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12. Sep 2011

Erklären, ausbauen, forschen

Wie aus einer deutschen eine europäische Energiewende werden kann

Im Lissabonner Vertrag wird erstmals eine gemeinsame europäische Energiepolitik gefordert. Allen Lippenbekenntnissen der vergangenen Jahre zum Trotz hat Deutschland seine Energiewende jedoch im nationalen Alleingang beschlossen. Der deutsche Atomausstieg bei gleichzeitigem beschleunigten Einstieg in die erneuerbaren Energien ist notwendig und richtig. Trotzdem wird er von zahlreichen Beobachtern bei unseren europäischen Nachbarn als deutscher Sonderweg betrachtet. Die Aufgabe der kommenden Monate wird es deswegen sein, die deutsche Energiewende nicht nur zu erklären, sondern europaweit anschlussfähig zu machen.

Gegen die in hohem Tempo beschlossene Energiewende der Deutschen wird eine Reihe von Bedenken vorgebracht. Die Europäische Kommission und zahlreiche unserer Partner machen sich Sorgen, dass Deutschland sein Klimaschutzziel nicht erreichen kann, falls im Rahmen des Atomausstiegs verstärkt auf die Kohle- und Gasverstromung zurückgegriffen werden muss. Damit wäre auch die Erreichung des europäischen Klimaschutzziels bis 2020 in Gefahr. Bisher klaffen die Ausbauprognosen für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien der Europäischen Kommission und Internationalen Energieagentur (IEA) einerseits sowie der Bundesregierung andererseits weit auseinander. In Europa bestehen deshalb Zweifel, ob Deutschland seine ambitionierten Ziele ohne Rückgriff auf Kohle und Gas erreichen kann.

Der Neubau von Gaskraftwerken könnte notwendig werden, um mittelfristig die Lücke zwischen beschleunigtem Atomausstieg und Ausbau erneuerbarer Energien zu schließen. Daher befürchten Deutschlands Nachbarn in Mittel- und Osteuropa, dass die Gaspreise weiter steigen werden und damit die wirtschaftliche und politische Abhängigkeit von dem Haupt-Gasimporteur Russland vergrößert wird. Auch Großbritannien macht sich Sorgen um steigende Gaspreise. Besonders kritisch wird dabei beobachtet, dass sich die Bundesrepublik durch den Ausbau der Ostsee-Pipeline gerade eine von seinen mitteleuropäischen Nachbarn unabhängige Infrastruktur zum Import von russischem Gas schafft.

Deutschland ist bisher Nettostromexporteur. Bei einem beschleunigten Ausstieg aus der Atomenergie wir das Land diese Rolle auf lange Sicht allerdings aufgeben müssen. Das betrifft vor allem Frankreich, das bisher im Sommer – wenn zahlreiche französische Atomkraftwerke aus Mangel an Kühlwasser stillliegen – deutschen Strom in erheblichem Umfang importiert. Bereits nach der vorübergehenden Abschaltung der sieben ältesten deutschen Atommeiler waren die Strompreise europaweit vorübergehend gestiegen.

Frankreich, Großbritannien und weitere EU-Länder sind besorgt darüber, dass die angekündigten massiven Investitionen der Deutschen in erneuerbare Energietechnologien dazu führen, dass andere Mitgliedstaaten von der Entwicklung dieser zentralen Zukunftstechnologie ausgeschlossen werden und keinen Marktzugang erhalten. Vor allem die verstärkte Kooperation zwischen Deutschland und China im Bereich der erneuerbaren Energietechnologien, die auch bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen Ende Juni in Berlin Thema war, bereitet ihnen Sorgen.

Die französische Regierung ist besonders verärgert darüber, dass ein nachhaltiger Imageschaden für die Atomtechnologie insgesamt ihre exportorientierte Atomindustrie schädigen könnte. Auch wenn die Mehrheit der deutschen Bevölkerung und im Bundestag der Atomenergie inzwischen mit wenig Sympathie gegenübersteht, so muss doch zur Kenntnis genommen werden, dass der Ausbau der Atomtechnologie bei gleichzeitigem Blick auf profitable Exportmärkte jahrzehntelang im deutsch-französischen Gleichklang – und teils über Gemeinschaftsunternehmen – erfolgte.

Schließlich herrscht europaweit große Irritation darüber, dass Deutschland seine energiepolitische Grundausrichtung just zu dem Zeitpunkt zu ändern beschloss, als die Europäische Kommission ihr Energiekonzept bis zum Jahr 2050 mit gemeinsamen Vorgaben für die Entwicklung des Energiebinnenmarkts und gemeinsamer europäische Netze vorgelegt hatte.

Viele Schritte – ein Ziel

Unsere europäischen Nachbarn wurden während des laufenden Gesetzgebungsprozesses zum Energiewendepaket nicht oder nur unzureichend informiert, geschweige denn konsultiert.  Nun gilt es, Fragen zu beantworten, Bedenken zu zerstreuen und praktische Lösungen dort anzubieten, wo Interessenkonflikte mit unseren Nachbarländern auftauchen. Nur auf dieser Grundlage kann europaweit für eine Energiewende weg von Atomkraft und hin zu einer Europäischen Gemeinschaft für Erneuerbare Energien geworben werden.

