IP

01. Mai 2010

Eine neue Ära des Energieimperialismus

Für Europa gilt: von China lernen heißt siegen lernen

Will die EU im Bereich Energie und Rohstoffe als Global Player auftreten, muss sie lernen, ihre Interessen auf den Schauplätzen der Welt zu definieren und durchzusetzen – sprich: eine gemeinsame Energieaußenpolitik entwickeln. Dabei sollte sie kritisch auf die chinesische Politik in Zentralasien und Afrika schauen.

Der dominierende Konflikt der Weltpolitik im 21. Jahrhundert wird der Kampf um Energie, Rohstoffe und Wasser sein. Nationalismus, Kolonialismus und Imperialismus des 19. Jahrhunderts kehren zurück – nach einer Periode des „Kampfes der Ideologien“ (Karl Dietrich Bracher) im 20. Jahrhundert und einer zwei Jahrzehnte andauernden Übergangsperiode der Suche nach einer neuen Weltordnung zwischen Pax Americana und multipolarer Chaoseindämmung. Der diagnostizierte „Kampf der Kulturen“ (Samuel Huntington) wird nur noch ein Teil des Überbaus des eigentlichen Basiskonflikts sein: der mit allen Mitteln ausgetragene Kampf um die knappen Ressourcen unserer Erde bei steigender Weltbevölkerung und wachsenden Ansprüchen.   Ein neues großes Schachspiel hat begonnen. Lange Zeit sah es so aus, als gäbe es nur einen Sieger: die Vereinigten Staaten von Amerika. Schon wurde das „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) vorausgesagt. Aber der Verlierer des Kalten Krieges ist an den Tisch zurückgekehrt. Dank seines Öl- und Gasreichtums ist Russland wieder zu einem globalen Akteur mit neuen Ansprüchen geworden, der dieses Spiel nicht zu verlieren gedenkt. Im August 2007 wurde das der Welt vor Augen geführt, als der russische Polarforscher und Duma-Abgeordnete Artur Tchilingarow in einem Mini-U-Boot zum Nordpol reiste, um dort in 4200 Meter Tiefe die russische Flagge zu hissen. Die Arktis ist dank der unter dem schmelzenden Eis verborgenen ungeheuren Energiereserven und der aufgrund des Klimawandels zu erwartenden neuen Verkehrsrouten zu einem geopolitischen Schachbrett geworden.   In der Arktis mögen sich die meisten Akteure dieses Spieles noch in der Phase der Vorbereitung befinden, im Nahen und Mittleren Osten, in Afrika, Lateinamerika oder Zentralasien sind sie bereits in vollem Gange. Neue Spieler sind hinzugekommen, die in der Bipolarität des Kalten Krieges zum Zuschauen verdammt waren: Brasilien, Kanada oder Indien und – weit vor allen anderen – China. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die weltpolitischen Gewichte zugunsten Pekings verschoben. Während des Klimagipfels in Kopenhagen zeigte es sich als selbstbewusster Partner auf Augenhöhe, den Dollar als globale Leitwährung hat Peking herausgefordert und Beobachter wie Zbigniew Brzezinski sehen bereits die Entstehung einer neuen bipolaren Weltordnung, eine Welt der G-2.

Bei genauerem Hinsehen geht es im Kern fast immer um Energie und Rohstoffe. Noch wird vor allem in Europa, in der „alten Welt“, von einer kooperativen Lösung der Energieverteilungskämpfe der Zukunft unter Anleitung der Vereinten Nationen geträumt. Aber wenig spricht bisher dafür, dass sich die großen Nationen bei der für das Überleben ihrer Gesellschaften existenziellen Sicherung der Ressourcenbasis nach den Vorschlägen der UN oder dem Völkerrecht richten. Wir steuern auf eine Welt zu, die unausweichlich durch Energiekrisen und -konflikte, hoffentlich nicht auch durch Energiekriege, gekennzeichnet sein wird.

