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01. Febr. 2005

Finanzierungskrise der USA – welche Krise?

Ökonomie

Eine restriktivere amerikanische Politik würde die Weltwirtschaft schwächen

Herbert Stein sagte einmal: „Nichts ist schlimmer als der Versuch, ein Problem zu lösen, das keines ist.“ Handelt es sich beim Problem des Leistungsbilanzdefizits der USA um ein solches „Problem“? Ist es nicht so, dass – gäbe es keine nationalen Statistiken – dieses „Problem“ schlicht nicht existierte? Und ist es nicht offenkundig, dass ein solches Defizit nur existieren kann, wenn Akteure da sind, die die Finanzierung bereitstellen? Und wenn das so ist, wozu dann die Aufregung?

Nun zu den Fakten. Ist es nicht zutreffend, dass die USA über Jahrzehnte im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Leistungsbilanzdefizit aufwiesen? Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts hatten die USA erneut eine defizitäre Leistungsbilanz, ohne dass die USA in internationale Finanzierungsengpässe geraten wären. Zudem scheinen die USA bei ihren Auslandsinvestitionen um so viel erfolgreicher zu sein als die gesammelten Investoren der Welt bei ihren Engagements in den USA, dass ein mit 10500 Milliarden Dollar 1,4 mal so hohes Engagement in den USA nicht einmal gleich hohe Kapitalerträge einbrachte wie das 7800-Milliarden-Dollar-US-Engagement in der Welt (bis 2003 aufgelaufene Auslandsinvestitionen). Oder anders gewendet: Die Engagements der USA waren in Summe 1,4 mal so rentabel wie das US-Engagement der restlichen Welt. Was dieses Ergebnis in Bezug auf Kompetenz bei der Finanzanlage oder relative Risikobereitschaft widerspiegelt, wäre eine gründliche Untersuchung wert, wird hier jedoch nicht vertieft. Vielmehr soll die Perspektive künftiger Leistungsbilanzdefizite der USA skizziert werden: Wie wird die Finanzierung erfolgen? Welche Variablen werden das Anlageverhalten beeinflussen? Welche wirtschaftlichen Rückwirkungen werden diese Veränderungen auslösen?

Seit Anfang der siebziger Jahre ist die Leistungsbilanz der USA strukturell im Defizit. In den achtziger Jahren gab es eine erste „Leistungsbilanzkrise“ mit Defiziten, die über ein halbes Jahrzehnt zwischen 100 und 200 Milliarden Dollar pro Jahr lagen. Nach einer rezessions- und wechselkursbedingten Rückbildung der Defizite steigt seit über zehn Jahren das Defizit an und erreicht seit 2003 neue Rekordstände von über 500 Milliarden Dollar pro Jahr. Das heutige US-Defizit entspricht dem niederländischen Sozialprodukt. Die Auslandsschulden der USA netto, bereits heute bei 3300 Milliarden Dollar, dürften sich in der zweiten Amtszeit von Präsident Bush auf 6000 Milliarden Dollar erhöhen und damit mehr als die Hälfte des US-Sozialprodukts betragen. Dieses Defizit wurde lange, insbesondere aber in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, entscheidend durch private Investitionen in den USA wie Unternehmensübernahmen oder private Aktienkäufe finanziert. So solide war die Finanzierung der immer größer werdenden Defizite in den letzten Jahren indes nicht. Ein immer größerer Teil, zuletzt etwa zwei Drittel, resultierten aus den Käufen von US-Staatsanleihen durch asiatische Zentralbanken, insbesondere die Bank von Japan und die People’s Bank of China, deren Reserven – fast vollständig US-Treasuries – sich auf rund 1500 Milliarden Dollar belaufen. Sollte der Appetit dieser Investoren auf diese Asset-Klasse gesättigt sein, müssten andere, wohl private Investoren, gefunden werden, soll der amerikanische Importüberschuss weiter gewährleistet sein. Dann muss man sich also fragen, was andere Investoren bewegen könnte, pro Jahr rund 350 Milliarden Dollar neuer Dollarassets zu erwerben. Hierzu ist prinzipiell jedes Instrument, das die finanzielle Attraktivität erhöht, geeignet. Es könnten dies hohe Zinserträge oder Kursgewinnchancen sein. Kursgewinnchancen könnten theoretisch Aufwertungen des Dollars oder Aktienkurssteigerungen sein. Beides ist umso realistischer, je tiefer der Kurs des Dollar vorher gefallen ist. Die Frage, ob beim gegenwärtigen Dollarkurs die Chancen auf Aufwertung schon sehr groß sind und die Gewinnchancen von US-Firmen im internationalen Wettbewerb schon überwältigend, kann mit einiger Sicherheit verneint werden. Was also dann? Alle beten, dass die derzeitige Konstellation, in der die USA weiter Leistungsbilanzdefizite produzieren und Asiens Zentralbanken die Defizite finanzieren, möglichst lange anhält, da dies den weltweiten Abschwung vermeidet. Das enthebt die Welt, anderen Anpassungen näher zu treten. Aber es sei zaghaft darauf hingewiesen, dass mit dieser Strategie die Auslandsnettoschuld der USA zwischen 2004 und 2008 um ca. 3000 Milliarden Dollar steigt und damit 2008 die jährlichen Zinsverpflichtungen der USA – unterstellt, US-Treasuries verzinsen sich mit 5 Prozent – um 150 Milliarden Dollar höher sind. Dieser Betrag erhöht das Leistungsbilanzdefizit um denselben Betrag, unterstellt, der Saldo der Handelsbilanz bliebe konstant, eine Erwartung, die bei einem weiter deutlich zugunsten der USA existierenden Wachstumsgefälle (USA 3,5 Prozent, Japan und Europa kaum 2 Prozent) und den bekannten Reaktionsmustern der US-Ein- und Ausfuhr (kaum preissensibel, wohl aber mit ausgeprägten Reaktionen auf die jeweilige Einkommensdynamik) schon eine sehr optimistische Schätzung ist.

