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17. Apr. 2012

Funke der Hoffnung

Wie sich der Iran und der Westen trotz aller Hindernisse einigen könnten

Eine Übereinkunft mit dem Iran, wo der Oberste Religionsführer Ali Khamenei alle Macht an sich gezogen hat, wird schwierig. Unmöglich ist sie nicht. Der Westen wird sich bewegen müssen, um das Regime von seinem Konfrontationskurs in Sachen Atomprogramm abzubringen. Doch auch auf iranischer Seite gibt es „Stimmen der Vernunft“.

So viel wie dieses Mal stand bei den internationalen Verhandlungen mit dem Iran über sein Atomprogramm noch nie auf dem Spiel. Von umso größerer Bedeutung sind deshalb Überlegungen, welche realistischen Angebote der Westen machen könnte, um zu einer Einigung mit der Islamischen Republik zu gelangen.

Zuerst einmal ist es wichtig, die Veränderungen im Machtgefüge des iranischen Regimes seit den letzten Verhandlungsrunden von 2009 und 2010 zu verstehen. Die iranischen Parlamentswahlen vom 2. März 2012 haben bestätigt, dass der Oberste Revolutionsführer Ali Khamenei heute alle Macht in seinen Händen gebündelt hat. Zwei Lager dominieren nun das Parlament: die traditionellen Konservativen und die extremistischen Hardliner. Alle anderen politischen Strömungen – einschließlich der Reformer und selbst der mit Präsident Machmud Achmadinedschad verbundenen Bewegung – sind nun außen vor und haben entweder wenig oder keinen Einfluss im Kreis der Berater, auf den sich Khamenei stützt.

Was bedeutet das für die Atom-Verhandlungen? Es ist unwahrscheinlich, dass – wie es in der Vergangenheit häufig der Fall war – aus Teheran widersprüchliche Ansichten und Botschaften kommen werden. Khamenei hat das Heft des Handelns in der Hand. Welche Vorschläge auch immer bei den Verhandlungen in Istanbul von iranischer Seite vorgebracht werden – sie müssen von ihm genehmigt worden sein.

Die Ergebnisse der Parlamentswahlen zeigen auch, dass Khamenei Widerspruch innerhalb des Regimes nicht länger toleriert. Selbst langjährige Getreue wie Parlamentspräsident Ali Laridschani, der in der Vergangenheit abweichende Meinungen vertrat, werden wohl bald beiseite geschoben werden. Den Posten des Parlamentspräsidenten wird nach der Einschätzung vieler ein Vertrauter Khameneis erhalten, der mit dem Obersten Religionsführer zudem familiär verbunden ist.

Nun, da die Konservativen den Staat gänzlich unter ihrer Kontrolle haben, ist es allerdings weniger wahrscheinlich, dass das Regime auf Druck reagiert. Zudem dürfte die Führung in Teheran gegenüber dem Westen kaum Entgegenkommen bei den Fragen zeigen, die diesem wichtig sind, wie zum Beispiel ein Stopp der Urananreicherung. Einer Aussetzung hat der Iran zum letzten Mal unter der Präsidentschaft von Mohammed Khatami (1997–2005) zugestimmt, suchte er doch bessere Beziehungen mit dem Westen. Damals fürchtete der Iran zudem einen Angriff der Vereinigten Staaten, die gerade im Irak einmarschiert waren.

Auf Konfrontationskurs

Es gibt kaum Zweifel, dass das iranische Regime und die Bevölkerung befürchten, dass Israel oder die Vereinigten Staaten gezielt die Atom­anlagen des Landes angreifen könnten. Trotzdem hat Teheran in den vergangenen Jahren bei seiner Atompolitik gezielt einen Konfrontationskurs gesteuert. Als die konservativen Hardliner immer mehr die Kontrolle über den Staat übernahmen und Khamenei den Revolutionsgarden mehr politische und wirtschaftliche Macht gab (die Revolutionsgarden kontrollieren heute schätzungsweise 70 bis 80 Prozent der Wirtschaft), wurde das Regime immer kompromissloser. Zu dieser Strategie gehört auch, auf den Druck des Westens mit trotziger Missachtung zu antworten.

Man muss sich nur vor Augen führen, welche Schritte die iranische Führung unternommen hat, seit sie stärker unter internationalem Druck steht – ja unter den härtesten Sanktionen, die seit der Islamischen Revolution 1979 gegen das Land verhängt wurden. Seit 2006 hat die Führung in Teheran eine rote Linie nach der anderen verschoben, die der Westen gezogen hatte. Die Zahl der Zentrifugen ist um das Achtfache gestiegen, der Iran reichert jetzt 20-prozentiges Uran an – dabei hatte der Westen noch vor zwei Jahren erklärt, er werde es nicht hinnehmen, dass Teheran Uran mit dieser Anreicherungsrate produziere. Darüber hinaus hat Teheran der Weltöffentlichkeit höher entwickelte Zentrifugen präsentiert, und das Land verfügt heute nicht mehr nur über eine, sondern über zwei Anreicherungsanlagen. Zumindest ist das die Zahl, die der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) bekannt ist.

