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01. Mai 2013

Für mehr Krisenprävention

Deutschland kann seinem Ruf als Zivilmacht besser gerecht werden

Es ist keine Entweder-oder-
Entscheidung, sondern eine Frage der besseren Kooperation: von Militär, Polizei und zivilen Experten. Die alte Erkenntnis, dass Prävention besser und günstiger ist als Intervention, sollte endlich dazu führen, dass Deutschland seine bestehenden zivilen Kapazitäten stärker nutzt.

Deutschland hat seit seiner ersten Beteiligung an einem internationalen Friedenseinsatz 1992 in Kambodscha einen weiten Weg zurückgelegt.1 Heute arbeiten mehr als 6200 Deutsche – Bundeswehrangehörige, Polizisten und zivile Experten – in Friedensmissionen.2 Aber die vorhandenen Kapazitäten könnten ziel­orientierter und ausgewogener eingesetzt werden.

Denn noch klafft zwischen dem Anspruch einer Zivilmacht und der Wirklichkeit eine Lücke. In der deutschen Außenpolitik werden Aktivitäten in diesem Bereich meist als „zivile Krisenprävention“ beschrieben. Das mag vielleicht ein zeitsparendes Kürzel sein, da die einschlägigen Dokumente von „Ziviler Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ sprechen und so den gesamten Konfliktzyklus abdecken.3 Und doch betonen die Namen der mit ihrer Umsetzung betrauten Strukturen (Ressortkreis und Beirat „Zivile Krisenprävention“) den Aspekt der Konfliktverhütung.4 Die sichtbarsten Maßnahmen deutscher Außenpolitik zielen aber eher auf die Bewältigung von bestehenden Konflikten und die Friedenskonsolidierung nach ihrem Ende als auf deren Vermeidung. 

Dieser Zustand ist keineswegs ein rein deutsches Phänomen. Krisenprävention wird weltweit vernachlässigt, wie einige Beispiele der jüngsten Vergangenheit zeigen. In Libyen, Côte d’Ivoire, der Grenzregion zwischen Sudan und Südsudan, dem Osten der Demokratischen Republik Kongo und in Mali setzte ein aktives internationales Konfliktmanagement erst ein, nachdem der Konflikt eskaliert war und der Krieg Tausende Opfer gefordert hatte – und das, obwohl in manchen Fällen bereits eine internationale Präsenz vor Ort war. Ein frühzeitiges Eingreifen hätte dagegen nicht nur Menschenleben, lokale Infrastruktur und gesellschaftlichen Zusammenhalt im Konfliktgebiet bewahrt, sondern auch internationale Gelder eingespart. 

Es ist keine neue Erkenntnis, dass Prävention sicherheitspolitisch effizienter, ökonomischer und meist auch konsensfähiger ist als Intervention. Dennoch bleibt die Konfliktpräven­tion ein Konzept, das weitaus öfter gefordert als praktiziert wird. Dieser offensichtliche Widerspruch lässt sich mit der politischen Ökonomie jeder Art von Vorsorge erklären. Probleme unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle der Öffentlichkeit anzugehen, ist riskant und wird zumeist nicht belohnt – nicht nur im Bereich Konfliktmanagement. Der Erfolg ist unsicher, kaum belegbar und hierzulande nicht sichtbar. Medienwirksam ist nur der Misserfolg. Deshalb hat zivile und präventive Friedensarbeit ein politisches Akzeptanz- und ein Imageproblem. 

So ist zu erklären, dass wir immer wieder zu einem späten Zeitpunkt in bereits bewaffnete Konflikte eingreifen, obwohl diese sich meist lange zuvor angekündigt haben und ihre Ursachen hinlänglich bekannt sind. Die aktuelle Lage in Mali ist dafür ein Beispiel: Der Konflikt schwelte schon mindestens seit Anfang 2012, der Norden des Landes verkündete seine Abspaltung und gewalttätige islamistische Gruppierungen drangen immer weiter Richtung Süden vor. Aber erst als die Hauptstadt Bamako unmittelbar bedroht wurde, griffen französische Truppen ein. 

Zu einem früheren Zeitpunkt hätte es im Instrumentarium des internationalen Konfliktmanagements auch andere Optionen gegeben. Rechtzeitig und kreativ angewendet, hätten präventive Diplomatie und politische Mediation durchaus Erfolge erzielen können. Eine vergleichbare Situation in Guinea konnte 2009/10 mit diesen Instrumenten entschärft werden. Doch leider folgte das Engagement der internationalen Gemeinschaft in Mali nicht dem Vorbild von Guinea. Es erinnert vielmehr an das Eingreifen in Afghanistan nach 9/11. 

