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01. Sep 2007

Genozid oder zionistische Verschwörung?

Die Dafur-Krise im Spiegel arabischer Medien

In den arabischen Medien wird die Darfur-Krise äußerst kontrovers diskutiert

Mit der Entscheidung des UN-Sicherheitsrats am 31. Juli 2007, eine Blauhelm-Mission in die Region Darfur zu entsenden, nimmt der internationale Druck auf die Arabische Liga zu: Die Dachorganisation der arabischen Länder hatte eine UN-Intervention bisher entschieden abgelehnt. Doch selbst in verschiedenen arabischen Medien wird die Haltung der Arabischen Liga inzwischen kritisiert.

Angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen könne eine internationale Intervention auch gegen den Willen des örtlichen Regimes gerechtfertigt sein, argumentiert beispielsweise der irakische Autor Aziz al-Hajj im Vorfeld der internationalen Darfur-Konferenz in Paris Ende Juni 2007: „Über zweieinhalb Millionen Menschen sind vor der Hölle des islamischen Staates geflohen. Seit drei Jahren führen die Janjawid, die von der Regierung des Sudan bewaffnet und finanziert werden, einen rassistischen Vernichtungsfeldzug. (...) Der Grundsatz der internationalen Nichteinmischung in die Angelegenheiten eines Staates, die seiner nationalen Souveränität unterliegen, darf kein absolutes Gesetz sein, und er darf nicht angewendet werden auf Staaten, die auf ihrem Territorium in großem Umfang Menschenrechte verletzen und eine Politik rassistischer, religiöser und konfessioneller Diskriminierung betreiben.“ (Elaph, 25. Juni 2007).

Die Bemühungen der Afrikanischen Union und der UN um eine Lösung der Krise haben die arabischen Medien in den vergangenen Monaten intensiv beschäftigt. Dabei ist die arabische Berichterstattung über den Konflikt im westlichen Sudan, bei dem bis heute nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 200 000 und 400 000 Menschen getötet und mehr als zwei Millionen vertrieben wurden, so polarisiert wie bei kaum einem anderen internationalen Thema.

So sahen etwa die Beobachter des renommierten islamischen Internet-Portals „Islam Online“ die Region angesichts der andauernden Auseinandersetzungen in Darfur und Somalia schon vor Jahresfrist an einem Scheidepunkt: „Die Zukunft des Horns von Afrika: islamisch oder amerikanisch?“ heißt es bereits im Titel (31. Oktober 2006). Dass die sudanesische Regierung ihren Umgang mit der Zivilbevölkerung lange verharmlost hat, stößt mittlerweile auch bei arabischen Beobachtern auf Kritik. Infrage gestellt wird nicht nur die uneingeschränkte Solidarität der Arabischen Liga mit dem arabischen Regime in Khartum bei seinem Konflikt mit den nichtarabischen Rebellen. Strittig sind auch die vielfältigen Verschwörungstheorien über amerikanische und israelische Manipulationen der Weltöffentlichkeit; allerdings ist die arabische Darfur-Berichterstattung immer noch in weiten Teilen von diesen Theorien geprägt. Doch die Politik der Arabischen Liga, die bisher die dramatischen Auswirkungen des Konflikts eher leugnete und den Lösungsstrategien der UN entgegenarbeitete, wird deutlicher problematisiert.

In einem Beitrag für die Tageszeitung Al-Hayat im Vorfeld des arabischen Gipfels in Riad im März 2007 bringt etwa Nadim Hasbani, ein Mitarbeiter der International Crisis Group (ICG), diese Haltung auf den Punkt: „Die Arabische Liga äußerte (bei einem vorangegangenen Gipfel in Khartum im März 2006) ihre Besorgnis über die Gewalt in der sudanesischen Region Darfur. Sie hat es aber nicht geschafft – genauso wenig wie die einzelnen Mitgliedstaaten der Liga –, die internationalen Maßnahmen zu unterstützen, um die sudanesischen Bürger in Darfur zu schützen. Ihre Untätigkeit im Angesicht der massenhaften Tötungen kommt einer Komplizenschaft von Tag zu Tag näher.“ (21. März 2007).

