Titelthema

02. Sep 2024

Ein Plan für Trump: Europa vor den US-Wahlen

Schluss mit Alarmismus und Spekulation: Um sich taktisch klug für den Trumpschen Politikstil aufzustellen, müssen Deutschland und Europa neue und innovative Formate entwickeln. 

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Bild: Donald Trump mit erhobenem Daumen
Daumen hoch, Daumen runter? Auch in einer möglichen zweiten Amtszeit dürfte Trump einen transaktionalen und instinktgesteuerten Politikstil pflegen. Sich darauf vorzu-bereiten, ist oberste Aufgabe der Europäer.
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Die US-Wahlen im November sind möglicherweise die folgenreichsten Wahlen in der Geschichte der transatlantischen Beziehungen seit 1945. Sollten die Demokraten gewinnen, die nach dem Rückzug von Joe Biden wieder deutlich bessere Chancen haben, können die Europäer noch einmal aufatmen. Wenngleich Präsidentin Kamala Harris kein Grund wäre, sich zurückzulehnen – so transatlantisch wie unter Biden wäre ihre Regierung sicher nicht –, hätte Europa wohl doch vier Jahre Zeit gewonnen, um massiv in die eigene Sicherheit und die der Ukraine zu investieren. Sollte jedoch die Republikanische Partei gewinnen und Donald Trump erneut Präsident werden – mit einem europafeindlichen J.D. Vance als Vize –, steht nicht nur die Unterstützung für die Ukraine in den Sternen, sondern auch die Zukunft der NATO. 

Trotz langer Vorlaufzeit tun sich die ­Europäer noch immer schwer damit, das Ausmaß einer möglichen zweiten Trump-Präsidentschaft für die europäische Sicherheit und für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen richtig einzuschätzen und gemeinsame Handlungsoptionen zu entwickeln. Stattdessen schwankt man zwischen Alarmismus und Beschwichtigung. 

Die Beschwichtiger beruhigen sich in der Regel mit Gemeinplätzen: „Es sind nur vier Jahre“ oder „das letzte Mal war es am Ende gar nicht so schlimm“. Dabei blenden sie die strukturellen Veränderungen in der Republikanischen Partei und der US-Außenpolitik aus. Sie sehen Trump als einen historischen Unfall, nicht als einen verfestigten Trend, und hoffen darauf, dass die Checks and Balances in der US-Politik funktionieren werden. 

Die Alarmisten hingegen sehen Europa über kurz oder lang in einen Krieg mit Russland schlittern, verlassen von den USA und der NATO. Sie prophezeien wahlweise das Ende der amerikanischen Demokratie oder gar des ganzen Westens. Alternativ sehen sie Europa, und vor allem Deutschland, das keine Nuklearwaffen besitzt, in eine neue Ära der Beschwichtigung gegenüber Russland und China eintreten, unfähig sich selbst zu verteidigen. Als Reaktion auf diese Unsicherheit versuchen seit einigen Monaten europäische Besucherinnen in Washington, Zugänge zum Trump-Flügel der Republikaner zu gewinnen und vorherzusagen, welche ­Politik Trump konkret verfolgen wird.


Ein neuer Ansatz muss her

Zu versuchen, Trumps Politik vorherzusagen, ist jedoch der falsche Ansatz. Seine konkreten Positionen werden maßgeblich davon abhängen, welche Personalentscheidungen er trifft und welche seiner Beraterinnen und Berater gerade den größten Einfluss auf ihn haben. Bereits in der ersten Amtszeit hat Trump sein Team gegeneinander antreten lassen und ausgespielt. Gleichzeitig versuchen die verschiedenen ideologischen Strömungen in der Republikanischen Partei, Trump für ihre Agenda zu nutzen. Als ultimativer Showman und Reality-TV-Star weiß Trump außerdem um die Macht eines überraschenden Twists. 

Anstatt zu spekulieren, welche Politik Trump verfolgen wird, sollten sich Berlin und Europa darauf vorbereiten, wie Trump Politik macht – und eine Blaupause entwickeln, wie die Europäer mit Trumps transaktionalem und zuweilen erpresserischem Politikstil umgehen können. Und statt um Trumps Gunst zu buhlen, sich spalten zu lassen und seiner Rhetorik der „guten“ und „schlechten“ Europäer zu folgen, müssen Deutschland und Europa dringend in die eigene Fähigkeit investieren, schnell und geschlossen zu handeln.

Noch sind Deutschland und Europa institutionell und prozedural nicht darauf eingestellt, mit einer zweiten Trump-­Administration umzugehen, die alle verfügbaren Druckmittel gegenüber Europa einsetzen wird, um ihre Ziele zu erreichen.

