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01. Sep 2017

Fakten checken reicht nicht

Lösungsansätze gegen Fake News aus dem Open Situation Room

Für informierte Wahlentscheidungen brauchen Wählerinnen und Wähler Zugang zu unverzerrten politischen Diskussionen. Was aber, wenn von außen gestreute Fake News und Des­information den Bundestagswahlkampf beeinflussen sollten? Ein Workshop der Stiftung Mercator und der DGAP gibt erste Antworten.

Nachdem Hackerangriffe und Social Bots mit hoher Wahrscheinlichkeit den Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen beeinflusst haben und nach Hackerangriffen auf die Server des Bundestags fürchtet man auch in Deutschland Manipulationen des politischen Wettbewerbs durch ausländische Akteure vor den Bundestagswahlen. Zu den potenziellen Instrumenten der Beeinflussung gehören Finanzspritzen für europakritische Parteien, Cyber-Angriffe, Trolle und Social Bots sowie Fake News, die darauf abzielen, die offene und freie Kommunikation in demokratischen Gesellschaften zu beeinflussen.

Womit haben wir es bei Fake News genau zu tun und wann werden sie zur Gefahr für die Demokratie? Laut Ethan Zuckerman vom Massachusetts Institute of Technology lassen sich drei Formen von Fake News unterscheiden: Nachrichten, die bestimmten Themen eine übertriebene (und falsche) Relevanz verschaffen sowie Propaganda, also die Vermischung von wahren und falschen Informationen, um die eigene Position zu stärken und die des politischen Gegners zu schwächen. Beide sind in der politischen Debatte und insbesondere im Wahlkampf weit verbreitet.

Vergleichsweise neu ist das ­dritte Phänomen: gezielte Desinformation. Desinformationskampagnen zielen nicht darauf ab, den Empfänger der Nachricht von einer Lüge zu überzeugen. Vielmehr wollen sie Verwirrung stiften, sodass die Unterscheidung zwischen wahr und falsch, seriösen und unseriösen Quellen erschwert wird. Es ist diese gezielte Verzerrung der öffentlichen Debatte, wie sie momentan besonders in den USA zu beobachten ist, die auch für den diesjährigen Bundestagswahlkampf befürchtet wird. Dabei ist Glaubwürdigkeit gerade hierbei das wichtigste Pfand der Politik. Für informierte Wahlentscheidungen brauchen Wähler Zugang zu unmanipulierten Informationen und unverzerrte Diskussionen. Doch in einer offenen Gesellschaft, die sich zudem einer pluralistischen Medienlandschaft rühmt, ist Zensur keine Option. Was also tun?

Der offene Krisenstab

Wenn Regierungen großen Herausforderungen ausgesetzt sind, rufen sie meist ihre besten Männer und Frauen zu einem Krisenstab zusammen, bilden Taskforces, Arbeitsgruppen oder ein Expertenkomitee. So ähnlich funktionierte es auch im so genannten Open Situation Room, nur dass der Krisenstab ein offener war: Die Einladung von Stiftung Mercator und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) richtete sich an zivilgesellschaftliche Akteure, Hacker, Unternehmerinnen sowie Bürger verschiedener Generationen. Insgesamt 36 Teilnehmer beschäftigten sich einen Tag lang mit der Entwicklung von Lösungsansätzen und neuen Ideen, die sie der Bundesregierung – vertreten durch die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer – mit auf den Weg gaben.

Die Bundesregierung steht vor mehreren Herausforderungen: Es geht um schnelle, transparente Er- und Aufklärung von Falschmeldungen sowie um eine aktive Sensibilisierung der Wähler für die neue Dimension äußerer Beeinflussung und gezielter Desinformation. Die Teilnehmer des Open Situation Room entwickelten Lösungsansätze, die ­unterschiedliche Aspekte der Thematik in den Blick nehmen.

1. Journalisten

Journalisten und Politiker müssten sich damit auseinandersetzen, wie Nachrichten zu Fake News werden können und wo sie selbst eine Angriffsfläche bieten. Nach dem Vorbild der Deutsche Welle Akademie soll auch hierzulande ein Weiterbildungsangebot geschaffen werden, das die Fähigkeiten vor allem lokaler Medienanbieter im Bereich „Framing“ ausbaut, um so weniger Angriffsfläche für Trolle und Fake News zu bieten.