Die Unausweichlichkeit der künftigen Auseinandersetzungen ergibt sich aus den Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA). Bis zum Jahr 2030 wird die Energienachfrage global um durchschnittlich 40 Prozent steigen – um 73 Prozent in den Ländern, die nicht Mitglieder der OECD sind. Der Anteil erneuerbarer Energieträger wird selbst bei einem mittelfristigen Wachstum von jährlich sieben Prozent diese Nachfrage nicht decken können; fossile Energien müssen voraussichtlich etwa 80 Prozent der wachsenden Nachfrage bewältigen. Allein der durchschnittliche Verbrauch von Rohöl wird sich bis 2030 um 30 Prozent erhöhen. Nachhaltig ist das weder unter dem Aspekt des Klimawandels noch der Versorgungssicherheit. Selbst wenn alle Pläne für den Ausbau neuer Energieträger und die Steigerung der Energieeffizienz optimal umgesetzt würden, klafft eine gewaltige Lücke zwischen den verfügbaren Ressourcen und den (zumeist legitimen) Ansprüchen der Länder zur Befriedigung der Bedürfnisse ihrer Bürger.

Kein Staat auf dieser Welt wird vor dem Hintergrund solcher Prognosen sein Wachstum drosseln, wären damit doch unmittelbare innenpolitische Probleme verbunden. Will China die Stabilität von Staat und Gesellschaft nicht gefährden, muss es Wachstumsquoten von jährlich etwa zehn Prozent erreichen, die wiederum enorme Energie- und Rohstoffmengen erfordern, über die es selbst nicht mehr verfügt. Die IEA prognostiziert allein für die chinesischen Importe an Öl eine Verfünffachung zwischen 2002 und 2030; in 20 Jahren wird es etwa 80 Prozent seines Öls importieren. Darüber hinaus ist China inzwischen der weltweit größte Verbraucher von Kohle, die zwei Drittel seines Energiebedarfs deckt und ca. 80 Prozent der Stromerzeugung ausmacht.

Zwischen 2001 und 2025 wird sich der chinesische Kohleverbrauch etwa verdoppeln, ab 2015 wird China trotz eigener großer Reserven voraussichtlich Kohle importieren müssen. Ähnliches gilt bei der Erdgasversorgung, wo das bis 2020 geplante Ausbauziel von einem Anteil von zehn Prozent der heimischen Energieversorgung nur durch steigende Importe erreicht werden kann. Schließlich will China bis zu 40 neue Atomkraftwerke bauen – und wird sich daher Uranvorkommen im Ausland sichern müssen.

Vor diesem Hintergrund hat China seit Beginn des neuen Jahrtausends mit großer Entschlossenheit in fast allen Teilen der Welt eine Politik der Energie- und Rohstoffsicherung betrieben; chinesische Außenpolitik ist zum überwiegenden Teil Energieaußenpolitik. Ganz ähnlich verhält es sich übrigens mit den USA, die trotz der neuen Anstrengungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien ebenfalls noch lange auf Energieimporte angewiesen bleiben. Da die Amerikaner aber schon überall auf der Welt sind, wo es Vorkommen an Öl, Gas, Kohle oder Uran gibt, führt die chinesische Energiesicherungspolitik fast unweigerlich zu wachsendem Wettbewerb, wenn nicht zum Konflikt mit den Vereinigten Staaten – in Zentralasien oder im Kaukasus zusätzlich auch mit Russland.

Seit der Unabhängigkeit der früheren sowjetischen Republiken und noch mehr seit dem 11. September 2001 haben sich die USA in Zentralasien engagiert. Die Führungsmacht ist inzwischen eindeutig Kasachstan. Dort liegen gewaltige Reserven an Öl und Gas, an Uran und strategischen Rohstoffen. Das Tengiz-Ölfeld allein verfügt über 25 Milliarden Barrel, es ist die sechstgrößte Erdöllagerstätte der Welt. Seit 1993 wird es von einem Joint Venture von Chevron (50 Prozent), ExxonMobil (25 Prozent), der russisch-britischen LukArco (5 Prozent) und der kasachischen KazMunaiGas (20 Prozent) erschlossen.