Vernetzte Sicherheit 

Immer wieder zeigt sich, dass das Militär die größte Rolle bei der deutschen und internationalen Krisenbewältigung spielt. Androhung oder Einsatz von militärischer Gewalt ist in manchen Situationen notwendig. Das Militär ist aber auch deshalb so oft erste Wahl, weil es rasch verfügbar, prominent aufgestellt und den politischen Eliten daher vertraut ist. Allerdings ist ein militärischer Einsatz – auch dies keine originelle Einsicht – selten ausreichend.  

Denn nach dem militärischen „Sieg“ beginnen die Schwierigkeiten oft erst richtig: Der konventionell geschlagene Gegner räumt das Schlachtfeld, verschwindet in schwer zugänglichen Rückzugsgebieten und mischt sich unter die Zivilbevölkerung. Von dort verlegt er sich auf asymmetrische Kriegsführung. Gelangten in Afghanistan die Höhlen von Tora Bora zu weltweiter Berühmtheit als Versteck für die Taliban, sind es nun in Mali die Adrar Berge als Bastion von Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM). 

Neben Ortskenntnis verfügen diese lokalen „Spoiler“ aber noch über eine weitere wertvolle Ressource, deren Bedeutung regelmäßig unterschätzt wird: Zeit. Von der ersten Minute an ist der Friedenseinsatz ein – wenn auch langsamer – Wettlauf gegen die Uhr. Über kurz oder lang schwindet die zunächst meist vorhandene Akzeptanz für eine ausländische Truppenpräsenz bei lokalen Eliten und der Zivilbevölkerung. Ebenso schwindet der politische Wille der den Friedenseinsatz unterstützenden Staaten, nicht zuletzt weil ihnen erhebliche Kosten entstehen.

Dieser Wettlauf ist nur zu gewinnen, wenn die tieferen Ursachen des Gewaltausbruchs dauerhaft ausgeschaltet werden können: mit Hilfe der nachhaltigen Konflikttransformation. Diese Ursachen sind in jedem Fall hoch komplex, lokal spezifisch und für Außenseiter schwer zu durchschauen. Klar ist jedoch, dass das Militär allein überfordert ist – was niemandem deutlicher bewusst ist als dem Militär selbst. Es hat zwar weiterhin eine wichtige Rolle in der Gewährleistung eines (einigermaßen) sicheren Umfelds, braucht aber Verstärkung durch andere Institutionen. 

Der Aktionsplan der Bundesregierung stellt fest: „Eine bewaffnete Intervention kann zivile Konfliktbearbeitungsmaßnahmen und die Bekämpfung struktureller Krisenursachen nicht ersetzen.“5 Dieses notwendige Zusammenwirken gehört zum weithin eingeforderten Prinzip der „vernetzten Sicherheit“ bzw. eines umfassenden Ansatzes.6 Dieser „bezweckt … die Ausrichtung ziviler, polizeilicher und militärischer Ressourcen auf das gemeinsame Ziel Sicherheit“,7 womit – neben den zentralen lokalen Partnern – die beiden anderen unverzichtbaren Akteure genannt wären.

Internationale Polizeikräfte können für Sicherheit sorgen in Situationen, für die das Militär weder ausgerüstet noch ausgebildet ist, wie etwa bei gewalttätigen Demonstrationen. Außerdem können sie ihre Kollegen vor Ort durch den Aufbau von Sicherheitsinstitutionen und Trainingsmaßnahmen in die Lage versetzen, selbst wieder die Verantwortung für die Sicherheit zu übernehmen. Polizeikräfte kommen daher seit Ende der neunziger Jahre in den meisten der von den Vereinten Nationen und verschiedenen Regionalorganisationen durchgeführten Friedensmissionen zum Einsatz. Gerade die Europäische Union hat in diesem Bereich, unter wesentlicher deutscher Beteiligung, weltweit anerkannte Fähigkeiten entwickelt.8

Einsatzbereit, aber unterschätzt

Die dritte unverzichtbare Gruppe – gerade für eine „Zivilmacht“ – sind die zivilen Experten. Ihre Aufgaben in Friedenseinsätzen sind außerordentlich vielfältig: Sie arbeiten als Richter und Staatsanwälte, als politische Berater und Menschenrechtsbeobachter und als Experten für den Aufbau unabhängiger Medien oder die Wiedereingliederung von ehemaligen Kämpfern. Sie sind zuständig dafür, dass Grundlagen für einen nachhaltigen Frieden geschaffen werden, zum Beispiel durch den Aufbau von demokratischen Institutionen, wie einer unabhängigen Justiz, oder die Unterstützung bei der Durchführung von Wahlen. Sie können aber auch in der politischen Mediation zwischen verfeindeten Konfliktparteien oder als Grenzbeobachter tätig sein. 

