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01. Apr. 2007

„Europa muss wählen!“

Arabische Medien über Europas Rolle im Nahen Osten

„Europa muss wählen!“, fordert ein Kommentator in der libanesischen Tageszeitung Al-Akhbar am 12. September 2006. Anlass war die Debatte um Europas Rolle bei der Schlichtung des Konflikts zwischen Israel und dem Libanon. Für welche Richtung sich Europa dabei entscheidet, ist aus arabischer Sicht durchaus offen. In verschiedenen Kommentaren wird betont, dass die EU in der Region keineswegs selbstlos handele. So hebt Muhammad Khalifa in einem Beitrag für die emiratische Tageszeitung Al-Khalij am 4. März 2007 hervor, dass die europäischen Bemühungen um eine verstärkte europäisch-arabische Kooperation im Mittelmeerraum vor allem einer Bekämpfung der illegalen Einwanderung dienten. Die europäische Politik basiere nicht „auf dem Wunsch, diesen Staaten zu helfen, sondern zielt vielmehr auf die Abwehr eines Übels, das in Gestalt einer täglich wachsenden Zahl illegaler Migranten in diesen Ländern existiert“.

Nicht weniger deutlich fällt die Kritik des syrischen Autors und Menschenrechtsaktivisten Akram al-Bunni in einem Kommentar für die jordanische Zeitung Al-Ghad (23. November 2006) aus. Zu den Überlegungen in der EU, den Dialog mit Syrien zu intensivieren, schreibt er: „Es ist für jeden deutlich, dass es in der Regel Interessen sind, welche die Politik der westlichen Staaten leiten, nicht etwa Prinzipien oder die verkündeten Parolen. Die ältere und neue Geschichte sind voll von Beispielen, die das bestätigen. (…) Wenn es ihren Interessen dient, dann wenden sich diese Staaten von ihren Rufen nach Demokratie und Menschenrechten ab. Ein Beleg dafür ist heute das nachlassende Interesse an der innenpolitischen Situa-tion in Syrien.“

Generell wird die Entwicklung der europäischen Nahost-Politik in arabischen Medien aufmerksam verfolgt. Meist knüpft sich daran die Hoffnung, dass Europa ein Gegengewicht zu den USA darstellen und in regionalen wie internationalen Konflikten vermittelnd wirken könnte. Dabei prägen die Demonstrationen, mit denen im Vorfeld des Irak-Krieges in europäischen Städten gegen die amerikanische Politik protestiert wurde, weiterhin das Bild von Europa. Insbesondere die deutsche und die französische Haltung wurden in der arabischen Öffentlichkeit wohlwollend kommentiert. Mit welcher Emphase die Hoffnungen auf eine stärkere europäische Rolle mitunter formuliert werden, zeigt ein Beitrag von Ali Bidawan in der Tageszeitung Al-Watan aus Qatar am 13. Januar 2007: „Im Vorfeld des Krieges gegen den Irak machte sich die internationale Friedensbewegung in Europa auf, um den Hochmut der Politik der Bush-Regierung zu brechen – als breite demokratische Bewegung der Völker der Welt. Mit den größten Demonstrationen, die die Welt seit dem Ersten Weltkrieg, ja seit Beginn der Neuzeit erlebt hat, protestierte die Bewegung gegen den Angriff auf den Irak und für eine gerechte Friedenslösung in Palästina.“

