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01. Sep 2020

Gefährlicher Punkt

Die Spannungen im Südchinesischen Meer zwischen China, den USA und den Anrainern haben eine neue Qualität erreicht. Peking will offenbar das Seerechtsübereinkommen aushebeln.

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Bild: Amerikanische Manöverübung im Südchinesischen Meer, Juli 2020
Manöverkritik: Aus Sicht Pekings will Amerika mit Übungen seiner Flugzeugträger-Verbände im Südchinesischen Meer (hier: Mitte Juli) Unruhe stiften. Anrainerstaaten wie Malaysia und Indonesien sehen das anders.
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Sollten sich die USA und China bereits in einem kalten Krieg befinden, dann ist die heißeste Front dieses Krieges das Südchinesische Meer.

Im Juli und August hielten dort zwei amerikanische Flugzeugträger-Verbände Manöver ab, die chinesische Marine führte Gefechtsübungen mit scharfer Munition durch, und die taiwanesische Luftwaffe unternahm regelmäßige Patrouillen, ausgerüstet mit Seezielflugköpern. Und das sind lediglich die größeren Entwicklungen, von denen wir nur aufgrund von Fotos und Videoaufnahmen wissen, die das gegnerische Militär den nationalen Medien zur Verfügung gestellt hat. Der mediale Kampf ist wohl die wichtigste Schlacht, da jede Regierung ihre Entschlossenheit demonstrieren will, die eigene Strategie durchzusetzen, gegen welche Widerstände auch immer.



Die Streitigkeiten im Südchinesischen Meer sind an einem gefährlichen Punkt angelangt. Jahrzehntelang war Amerikas Macht in diesen Gewässern unangefochten. Selbst während des Kalten Krieges mit der Sowjetunion hat kein Land versucht, die USA aus der Region zu vertreiben. Aber genau das scheint Chinas derzeitige Intention zu sein. Das Land hat auf die US-Manöver damit reagiert, die Stärke seiner als „Flugzeugträger-Killer“ bekannten DF-21- und DF-26-Mittelstreckenraketen zu demonstrieren. Es hat zudem seine Marine drastisch aufgerüstet.



Zwischen 2014 und 2018 hat China mehr U-Boote, Kriegs-, Amphibien- und Hilfsschiffe vom Stapel gelassen, als die Marinen von Deutschland, Großbritannien, Spanien, Taiwan und Indien zusammengenommen zur Verfügung haben. Amerikanische Kriegsschiffe werden routinemäßig provoziert und gelegentlich auch physisch von chinesischen Schiffen konfrontiert. Wenn China es als strategische Notwendigkeit betrachtet, die US Navy aus der Region zu verdrängen, und die USA weiterhin den Zugang zu diesem Meer als wichtiges strategisches Interesse ansehen, wird es zu noch heftigeren Konfrontationen kommen.



Am 14. Juli beschuldigte der stellvertretende Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian, die USA, „keine Kosten und Mühen zu scheuen, Ärger zu provozieren und Unfrieden zu stiften zwischen China und anderen Ländern in der Region“. Allerdings heißen die südasiatischen Anrainer, die im Südchinesischen Meer Ansprüche erheben – die Philippinen, Malaysia, Brunei und Indonesien – die Besuche von US-Kriegsschiffen und Diplomaten weiterhin willkommen. Denn sie alle sind von der chinesischen Aggression alarmiert.



Im Januar verkündete die indonesische Regierung, sie werde die Fischer des Landes „mobilisieren“, als Antwort auf Übergriffe chinesischer Fischerboote im Monat zuvor, die von Schiffen der chinesischen Küstenwache unterstützt wurden. „Wir verhandeln nicht über unsere Souveränität“, erklärte Präsident Joko Widodo. Bei der Auseinandersetzung geht es um ein Seegebiet vor den indonesischen Natuna-Inseln, das 1500 Kilometer vom chinesischen Festland entfernt liegt.



Auch Malaysia hat sich gegen chinesische Störmanöver vor der Küste Borneos zur Wehr gesetzt. Im Mai 2019 behinderten Boote der chinesischen Küstenwache eine Bohrinsel und deren Begleitschiffe in der Nähe der Sarawak-Provinz. Im April 2020 kontrollierte ein chinesisches Schiff zur Untersuchung von Erdbeben, geschützt von einer Flottille aus Schiffen der Küstenwache und der Volksbefreiungsmarine, die Ausschließliche Wirtschaftszone Malaysias. Kuala Lumpur hat die Förderung von Erdöl und Erdgas in der Region fortgesetzt und seine Marine entsandt, um chinesische Schiffe aufzuhalten. Das Land hat sich zudem an die Vereinten Nationen gewandt und die chinesischen Ansprüche förmlich zurückgewiesen. Das war ein außergewöhnlich drastischer Schritt für ein Land, das sich normalerweise bedeckt hält.



