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01. März 2016

Freiwillige grüne Revolution

Eine „Bottom-up“-Strategie hat den Durchbruch in der Klimadebatte gebracht

Bei der Pariser Klimakonferenz zogen erstmals alle wichtigen Staaten an einem Strang und konnten so den Gegensatz zwischen wirtschaft­licher Entwicklung und Umweltschutz überbrücken. Man kann auch sagen: Das Ende des fossilen Zeitalters ist eingeläutet. Jetzt liegt es an den einzelnen Ländern, ihre Selbstverpflichtungen konsequent umzusetzen.

Ein altes Sprichwort sagt: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Das ist eine mögliche Lesart des Klimagipfels von Paris. Das Abschlussdokument, auf das sich die 196 Vertragsparteien nach zähen Verhandlungen verständigten, besteht aus nicht viel mehr als wohlklingenden Absichtserklärungen. Sie binden niemanden wirklich, ihre Umsetzung kann vor keiner Instanz der Welt eingeklagt werden. Und doch gab es nur wenige Stimmen am Rande, von denen die übliche Begleitmusik zu internationalen Konferenzen zu vernehmen war. Selbst exponierte Klimakämpfer äußerten vorsichtigen Optimismus und sprachen von einem Wendepunkt. Was also war anders als bei vorangegangenen Klimagipfeln?

In Paris gelang es zum ersten Mal, die festgefahrenen Fronten zwischen den alten Industriestaaten und dem globalen Süden zu überbrücken. Anstatt das traditionelle Blockadespiel fortzusetzen, bewegten sich maßgebliche Akteure aufeinander zu und bildeten neue Allianzen. Wer hätte noch vor zwei Jahren gedacht, dass die USA mit der EU, Brasilien und anderen Entwicklungsländern eine progressive Koalition bilden würden, die dafür warb, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen?

Noch beim letzten Klimagipfel in Kopenhagen traten die USA und China als Vetomächte auf, die jede Verpflichtung auf eine durchgreifende Senkung ihrer CO2-Emissionen als Anschlag auf ihre wirtschaftlichen Interessen ablehnten. Jetzt vereinbarten sie schon im Vorfeld von Paris eine umfassende Zusammenarbeit bei der ökologischen Modernisierung ihrer Volkswirtschaften. Zwar hat sich China für die kommende Etappe lediglich auf eine drastische Senkung der CO2-Intensität seiner Wirtschaft verpflichtet – der Gipfel der absoluten Emissionen soll spätestens 2030 erreicht werden. Die Aussicht, dass der „Peak CO2“ schon sehr viel früher überschritten wird, ist allerdings hoch – tatsächlich gingen Kohleverbrauch und CO2-Emissionen bereits 2014/15 zum ersten Mal seit 30 Jahren zurück.
 

Einsicht in die Risiken

Es gibt zumindest drei gewichtige Gründe für diesen klimapolitischen Sinneswandel. Da sind zum einen die immer dringenderen Stimmen aus der Wissenschaft, die eine Trendwende fordern, bevor es zu spät ist. Zu spät heißt: bevor der Treibhauseffekt eine kritische Schwelle überschreitet, nach der sich selbst verstärkende Veränderungen der globalen Ökosysteme eintreten – rapides Abschmelzen des Polareises, Auftauen der Perma­frostböden mit Freisetzung gewaltiger Mengen an Methan, tiefgreifende Veränderungen der Strömungsdynamik der Meere, schwere Wetterturbulenzen in kurzer Abfolge.

Als Chaosschwelle gilt eine Erd­erwärmung um zwei Grad; wenn man einen gewissen Sicherheitspuffer einbauen will, ist es ratsam, einen Deckel bei 1,5 Grad einzuziehen. Das ist extrem ambitioniert: Seit Beginn der Industrialisierung ist die Erde im Schnitt bereits um ein Grad wärmer geworden. Diesen Trend zu stoppen, erfordert eine historisch einmalige Vernunftleistung. Rund 80 Prozent der heute bekannten fossilen Energiereserven müssten im Boden bleiben. Andernfalls muss der Atmosphäre im großen Stil CO2 wieder entzogen werden – ein Vabanquespiel mit ungewissem Ausgang.

Die bloße Einsicht in die Risiken eines ungebremsten Klimawandels reicht allerdings nicht aus, um die Regierungen zu ernsthaftem Handeln anzutreiben. Es kommt noch ein weiterer Faktor dazu, und das ist der wachsende ökologische Problemdruck vor allem in den Schwellenländern. China und Indien leiden an endemischer Luftverschmutzung, Wasserkrisen, Erosion fruchtbarer Böden. Insbesondere China hat sein Wachstum auf Kosten der Umwelt bis an einen Punkt getrieben, der nach einer Kurs­korrektur schreit. Klimawandel mag noch als zukünftige Gefahr gelten, der giftige Smog, die Kontaminierung von Böden und Flüssen sind akut. Dabei ist China lediglich der Vorreiter für Umweltkrisen, die mehr oder weniger alle Entwicklungsländer betreffen. Der Raubbau an Boden, Luft und Wasser bedroht den mühsam errungenen Wohlstand. Der Handlungsdruck wächst. Das gilt auch für die USA – Stichwort Wasserkrise in Kalifornien und im Mittleren Westen, der Kornkammer Amerikas.

Aber der steigende Krisenpegel allein würde nicht ausreichen, um Politik und Wirtschaft zu einem Kurswechsel zu veranlassen. Zu mächtig sind die Beharrungskräfte des Alten und die Lobby der Öl-, Kohle- und Gas­interessen. Zur Notwendigkeit muss die effektive Möglichkeit des Umsteuerns treten, also die Verfügbarkeit konkreter Alternativen. Das gilt insbesondere für den Energiesektor, wo es mit Solarenergie, Windkraft, Geothermie und Wasserkraft inzwischen technisch ausgereifte und wirtschaftlich konkurrenzfähige Alternativen zur Kohle gibt.

