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01. März 2010

Gefangen im Dilemma

Was eine Lösung des Nuklearkonflikts in Südasien blockiert

Indien und Pakistan sind Atommächte und haben seit ihrer Gründung mehrere Kriege gegeneinander geführt. Doch während Indien seine Atomwaffen als politisches Mittel sieht, sind sie für Pakistan ein unentbehrliches militärisches Instrument. Eine Einbindung der beiden Staaten in den Nichtverbreitungsvertrag ist deshalb wenig wahrscheinlich.

Nirgendwo wäre ein nuklearer Schlagabtausch wahrscheinlicher als in Südasien. Indien und Pakistan besitzen jeweils etwa 50 bis 60 Sprengköpfe, so schätzen Experten, und blicken auf eine Geschichte von Konflikten zurück, die bis in die Gründungszeit beider Staaten reicht. Der Streit um die Provinz Kaschmir war Ursache für drei der vier Kriege, die Indien und Pakistan seit 1947 miteinander führten. Hinzu kommen zahlreiche Grenzverletzungen und terroristische Angriffe größeren Ausmaßes wie der Anschlag auf das indische Parlament im Dezember 2001, für den die von Pakistan unterstützte Terrororganisation Laskar e Taiba verantwortlich gemacht wird und auf den die indische Armee mit einer Großoffensive an der Grenze zu Pakistan reagierte. Erst im November 2008 verübten Terroristen in kurzer Abfolge mehrere Anschläge in der südindischen Stadt Mumbai, bei denen 174 Menschen getötet wurden.1

Ein vorsätzlicher nuklearer Erstschlag mag trotz dieses Konfliktpotenzials vielleicht auszuschließen sein. Die Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen ist deshalb noch nicht gebannt. „Theoretisch sollte es einer der wesentlichen Leitgedanken eines Staatsmannes sein, dass das eigene Staatsgebiet zum Ziel eines nuklearen Angriffs werden könnte“, stellt Scott Sagan, Ko-Direktor des Center for International Security and Cooperation an der Stanford University fest.2 „Realistisch betrachtet werden Atomwaffen aber nicht von Staaten und nicht von Staatsmännern kontrolliert. Sie werden gewissermaßen verwaltet – und zwar von unvollkommenen, also ganz normalen Menschen, die eingebunden sind in nur unvollkommen funktionierende und deshalb ganz normale bürokratische Apparate.“ Reichen die technologischen Standards nicht aus oder fehlt es an Ressourcen und dem notwendigen Know-how, könnten dadurch verursachte Fehler in der Software, im Abschuss- oder Frühwarnsystem, unklar strukturierte Befehlsketten oder unzureichende Sicherheitsstandards einen unbeabsichtigten Nuklearkrieg auslösen. Eine weitere Bedrohung entstünde, wenn Aktivisten von terroristischen Gruppierungen an sensiblen Stellen eingeschleust werden könnten.

Allerdings wurden in beiden Ländern während der vergangenen Jahre signifikante Verbesserungen eingeführt. In Indien dürfte der im Oktober 2008 schließlich vom US-Kongress gebilligte „US-India Peaceful Atomic Energy Cooperation Act“ zwangsläufig auch technische Neuerungen und Verbesserungen zum Schutz der Atomwaffen mit sich bringen. In Pakistan wurden die Schutzmaßnahmen erheblich verbessert, nachdem Ende 2003 die illegalen Aktivitäten von Abdelkader Khan, dem „Vater der pakistanischen Atombombe“, aufgedeckt wurden, der Know-how und Material zur Anreicherung von Uran und zum Bau von Atomwaffen in den Iran, den Irak, nach Nordkorea, Libyen und womöglich in weitere Länder geliefert haben soll. Beide Länder bauten Spezialeinheiten zum physischen Schutz der nuklearen Einrichtungen auf. Technologietransfers aus den USA ermöglichten den Einbau neuer Sicherheitssysteme wie Infrarotkameras. Zudem werden in Pakistan mittlerweile alle 70 000 im Nuklearprogramm involvierten Personen regelmäßig einer intensiven Überprüfung unterzogen. Selbst-verständlich benötigt gerade der Aufbau neuer organisatorischer Verhaltensregeln Zeit. Solange aber Neu-Delhi und Islamabad ihre Sprengköpfe weiterhin getrennt von den Abschusssystemen lagern und darauf verzichten, ihre Nukleardoktrin dem Modell des Kalten Krieges (Launch on Warning) anzupassen, sollten die bereits getroffenen Sicherheitsmaßnahmen ausreichen, das Risiko eines ungewollten Nuklearkriegs weitgehend zu minimieren.

