IP

28. Febr. 2014

Ertüchtigen statt wegsehen

Eine deutsche Initiative soll das Krisenmanagement der GSVP verbessern

Bundeskanzlerin Merkel sagte es ganz deutlich: NATO und EU können nicht jede Krise lösen. Ist deshalb der deutsche Vorschlag für eine Enable and Enhance -Initiative, kurz E2I, ein neuer Weg? Viele Fragen sind noch offen, und -Berlin sollte jetzt seine Rolle als Impulsgeber der GSVP wahrnehmen.

Deutschland muss bereit sein, mehr zu tun. Die Rufe nach der Übernahme von mehr internationaler Verantwortung durch die Bundesrepublik erklingen nicht mehr nur aus dem Ausland. Bundespräsident Joachim Gauck forderte bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014, Deutschland müsse sich international „früher, entschiedener und substanzieller“ einbringen; ähnlich hatte er sich auch schon in seiner Rede zum 3. Oktober 2013 geäußert. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen formulierten in München gleichlautende Forderungen. 

Doch wie soll ein solches verstärktes internationales Engagement aus­sehen, da die allermeisten Deutschen von internationalen Einsätzen ihrer Bundeswehr nichts mehr wissen wollen? Und der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Hellmut Königshaus, beklagt Anfang Februar, dass die Bundeswehr „in vielen Bereichen die Grenze der Belastbarkeit erreicht, vielfach sogar überschritten“ habe.

Abseits der tagesaktuellen Schlagzeilen über die Neuausrichtung deutscher Außenpolitik verfolgt Bundeskanzlerin Angela Merkel nach wie vor eines ihrer Lieblingsprojekte: die so genannte „Ertüchtigungsinitiative“. Hinter dem eher unglücklichen Begriff steckt die Idee, Partner in fragilen Weltregionen, die bereit sind, sich für regionale Sicherheit zu engagieren, auch dahingehend zu befähigen. Deutschland soll Anlehnungspartner sein, ausbilden und ausrüsten. Wenn nötig – und immer nach einer gründlichen Abwägung – auch mithilfe von Waffenexporten. 

Diese außenpolitischen Ziele, die Merkel bereits 2011 definiert hatte, führte sie im Herbst 2012 auf der Kommandeurtagung in Strausberg weiter aus: Weil EU und NATO nicht alle sicherheitspolitischen Probleme alleine lösen könnten, sei es notwendig, auch regionale Partner in die Verantwortung zu nehmen. Staaten und Organisationen gelte es zu ermuntern, sich entsprechend ihrer gewachsenen wirtschaftlichen und politischen Bedeutung weltweit für Sicherheit und Frieden zu engagieren. Wer nicht überall auf der Welt eine aktive Rolle in der Friedenssicherung übernehmen könne, sich dem Friedensprozess aber dennoch verpflichtet fühle, solle vertrauenswürdigen Partnern deshalb helfen und sie befähigen, damit sie entsprechende Aufgaben in eigener Verantwortung übernehmen könnten, so die Bundeskanzlerin.

Ertüchtigen auf Europäisch

Beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU im Dezember 2013, das sich unter anderem dem Thema Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik widmete, hat die Bundes­regierung die deutsche Ertüchtigungsinitiative nun auch auf die europäische Ebene gehoben: In einem deutschen Papier zur Vorbereitung auf den Gipfel wurde die „Enable and Enhance Initiative“ (E2I) vorgestellt.

Die E2I betont den ganzheitlichen Ansatz (comprehensive approach) zum Zweck der sicherheitspolitischen „Ertüchtigung und Befähigung“ von Partnerstaaten und -bündnissen: „Die Enable-and-Enhance-Initiative zielt darauf ab, Partner durch Beratung und Ausbildung zu ertüchtigen. Dies müsste begleitet werden durch die Stärkung ihrer Sicherheitskräfte und -strukturen, um zu gewährleisten, dass den Partnern adäquate und moderne Ausrüstung zur Verfügung steht, um ihre Aufgaben zu erfüllen.“ Die von der Bundesregierung eingebrachte Ini­tiative fand in Punkt 7 Eingang in die Abschlusserklärung des Gipfels.

