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01. März 2016

Frankreich: Gesetz in Gefahr

Verminderung des Atomstromanteils, Energieeffizienz, Förderung der erneuer-baren Energien: Das Gesetz zur französischen Energiewende ist ambitioniert. Doch es bleibt in vielen Punkten unklar – und die Widerstände sind groß.

Am Ende flossen in Paris die Freudentränen. Selbst Frankreichs damaliger Außenminister Laurent Fabius war bei seiner Schlussrede auf der Klimakonferenz so bewegt, dass seine Stimme bebte. Der 69-Jährige, den die internationalen Medien als Gehirn der diplomatischen Klima-Taskforce bezeichneten, bekam Standing Ovations für seine Arbeit. Neben ihm stand Staatspräsident François Hollande und applaudierte ihm. 2017 sind in Frankreich Präsidentschaftswahlen. Der Klimaerfolg von Paris verschafft dem sozialistischen Präsidenten in seiner Regierungsbilanz ein dickes Plus – das er bei seinen schlechten Umfragewerten auch dringend benötigt.

Lange vor der Konferenz war dem Gastgeber Frankreich klar: Will man einen Erfolg erreichen, muss man überzeugen können – und ein Vorbild in der Klimapolitik sein. Rechtzeitig vor dem Gipfel hatte die Nationalversammlung Ende Juli 2015 das Gesetz zur Energiewende verabschiedet; ein Projekt, das der Präsident als einen Meilenstein seiner Amtszeit bezeichnete. Das „Gesetz des energiepolitischen Übergangs für grünes Wachstum“ klingt ambitioniert. Schon im Präsidentschaftswahlkampf 2012 hatte Hollande angekündigt, dass der Anteil der Kernenergie an der Stromversorgung bis 2025 von 75 Prozent auf 50 Prozent sinken soll. Für die Atomnation mit ihren 58 von der Électricité de France (EDF) betriebenen Reaktoren ist das eine kleine Revolution. Konservative Abgeordnete im Senat hatten mit der Atomlobby heftig gegen dieses Datum gekämpft, nun steht leicht abgeschwächt „etwa im Jahr 2025“ im Gesetz.

Seinen Treibhausgasausstoß will Paris bis 2030 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 senken, das entspricht der EU-Vorgabe. Ebenfalls im Jahr 2030 soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch 32 Prozent betragen; 2012 lag der Anteil bei knapp 14 Prozent. Der Verbrauch fossiler Energien wie Erdöl und Kohle soll bis zum Jahr 2030 um 30 Prozent im Vergleich zu 2012 gesenkt werden. Geplant ist zudem, den Energieverbrauch bis 2050 zu halbieren – auch das im Vergleich zu 2012. Kein anderes Land setzt sich ein so hoch gestecktes Ziel. 2030 will man bereits 20 Prozent weniger verbrauchen. Frankreichs Ministerin für Umwelt, nachhaltige Entwicklung und Energie, Ségolène Royal, verspricht sich von dem Gesetz 100 000 Arbeitsplätze in den kommenden drei Jahren und mehr Kaufkraft für die Haushalte.

Wenn es denn so kommt. „In den nächsten beiden Jahren besteht das Risiko, dass die Klimabemühungen stark nachlassen“, sagt der Energie- und Klimapolitikexperte Andreas Rüdinger vom Institut für Nachhaltige Entwicklung und Internationale Beziehungen in Paris (IDDRI). „2017 ist Präsidentschaftswahl: Da will keine Partei mehr große Risiken eingehen, die Themen Sicherheit und Arbeitslosigkeit haben Priorität.“ Das beschlossene Gesetz gibt nur einen Rahmen vor, die konkreten Schritte müssen aber erst noch von den Ministerien auf den Weg gebracht werden. „Anders als in Deutschland, wo zum Beispiel das Erneuerbare-Energien-Gesetz bereits alles bis auf den Cent genau regelt, legen in Frankreich erst die Dekrete die Details fest. Das kann bis zu drei Jahren dauern und geht zu Lasten der Rechtssicherheit“, so Rüdinger.

Es bleiben also viele Fragezeichen – vor allem, was den Plan angeht, den Anteil des Atomstroms am Energiemix zu senken. Frankreich ist Atomstromland par excellence – und die Katastrophe von Fukushima hat den Glauben an die Sicherheit der eigenen Nuklearindustrie nicht so stark erschüttert wie in Deutschland. In der Klimadebatte ist für viele Franzosen die Atomenergie eine pure Notwendigkeit, um den CO2-Ausstoß zu mindern.

Die Opposition warnt davor, dass steigende Energiepreise der Industrie schaden würden. Angesichts einer Arbeitslosigkeit, die doppelt so hoch wie in Deutschland ist, verweisen AKW-Befürworter auf die 400 000 direkten Arbeitsplätze, die die Branche schaffe. Man erhofft sich für die Zukunft sogar erhebliche Exporterfolge in der Nuklearindustrie.