China als der lachende Dritte in Zentralasien

Die Chinesen hatten lange Zeit keine Karten im zentralasiatischen Spiel, sind aber seit spätestens zehn Jahren in der Region auf dem Vormarsch. Seit 2005 gibt es eine strategische Partnerschaft zwischen Peking und Astana, ein Jahr später wurde mit dem Bau des ersten Abschnitts einer Öl-Pipeline China–Kasachstan begonnen. Im Sommer 2009 wurde der dritte Teil in Betrieb genommen, die Pipeline reicht nun bis Atyrau. Das Ziel für 2010 ist eine Lieferung von 100 000 Barrel pro Tag, womit Kasachstan 10 bis 15 Prozent seines Öls nach China liefert.

Im Dezember 2009 weihten der chinesische Präsident Hu Jintao und seine Kollegen aus Turkmenistan, Usbekistan und Kasachstan die 1833 Kilometer lange Erdgas-Pipeline von Turkmenistan bis China ein. Bis zu 40 Milliarden Kubikmeter Gas sollen durch sie jährlich nach China gepumpt werden, ein Viertel davon aus Kasachstan. Die Chinesen haben sich diese Erfolge bei der Sicherung ihres Energiebedarfs viel kosten lassen. Im April vergangenen Jahres, auf dem Höhepunkt der auch in Kasachstan hart verspürten weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise, gewährte Peking Kasachstan einen Kredit in Höhe von zehn Milliarden Dollar. Der chinesische Staatsfonds CIC kaufte sich für 935 Millionen Dollar einen Anteil von elf Prozent an dem kasachischen Erdöl- und Erdgasproduzenten Kazmunaigaz (und ist damit übrigens auch Mitbesitzer des Tengiz-Feldes). Gleichzeitig erwarb der chinesische Erdölkonzern CNPC in einem gemeinsamen Deal mit Kazmunaigaz den kasachischen Erdölproduzenten Mangistaumunaigaz. Bereits 2005 hatte CNPC PetroKazakstan erworben, einen der wichtigsten Erdölförderer und Lizenzinhaber des Landes. CNCP hält außerdem eine 85,4 Prozent-Beteiligung an AktobeMunaiGaz.

Auch in Turkmenistan sind die Chinesen mit viel Geld unterwegs. Die chinesische Entwicklungsbank gewährte dem staatlichen Konzern Turkmengaz einen Kredit in Höhe von vier Milliarden Dollar, rund drei Viertel der Summe waren für den chinesischen Zugang zum Erdgasfeld Juschni Iolotan gedacht, das mit Vorräten von 4,7 bis 14 Billionen Kubikmetern zu den größten der Welt gezählt wird. China ist auf seinem Vormarsch in Zentralasien wesentlich weiter gekommen, als die Regierungen in Moskau oder Washington wahrhaben wollen. Dort pflegt man die traditionelle amerikanisch-russische Konkurrenz und übersieht nicht selten, dass sich ein lachender Dritter inzwischen ziemlich gut eingerichtet hat.

Ohne Frage sind die Energievorräte Zentralasiens für Peking von überragender Bedeutung – wobei sie noch einen entscheidenden Vorteil aufweisen: Es gibt eine direkte Landverbindung nach China, eine wichtige Alternative zu den verwundbaren Seerouten aus dem Nahen Osten und Afrika. Deshalb hat China in den vergangenen Jahren viel in den Ausbau der Schanghai Organisation für Zusammenarbeit (SCO) investiert, einem Zusammenschluss der zentralasiatischen Staaten mit Russland, vor allem aber China, mit dem Ziel, die politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit zu stärken sowie gemeinsam den (islamistischen) Terrorismus zu bekämpfen. Die SCO ist das politische Instrument, um die Beziehungen zu den zentral-asiatischen Staaten langfristig stabil zu halten und Einfluss in der Region auszuüben.