Pakistans Nukleardoktrin

Ob eine „konventionelle“ Konfliktsituation zu einem nuklearen Konflikt eskalieren könnte, hängt somit deutlich von den Interessen der außenpolitischen Eliten und der Stellung ab, die man Nuklearwaffen in der verteidigungspolitischen Strategie zuweist. In der westlichen Welt gelten Waffen jeglicher Art – auch Atomwaffen – als militärische Mittel. Hier besteht ein Dilemma. Atomwaffen dienen der Abschreckung und müssen einsatzbereit sein, wenn die Abschreckung glaubwürdig sein soll. Gleichzeitig muss ein vorsätzlicher oder unbeabsichtigter Einsatz unter allen Umständen vermieden werden. Pakistan folgt dieser Logik im Wesentlichen: Ein frühzeitiger Einsatz ist nicht vorgesehen; Atomwaffen gelten als Instrumente der Abschreckung, nicht der Kriegsführung. Es existiert keine offizielle pakistanische Nukleardoktrin – vor allem, um Indien im Unklaren zu lassen. Laut General Ahmed Kidwai, dem Vorsitzenden der Strategic Plans Division, habe Pakistan allerdings ein Recht auf einen nuklearen Erstschlag, sollte für Indien eines der vier Kriterien zutreffen: Besetzung von pakistanischem Territorium, weitgehende Zerstörung pakistanischer Militäreinrichtungen, eine Wirtschaftsblockade gegen Pakistan oder eine politische Destabilisierung Pakistans durch Subversion. Da pakistanische Raketensysteme bislang noch nicht über Navigationssysteme verfügen, um präzise und begrenzte Schläge gegen militärische Einrichtungen zu führen, gehen Experten davon aus, dass Pakistan seine Nuklearwaffen auf Indiens Bevölkerungszentren richtet, um den Schaden für Indien zu maximieren. Um zu verstehen, welche Bedeutung der nuklearen Kapazität Pakistans zukommt, ist ein Blick auf Pakistans militärische Tradition und den strategischen Diskurs zum Einsatz von Nuklearwaffen nötig.

Zentrale Rolle des Militärs

Pakistans verteidigungspolitische Debatte ist seit der Unabhängigkeit vom Militär geprägt. Als eine der wenigen stabilen Institutionen Pakistans nahm die Armee bereits früh eine zentrale Rolle beim Aufbau des Staates und bei der Entwicklung des Landes ein. Innenpolitische Spannungen und ein instabiles Parteiensystem ermöglichten es dem Militär, seinen Einfluss auf die Politik des Landes zu stärken. Der unter dem ehemaligen Präsidenten Pervez Muscharraf gegründete Nationale Sicherheitsrat kann in diesem Zusammenhang als Institutionalisierung der militärischen Dominanz über innen- wie außenpolitische Sicherheitsentscheidungen gelten. Diesen Schritt dürften auch der jetzige Präsident Asif Ali Zardari und Premierminister Yousaf Raza Gilani kaum rückgängig machen können. In der Bevölkerung wird die zentrale Bedeutung der Armee kaum angefochten – Proteste oder gar Aufruhr richteten sich eher gegen korrupte oder unfähige Politiker. Seit den siebziger Jahren baute das Militär seinen Einfluss sogar in der Wirtschaft aus. Mittlerweile ist es eines der größten Wirtschaftskonglomerate Pakistans mit eigenen Industrie-, Telekommunikations- und Logistikunternehmen, eigenen Banken und einem massiven Einfluss auf das Immobiliengeschäft des Landes.

Selbst das Bildungssystem wird zum Teil von der Armee kontrolliert. Unter Präsident Muscharraf dienten etwa 800 Offiziere im Kulturministerium oder in den höheren Lehranstalten. Allein im Jahr 2003 wurden weitere 1027 zivile Stellen innerhalb der Ministerien an Offiziere vergeben. Dieser immense Einfluss auf Politik, Wirtschaft und das Sozialsystem des Landes hinterlässt Spuren. Gewisse Themen – vor allem Fragen der Verteidigung – werden in Pakistan ausschließlich von Generälen erörtert. In dieser „Kasernenhofdemokratie“, so Pakistan-Experte Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik, findet innerhalb der Zivilgesellschaft keine Debatte über Verteidigungsstrategien oder gar die Bedeutung von Nuklearwaffen statt. Im Gegenteil: Man ist sich weitgehend darüber einig, dass Pakistan über Nuklearwaffen verfügen müsse, um sich gegen seinen „Erzfeind Indien“ zur Wehr setzen zu können.