Experten hatten zunächst geschätzt, dass bis zu 20 Reaktoren abgeschaltet werden müssten, wolle man die Senkung des Atomanteils Realität werden lassen. Doch im Gesetz steht kein Wort von Stilllegungen. Vermutlich, weil die Regierung enorme Entschädigungsforderungen von Seiten der EDF fürchtete, lässt das Gesetz dem Konzern zunächst Freiheit bei den Reaktorentscheidungen. Es schreibt nur eine Kapazitätsobergrenze von 63,2 Gigawatt vor, was der heutigen Leistung der Atomkraftwerke entspricht. Theoretisch müsste also ein Kraftwerk abgeschaltet werden, wenn der neue Europäische Druckwasser­reaktor EPR ans Netz geht, den der Atomkonzern Areva derzeit im normannischen Flamanville baut. Doch das Vorzeigeprojekt der Atomindustrie sorgt derzeit vor allem wegen Mängeln am Reaktorbehälter für Schlagzeilen und wird wohl kaum im Jahr 2017 in Betrieb gehen können.

Sicher ist, dass die Atommeiler weiterhin zum Landschaftsbild in Frankreich gehören werden. Doch die erneuerbaren Energien legen zu. Ihr Anteil am verbrauchten Strom betrug zwischen Juli 2014 und Juni 2015 19,4 Prozent. Davon stammen laut einer Studie des Stromnetzbetreibers RTE, des Stromlieferanten ERDF und des Verbands Erneuerbare Energien 25,4 Gigawatt aus Wasser-, 9,8 GW aus Windenergie, 5,7 GW aus Photovoltaik und 1,7 GW aus Bioenergie. Die konkreten Ziele für die einzelnen Energiearten werden ab 2016 in mehrjährigen Energieprogrammen festgelegt, die die EDF mit der Regierung aushandeln muss. Die Atomlobby tut ihr Bestes, diese Programme zu verzögern oder zu beeinflussen.

Frankreichs Stromversorgung ist zentralistisch ausgerichtet, der staatliche Stromanbieter EDF hat das Monopol. Doch mittlerweile entstehen auch dank niedrigerer bürokratischer Hürden auf regionaler Ebene mehr und mehr eigene Strominseln mit Holzheizkraftwerken, Methangasanlagen und Solarparks.

Viele dieser Ökoenergieprojekte entstehen im Rahmen des Programms „Territoires à énergie positive“, für das Energieministerin Royal vehement wirbt. Einzelne Gemeinden und Zusammenschlüsse können sich für einen Unterstützungsscheck in Höhe von 500 000 Euro und mehr bewerben. Öffentliche Gebäude erhalten eine Wärmedämmung, der Fuhrpark einer Gemeinde wird auf Elektrofahrzeuge umgestellt, kleine Windrad- oder Solarparks entstehen und pädagogische Umweltschutzprojekte werden gestartet. Über 500 Verträge für solche Initiativen liegen vor, rund 250 erhalten bereits eine Förderung.

Doch im Vergleich zu Deutschland geht der Ausbau der Erneuerbaren schleppend voran. „Der Ausbau der Photovoltaik wurde mehrere Male gebremst, um zu verhindern, dass es in Frankreich wie in Deutschland zum Phänomen der steigenden EEG-Umlage kommt“, sagt Andreas Rüdinger. Bei der Windkraft sind es vor allem komplexe Genehmigungsverfahren, die für Verzögerungen sorgen.

Beim Thema Treibhausgasemissionen hat die Regierung vor allem den Gebäude- und Transportsektor im Visier. Zunächst die Sanierung und Wärmedämmung der Gebäude, die fast die Hälfte des landesweiten Energieverbrauchs ausmachen. In Frankreich sind viele Häuser ausgesprochen schlecht isoliert. Immobilienbesitzer müssen bei anstehenden Renovierungen die Häuser und Wohnungen energetisch sanieren, öffentliche Neubauten sollen in Niedrig­energieweise erbaut werden. Bisher hatten ähnliche Förderprogramme ­wenig Erfolg. Allein im Bausektor sollen 75 000 Stellen geschaffen werden, wenn das Ziel von 500 000 energetischen Renovierungen pro Jahr ab 2017 erreicht werde, hofft Royal. Derzeit freilich schafft man nur 150 000 pro Jahr.

Das Transportwesen wiederum ist verantwortlich für mehr als ein Viertel der CO2-Emissionen. Der Fuhrpark von staatlichen Behörden soll zu 50 Prozent auf schadstoffarme Autos umgestellt werden, auch Taxis und Autovermieter sollen von Diesel auf Elektrofahrzeuge umrüsten. Landesweit sollen sieben Millionen neue Ladestationen für Elektroautos errichtet werden. Firmen mit mehr als 100 Beschäftigten sollen einen „Mobilitätsplan“ erstellen, der auf Mitfahrgelegenheiten und öffentliche Verkehrsmittel setzt. Darüber hinaus soll die CO2-Steuer erhöht werden, von derzeit 14,50 Euro pro Tonne auf 56 Euro im Jahr 2020 bis zu 100 Euro im Jahr 2030.

Energieministerin Royal stellt in den kommenden drei Jahren für die Energiewende insgesamt zehn Milliarden Euro als Darlehen für Kommunen zur Verfügung – dazu gibt es noch Steuerfreibeträge, Rabatte, Boni und zinslose Darlehen. „Der Betrag ist zu wenig. Studien zeigen, dass 30 bis 50 Milliarden Euro Gesamt­investitionen pro Jahr nötig wären. In Frankreich fehlt leider ein groß angelegtes Finanzierungsinstrument wie die KfW in Deutschland“, sagt Andreas Rüdinger. Die leeren Kassen und Frankreichs hohe Ausgaben für den Anti-Terror-Einsatz machen die Finanzierung der Energiewende nicht einfacher.

Michael Neubauer ist freier Journalist in Paris und Mitglied des Netzwerks weltreporter.net.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2016, S. 46-49

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