verschärfen. Ein Beispiel dafür ist der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) der EU. Dieses Instrument soll Importunternehmen dazu verpflichten, ihre CO₂-Emissionen offenzulegen. Liegen diese über dem europäischen Niveau, werden Ausgleichszahlungen fällig, um gleiche Wettbewerbsbedingungen herzustellen. Offiziell wird die Maßnahme als Beitrag zum Klimaschutz dargestellt, etwa zur Vermeidung von Produktionsverlagerungen in Länder mit niedrigeren Umweltstandards. Im Globalen Süden wird sie aber vielfach als protektionistische Maßnahme kritisiert, die europäischen Unternehmen Vorteile verschafft und durch Regulierung politische Macht durchsetzt. Dies führte 2024 zu einer Allianz von Entwicklungsländern, die auf der UN-Klimakonferenz COP29 gemeinsam gegen die Maßnahme auf die Barrikaden gingen. 

Dieses Beispiel steht exemplarisch für ein grundlegendes Problem, nämlich den wachsenden Unmut zahlreicher Länder des Globalen Südens über ihren mangelnden Einfluss auf globale Entscheidungsprozesse. Chinas wiederholte Auseinandersetzungen mit der westlich dominierten Ordnung, etwa in Debatten über eine Reform des Internationalen Währungsfonds, die Zusammensetzung des UN-Sicherheitsrats oder die aktuellen Handels- und Technologiekonflikte, sind Ausdruck dieser strukturellen Nord-Süd-Spaltung.

Die Bedeutsamkeit des Begriffs Globaler Süden ergibt sich aus gemeinsamen Erfahrungen systemischer Entwicklungshemmnisse, seien sie gegenwärtig oder im kollektiven Gedächtnis verankert. Chinas Aufstieg vom verarmten Staat der 1970er Jahre zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt macht das Land zum Symbol für diese Erfahrung und verleiht dem Land eine einzigartige Führungsrolle im Süden. Die Reaktionen des Globalen Nordens auf diesen Aufstieg zeigen, wo die Grenzen seiner Unterstützung von Entwicklung liegen. Die Trennlinie zwischen Nord und Süd wird aktiv bewacht; aufstrebenden Mächte wird klar signalisiert, dass sie auf die südliche Seite dieser Grenze gehören. Diese Trennlinie ist geopolitischer Natur, und Chinas Aufstieg zur Supermacht des Globalen Südens bedeutet auch, dass der geopolitisch prägende Konflikt des 21. Jahrhunderts entlang der Nord-Süd-Achse verlaufen wird.
 

Aus dem Englischen von Hannah Lettl.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2025, S. 112-117

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Cobus van Staden

Pekings Botschaft

China weitet sein Engagement auf dem afrikanischen Kontinent aus.

Dr. Cobus van Staden ist Research Fellow an der Stellenbosch University und Managing Editor des China-Global South Project, einem Startup, das sich mit Chinas Beziehungen zu den Ländern des Globalen Südens beschäftigt.
 

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