Wenn aber ein solcher Blindflug als sachgerechtes und risikobewusstes Handeln nicht aufgefasst werden kann, welche Optionen existieren dann? Eine theoretische Option wäre eine restriktivere Politik in den USA, die die Importnachfrage abbremst und das staatliche und/oder private Sparen fördert. Indes: Im November 2004 stiegen die US-Importe um 1,3 Prozent. In Verbindung mit dem Rückgang der Exporte um 2,3 Prozent durchbrach das US-Handelsdefizit damit die 60-Milliarden-Dollar-Grenze und war erneut größer als erwartet. Eine restriktivere US-Politik, die prinzipiell den Trend zu immer höheren Leistungsbilanzdefiziten wenden könnte, hätte den Nachteil, dass – wenn sonst nichts geschähe – die Weltwirtschaft sich abschwächte.

Die andere – theoretische – Option ist das Umschalten in Japan und Europa auf expansive Makropolitik, um den Export der USA zu fördern. Diese Lösung steht angesichts der hohen Staatsschulden und der demografischen Alterung in Japan und Europa faktisch nicht mehr zur Verfügung. Lediglich ein wenig Expansionsspielraum der EZB mag es im Rahmen dieser Option geben. Schließlich sind die Eurozinsen noch nicht wie die Yenzinsen bei faktisch Null. Da es weder eine amerikanische Bereitschaft zu makroökonomischer Restriktion noch die der Europäer oder Japaner zur Expansion gibt, bleibt als Option nur ein „Automat“ zur Korrektur des Problems: Der Wechselkurs, sprich die weitere Abwertung des US-Dollars, die sowohl die preisliche Wettbewerbsfähigkeit verschiebt als auch Druck macht, die jeweils ungewollte makroökonomische Anpassung zuhause zuzulassen: höhere Zinsen in den USA, niedrigere in Europa, eine gewisse finanzpolitische Restriktion in den USA und – wo immer im Rest der Welt möglich – eine etwas stärkere finanzpolitische Expansion. Wäre es nicht schön, man würde derartiges auf dem G-8-Gipfel im schottischen Gleneagle im Einverständnis auf den Weg bringen? Aber das ist wohl zuviel verlangt. So wird man wohl erst 2006 beim G-8-Gipfel in Russland die Scherben des internationalen Wechselkurskonflikts aufkehren.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2005, S. 106 - 107.

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