Erzfeind Indien

Terroristische Anschläge mögen inzwischen sehr viel bedrohlicher für die Stabilität Pakistans sein. Doch noch immer betrachtet Islamabad das größere, bevölkerungsreichere und wirtschaftlich erfolgreichere Indien als seinen „Hauptfeind“. Mit Indien trug Pakistan kurz nach der Staatsgründung einen ersten Krieg um Kaschmir aus; seither folgten zahlreiche militärische Auseinandersetzungen, Kriege, bewaffnete Konflikte und terroristische Anschläge. Immer wieder macht Pakistan Neu-Delhi als Hauptverursacher für diese Auseinandersetzungen aus. Auch die Abspaltung Ostpakistans – heute Bangladesch – schreibt Pakistan in erster Linie Indien zu. Doch nicht nur militärisch fühlt sich Pakistan durch Indien herausgefordert. Dass etwa 160 Millionen Muslime in Indien leben, stellt das pakistanische Selbstverständnis als Heimat aller Muslime auf dem Subkontinent in Frage.

Dieser Tunnelblick gegenüber Indien ist nirgends deutlicher zu erkennen als in der Begründung für Pakistans Beteiligung am „Global War on Terror“. Die USA würden eine Atommacht Pakistan nicht dulden, die sich nicht am Kampf gegen den internationalen Terrorismus beteiligen würde, schreibt Pervez Muscharraf in seinen Memoiren. Auf seinen Status als Atommacht aber hätte Pakistan nicht verzichten können, um nicht gegenüber seinem Rivalen Indien ins Hintertreffen zu geraten. Obwohl Pakistan vornehmlich in den an Afghanistan grenzenden Regionen seit der Unabhängigkeit niemals effektive Regierungsgewalt durchsetzen konnte, werden diese Aufstände und insbesondere die neuerlichen terroristischen Aktivitäten nicht als innenpolitisches Problem gesehen. Im Gegenteil, es gehört fast zum guten Ton, die Bedrohung durch Taliban und andere Aufständische in Belutschistan, in den „North-Western Frontier Provinces (NWFP) und in den Stammesgebieten (Federally Administered Tribal Areas, FATA) überwiegend als rein militärisches und fremd verursachtes Problem zu betrachten. Dabei versteigt sich auch der in der pakistanischen Bevölkerung als Volksheld verehrte ehemalige Cricket-Star und Politiker Imran Khan zu der Behauptung, Terroristen in Pakistan würden von indischen Konsulaten in den Südprovinzen Afghanistans unterstützt.

In Anbetracht dieser „Obsession“ ist es nicht weiter verwunderlich, dass der indische Atomtest von 1974 das pakistanische Atomprogramm forcierte. Nuklearwaffen bieten für die pakistanischen Generäle dabei den Vorteil, der konventionellen Überlegenheit Indiens begegnen, die Souveränität Pakistans (und die Bedeutung des Militärs) bewahren und zudem indische Großmachtambitionen ausbalancieren zu können. Zwei Konflikte könnten als Versuch Pakistans interpretiert werden, im Schutz seines nuklearen Schildes konventionelle Operationen gegen Indien durchzuführen. Während der Kargil-Krise im Frühjahr 1999 besetzten pakistanische Truppen im Hochland Kaschmirs indische Posten, die Indien in einer Großoffensive wieder zurückeroberte. Im Dezember 2001 stürmten von Pakistan unterstützte Terroristen das indische Parlament. In beiden Fällen musste Islamabad schließlich nachgeben und eine herbe innen- wie außenpolitische Niederlage einstecken. Die Kargil-Krise führte indirekt sogar zum Putsch durch General Pervez Muscharraf. Dennoch scheinen Nuklearwaffen als probates Mittel zu gelten, vermeintliche indische Aggressionen einzudämmen, ohne dabei auf die eigene Unterstützung von Aufständischen in Kaschmir oder terroristischer Gruppen zu verzichten. Die niedrigen – und recht großzügig auslegbaren – nuklearen Einsatzbedingungen Pakistans sollen dabei verhindern, so das pakistanische Kalkül, dass Indien zur Eskalation eines konventionellen Konflikts beitragen könnte. Nuklearwaffen spielen somit mehr als nur die Rolle des „großen Gleichmachers“; ohne Frage sind sie für Pakistan von militärischer Bedeutung. Und selbst wenn Pakistans Heeresführung darauf hoffen mag, sie nicht einsetzen zu müssen, so drohte Pakistan doch in jedem Konflikt seit 1998 mit der nuklearen Option.