Bislang bleibt die E2I noch Theorie. Ein konkretes Einsatzszenario wurde auf dem Gipfel nicht beschlossen. Seit Herbst 2013 kursiert allerdings ein Non-Paper von Deutschland, Dänemark und Portugal, das die Situation im Golf von Guinea als einen passenden Testfall für die E2I ausweist. Besonders nach dem Rückgang der Vorfälle von Piraterie am Horn von Afrika rückt diese Region in den Fokus der internationalen Staatengemeinschaft. Denn die teils fragile Sicherheitslage in den Anrainerstaaten führt zu vermehrten ­Überfällen auf Handelsschiffe, vor allem in den Hoheitsgewässern Nigerias und Togos. 

Vor dem Hintergrund der Resolutionen 2018 (2011) und 2039 (2012) des UN-Sicherheitsrats erarbeiteten die Autoren des Non-Papers erste Empfehlungen für einen umfassenden Ansatz zur Herstellung maritimer Sicherheit im Golf von Guinea, der die Eigenverantwortung der Anrainerstaaten in der Region betont. So soll die EU dabei helfen, eine regionale Strategie zur Bekämpfung von Piraterie und bewaffneten Überfällen auf See zu entwickeln. Darüber hinaus ist der Aufbau von Kapazitäten in den Bereichen Koordination, Kooperation und Interoperabilität ­geplant.

In beiden Fällen kann die EU mit der Expertise ihrer zivilen und militärischen Berater bei der Erarbeitung von Best Practices unterstützen und auf die Erkenntnisse anderer maritimer Operationen wie EUCAP Nestor und EUFOR Atalanta zurückgreifen. Vor allem die Aufstellung multinationaler Patrouillen und Vessel Protection Detachments (VPDs) erscheint sinnvoll, um eine grenzübergreifende Verfolgung von Piraten zu ermöglichen. Außerdem wäre eine europäische Unterstützung beim Aufbau eines geplanten regionalen Koordinationszentrums nach Vorbild des Maritime Security Centre Horn of Africa (MSCHOA) denkbar. Diese Ansätze zielen überwiegend auf die zivilen Instrumente ab, die der EU im Rahmen der GSVP zur Verfügung stehen. Vor allem durch Wissenstransfer und den Aufbau von Strukturen sollen regionale Sicherheitsinstitutionen in die Lage versetzt werden, künftig effektiver gegen maritime Bedrohungen durch bewaffnete Akteure vorzugehen.

Eine weitere Option zum Ausbau von Sicherheitsstrukturen sind gemeinsame Manöver europäischer und westafrikanischer Streitkräfte. Diese Vorhaben würden bereits bestehende EU-Initiativen im Golf von Guinea unterstützen, wie etwa das im Januar 2013 gestartete und mit mehreren Millionen Euro finanzierte Critical Maritime Routes in the Gulf of Guinea Programme (CRIMGO). Bereits seit 1990 hält die französische Marine die stehende Operation Corymbe im Golf vor. Zusätzlich findet das US-geführte Manöver Obangame Express 2014 (OE-14) in diesem Jahr erneut in der Region statt. 

An diesem Manöver beteiligt sich ab April auch die deutsche Marine. Ziel des Manövers ist es, gemeinsam mit westafrikanischen Einheiten Anti-Piraterie-Operationen zu trainieren und somit Interoperabilität und Informationsaustausch auszubauen. Das Non-Paper schlägt in diesem Zusammenhang vor, dass ein langfristiges Anti-Piraterie-Programm der EU für den Golf von Guinea sinnvoll sein könnte. Im Sinne der E2I sollte ein solches Programm im Rahmen der Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) jedoch nicht nach Vorbild der EU NAVFOR Atalanta-Mission als ständige Militäroperation konzipiert werden. Stattdessen sollte es die regionalen Bedürfnisse berücksichtigen und auf gemeinsame Ausbildung und Manöver abzielen.