Vietnam hat einen anderen Weg eingeschlagen als Malaysia und Bohrungen nach Erdöl und Erdgas auf Druck Chinas eingestellt. Im Juli wurde ein geplantes Projekt mit dem russischen Großkonzern Rosneft verworfen, obwohl die Umsetzung in einem Gebiet erfolgen sollte, in dem bereits seit 18 Jahren gefördert wurde. Zudem wurde bekannt, dass Vietnam einem Vergleich mit dem spanischen Ölkonzern Repsol und der Ölfirma Mubadala aus den Vereinigten Arabischen Emiraten über eine Milliarde Dollar zugestimmt hat, nachdem Bohrungen 2017 und 2018 gestoppt worden waren. Vietnam hat immer größere Schwierigkeiten, genügend Elektrizität zu produzieren, um sein Wirtschaftswachstum zu stützen. Wenn es keine natürlichen Gasvorkommen finden kann, wird es künftig stärker von chinesischen Kohlekraftwerken abhängig sein.



Den Philippinen droht eine ähnliche Krise, auch wenn sich ein großes Gasfeld inmitten der Ausschließlichen Wirtschaftszone unter der sogenannten „Reed Bank“ befindet. Präsident Rodigro Duterte hat öffentlich erklärt, dass China ihm mit Krieg gedroht habe, wenn er die Erschließung des Gebiets vorantreiben würde, obwohl die Philippinen 2016 vor einem internationalen Schiedsgericht im Streit um die Ressourcen gewonnen hatten. Dutertes Feindseligkeit gegenüber dem wichtigen Partner USA ließ ihm keine andere Wahl, als Chinas Drohungen nachzugeben. Die Konsequenzen für die Energieversorgung des Landes sind noch unklar.



Mitte Juli hat die US-Regierung eine neue Position zum Südchinesischen Meer eingenommen, die an den Schiedsgerichtsspruch von 2016 anschließt. Außenminister Mike Pompeo stellte klar, dass „Pekings Ansprüche auf Offshore- Ressourcen in großen Teilen des Südchinesischen Meeres ebenso rechtswidrig sind wie die Kampagne von Drangsalierungen“. Dies könnte ein erster Schritt hin zu einer Unterstützung für südostasiatische Marinen durch US-Schiffe bei der Abschreckung Chinas sein.



Im Juli 2019 sagte der chinesische Außenminister Wang Yi vor Amtskollegen des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN), dass die Gebiete, in denen chinesische Schiffe an Konfrontationen beteiligt waren, „umstritten“ seien. Allerdings hat er die rechtliche Grundlage, auf der die chinesischen Ansprüche in dieser Region beruhen, nicht erläutert – das hat bis heute noch kein chinesischer Regierungsvertreter getan.



Eine Karte von 1948

Soweit wir wissen, hängen die Ansprüche mit einer chinesischen Karte von 1948 zusammen, auf der eine gestrichelte Linie eingezeichnet ist, die den Großteil des Südchinesischen Meeres umschließt. Chinesische Regierungsdokumente aus dieser Zeit zeigen, dass die Karte dazu gedacht war, den Anspruch Chinas auf Dutzende Riffe und Felsen innerhalb dieser Linie zu zeigen.



In jüngster Zeit haben sich die chinesische Küstenwache, die Volksbefreiungsmarine, Fischer und andere allerdings so verhalten, als glaubten sie, alles innerhalb der Linie – Fischbestände, Erdöl- und Erdgasvorkommen und selbst das Wasser – würde zu China gehören. Dies widerspricht vollkommen dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ), das China und alle anderen Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres ratifiziert haben.



Das SRÜ ist ein Grundpfeiler der regelbasierten internationalen Ordnung, weshalb Staaten im und um das Südchinesische Meer sich gegen das wehren, was sie als Chinas Versuche verstehen, das Abkommen auszuhebeln. Sollte das SRÜ in Asien zu einem Papiertiger werden, wären weltweit die Aussichten für den Rest der internationalen Ordnung düster.      

 

Bill Hayton ist Associate Fellow des Asia-Pacific Programme von Chatham House in London. Sein neuestes Buch „The Invention of China“ erscheint im Oktober bei Yale University Press.

       

Aus dem Englischen von Melina Lorenz.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2020, S. 66-68

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