Auch große Teile der Öffentlichkeit in mehreren arabischen und islamischen Ländern zeigen starkes Interesse an den Entwicklungen in der Krisenregion. Eine Umfrage zur öffentlichen Wahrnehmung der Darfur-Krise in sechs Ländern, die im März/April 2007 im Auftrag des Arab American Institute durchgeführt wurde, dokumentiert die Besorgnis, mit der der Konflikt verfolgt wird.1 Während sich in Malaysia 67 Prozent der Befragten beunruhigt über die Lage in Darfur zeigten, stieg die Zahl in der Türkei und Marokko auf 76 Prozent. Einzig in Ägypten, dem nördlichen Nachbarland des Sudan, gaben mit 35 Prozent weniger als die Hälfte der Befragten an, über die Situation in der Region besorgt zu sein. Die Verantwortung für die Krise wird von großen Teilen der Bevölkerung auf beiden Seiten des Konflikts gesehen. So hielten die Befragten in Ägypten sowohl die Regierung (84 Prozent) als auch die Rebellen selbst (74 Prozent) für verantwortlich. Deutlicher noch war die Einschätzung in Saudi-Arabien. Hier sahen 87 Prozent bzw. 93 Prozent der Befragten Regierung und Rebellen gleichermaßen als Schuldige am Konflikt. Die Umfrage belegt eine gewisse Diskrepanz zwischen öffentlichem Interesse und offizieller Politik in diesen Ländern. Die überwiegende Mehrheit aller Befragten hielt es schließlich für erforderlich, dass sich Araber und Muslime ebenso für Darfur engagieren wie für die Konflikte im Irak und in Israel/Palästina.

In den arabischen Medien insgesamt wird dies weniger eindeutig so gesehen. Für viele Kommentatoren ist die Aufmerksamkeit, die die Darfur-Krise auf internationaler Ebene erhält, Anlass zur Skepsis und zur Verbreitung wilder Verschwörungstheorien. Insbesondere die Beteiligung amerikanisch-jüdischer Organisationen an der Kampagne „Save Darfur“ dient vielen als Beleg für eine Instrumentalisierung des Konflikts im Sinne amerikanischer und israelischer Interessen. So vermutet etwa der Kolumnist Jihad el-Khazen, hinter der Kampagne stecke die amerikanische „Israel-Lobby“. In einer Kolumne für die Zeitung Al-Hayat schreibt er über „Save Darfur“: „In Darfur sind die Opfer Muslime. 200 000 Muslime wurden von Muslimen getötet. (...) Dieser Lobby, ob es sich dabei nun um eine Israel- oder um eine Darfur-Lobby handelt, geht es nicht um die Verteidigung dieser Opfer. Sie nutzt diese Opfer lediglich, um die anderen Verbrechen, von Palästina bis Irak, zu verschleiern.“ (13. April 2007).

Insbesondere die Definition des Konflikts als Genozid, den die arabischen Janjawid-Truppen (nach Ansicht verschiedener internationaler Beobachter) mit Billigung Khartums an der nichtarabischen Zivilbevölkerung begehen, stößt auf heftigen Widerspruch. So sieht der palästinensische Autor Imad Afana hinter den Warnungen vor einem Völkermord ausschließlich imperialistische Interessen: Es handele sich hier um „einen bösartigen Deal zwischen dem listigen Zionismus und den USA, um die Medien – mit den Mitteln, welche die beiden in den globalen Medien besitzen – blind zu machen für die Verbrechen und die Pläne der Zionisten und der Amerikaner in Palästina, dem Irak und in Darfur“. Dieser Deal ähnele dem Sykes-Picot-Abkommen, in dem Großbritannien und Frankreich sich während des Ersten Weltkriegs über die zukünftige Aufteilung des Nahen Ostens verständigt hatten: „Mit dem Unterschied zwischen damals und heute, dass – immer wenn die USA in arabisches oder islamisches Territorium einfallen – die islamische Bevölkerung aus den Tiefen des Landes auftaucht und die USA vom Unheil kosten lässt.“ (AMIN, 23. November 2006).