Schutzwesten genügen nicht

Auf den ersten Blick eröffnet die Ertüchtigungsinitiative der Bundesrepublik, die erfolgreich Eingang in die GSVP fand, ein erweitertes Optionenspektrum für die deutsche und europäische Sicherheitspolitik, ohne sich durch „robustes“ Engagement in die Konflikte anderer Staaten einmischen zu müssen. 

Nicht nur die Deutschen sind nach den großen Stabilisierungseinsätzen im Kosovo und in Afghanistan unwillig, in den Krieg zu ziehen. Auch die Europäische Union ist seit Gründung der GSVP stets vor Kampfeinsätzen zurückgeschreckt. Bietet die E2I hier also eine willkommene Alternative, die sich auch innenpolitisch gut verkaufen ließe, da man ja „nur“ Ausbilder und Schutzwesten stellt? 

Weit gefehlt! Denn wie die Einsatzrealität in internationalen Krisen zeigt, benötigen ausbildende und zivile Maßnahmen im Krisenmanagement fast immer auch die Stabilisierung des Einsatzumfelds. Trainingsmissionen, wie sie die deutsche Initiative favorisiert, sind deshalb auf einen gleichzeitigen robusten Schutz- und Stabilisierungseinsatz angewiesen.

Wie diese Aufgaben im Rahmen eines komplexen mehrschichtigen Einsatzszenarios unter den europäischen Einsatzkräften verteilt werden sollen, wird durch die E2I im Kontext der Abschlusserklärung des GSVP-Gipfels nicht ausbuchstabiert. Hier zeigt sich die Achillesferse der deutschen Ertüchtigungspolitik. Denn vor solchen robusten Einsätzen schrecken die Deutschen seit Afghanistan in der Regel zurück. Glaubwürdig ist das Projekt E2I aber nur dann, wenn die Bundesregierung bereit ist, sich auch hier zu engagieren. Wer E2I nach dem Motto betreibt: „Ausbildung, Uniformen, ein paar Lastwagen – alles eng getaktet und zeitlich begrenzt“, der benutzt die Initiative nur als Feigenblatt. 

Die Glaubwürdigkeit der „Enable and Enhance Initiative“ steht und fällt mit ihrem Partnerschaftskonzept, das bislang jedoch nicht ausdefiniert wurde. Was macht Partnerstaaten aus und welche Kriterien müssen diese erfüllen, um mit Training und Equipment ausgestattet zu werden? Das Non-Paper zum Golf von Guinea betont zwar, regionale Partner unterstützen zu wollen, definiert dabei jedoch nicht, welche Staaten oder Regionalorganisationen sich überhaupt als Partner qualifizieren.

Diese Frage stellt sich insbesondere dann, wenn man die Anrainerstaaten des Golfs von Guinea betrachtet, die sich an OE-14 beteiligen werden. Die Elfenbeinküste, Nigeria und die Republik Kongo sind autoritäre Systeme mit schwach ausgeprägten staat­lichen Strukturen und teils unfreien Gesellschaften. Bei der Auswahl von Partnern innerhalb dieser Strukturen kann nicht sichergestellt werden, dass die Regelungen zum Endverbleib von Rüstungsgütern eingehalten werden und Ausrüstung nachhaltig unter der Kontrolle von verantwortungsbewussten Institutionen verbleibt. 

Die Autoren des Non-Papers verweisen hier lediglich abstrakt auf die gemeinsame Position der EU zu ­Rüstungsexporten. Damit kann es jedoch nicht getan sein. Konsequenterweise bedürfte ein „Enabling“ von Partnern nämlich auch ein „Controlling“, um zu verhindern, dass sensible Güter in die falschen Hände gelangen. Welche Pläne dahingehend von EU bzw. Deutschland existieren und welche Schritte dies umfassen würde, wird weder von Europa noch von Deutschland, als Initiator der E2I, erklärt. 

Sieht man sich die Krisenregionen dieser Welt an, so fällt auf, dass die Zahl möglicher Partner eher überschaubar ist, die die Einhaltung der Menschenrechte wahren, die das humanitäre Völkerrecht achten, die frei sind von inneren Spannungen und bewaffneten Konflikten und die sich gleichzeitig für Frieden, Sicherheit und Stabilität in der Region einsetzen.