Die jüngst abgehaltenen Parlamentswahlen haben zugleich offenbart, dass Khamenei keinen Wert auf die öffentliche Meinung legt, selbst wenn er damit das Risiko eines weiteren Volksaufstands eingeht. Wie schon 2009 gibt es genügend Hinweise auf massive Wahlfälschung. Zudem wurden Kandidaten, deren Loyalität dem Regime gegenüber in Frage stand, vorher von der Wahl ausgeschlossen. Die Angabe der Regierung, nach Auszählung aller Stimmen habe die Wahlbeteiligung bei 64 Prozent gelegen, ist fragwürdig. Denn als der Innenminister sich beeilte, die Wahlergebnisse vor laufenden TV-Kameras zu verkünden, sprach er davon, dass 26 Millionen Menschen ihre Stimme abgegeben hätten. Die Gesamtzahl der Wahlberechtigten im Iran liegt bei 48 Millionen Menschen – somit hätte die Wahlbeteiligung nur bei 54 Prozent gelegen.

Vielleicht ist Khamenei die öffentliche Meinung auch deshalb gleichgültig, weil er weiß, dass seine Autorität und die Legitimität der Islamischen Republik bei der Bevölkerung seit 2009 stark abgenommen haben. Auch wenn die Unterstützung für das Regime empirisch nicht gemessen werden kann, ist öffentliche Kritik an Khamenei nicht nur in der Oppositionsbewegung, sondern auch im klerikalen Establishment weit verbreitet. Dass die iranische Bevölkerung sehr wahrscheinlich mit dem Westen einen Kompromiss schließen würde, um einen Krieg zu verhindern – zumindest einen Kompromiss, der das zivile Atomprogramm intakt ließe, da die Nukleartechnologie von weiten Teilen des Volkes begrüßt wird –, spielt im Verhandlungskalkül der iranischen Führung wohl keine Rolle.

Und doch, trotz all dieser Einschränkungen und Hindernisse, die es dem Westen schwer machen werden, den Iran zu Zugeständnissen zu bewegen, könnten die EU-3+3 einige Maßnahmen ergreifen, die den Gesprächen einen Funken Hoffnung auf Erfolg gäben. Dabei ist es wichtig, die Krise aus der Sicht Teherans zu sehen. Das Regime ist überzeugt, dass die Vereinigten Staaten, Israel und die EU bereits einen Schattenkrieg gegen den Iran führen, zu dem die Ermordung seiner Atomwissenschaftler, eine ernste Wirtschaftskrise, verursacht durch die amerikanischen sowie die EU- und UN-Sanktionen, ein Cyberangriff inklusive des Stuxnet-Virus sowie permanente Kontakte mit der Exilopposition gehören. Das iranische Regime glaubt, dass Saudi-Arabien ebenfalls ein Gegner in diesem geheimen Krieg ist, zu dem auch die Entsendung saudischer Truppen nach Bahrain gehört, um den schiitischen Aufstand dort niederzuschlagen, sowie Riads Unterstützung für irakische Gruppen, die die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad bekämpfen.

Zuckerbrot statt Peitschenhiebe

Zuallererst sollten die amerikanischen und europäischen Vertreter vor Beginn der Gespräche den iranischen Unterhändlern gegenüber kategorisch klarstellen, dass weder ein Regimewechsel noch ein Krieg mit dem Iran zu ihren Zielen gehören. Denn die Konservativen um Khamenei und der Oberste Religionsführer selbst glauben seit jeher, dass es den Vereinigten Staaten eigentlich darum geht, das Regime von der Macht zu vertreiben. Die Amerikaner und Europäer sollten auch erklären, dass ein Stopp der Urananreicherung nicht zu ihren Forderungen gehört.

Überhaupt sollte sich der Westen darauf einstellen, dem Iran auch „Zuckerbrot“ anzubieten und ihm nicht nur „Peitschenhiebe“ anzudrohen. Ideen dazu gibt es: Einige Experten haben vorgeschlagen, dem Iran zwei Verhandlungspakete zu unterbreiten: eines, das es dem Iran erlaubt, die Urananreicherung nach den Vorgaben des Nichtverbreitungsvertrags fortzusetzen, wenn er die Regeln der IAEO befolgt, und eines, bei dem es um eine Übereinkunft ausschließlich und direkt zwischen dem Iran und den USA geht. Solch eine Einigung würde Irans langjährige Forderungen an die Adresse der USA aufgreifen, wie zum Beispiel die Freigabe der infolge der Revolution von 1979 eingefrorenen Vermögen.