Dafür sind zahlreiche Schritte notwendig. Deutschland muss den überzeugenden Nachweis erbringen, dass der deutsche Atomausstieg nicht zum Neueinstieg in Kohle und Gas führt und damit die europäisch vereinbarten Klimaschutzziele gefährdet. Das vom Bundesumweltminister gebetsmühlenartig vorgebrachte Argument, dass der CO2-Ausstoß der europäischen Kraftwerke durch den Emissionshandel gedeckelt ist, greift nicht. Der Emissionshandel sorgt schließlich nur dafür, dass Reduktionen, die nicht mehr in Deutschland geleistet werden, von anderen europäischen Ländern erbracht oder im Rahmen von Offsetmechanismen im nichteuropäischen Ausland eingekauft werden müssen. Überzeugender wäre es, wenn Deutschland glaubwürdig darstellen könnte, dass der vorübergehende Anstieg des Gasverbrauchs in der Stromerzeugung durch Einsparungen im Wärmebereich, vor allem bei der Gebäudesanierung, ausgeglichen werden kann. Dazu aber müssen die bestehenden Förderprogramme ausgebaut und die gesetzlichen Grundlagen nachgebessert werden.

Um die berechtigten Sorgen unserer mittel- und osteuropäischen Nachbarn vor steigender Abhängigkeit von russischem Gas zu mindern, muss sich Deutschland politisch und finanziell für eine diversifizierte Gasimportinfrastruktur in der EU einsetzen. Neben dem bis dato vorrangig betriebenen Ausbaus der Ostsee-Pipeline, die Polen und die baltischen Staaten links liegen lässt, gewinnt die Nabucco-Pipeline, welche die mittel- und osteuropäischen Gasmärkte mit dem kaspischen Raum verbindet, neue Bedeutung. Längerfristig sollte das europäische Gasnetz so ausgelegt werden, dass auch mit aus erneuerbarem Strom erzeugtes Methan oder Wasserstoff eingespeist werden kann.

Durch den Abbau von Überkapazitäten im Strommarkt steigen vorhersehbar die Preise – nicht nur bei uns, sondern auch bei denjenigen unserer Nachbarn, die regelmäßig auf dem deutschen Markt Strom einkaufen. Um diesen Negativeffekt zu relativieren, muss Deutschland sich konsequent für den europäischen Netzausbau einsetzen, um einseitige Abhängigkeiten zu verringern und die Flexibilität im europäischen Strommarkt zu erhöhen. Bisher konzentriert sich die deutsche Diskussion allerdings ausschließlich darauf, wie neue Stromerzeuger aus dem Bereich der Erneuerbaren innerhalb Deutschlands effektiv ans Netz angebunden werden können. Grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte geraten dabei aus dem Blick.

Die große industrie- und technologiepolitische Chance, die darin liegt, dass Europa die weltweite Führungsrolle bei der Entwicklung nachhaltiger Energietechnologien übernimmt, muss so genutzt werden, dass nicht nur traditionelle Technologieführer wie Deutschland und die skandinavischen Länder davon profitieren. Bestehende wirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen exportstarken und exportschwachen Volkswirtschaften innerhalb der EU sollten durch eine gemeinsame Technologiepolitik abgebaut werden. Dem Eindruck, dass Deutschland sich vom europäischen Binnenmarkt zunehmend abkoppelt und sich auf die Märkte wichtiger Schwellenländer wie China orientiert, muss entgegengetreten werden.

Deutschland muss sich klar und eindeutig gegen den weiteren Export europäischer Atomtechnologie in Entwicklungs- und Schwellenländer einsetzen. Dazu gehören nicht nur die Exportinteressen der französischen Atomindustrie in Richtung Mittelmeerraum und Mittlerer Osten, sondern auch die deutsche Beteiligung an Atomprojekten in Lateinamerika.

Die von EU-Energiekommissar Günther Oettinger noch vor wenigen Monaten vorgelegte europäische Energiestrategie für den Zeitraum bis 2050 zeichnet sich durch erhebliche Fantasielosigkeit aus. Vorhandene technologische Trends werden einfach fortgeschrieben. Beim Netzausbau wird teuren Großinfrastrukturprojekten der Vorrang gegeben vor kleineren, dezentralen Lösungen. Wie die Klimaschutzziele bei diesem Entwicklungspfad ohne technologische Luftschlösser, wie die bisher unerprobte Kohlenstoffabscheidung, erreicht werden sollen, bleibt ungewiss.

Deswegen ist es gut, dass mit der Ende Juni im Deutschen Bundestag beschlossenen Energiewende die wichtigste Volkswirtschaft Europas den Schalter umlegt und konsequent auf erneuerbare Energien und den Abschied von der Atomenergie setzt. Unklar ist jedoch, ob die begleitenden Maßnahmen zur Förderung von erneuerbaren Energie, zur Energieeffizienz und zum Netzausbau ausreichen, zumal die deutsche Energiewende bisher nicht europäisch angebunden ist.

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