Atomwaffen als Mittel der Politik

Die Haltung Indiens zur strategischen Bedeutung von Atomwaffen und deren Einsatzmöglichkeiten unterscheidet sich deutlich von der Pakistans, denn auch die Konflikte mit dem Nachbarland werden in Indien vollkommen anders bewertet: Zu keinem Zeitpunkt kämpften fremde Truppen (seien es chinesische oder pakistanische) auf unumstrittenem indischen Hoheitsgebiet. Indien vermochte es, Konflikte auf die umstrittenen Grenzgebiete einzudämmen. Und selbst in der Kargil-Krise war Indien peinlichst darauf bedacht, eine Eskalation über die international anerkannte „Line of Control“ zu verhindern. Auch bedrohte keiner dieser Kriege Indiens Existenz. Das Land verlor mehr Soldaten und Polizisten in internen Aufständen als in diesen Kriegen, und selbst der Kaschmir-Konflikt wird als internes Problem angesehen. Nichtsdestotrotz rüstet Indien gegen Pakistan auf. Schnelle, mobile gepanzerte Einheiten werden im Rahmen der „Cold Start“-Doktrin aufgebaut, um im Falle eines Konflikts schnell und präzise pakistanisches Territorium anzugreifen, ohne dabei einen Nuklearkrieg zu riskieren.

Dass Indien die recht niedrige Einsatzschwelle Pakistans für Nuklearwaffen so eindeutig ignoriert, lässt sich nur mit einer anderen Einschätzung der Bedeutung von Nuklearwaffen erklären. Maßgeblich für den Unterschied in der Wahrnehmung der Nuklearwaffen ist die Absenz des Militärs in politischen Entscheidungsprozessen. Das militärische Nuklearprogramm wurde von den Politikern in Neu-Delhi und insbesondere von einer „nuklearen Community“ vorangetrieben, ohne das Militär einzubeziehen. Obwohl Indien 1998 zwar Atombomben zündete, dauerte es etliche Jahre, bis Neu-Delhi eine nukleare Kommandostruktur aufbaute, die den Militärs außerdem eine rein beratende Rolle zuweist. Und erst im amerikanisch-indischen Separationsvertrag des Jahres 2005 wurden zivile von militärischen nuklearen Einrichtungen getrennt. Wesentlich für den nichtmilitärischen Charakter der indischen Atombombe ist eine noch immer tief verwurzelte Tradition, die von Indiens erstem Ministerpräsidenten Jawarhalal Nehru begründet wurde. Nehru akzeptierte das Militär und militärische Einsätze als „notwendiges Übel“, denn in einer Weltordnung, in der man Konflikte weder verhindern, noch ihnen aus dem Weg gehen könne, sei die Armee eben zur Verteidigung der eigenen staatlichen Souveränität notwendig. Folgt man dieser Logik, wird Nuklearwaffen gewissermaßen die militärische Bedeutung entzogen. Sie werden vor allem als Instrument zur Durchsetzung der außenpolitischen Ambitionen Indiens benötigt. Eine gewisse neorealistische Tendenz lässt sich nicht leugnen und somit misst man Nuklearwaffen in Indien nicht vornehmlich die Bedeutung einer militärischen Abschreckung Pakistans oder Chinas bei. Sie sind Mittler einer Botschaft an die Weltöffentlichkeit und die Region: Ein demokratischer Staat, der mit stetig steigendem Wirtschaftswachstum sogar China überholen könnte und im Besitz von Atomwaffen ist, kann auf der internationalen Bühne nicht ignoriert werden.