2. Erstwähler

Diese Gruppe informiert sich oft hauptsächlich über soziale Medien. Hier ist die Gefahr von Fake News und Desinformation besonders hoch. Mithilfe von Schulworkshops im Vorfeld der Bundestagswahl soll die junge Zielgruppe dazu befähigt werden, Fake sicher zu erkennen und ein Verständnis für die Komplexität von Politik zu entwickeln.

3. Zivilgesellschaft

Auch die jeweils lokale Zivilgesellschaft steht in der Pflicht, den direkten Dialog zwischen Politik und Bürgerinnen und Bürgern zu befördern. Durch Town Hall Meetings sollen Räume der Begegnung für verschiedene Milieus geschaffen werden. Das könnte einem wachsenden Misstrauen gegenüber angeblich abgehobener Politik entgegenwirken.

4. Haftpflicht für Medien

Hier geht es darum, die Medienmacher rechtlich in die Pflicht zu nehmen. Ähnlich dem Urheberrecht sollen sie so für die Richtigkeit der veröffentlichten Informationen haftbar gemacht werden können. Auch verpflichtende Hinweise auf die Finanzierung von Beiträgen könnten verlorengegangenes Vertrauen in die Medien wieder aufbauen helfen.

5. Reaktionszentrum

Ein bundeseigenes digitales Reaktionszentrum müsste sich auf die Richtigstellung bereits verbreiteter Falschmeldungen konzentrieren. Durch kontinuierliches Medienmonitoring soll mutmaßliche Desinformation umgehend erkannt, mithilfe von öffentlichen, diplomatischen und geheimdienstlichen Informationen überprüft und umfassend richtiggestellt werden.

Bürgernähe und Bildungsoffensive

Der Open Situation Room bestätigte den Eindruck des Vertrauensverlusts von Bürgerinnen und Bürgern gegenüber klassischen Medien. Sowohl die DW Akademie für Lokaljournalisten als auch die Haftpflicht für Nachrichtenportale stellen diesen Vertrauensverlust ins Zentrum und wollen durch Qualitätssteigerung und verstärkte Selbstregulierung Vertrauen zurückgewinnen. Neben den Medienmachern werden jedoch auch die Medienkonsumenten in den Blick genommen, wenn die Medienkompetenz von Erstwählerinnen und Erstwählern geschult werden soll. Dahinter steckt die Frage: Ist die Medienbildung der Bürgerinnen und Bürger ausreichend, um informiert am demokratischen Diskurs teilzuhaben?

Eine weitere Kernbotschaft des Open Situation Room ist der Wunsch nach lokalen Räumen der Begegnung und unmittelbarem Dialog mit den gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten. Sind in Zeiten von Fake News analoge Town Halls eine Alternative zu staatlichen Social-­Media-Kampagnen geworden?

Die Teilnehmer zeigten eine hohe Sensibilität für das Dilemma staatlichen Agierens im Falle von Fake News: Einerseits sollte die Bundes­regierung nicht tatenlos zusehen, wenn durch gezielte Desinforma­tion die kritische Infrastruktur unserer Demokratie gefährdet ist. Andererseits macht sie sich mit zentral gesteuerten Faktenchecks selbst angreifbar für Zensurvorwürfe – ein Tabu, wenn es um den Schutz der liberalen Demokratie vor autoritärer Einflussnahme geht. Auf der Suche nach einem Ausweg aus diesem Dilemma spielen Werte wie Authentizität, Transparenz und Bürgernähe in vielen der im Open Situation Room entwickelten Ideen eine zen­trale Rolle.

Die Lösungsvorschläge, die für den Umgang mit Cyber-Attacken, Trollen und Fake News entwickelt wurden, sind eher langfristig angelegte Programme als schnell wirksame Initiativen. Sie wollen die Medienkompetenz verschiedener Zielgruppen fördern und das Vertrauen im Dreieck Regierung – Medien – Bürger wiederherstellen. Das ist richtig und wichtig – nicht nur für die ­Bundestagswahl 2017.

Annkatrin Kaiser arbeitet als Projektmanagerin für internationale Programme in der Stiftung ­Mercator und leitet die Open Situa­tion Rooms.

Claire Luzia Leifert arbeitet im Robert Bosch-Zentrum für ­Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentral­asien der DGAP.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September-Oktober 2017, S. 58 - 60

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