Eine besondere Herausforderung ist dabei die wachsende Spezialisierung bei den in internationalen Friedenseinsätzen ausgeschriebenen Stellen. Gesucht werden heute berufserfahrene, fremdsprachengewandte, interkulturell sensibilisierte Juristen, Logistiker und Ingenieure. Solche ­„eierlegenden Wollmilchsauen“ ausfindig zu machen, ist nicht einfach. Sie zu überzeugen, einen sicheren Arbeitsplatz in Deutschland mit einem nicht klimatisierten Container im Südsudan zu tauschen, ist noch schwieriger.

Trotz ihrer Bedeutung führen die zivilen Experten ein Schattendasein. Das liegt zum Teil an ihren eher unbekannten Aufgaben. Ebenso ist dies der Tatsache geschuldet, dass „ziviler Experte in Friedensmissionen“ kein Berufsstand ist, wie Offizier und Soldat der Bundeswehr oder Polizist. Zivile Experten hatten im Gegensatz zu ihren Kollegen in Uniform lange Zeit keine Stand-by-Kapazitäten oder zentrale Anlaufstelle. Dieser Zustand hat sich jedoch mit der Gründung des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) im Jahr 2002 geändert. Seither ist Deutschland in der Lage, das Prinzip des vernetzten Ansatzes mit nationalen Kapazitäten voll umzusetzen.9

Aber geschieht das auch? Deutschland beschreibt sich zwar als Zivilmacht, doch in der öffentlichen Debatte spielt die militärische Option die wichtigste Rolle. Verteidigungsminister Thomas de Maizière fordert einen sicherheitspolitischen Dialog, unter anderem mit der Zivilgesellschaft, Kirchen und weiteren nichtmilitärischen Akteuren.10 Aber die öffentliche Diskussion konzentriert sich auf die Frage, ob bzw. wohin die Soldaten der Bundeswehr entsandt werden sollen. Dies geschieht, weil die Möglichkeiten der zivilen Instrumente in Deutschland von der Politik weder in vollem Umfang eingesetzt noch öffentlichkeitswirksam vermittelt werden. 

Es kommt auf die Mischung an

Der von der deutschen Außenpolitik behauptete Primat der zivilen Konfliktbearbeitung verlangt also, das unausgewogene Verhältnis zwischen deutschen militärischen und zivilen Beiträgen zum internationalen Konfliktmanagement ins Gleichgewicht zu bringen – und dies bedeutet, den zivilen Bereich zu stärken. Deutschland könnte dann auch im europäischen Verbund Vorreiter sein. Wie kürzlich sieben Abgeordnete aller im Bundestag vertretenen Fraktionen in einem gemeinsamen Meinungsartikel zu „Mehr europäische Außenpolitik“ forderten: „Europa kann und muss Friedensmacht sein; die Friedensmachtkompetenzen Europas gilt es auszubauen und zu stärken“.11

Um Missverständnissen vorzubeugen: Zivile Friedensmacht zu sein und über eine international einsatzfähige Bundeswehr zu verfügen, ist kein Widerspruch. Es geht nicht um eine Entweder-oder-Entscheidung, vielmehr kommt es auf die Mischung an. Im Bereich der zivilen Expertise verfügt Deutschland mit dem Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) über ein internationales Vor­zeigeprodukt, dessen Erfolge messbar sind: Deutsche zivile Fach- und Führungskräfte arbeiten in über 40 multilateralen Friedensmissionen. Zudem trainiert und rekrutiert das ZIF Wahlbeobachter für internationale Einsätze, es erstellt Analysen und Informationsprodukte und arbeitet an der konzeptionellen Weiterentwicklung von Friedenseinsätzen.