Vor dem Hintergrund der Erwartungen, die EU könne ein Korrektiv der amerikanischen Politik darstellen, wurde auch der Regierungswechsel in Deutschland bewertet. So wurden die jüngsten Reisen des Ex-Kanzlers Schröder in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Syrien anerkennend zur Kenntnis genommen. Deutliche Skepsis prägt dagegen die Haltung zur neuen Bundesregierung. Merkels Nähe zu den USA und ihre Kritik an der Irak-Politik der Regierung Schröder lässt, so jedenfalls die Sicht vieler arabischer Kommentatoren, eine Stärkung des proamerikanischen Lagers unter den EU-Mitgliedsstaaten befürchten. Wesentlich zu dieser Einschätzung haben Merkels -Äußerungen über die Beteiligung deutscher Soldaten an der UNIFIL-Mission beigetragen, die sie mit dem Schutz Israels vor Angriffen der Hisbollah begründete. In den Reaktionen der arabischen Presse stärkte dies die Sorge vor einem bevorstehenden Wandel der deutschen Nahost-Politik, der sich umso negativer auswirken könnte, je wichtiger die Rolle Deutschlands in der EU werde.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 und Merkels Nahost-Reise Anfang Februar macht aus arabischer Sicht das zunehmende internationale Gewicht Deutschlands deutlich. Dazu heißt es etwa in einem am 6. Februar in der saudischen Tageszeitung Al-Riyadh erschienenen Leitartikel: „Deutschland – ein Land, das Kriege anzettelte und das andere Nationen als Untermenschen betrachtete, die es nicht verdienen würden, am Leben zu bleiben, oder die nur Sklaven der nationalsozialistischen Rasse seien – wurde durch Niederlagen dazu gezwungen, ein solches Denken aufzugeben und sich unter die anderen Nationen einzureihen. Deutschland ist es gelungen, seine militärische Kraft in einen beispiellosen wirtschaftlichen Erfolg zu verwandeln und das Land zu einer gekrönten Macht in Europa und zu dessen Vorreiter zu machen.“ Ganz ähnlich charakterisiert der ägyptische Kommentator Salama A. Salama die wachsende Rolle Deutschlands. In der Wochenzeitung Al-Ahram Weekly (8. Februar 2007) urteilt er: „Merkel verkörpert die Vitalität und Anpassungsfähigkeit des deutschen Volkes. Sie symbolisiert das neu gefundene Selbstbewusstsein eines vereinten Europas.“ 

Angesichts dieser Entwicklungen fordert der jordanische Autor Ahmad Jamil Azm die arabischen Politiker auf, sich intensiver als bisher mit Deutschland zu befassen. In der Tageszeitung Al-Ghad vom 15. Februar 2007 betont auch er zunächst die wirtschaftlichen Interessen, von denen die deutsche Politik gegenüber dem Nahen Osten bestimmt sei. Nicht zufällig hätten neben den Vereinigten Arabischen Emiraten auch Saudi-Arabien und Ägypten zu den Stationen der Nahost-Reise Merkels gezählt – die Länder in der Region, zu denen Deutschland die wichtigsten ökonomischen Kontakte unterhalte. Das sollte für die arabische Politik genutzt werden: „Während die französisch-britische Rolle (in der Region) zurückgeht, gewinnen die gegenseitigen deutsch-nahöstlichen Wirtschaftsinteressen an Bedeutung. Gleichzeitig wächst der deutsche Einfluss auf Entscheidungsfindungsprozesse in den USA. All diese Faktoren sollten die arabischen Entscheidungsträger dazu bewegen, der wachsenden deutschen Rolle in der internationalen Politik größere Beachtung zu schenken.“

Große Aufmerksamkeit erhalten in der arabischen Öffentlichkeit auch die politischen Entwicklungen in Frankreich. Von den anstehenden Präsidentschaftswahlen und dem damit verbundenen Ende der Ära Chirac erwartet man eine nahostpolitische Neuausrichtung der französischen Politik. Bereits seit Mitte vergangenen Jahres werden vor allem die Äußerungen von Nicolas Sarkozy, dem Kandidaten der regierenden UMP, genau zur Kenntnis genommen. Während der außenpolitisch kaum profilierten Kandidatin der PS, Ségolène Royal, nur wenige Beiträge in den arabischen Medien gewidmet sind, werden Stellungnahmen von Sarkozy vielfach kommentiert.

Mit deutlicher Besorgnis wurden schon in der Vergangenheit Sarkozys restriktive Einwanderungspolitik und sein bewusst martialisches Auftreten während der Unruhen in den französischen Banlieues im November 2005 registriert. Dennoch galt Sarkozy auch unter französischen Intellektuellen maghrebinischer Herkunft lange als Fürsprecher einer wachsenden innenpolitischen Rolle der muslimischen Verbände. So berichtet die in London erscheinende Tageszeitung Al-Sharq al-Awsat (28. Februar 2007), Sarkozys Einsatz für die Schaffung des Conseil Français du Culte Musulman sei der Grund für die Unterstützung, die Sarkozy auch von in Frankreich lebenden arabischen und muslimischen Intellektuellen bekomme.