Interessenpolitik in Afrika

Chinas Energieaußenpolitik wird auch in Afrika mit der Strategie offenkundig, die afrikanischen Machthaber, aber auch die Herzen der Menschen durch sichtbare Geschenke zu gewinnen, um damit einen Zugang zum Ressourcenreichtum des Kontinents zu erhalten. Mit chinesischer Finanzierung errichteten chinesische Wanderarbeiter das prächtige State House für den neuen Präsidenten von Namibia; Ruanda übergaben sie ein schlüsselfertig gebautes Außenministerium. Im Sudan bauten sie ein neues Fußballstadion, in Algier einen Airport-Terminal, in Kenia begannen sie mit dem Bau der „China Road“, die einmal von Kairo nach Kapstadt führen soll.

Überall auf dem Kontinent helfen die Chinesen beim Ausbau der Energieinfrastruktur, etwa durch den Bau des 1250 Megawatt Merowe-Staudamms oder einer Raffinerie durch chinesische Unternehmen im Sudan, eine 1000 Kilometer lange Eisenbahn von den Rohstoffgruben Sambias und Kongos zum Atlantik oder die Bahnverbindung zwischen dem Öl-Delta Nigerias und dem Inneren des Landes. In Gabun bauen die Chinesen ebenfalls einen Schienenweg, um die Eisenerzvorkommen des Landes mit einem (natürlich auch von China erstellten) Tiefseehafen zu verbinden. Dafür haben sie Präsident Omar Bongo 2006 mit einem neuen Amtssitz beschenkt.

Allein in den letzten zwei Jahren hat Präsident Hu Jintao drei Mal Afrika besucht, häufiger als die meisten europäischen Politiker in ihrer gesamten Amtszeit. Premierminister Wen Jiabao bereiste 2009 sieben afrikanische Staaten. China hat die Schulden von 31 afrikanischen Partnerländern storniert, entsendet Ärzte und Krankenschwestern, bildet Lehrer, Fischer und Facharbeiter aus. Dabei stört es sich nicht an korrupten Potentaten, selbst wenn sie Menschenrechtsverletzungen oder sogar Völkermord begehen. Nachdem ein Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) scheiterte, weil Luanda die entsprechenden Auflagen nicht erfüllen wollte, sprang Peking mit zwei Krediten über insgesamt drei Milliarden Dollar ein – ohne Auflagen. Ähnliches hat sich in Simbabwe wiederholt.

Für den Sudan ist China eine Art Schutzmacht geworden. Die CNPC hat für mehr als eine Milliarde Dollar eine Pipeline gebaut, die die sudanischen Ölfelder mit Port Sudan am Roten Meer verbindet. Der chinesische Staatskonzern hat Öl- und auch Gaskonzessionen in Kaikang, Süddarfur und Melut. Petrochina, eine Tochter der CNPC, hält 40 Prozent an der Greater Nile Petrolium Operating Company (GNPOC). Dieser wiederum gehört die nationale Sudanesische Ölgesellschaft (SNPC), die das Ölgeschäft im Sudan dominiert. Aus dem Sudan bezieht China inzwischen mehr Öl als aus Saudi-Arabien.

China zeigt mit diesen Aktionen, dass es nicht der verantwortliche Partner der internationalen Staatengemeinschaft ist, den sich viele durch die Politik der Einbindung Chinas in die internationalen Institutionen versprachen. Vielmehr verfolgt die chinesische Partei- und Staatsführung ihre Eigeninteressen in Afrika ohne jede Rücksicht auf internationale Vereinbarungen. Chinas Entwicklungshilfe für Afrika soll den Energie- und Ressourcenreichtum des Kontinents – Kupfer aus Sambia, Mangan und Holz aus Gabun, Coltan und Diamanten aus dem Kongo, Chrom und Platin aus Simbabwe – langfristig für das Reich der Mitte sichern. Die Regierung in Peking, Staatskonzerne, aber inzwischen auch unzählige kleine chinesische Unternehmen arbeiten dabei Hand in Hand.

