Fenster auf, frische Luft rein!
Brief aus… Kuala Lumpur
Damit Bewegung kommt in eine neue, frauenfreundliche Interpretation des Islam
Hunderte Frauen saßen im Auditorium einer Kongresshalle in Kuala Lumpur. Viele trugen Kopftuch oder bunte, traditionelle Gewänder. Andere schienen mit ihren Nadelstreifenanzügen und dem unbedeckten Haar direkt aus den Büros westlicher Großstädte gekommen zu sein. Die malaysische Frauenrechtsorganisation „Sisters in Islam“ hatte Mitte Februar 250 Aktivistinnen und Wissenschaftlerinnen aus aller Welt nach Kuala Lumpur geholt, um die Gründung von Musawah, einer weltweiten Bewegung für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit in der muslimischen Welt, zu feiern. Während einer der Sitzungen saß ich mit Muslimas aus zwölf verschiedenen Ländern zusammen, darunter einer Abgeordneten des nepalesischen Parlaments. Sie sprach kein Wort englisch. Dennoch konnte ich verstehen, welch weiten Weg sie zurückgelegt haben musste, um dort angekommen zu sein, wo sie jetzt war.
„Es ist, als habe jemand von außen ein Fenster in meinem Kopf geöffnet und frische Luft hineingelassen. Es fühlt sich so gut an“, sagte eine junge Ägypterin neben mir. Wie glücklich diese junge Frau doch ist, dachte ich. Sie war Mitte zwanzig, ich Anfang vierzig. Als ich nur wenige Jahre jünger war als sie, wurde ich Feministin; in Saudi-Arabien, wo meine Familie zu jener Zeit lebte. Es war Überlebensstrategie und Rebellion in einem und der erste Schritt auf einer ebenso aufregenden wie schmerzhaften Reise zum Islam – meinem eigenen Islam. Damals fühlte ich mich, als müsste ich das Fenster in meinem Kopf selbst mit Gewalt zertrümmern, mir daran die Hände blutig schlagen, um ein wenig frische Luft atmen zu können. Zu schwierig schien es, einer Religion treu zu bleiben, die mich bestenfalls diskriminierte und schlimmstenfalls gar zu hassen schien.
Wie hätte ich auch anderes folgern sollen nach Jahrhunderten von männerdominierten und oft frauenfeindlichen Auslegungen des Islam? Und wo läge der Trost in einem Glauben, der mir das Gefühl vermittelt, mich zu verschmähen? Warum sollte Gott mich als Frau erschaffen haben, um mich dann dafür abzustrafen? Damals war ich voll mit Fragen, die ich nicht in Worte zu fassen wagte. Allein der Gedanke an sie versetzte mich in Panik. Ich war beschäftigt, an einer Oberfläche zu kratzen, unter der zu viele Tabus aufschienen.
Und so rang ich nach spiritueller Entlastung, die ich schließlich in einigen Helden fand: der marokkanischen Soziologin Fatima Mernissi, der ägyptisch-amerikanischen Islamwissenschaftlerin Leila Ahmed oder dem sudanesisch-amerikanischen Gelehrten Abdullahi An-Na’im. Durch die Arbeiten von Gelehrten wie An-Na’im und dem Ägypter Nasr Hamid Abu Zeid habe ich gelernt, dass manche Männer genauso feministisch sein können wie die Besten unter uns Frauen. Später fügte ich noch andere Bahnbrecherinnen in meine persönliche „Hall of Fame“, die alle zu Musawah nach Kuala Lumpur gekommen waren: Amina Wadud, eine amerikanische Islamwissenschaftlerin, die im März 2005 als erste Imamin der Geschichte das Freitagsgebet vor hunderten von Männern und Frauen leitete. Es war ungeheuer aufregend, Seite an Seite mit männlichen Betenden zu stehen und nicht etwa in einem separaten und meist gut versteckten Raum. Oder Zainah Anwar, Projektmanagerin von Musawah. Sie tritt regelmäßig im malaysischen Fernsehen auf, wo sie Frauen über ihre von Gott gegebenen Rechte aufklärt. Genau aufgrund dieser Rechte, fordert sie immer wieder, sei es Frauen möglich, jedem Mann – seien es Richter oder Ehemänner, die den Koran engstirnig im patriarchalischen Sinn auslegen – die Stirn zu bieten und es sich nicht gefallen zu lassen, wenn deren eigene Religion, der Islam, gegen sie verwendet wird.
Man hat uns gelehrt, dass der Islam Frauen vor über 1400 Jahren Rechte zugestanden hat, die ihre europäischen Geschlechtsgenossinnen im Mittelalter vor Neid haben erblassen lassen. Während diese lediglich Leibeigene waren, hatten muslimische Frauen das Recht auf Erbe und Eigentum. Inzwischen ist uns die weibliche Nachkommenschaft der Neiderinnen aus Europa weit voraus – wo ist der Geist der frühen Tage des Islam geblieben?
Solange das Patriarchat nicht aus den islamischen Gesetzestexten herausgelöst wird, kann es für Frauen keine Gleichberechtigung geben, schreibt die aus dem Iran stammende Anthropologin Ziba Mir-Husseini.
Zahlreiche weibliche muslimische Gelehrte legen unsere Religion inzwischen neu aus. Sie fordern die islamische Rechtsprechung des 21. Jahrhunderts heraus. Der Ruf nach Veränderung ertönt nicht mehr nur außerhalb des Islam, sondern von uns Frauen, die wir mit Musawah die Jahre der Anstrengung feiern, die wir gebraucht haben, um unsere Tabus zu begraben.
Natürlich sind wir nicht allein. Orthodoxe Jüdinnen und gläubige Katholikinnen fordern genau wie wir das Ende der Frauenfeindlichkeit und des Patriarchats. Wir alle wollen im Grunde dasselbe: uns in der Religion, in die wir hineingeboren wurden und die uns allzu lange nur kärgliche, separate Hinterzimmer zugewiesen hat, neu einrichten. In großen Räumen mit vielen Fenstern. Und reichlich frischer Luft.
MONA ELTAHAWY war Korrespondentin für Reuters in Kairo und Jerusalem. Sie schreibt regelmäßig für die New York Times.
Internationale Politik 4, April 2009, S. 94 - 95.