Friedensmacht Europa

Doch wie geht es für die „zivilen Veteranen“ nach ihrem Friedenseinsatz weiter? Erfahrungen und Kompetenzen der Rückkehrer werden in Deutschland von vielen Arbeitgebern zu wenig gewürdigt. Eine der politischen Aufgaben besteht darin, die Bedeutung der Arbeit ziviler Experten hierzulande bekannter zu machen und ihren Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. 

Daneben ist aber auch die symbolische Anerkennung wichtig. Das Militär verleiht seit langem Orden und Medaillen, die Polizei macht das seit einigen Jahren. Seit 2012 verleihen nun auch das Auswärtige Amt und das ZIF eine Urkunde speziell an zivile Experten. Im Juni 2013 werden – im Sinne des vernetzten Handelns – erstmals Soldaten, Polizisten und zivile Experten für ihren gemeinsamen Einsatz auch gemeinsam von den zuständigen Ministern ausgezeichnet. 

Das Potenzial der gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird noch längst nicht ausgeschöpft; präventives Krisenmanagement findet noch zu selten statt. An dieser Stelle kann und sollte Deutschland liefern – auf nationaler Ebene, aber auch im euro­päischen Kontext. Denn eine „Zivilmacht Deutschland“ hat nur Sinn im Schulterschluss mit einer „Friedensmacht Europa“.

Der vom ZIF aufgebaute Pool an einsatzbereiten, trainierten und motivierten zivilen Experten bildet einen Ansatzpunkt: Multilaterale Organisationen suchen dringend nach zivilen Fachkräften für ihre schlanken (und daher preiswerten), rein zivilen Mis­sionsformate. 

Doch wie Berlin, so Brüssel: Auch dort schlummern ungenutzte Kapazitäten. Die bereits erwähnten sieben Bundestagsabgeordneten bemerkten dazu in der FAZ: „Die EU verfügt über einen einzigartigen Mix von unterschiedlichen Instrumenten zum Krisenmanagement in der Nachbarschaft Europas. Leider hat es in der Vergangenheit häufig am politischen Willen in den europäischen Hauptstädten gefehlt, diese rechtzeitig und dauerhaft einzusetzen“. 

Stimmt leider – kann man aber ändern. Die Instrumente stehen bereit.

Dr. Almut Wieland-Karimi ist Direktorin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF). 

Tobias von Gienanth ist stellvertretender Leiter des Arbeitsbereichs Analyse des ZIF.

  • 1150 Sanitäter der Bundeswehr wurden zur UN Transitional Authority in Cambodia entsandt.
  • 2Rund 5900 Bundeswehrangehörige, 130 Polizisten und 190 zivile Experten: Übersicht internationales und deutsches Personal in Friedenseinsätzen 2012, Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF), http://www.zif-berlin.org.
  • 3Gesamtkonzept der Bundesregierung „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“, April 2000; Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“, Mai 2004.
  • 4„Dabei ist es vorrangiges Ziel, dem Ausbruch gewaltsamer Konflikte bereits im Vorfeld entgegenzuwirken und so einer Eskalation vorzubeugen. Deutschland leistet außerdem einen Beitrag zur Bewältigung von Konflikten und zur Konfliktnachsorge“; http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Friedenspolitik/Krisenp….
  • 5Aktionsplan „Zivile Krisenprävention …“, a.a.O. (Anm. 3), S. 7.
  • 6Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Vernetzung von lokalen (staatlichen und nichtstaatlichen) und internationalen Akteuren. Die Entwicklungszusammenarbeit leistet dann in einem weiteren Schritt die mittel- und langfristige Friedenskonsolidierung.
  • 7Andreas Wittkowsky und Jens Philipp Meierjohann: Das Konzept der Vernetzten Sicherheit. Dimensionen, Herausforderungen, Grenzen, ZIF, April 2011.
  • 82012 waren insgesamt ca. 1200 Polizeiangehörige in EU-Einsätzen beschäftigt, über 10 Prozent davon aus Deutschland, vgl. Übersicht internationales und deutsches Personal, a.a.O. (Anm. 2).
  • 9In diesem Zusammenhang muss auch der im April 2010 gegründete Unterausschuss des Deutschen Bundestags für „Zivile Krisenprävention und Vernetzte Sicherheit“ erwähnt werden.
  • 10Zum Beispiel bei der Übergabe der Präsidentschaft der Bundesakademie für Sicherheit (BAKS) am 26.8.2011: http://www.baks.bund.de/DE/Veranstaltungen/Rueckblick/Rueckblick2011/%C…
  • 11Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.3.2013.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2013, S. 80-85

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