Konfliktpotenziale

Nun können nicht die Tatsachen des chinesischen Engagements, nicht einmal sein bisheriger Gesamtumfang, Anlass zu ernsthafter Beschwerde sein. Zu hinterfragen sind dagegen das enorme Tempo des Ausbaus chinesischer Machtpositionen, die wettbewerbsverzerrenden Investitionen chinesischer Staatskonzerne und vor allem die Gleichgültigkeit Pekings hinsichtlich der Bemühungen der Staatengemeinschaft, die Entwicklung Afrikas durch menschenrechtliche Mindeststandards zu fördern und Anstrengungen in Richtung Good Governance zu fordern. Es kann jedenfalls keinen Zweifel daran geben, dass das massive chinesische Engagement in Afrika zu den wichtigsten geopolitischen Veränderungen der letzten Jahre zählt. Ähnliches lässt sich auch für die beschriebenen chinesischen Aktivitäten in Zentralasien, aber auch für Lateinamerika, den Nahen und Mittleren Osten oder den Iran feststellen.

Die Rücksichtslosigkeit gegenüber der übrigen Staatengemeinschaft gerade hinsichtlich brisanter Schauplätze wie Sudan oder Iran legen die Befürchtung nahe, dass China seine Ressourceninteressen auch in Zukunft um jeden Preis verfolgen wird und es bei einer Fortschreibung der bisherigen Entwicklung früher oder später zu ernsthaften Konflikten kommen kann. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass China eine forcierte militärische Aufrüstung betreibt, die weit über die traditionelle Landesverteidigung hinausgeht. Peking hat seinen Verteidigungshaushalt im letzten Jahrzehnt auf immerhin 63 Milliarden Dollar verdreifacht. Die Rüstungsanstrengungen Pekings zielen auf die Modernisierung veralteter Waffensysteme und sind inzwischen eindeutiger Ausdruck einer globalen Interessenpolitik. Auch Chinas Versuche, die Streitkräfte unter Einsatz von Informationstechnologie und elektromagnetischer Kriegsführung zu modernisieren, sind beachtlich.

In der Region wird die Aufrüstung Chinas als Bedrohung empfunden, genauso wie die Verträge, die China entlang der Tankerrouten zur Nutzung von Seehäfen für seine Streitkräfte in Myanmar, Bangladesch oder Pakistan geschlossen hat. Wenngleich der heutige Rüstungsstand Chinas die in Japan, Australien oder den USA häufig geäußerten Befürchtungen vor einer neuen militärischen Supermacht China derzeit noch übertrieben scheinen lässt, so muss doch vermerkt werden, dass China sich in sechs afrikanischen Staaten mit der Entsendung von Soldaten an UN-Missionen beteiligt – also ausgerechnet auf militärischem Gebiet zur Übernahme internationaler Verantwortung bereit ist, die es sonst gerne verweigert.

Eine Ära des globalen Energie- und Rohstoffimperialismus

Nun profitieren die USA und Europa derzeit weit mehr vom Ressourcenreichtum Afrikas, und auch im Bereich des militärischen Engagements sind die USA wesentlich stärker als China vertreten (seit 2007 verfügen die USA über ein eigenständiges afrikanisches Militärkommando AFRICOM). Dennoch: Die Begrenztheit der verfügbaren Energie- und Rohstoffressourcen angesichts der enorm steigenden Bedürfnisse der wachsenden Volkswirtschaften und die steigende Konkurrenz der Großmächte bei der Energie- und Ressourcensicherung deuten auf den Beginn einer Ära eines globalen Energie- und Rohstoffimperialismus hin.

Die entscheidenden Akteure in dieser Neuauflage des Großen Spieles sind die USA und China, in Teilbereichen wie der Arktis oder in Zentralasien auch Russland. Die früheren Kolonialnationen aus Europa spielen dagegen eine untergeordnete Rolle, zumal sie es bisher nicht verstanden haben, eine gemeinsame europäische Energieaußenpolitik zu formulieren. Diese aber ist dringend erforderlich, wenn Europa nicht im weltweiten „Öl für uns alle“-Spiel das Nachsehen haben will. Eine solche Strategie könnte u.a. folgende Elemente beinhalten:

  • Definition eines breit diversifizierten europäischen Energiemixes der Zukunft, der – unabhängig von den Präferenzen der einzelnen europäischen Länder – alle verfügbaren Energieträger umfasst, gleichzeitig aber eine Revolution der Energieversorgung in Richtung auf Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Speicherkapazitäten und intelligente Netze mit Entschiedenheit vorantreibt.
  • Definition des zu erwartenden europäischen Bedarfs bis 2050 nicht nur hinsichtlich der Energie, sondern auch der strategischen Rohstoffe – wie zum Beispiel der so genannten „Seltenen Erden“.
  • Optimale Nutzung bzw. Vorhaltung der innereuropäischen Rohstoffe (Altstoff-Recycling), Bodenschätze und Energievorräte.
  • Zügige Verwirklichung der North-Stream-Gaspipline zwischen Russland und Deutschland; gleichzeitig eine vorbehaltlose Unterstützung der Nabucco-Pipeline, die das Gas aus dem kaspischen Raum (und eines Tages aus dem Iran) nach Europa transportiert. 
  • Unterstützung für das Desertec-Projekt durch die Europäische Kommission und den Rat. Desertec darf nicht (wie bisher) als deutsche, sondern muss als gesamteuropäische Initiative wahrgenommen und in enger Zusammenarbeit mit den nordafrikanischen Staaten vorangetrieben werden. 
  • Eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik und Unternehmen bei der Wahrnehmung europäischer Energie- und Rohstoffinteressen überall auf der Welt – etwa wenn es um Ausschreibungen für Kraftwerke, Staudämme oder Verkehrsinfrastrukturprojekte geht. 
  • Energie- und Rohstoffaußenpolitik muss ein ständiger Beratungspunkt im Europäischen Rat, in der Kommission und in der NATO werden, d.h. das Thema, das bisher weitgehend den Wirtschafts- oder Umweltkommissaren oder 
-ministern überlassen worden ist, muss in seiner sicherheitspolitischen Dimension stärker wahrgenommen werden.
  • Die EU und die Mitgliedstaaten müssen die Forschung im Bereich der Energie- und Ressourcensicherheit intensivieren. 
  • Die EU muss den Anspruch erheben, im Bereich Energie und Rohstoffe als Global Player aufzutreten. Es reicht nicht, in Lateinamerika oder Afrika Gender-Projekte zu finanzieren oder Seminare zur kommunalen Selbstverwaltung zu finanzieren. Vielmehr muss die EU lernen, ihre Interessen auf den Schauplätzen der Welt zu definieren und durchzusetzen. Dabei darf durchaus gelten: Von China lernen heißt siegen lernen.
  • Die EU muss sich dabei eng mit den anderen Demokratien auf der Welt abstimmen und nach Möglichkeit eine gemeinsame Agenda erarbeiten. Mit den USA, Kanada, Japan, Indien, Australien und Neuseeland muss in energiepolitischen Fragen eng zusammengearbeitet werden.
  • Das Instrument der OSZE muss wieder stärker genutzt werden, z.B. in Richtung auf Zentralasien. Derzeit hat Kasachstan den OSZE-Vorsitz und wünscht ein Gipfeltreffen in Astana. Diesem Wunsch muss entsprochen werden, um das anhaltende europäische Interesse an der strategischen Bedeutung der Region zu unterstreichen. Über die Lage in Zentralasien (und auch der Arktis) sollte verstärkt Einvernehmen mit Russland erzielt werden, das in Energiefragen stärker als Partner und nicht als Gegner wahrgenommen werden sollte.
  • Mit China muss ein umfassender Dialog über die internationale Verantwortung Pekings – gerade auch an sensiblen Schauplätzen wie Sudan, Simbabwe oder dem Iran – geführt werden. China bleibt ein willkommener Partner auf allen Gebieten, aber zur Zusammenarbeit muss auch die Erkenntnis treten, dass China verstärkt als Wettbewerber und zuweilen sogar als aggressiver Wettbewerber auftritt.  

Prof. Dr. FRIEDBERT PFLÜGER lehrt internationale Politik am King’s College Department of War Studies in London.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2010, S. 76 - 83

Teilen

Mehr von den Autoren