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01. März 2002

Für eine aufgeklärte Iran-Politik des Westens

Der Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz plädiert dafür, die vorhandenen positiven Ansätze in diesem Land wahrzunehmen. Der Westen müsse alles dafür tun, um die moderaten Kräfte gegen die reaktionären Kleriker zu stützen.

Nimmt man die jüngste Rede des amerikanischen Präsidenten vor dem Kongress wörtlich, ist klar, welche Herausforderungen für den Westen von Iran ausgehen: „Iran strebt aggressiv nach Raketen und Massenvernichtungswaffen und exportiert Terror, während einige wenige Nichtgewählte die Hoffnungen des iranischen Volkes auf Freiheit unterdrücken“, so George W.  Bush, und er spricht von Iran, Irak und Nordkorea als einer „Achse des Bösen“, die sich mit ihren terroristischen Verbündeten bewaffnen, um den Weltfrieden zu bedrohen.1

Doch diese Charakterisierung Irans ist allenfalls zur Hälfte richtig, denn bei näherem Hinsehen bietet Iran ein widersprüchliches Bild, das sich in schlichtem Schwarz-Weiß nicht wiedergeben läßt. Republikanisches und islamisches Prinzip sind nach der iranischen Verfassung die Grundlagen politischer Herrschaft. Doch Theokratie und Demokratie geraten immer wieder in Widerspruch und Spannung zueinander, wobei erstere in Gestalt des geistigen Führers nach der Verfassung immer das entscheidende letzte Wort hat. Aber auch in Iran sind Norm und Wirklichkeit nicht identisch.

Der Westen sollte eine Iran-Politik formulieren, die diesen Widersprüchen Rechnung trägt, statt alles über einen Kamm zu scheren. Diese Politik sollte behutsam und stetig versuchen, den Wandel in Iran so zu unterstützen, dass die demokratischen Reformkräfte gestärkt werden. Eine schroffe Ausgrenzungspolitik wäre nur Wasser auf die Mühlen der theokratischen Hardliner, die sich – bei Licht besehen – seit der Wahl von Mohammed Khatami zum Präsidenten in der Defensive befinden. Daran ändern auch Rückschläge für die Reformer nichts. Die iranische Springprozession verläuft nach dem Muster „zwei Schritte vor – anderthalb zurück“.

Gemeinsame Interessen, an die eine aufgeklärte Iran-Politik des Westens anknüpfen könnte, gibt es genug, nicht zuletzt im Blick auf Afghanistan. Iran ist, wie der Westen, an Stabilität in Afghanistan interessiert, hat deshalb bei der Petersberger Afghanistan-Konferenz eine hilfreiche Rolle gespielt, unterstützt die Zentralregierung in Kabul und hat bei der Geberkonferenz in Tokio im Januar 2002  560 Millionen Dollar Wiederaufbauhilfe für die kommenden fünf Jahre zugesagt, davon 120 Millionen noch in diesem Jahr.

Weil Iran im Rauschgiftkrieg längs der afghanischen Grenze in den vergangenen Jahren Hunderte von Polizisten und Soldaten verloren hat, soll mit dem Geld vor allem verhindert werden, dass die Bauern in Afghanistan wieder zum Opiumanbau zurückkehren. Ein Erfolg der geplanten Agrarprojekte liegt auch im Interesse des Westens, denn dieses Rauschgift war vor allem für Europa und Nordamerika bestimmt. Nach der Devise „wir kennen Sprache, Land und Leute – ihr habt Geld und technisches Know-how“ ist Iran an einer engen Kooperation mit Deutschland bei Agrarprojekten zur Vermeidung des Opiumanbaus und anderen Initiativen zum Wiederaufbau Afghanistans interessiert.

Wir sollten von dieser Kooperationsbereitschaft Gebrauch machen und damit ebenfalls Iran die Chance geben, eine konstruktive Rolle in der Region zu spielen. Gleichzeitig könnte durch die Auswahl der iranischen Kooperationspartner der schmale privatwirtschaftliche Sektor des Landes gestärkt ­werden. Auch dies läge im iranischen Interesse; denn der große staatswirtschaftliche Sektor mit seinen mächtigen Stiftungen lähmt die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.

Bei einem immer noch starken Bevölkerungswachstum – Iran ist eines der wenigen islamischen Länder mit Programmen zur Geburtenkontrolle – drängen jährlich 700 000 Jugendliche auf den Arbeitsmarkt. Nur mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum von sieben Prozent würden für sie genügend Arbeitsplätze entstehen. Vor allem die Jugend des Landes hat Khatami gewählt, auch weil sie Wirtschaftsreformen  will. Erfolge in der Wirtschaftspolitik würden die Reformer um Khatami stärken.

Iran braucht ausländische Direktinvestitionen. Das gibt dem Westen Gelegenheit, mit Iran über Rechtssicherheit zu sprechen, die für langfristige Zusammenarbeit umfassender sein muss, als sich in Investitionsschutzabkommen aufschreiben lässt. Um hier erfolgreicher zu sein, muss Iran vor allem seine Wirtschaftsverfassung ändern und marktwirtschaftliche Reformen einleiten – doppelt schwierig für eine islamische Republik. Denn neben den aus Osteuropa bekannten Transformationsproblemen kommen hier Verpflichtungen für „islamgerechtes“ Wirtschaften hinzu.2 Lohnend erscheint deshalb ein Dialog über die ordnungspolitische Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft, weil aus islamischer Sicht die Erfüllung sozialer Bedürfnisse eine wesentliche Aufgabe der Wirtschaft ist.

Die Jugend und die Frauen haben die Reformer gewählt, weil sie mehr Freiheit(en) haben wollen – ohne dabei auf ihre islamgeprägte Identität zu verzichten. Film, Theater, Dichter, Schriftsteller, Musiker – jede Form des kulturellen Austauschs stärkt die Kräfte, die auf Wandel setzen.

Die Herausforderung für den Westen liegt darin, die Entwicklungen in Iran zu beeinflussen, statt sie zu ignorieren.

Anmerkungen

1  Abgedruckt in Auszügen S. 119 ff.

2  Vgl. hierzu ausführlich den Beitrag von Volker Nienhaus, S. 11–18.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, März 2002, S. 39 - 40.

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