Alternative Energien haben in den vergangenen 15 Jahren eine beeindruckende Lernkurve aufzuweisen. So sind die Kosten für Sonnenstrom in den vergangenen fünf Jahren um sage und schreibe 80 Prozent gefallen, für Windenergie immerhin um 60 Prozent. Daran hat die deutsche Energiewende einen maßgeblichen Anteil: Sie hat einen Massenmarkt für diese Techniken geschaffen, ihre Effizienz gesteigert und die Produktionsverfahren revolutioniert. Inzwischen sind neue Wind- und Solaranlagen an günstigen Standorten preiswerter als neue Kohle- oder Gaskraftwerke. Das hat einen regelrechten Investitionsboom vor allem in den Schwellenländern ausgelöst. Seit 2013 fließen weltweit mehr Neuinvestitionen in erneuerbare als in fossile Energieerzeugung. Vorreiter dieser Entwicklung ist aber weder Deutschland noch Amerika, sondern China.

Diese drei Faktoren – steigendes Problembewusstsein, wachsender Krisendruck und die Verfügbarkeit wirtschaftlicher Alternativen – bilden den Hintergrund für den Pariser Klimakonsens. Zum ersten Mal ist es gelungen, den hergebrachten Gegensatz zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Umweltschutz zu überbrücken. Mit ein wenig historischem Optimismus kann man tatsächlich von einem Wendepunkt sprechen: Das Ende des fossilen Industriezeitalters ist eingeläutet. Ein neues Entwicklungsparadigma taucht am Horizont auf: die Entkopplung von wirtschaftlichem Wachstum und Naturverbrauch. Im Kern bedeutet das die Dekarbonisierung der Energieerzeugung, des Transportsektors und der Industrie. Das ist nicht weniger als eine grüne industrielle Revolution.

Der schrittweise, aber unumkehrbare Abschied von Kohle, Öl und Gas hat weitreichende Folgen für die internationale Politik. Er entzieht den fossilen Rentenstaaten die ökonomische Grundlage. Das betrifft die russische Autokratie ebenso wie die Öldynastien am Golf, den Iran und Irak, Nigeria wie Venezuela. Putin wird seine Aufrüstungspolitik nicht fortsetzen können; zugleich sind die Zeiten vorbei, in denen die Loyalität der großen Mehrheit der Bevölkerung durch einen stetig wachsenden Lebensstandard erkauft werden konnte. Ob das außenpolitisch zu einer Wiederannäherung an den Westen führen wird oder umgekehrt die Flucht in Nationalismus und Kraftmeierei befördert, ist eine offene Frage. Möglicherweise wird der Kreml den chinesischen Weg einer autoritären Modernisierung einschlagen. In Russland glaubt allerdings kaum jemand, dass systemische Korruption und Ineffizienz ohne Rechtsicherheit und politische Freiheit überwunden werden können. Wahrscheinlicher ist ein Szenario chronischer Stagnation und wachsender Krisenhaftigkeit. Das könnte auch für andere Ölstaaten gelten, wenn sie ihr Geschäftsmodell nicht rechtzeitig umbauen.
 

Ein neues Vorgehen

Zur Erfolgsgeschichte der Pariser Klimakonferenz gehören noch weitere Elemente. Erstens war der fragile Konsens zwischen hoch entwickelten Industriestaaten und Entwicklungsländern nur möglich, weil der „reiche Norden“ seine Zusage bekräftigte, ab dem Jahr 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar für „grüne Investitionen“ und die Anpassung an den Klimawandel im globalen Süden zur Verfügung zu stellen. Dabei geht es um eine Kombination öffentlicher und privater Gelder. Auch wenn diese Zusage in den völkerrechtlich nicht bindenden Teil der Pariser Beschlüsse wanderte, weil die US-Delegation die Ratifizierung durch den Kongress umgehen wollte, ist sie eine tragende Säule des neuen Klimaregimes.

Eine zweite Besonderheit ist der fest vereinbarte Überprüfungsmechanismus, der alle fünf Jahre greifen soll. Damit wird ein dynamisches Moment in das Abkommen eingebaut, das die Vertragsstaaten zur Rechenschaftslegung zwingt. Sollten sich die Klimadaten weiter verschlechtern, wird das den Druck erhöhen, die jeweiligen nationalen Ziele und Maßnahmen nachzubessern.

Schließlich war Paris auch das Exerzierfeld für einen neuen Ansatz globaler Abkommen. Anstatt zu versuchen, einen globalen Aktionsplan mit gleichermaßen verbindlichen Verpflichtungen für alle auszuhandeln, wurde diesmal eine „Bottom-up“-Strategie gewählt: Es blieb den Staaten überlassen, zu welchen Selbstverpflichtungen sie im Rahmen der gemeinsamen Ziele willens und fähig sind.

Der Nachteil dieser Methode zeigte sich darin, dass am Ende eine deutliche Lücke zwischen der Summe der Selbstverpflichtungen und dem proklamierten Zwei-Grad-Ziel blieb. Ihr großer Vorteil bestand darin, dass ­damit eine positive Dynamik zwischen den verschiedenen Akteuren in Gang gesetzt wurde. Mehr noch: Dieser auf Freiwilligkeit basierende Ansatz machte die Einigung auf ambitionierte gemeinsame Ziele erst möglich. Insofern könnte der Pariser Klimagipfel als Pilotprojekt einer neuen Methode globaler Übereinkommen Schule machen.

Ralf Fücks ist Vorstand der ­Heinrich-Böll-Stiftung.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2016, S. 42-45

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