Der frühere Sprecher der iranischen Verhandlungsdelegation, Hossein Mousavian, der in Teheran in Ungnade fiel und heute in den Vereinigten Staaten lebt, hat vorgeschlagen, dem Iran die folgenden, unter Umständen annehmbaren Angebote zu machen: erstens die Sanktionen aufzuheben, während der Iran seine Anreicherungstätigkeiten auf seine tatsächlichen Energiebedürfnisse beschränkt; zweitens das Thema iranisches Atomprogramm bei der IAEO und dem UN-Sicherheitsrat zu „normalisieren“; drittens offiziell das Recht des Iran anzuerkennen, die Nukleartechnologie einschließlich der Urananreicherung zu nutzen.
Mousavian geht davon aus, dass das Regime ein solches Angebot annehmen würde, um die Grundlagen für eine Vertrauensperiode zu schaffen, während der dann eine umfassende Einigung erreicht werden könnte.

Im Gegenzug schlägt Mousavian vor, dass sich der Iran zu Folgendem verpflichtet: erstens zu einer engen Zusammenarbeit mit der IAEO, um alle Unklarheiten, die seine bisherigen Nuklearaktivitäten betreffen, zu beseitigen; zweitens zu einem Versprechen, alles angereicherte Uran, das nicht zur inländischen Energieerzeugung genutzt wird, zu exportieren, um jeglichen Verdacht zu entkräften, dass das darüber hinaus produzierte Uran dazu benutzt werde, eine Atombombe zu entwickeln; drittens zu voller Transparenz bei der Produktion von Zentrifugen an allen Standorten, sodass die IAEO in der Lage ist, die Anzahl von Zentrifugen zu überprüfen, die der Iran in der Vergangenheit hergestellt hat, um die aktuelle Produktion nachzuprüfen; viertens mit dem UN-Sicherheitsrat zusammenzuarbeiten, um eine atomwaffenfreie Zone im Mittleren Osten zu schaffen.

Der Westen sollte die Verhandlungen als längerfristigen Prozess begreifen und nicht als einmalige Chance für den Iran, ein Abkommen zu schließen. Die Iraner verhandeln über längere Zeitspannen hinweg und machen oft zwei Schritte rückwärts, um einen nach vorn zu setzen, aber das ist einfach ihre Art, zu einer Vereinbarung zu gelangen.

Es ist wahr, dass der Iran in der Vergangenheit Fakten geschaffen hat, während er die Verhandlungen verschleppte. Deshalb sollte der Westen, wenn er versucht, den Iran zu den oben genannten Zugeständnissen zu bewegen, Fristen und feste Bezugspunkte setzen, um sicherzustellen, dass Teheran wirklich die vereinbarten Schritte unternimmt und nicht einfach sein Atomprogramm vorantreibt, während es verhandelt.

Stimmen der Vernunft

Auch wenn Khamenei wahrscheinlich weiter glauben wird, dass ein Regimewechsel das eigentliche Ziel des Westens ist: Wenn der Westen Zugeständnisse macht, dürfte Khamenei ermutigt werden, einer Lösung zuzustimmen, um Krieg zu verhindern. Bei all der scharfen Polemik, die dem Westen aus Teheran entgegenschallte, gingen zuletzt die Stimmen der Vernunft unter. Ali Ahani, Irans Botschafter in Frankreich, sagte am 8. März der Nachrichtenagentur Reuters zu der anstehenden Gesprächsrunde: „Wir müssen versuchen, unsere Streitigkeiten durch Gespräche zu lösen und zu einem Kompromiss zu gelangen, und in meinen Augen ist es besser, nicht schon im Vorfeld über diese Verhandlungen zu urteilen.“

Said Dschalili, iranischer Chef­unterhändler bei den Atomverhandlungen und Vorsitzender des Obersten Nationalen Sicherheitsrats, hat zuletzt angedeutet, dass der Iran von einem langen Verhandlungsprozess ausgehe, bis eine Einigung erreicht sei. Von den EU-3+3 forderte er einen konstruktiven Ansatz für die Gespräche auf der Grundlage des „Rechts des Iran zur Nukleartechnologie in Übereinstimmung mit dem Nichtverbreitungsvertrag“; die Verhandlungen sollten „beständig und fortschreitend“ gestaltet werden.

Während der Westen die iranische Position in seine Überlegungen mit einbeziehen muss, sollte der Iran wissen, dass der Westen zusammensteht. Falls keine Lösung gefunden wird, werden die USA und die europäischen Staaten bei einer Entscheidung, ob sie einen Militärschlag gegen Irans Atomanlagen führen wollen, zwei Rechnungen aufmachen: Schreitet der Bau der Atombombe schneller voran, als das iranische Regime die Effekte der Sanktionen spürt? Und falls dem so sein sollte: Wäre der mögliche Schaden eines Angriffs auf den Iran und die Region kleiner oder größer als der eines nuklear bewaffneten Iran?

GENEIVE ABDO ist Direktorin des Iran-Programms des Middle East Institute und Autorin mehrerer Bücher, darunter „Answering Only to God“.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/ Juni 2012, S. 55-59

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