Hilfe zur Selbsthilfe

E2I ist also nicht denkbar ohne eine engagierte, langfristige und nachhaltige Entwicklungspolitik, die schwachen Staaten im Rahmen von Krisenprävention und Nationbuilding zunächst dabei hilft, zu starken Partnern zu werden. 

Mindestens ebenso wichtig ist es, dass die regionalen Partner die europäische Trainings- und Ausbildungsoffensive auch akzeptieren, wenn nicht sogar begrüßen. Wird das europäische Bemühen als postkolonialistische Einmischung erlebt, ist E2I zum Scheitern verurteilt. 

Trotz aller hier angeführten Bedenken kann E2I als Versuch, engagierter Verantwortung zu übernehmen, gelingen: Denn die Kanzlerin hat Recht mit ihrer Aussage, dass NATO und EU nicht jede Krise lösen können. Hilfe zur Selbsthilfe ist prinzipiell der richtige Weg. Eingebettet in Maßnahmen der Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit, notfalls robust abgesichert, als dauerhaftes und nachhaltiges Engagement ziviler und militärischer Helfer vor Ort und mit den richtigen Partnern, kann E2I ein effektives Mittel des Krisenmanagements sein. 

Mithilfe der Initiative ließe sich auch ein gewisses Kontrollmanagement regionaler Kräfte und Dynamiken erzielen: Durch das vermittelte Know-how europäischer Partner an regionale Sicherheitsakteure oder Organisationen kann in der Krisenregion eine Präsenz- und Beobachtungsposition eingenommen werden, sodass Informationen über interne Strukturen gewonnen werden könnten. Gleichzeitig käme den beteiligten EU‑Staaten aber eine geringere Eigenverantwortung vor Ort zu. Zudem sichert ein Engagement unterhalb der Schwelle eines Kampfeinsatzes die Verbindung mit aktuellen oder potenziellen Handelspartnern ab, ist schneller umzusetzen und erfordert keinen langwierigen, komplizierten politischen Entscheidungsprozess.

In der konkreten Anwendung der E2I müssen die Initiatoren vor der Umsetzung jedoch stets folgende Fragen beantworten: Wer sind „regionale Partner“, die befähigt werden sollen? Welche Ausrüstungsmittel und Ausbildungsaspekte umfasst die Initiative überhaupt? Wer koordiniert und leitet eine E2I‑Mission, wenn sie auf Grundlage eines EU‑Mandats durchgeführt wird? Welche Rolle sollen Rüstungsexporte spielen? Welche anschließenden Maßnahmen verfolgt die EU, um die Verwendung des eingebrachten Ausrüstungsmaterial zu kontrollieren? Und welche Anstrengungen schließen sich für die ertüchtigenden Staaten an, um die Stabilität der Konfliktregion durch sicherheits- und entwicklungspolitische Zusammenarbeit zu gewährleisten?

Bundeskanzlerin Merkel hat ihre „Ertüchtigungsdoktrin“ geschickt auf die europäische Ebene gehoben und in der GSVP verankert. Bislang bleibt das Konzept jedoch unkonkret. Es ist abzuwarten, welche Maßnahmen durch E2I angestoßen werden und welche Instrumente die Mitgliedstaaten bereit sind, einzusetzen. Deutschland ist verpflichtet, sich als Initiator der Initia­tive und zugleich stärkste europäische Kraft differenzierter zu positionieren und seine Rolle als Impulsgeber der GSVP wahrzunehmen.

Derzeit sieht es so aus, als würden sich die Minister von der Leyen und Steinmeier dieser Aufgabe stellen wollen, während Kanzlerin Merkel zu der neuen Akzentsetzung schweigt. Es gilt nun, die neue Dynamik in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zu nutzen und nicht wieder in alte Muster des Wegsehens zu verfallen.

Dr. Jana Puglierin ist kommissarische Leiterin des Berliner Forum Zukunft im Forschungsinstitut der DGAP.

Sebastian Feyock ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsinstitut der DGAP.

Yvonne van Diepen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsinstitut der DGAP. 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar/März 2014, S. 60 - 65

Teilen

Mehr von den Autoren