In der arabischen Öffentlichkeit erscheint Sarkozy dagegen in einem deutlich negativeren Licht. Wie im Falle Merkels sind es hier die ausdrückliche Abgrenzung von der Nahost-Politik Chiracs sowie die Anlehnung an die Politik der USA, die einige Kommentatoren eine französisch-amerikanische Annäherung befürchten lassen. Gestärkt wird diese Erwartung noch durch Sarkozys explizite Unterstützung Israels. „Sarkozy, der Atlantiker“, schreibt etwa Bashir al-Bakr in der Tageszeitung Al-Khalij am 4. März 2007. Und mit einer Warnung „vor einem neuen Bush in Frankreich“ lässt die in London erscheinende Tageszeitung Al-Quds al-Arabi (5. März 2007) einen Leser ausführlich zu Wort kommen: „Der Erfolg Sarkozys und seiner neokonservativen Unterstützer verkündet eine dramatische Änderung der Haltung Frankreichs, aber auch Europas insgesamt, hinsichtlich der arabischen und islamischen Forderungen (auf internationaler Ebene). Die Araber und Muslime, vor allem die Araber und Muslime in Frankreich, müssen zusammen kämpfen, um zu verhindern, dass dieser Politiker an die Regierung kommt.“

Wie widersprüchlich die Alternativen bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich aus arabischer Sicht sein können, zeigt ein Interview, das der saudische Fernsehsender Al-Arabiyya am 8. Februar mit dem Präsidentschaftskandidaten des rechtsextremen Front National (FN), Jean-Marie Le Pen, führte. Auf die Frage des Moderators, ob die prominente Rolle einer maghrebinischen Immigrantin in der Wahlkampagne des FN ein neues Wählerspektrum für die Partei erschließen solle, erklärt Le Pen: „Es geht mir allein darum, die Realität widerzuspiegeln. Man darf nicht vergessen, dass ich der erste Franzose war, der 1957 einen arabischen Kandidaten auf seiner Wahlliste präsentierte. Ich war auch der erste, der 1986 einer jungen Muslimin zum Erfolg bei Gemeinderatswahlen in der Nähe von Paris verhalf. Und als ich das erste Mal zum Abgeordneten gewählt wurde, stand ein Schwarzer auf Platz zwei meiner Liste. All dies hindert meine Gegner aber nicht daran, mich des Rassismus und des Extremismus zu beschuldigen.“ Le Pens Äußerungen über Saddam Hussein, den er als legitimen Präsidenten des Irak beschrieb, und seine entschiedene Kritik an der amerikanischen Nahost-Politik spiegeln eine Argumentation, die schon im Präsidentschaftswahlkampf 2002 von einigen arabischen Beobachtern wohlwollend kommentiert wurde.

Die arabischen Reaktionen auf Sarkozy und Le Pen machen die Ambivalenzen deutlich, von denen die arabischen Wahrnehmungen der EU und deren Mitgliedsstaaten vielfach geprägt sind. Die widersprüchlichen Positionen, die von den europäischen Akteuren in Bezug auf Einwanderer und Muslime in Europa und auf den Nahen Osten vertreten werden, stehen einer eindeutigen Bezugnahme von arabischer Seite oft entgegen. So zeigen die Fälle Khaled al-Masri und Murat Kurnaz in Deutschland für manchen arabischen Kommentatoren, wie sehr auch die Politik von Gerhard Schröder vornehmlich an deutschen Interessen orientiert war.

JOCHEN MÜLLER, geb. 1963, ist Islamwissenschaftler, freier Autor und arbeitet in der politischen Bildung.

GÖTZ NORD-BRUCH, geb. 1974, promoviert an der Humboldt-Universität Berlin zu den deutsch-arabischen Beziehungen.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2007, S. 126 - 129.

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