Auch die regierungsnahe ägyptische Presse, deren Berichterstattung über das sudanesische Regime im Allgemeinen die Spannungen zwischen beiden Ländern erkennbar widerspiegelt, hält sich im Kontext der Darfur-Krise mit Kritik am sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir zurück. So sieht die führende Tageszeitung Al-Ahram die Verantwortung für den Konflikt und das Scheitern der Lösungsversuche ausschließlich auf Seiten der Rebellen. In einem Editorial heißt es, die Rebellen schienen „zu denken, dass die internationale Gemeinschaft sie weiterhin beschützen und den Druck auf die Regierung erhöhen wird, um die Beschlüsse des Sicherheitsrats durchzusetzen. Dabei handelt es sich um eine Illusion, denn die Zeit wird kommen, in der die Welt erkennt, wer den Friedensprozess aufhält.“ (14. Mai 2007).

Die Kritik an der internationalen Intervention in Darfur, die als eine weitere Schwächung der arabischen Staaten gewertet wird, beschränkt sich nicht auf staatliches Handeln und öffentliche Verlautbarungen. Die arabisch-islamische Solidarität mit dem sudanischen Regime schlägt sich auch in der unmittelbaren Zensur kritischer Berichte nieder. So wurde die Ausstrahlung der aufwendigen Reportage „Jihad zu Pferde“, die der angesehene saudische TV-Sender Al-Arabiya Anfang 2005 in Auftrag gegeben hatte, auf Intervention des sudanesischen Präsidenten al-Bashir verhindert.

Diese Einschränkung kritischer Berichterstattung stößt jedoch zunehmend auf Kritik. Während eines Journalisten-Workshops zur Darfur-Krise im April 2007, der von der ICG an der Amerikanischen Universität in Kairo organisiert wurde, brachten führende arabische Vertreter der Branche ihren Unmut darüber zum Ausdruck, dass ihre Berichterstattung über das Ausmaß und die Hintergründe der Krise behindert und reglementiert werde.2 Ähnliche Kritik findet sich mittlerweile in verschiedenen Medien; angeprangert wird sowohl die Ignoranz gegenüber den Opfern als auch die unkritische Haltung gegenüber dem sudanesischen Regime.

In einem Beitrag für die saudische Tageszeitung Al-Riyadh bringt Adil Bin Zayyed al-Toraifi diese Kritik zum Ausdruck. Mit Blick auf die -ausbleibenden Berichte in den arabischen Medien über die Verbrechen der Janjawid schreibt er: „Wo steht der arabische Mensch angesichts der Ermordungen, denen die Kurden im Nord-Irak in den achtziger Jahren ausgesetzt waren, angesichts der Vertreibungen der kuwaitischen Bevölkerung während der arabischen [irakischen] Invasion zu Beginn der Neunziger oder der fundamentalistischen Mordanschläge, denen in Algerien Tausende zum Opfer fielen?“ Das arabische Individuum rege sich immer dann auf, wenn ein Araber oder ein Muslim von einem Menschen aus dem Westen getötet werde, „es bleibt aber still, wenn der Mörder wie es selbst ein Araber ist oder wenn ihn keine ethnischen oder religiösen Bande mit dem Opfer verbinden.(...) Der arabische Mensch kann sich selbst gegenüber nur dann aufrichtig sein, und die andern können ihn und seine Bedürfnisse und Forderungen nur dann für aufrichtig halten, wenn ihn jeder Tod eines Menschens – egal welcher Hautfarbe, Nationalität und Religion – berührt und schmerzt, weil es sich um einen Angriff auf den Menschen selbst handelt.“ (15. November 2006).

GÖTZ NORDBRUCH, geb. 1974, promoviert an der Humboldt-Universität Berlin zu den deutsch-arabischen Beziehungen.

  • 1„Arab and Muslim public opinion takes the lead on darfur“. Umfrage im Auftrag des Arab American Institute, durchgeführt von Zogby International, 30.4.2007 (www.aaiusa.org).
  • 2Lawrence Pintak: Darfur: Covering the „forgotten“ story, Arab Media & Society, Mai 2007.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2007, S. 128 - 131.

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