Die indischen Tests vom Jahr 1998 erfüllten demnach die Dreifachfunktion einer innenpolitischen „Prestigeheimserei“ der Hindu-Nationalisten von der damaligen Regierungspartei BJP: Es ging um die Darstellung indischer Grandeur und technologischer Größe und das Kalkül eines Sitzes im UN-Sicherheitsrat. Dass Indira Gandhi, Ministerpräsidentin Indiens von 1966 bis 1977 (und noch einmal von 1980 bis 1984), die ersten indischen Nukleartests im Jahr 1974 als „friedliche Atomtests“ bezeichnete, muss deshalb nicht als Widerspruch in sich gelten. Vielmehr unterstreicht es den Charakter der indischen Atomwaffen als Mittel zur politischen Machterweiterung. Auch das unbeirrte Eintreten Indiens für nukleare Abrüstung und eine Globale Null darf man dann als folgerichtigen Hauptbestandteil der indischen Außenpolitik verstehen. Selbst Indiens Nukleardoktrin, die auf Verweigerung des Erstschlags und einer nuklearen Trilogie von Land-, Luft- und See-basierten Trägersystemen beruht, lässt sich aus dem Blickwinkel der erzielten außenpolitischen Wirkung betrachten. Allerdings formiert sich in den letzten Jahren eine Gegenbewegung, die die militärische Notwendigkeit der Nuklearwaffe betont. Diese Hardliner sind vor allem im Nuklearprogramm und den damit verbundenen Industrien angesiedelt. Sie halten am Prinzip der friedlichen Atommacht und des Verzichts auf die Option eines nuklearen Erstschlags fest, aber das Militär argumentiert mittlerweile für schnellere Zweitschlagsoptionen. Eine Politik der technologischen Aufrüstung, die aber gleichzeitig außer Acht lässt, dass Pakistan Nuklearwaffen eben nicht nur als politisches, sondern als militärisches Instrument betrachtet, könnte zu einem ungewollten Rüstungswettlauf mit Pakistan führen. Die wirtschaftlichen und politischen Kosten eines solchen Wettrüstens lägen weder im Interesse Pakistans noch Indiens.

Konfliktlösung in politischen Gremien

Keines der beiden Länder ist Vertragspartner des Atomwaffensperrvertrags. Beide Staaten könnten ihm nur beitreten und von zivilen nuklearen Nutzungsmöglichkeiten profitieren, die an den NVV gebunden sind, wenn sie auf Atomwaffen verzichten würden. Indien lehnt zwar den Beitritt zum NVV mit dem Argument ab, dass er die Welt ungerecht in Atommächte und „nukleare Habenichtse“ teilen würde. Dennoch trat Neu-Delhi immer für Abrüstung und eine Rüstungskontrolle ein und akzeptierte auch bereitwillig Inspektionen durch die IAEO. Im Fall Pakistans offenbart sich allerdings ein Dilemma: Unter der gegenwärtigen Nukleardoktrin und solange Indien als „Erzfeind“ und existenzbedrohend wahrgenommen wird, wäre ein Verzicht auf das pakistanische Nukleararsenal völlig illusorisch. Eine Annäherung an Indien jedoch würde auch einen realistischen Diskurs über Sicherheitsprämissen und eine gewisse Öffnung des pakistanischen politischen Prozesses mit sich bringen, die die zentrale Stellung des Militärs untergraben würde. Die Forderung nach einer Demokratisierung wiederum wird von der Angst vor einem Zerfall Pakistans überschattet. Größere politische Instabilität, die eine nukleare Proliferation womöglich an islamistischterroristische Organisationen ermöglichen könnte, läge aber auch nicht im Interesse der Staatengemeinschaft. Misstrauen und völlig unterschiedliche verteidigungspolitische Wahrnehmungen prägen noch immer das Verhältnis zwischen Indien und Pakistan. Die Gefahr eines nuklearen Schlagabtauschs ist deshalb noch nicht völlig gebannt. Allerdings etablierte der Verbunddialog (Composite Dialogue) zwischen Indien und Pakistan wenigstens eine Art Waffenstillstand, wenn auch keine deutlichen Lösungen erreicht wurden. Dies lässt hoffen, dass eine Eskalation zu verhindern wäre, wenn die beiden Staaten weiterhin Konflikte in politische Gremien verlagern. 

STEFAN SCHILLING ist Assistent an der Fakultät für Internationale Politik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

  • 1Der Autor bezieht sich im Folgenden ausführlich auf die Studie von Oliver Thränert und Christian Wagner: Atommacht Pakistan. Nukleare Risiken, regionale Konflikte und die dominante Rolle des Militärs, SWP Studie, Februar 2009.

  • 2Scott Sagan, Kenneth Waltz und Richard Betts: A Nuclear Iran. Promoting Stability or Courting Disaster?, Journal of International Affairs, 2/2007, S. 135–150.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2011, S. 40 - 46

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