Was passiert, wenn ein Trump-geführtes Weißes Haus alle Register zieht und die Europäer an mehreren Fronten gleichzeitig unter Druck setzt: in der Ukraine, in der NATO und in den Beziehungen zu China? Wenn Trump etwa einen Friedensgipfel für die Ukraine einberuft und einen schlechten Deal verhandelt: Sollten die Europäer diesen Deal auch dann ­ablehnen, wenn Trump droht, die NATO aufs Spiel zu setzen? Was, wenn Trump von Europa drastische Sanktionen gegen China fordert oder das Ende aller amerikanischen Ukraine-Hilfen ankündigt, sollten die Europäer seinen Deal nicht unterstützen? Konfrontiert mit solchen Zielkonflikten stellen sich zentrale Fragen: Welche Prioritäten sollen die Mitgliedstaaten verfolgen? Und: Wer spricht für Europa? 

Diese Zwickmühlen dürfen Europa nicht paralysieren. Es gilt zu priorisieren, proaktiv Angebote für Trump zu formulieren und diese untereinander abzustimmen. Europa wird in Washington immer weniger Aufmerksamkeit erhalten. Das heißt auch, dass in den kritischen Momenten, in denen es Gelegenheit zur Einflussnahme gibt, ein europäisches Angebot auf dem Tisch liegen muss. 

 Anstatt zu spekulieren, welche Politik Trump verfolgen wird, sollte sich ­Europa darauf vorbereiten, wie Trump Politik macht

Die Europäer benötigen dafür neue Formate, um europäische Politik ressort- und institutionsübergreifend abzustimmen. Bislang dominiert ein Silo-Denken: Auf nationaler Ebene kümmert sich das Finanzministerium um die Schulden und der Verteidigungsminister um die Sicherheit. Für Zölle mit China ist die EU-Kommission zuständig, für die europäische Verteidigung die NATO und für die Ukraine-Hilfe jeder ein bisschen. So kann es nicht weitergehen. Außerdem ist schon jetzt klar, dass Trump in Europa auch Unterstützer haben wird: Solche, die ihm ideologisch nahestehen, und solche, die seine politischen Instinkte – etwa den Krieg in der ­Ukraine schnellstmöglich zu beenden oder die EU zu schwächen – ­opportunistisch für sich nutzen wollen. 

Auf nationaler Ebene braucht es daher in Berlin mehr ressortübergreifendes Handeln und Koordination. Da weiterhin kein Nationaler Sicherheitsrat existiert, benötigt es einen regelmäßig ­tagenden Transatlantik-Ausschuss auf Ebene der Staatssekretäre, wie er ähnlich anlässlich des Ukraine-Krieges eingerichtet wurde, um zwischen den Ministerien Politikempfehlungen zu entwickeln, Zielkonflikte abzuwägen und Kommunikation zu koordinieren. Gerade die zerstrittene Ampelkoalition wird eine solche zusätzliche Ebene der Koordination für eine mögliche zweite Trump-Amtszeit dringend benötigen. 


Das „Sept“-Format

Auch auf europäischer Ebene braucht es mehr ressort- und institutionsübergreifendes Handeln und Koordination. Dafür schlagen wir – analog zu den Formaten „Quad“ (USA, Australien, Indien, Japan) und „Quint“ (USA, Frankreich, Deutschland, Italien, Vereinigtes Königreich) in der internationalen Politik – die Einrichtung eines „Sept“-Formats auf europäischer Ebene vor: eine regelmäßige, informelle Koordination zwischen einem europäischen Vertreter der NATO, der EU-Kommission und den wichtigsten Staaten Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien und Polen. 

Diese europäische „Gruppe der Sieben“ muss als eine Art „schnelle Einsatzgruppe“ gemeinsam rote Linien entwickeln, Verhandlungen mit Trump vorbereiten und proaktiv Politikfelder identifizieren, in denen Europa mit Trump zusammenarbeiten kann. Die Zusammensetzung dieser Gruppe sollte es erleichtern, Mehrheiten für die entwickelten Vorschläge in Europa zu finden und Expertise und Ideen aus allen Bereichen – von Handel über Sicherheit – zu bündeln. Die Kooperation mit Italien ist dabei zentral in der Hoffnung, Georgia Meloni früh in europäische Abstimmungsprozesse einzubinden und sie damit aus einer destruktiven trans­atlantisch-populistischen Allianz mit Trump, Orbán und Co. herauszuhalten.


Trumps Friedenskonferenz: Was tun?

Wie könnte eine solche neue Form der Koordination im Einzelfall aussehen und idealerweise Früchte tragen? 

Das Szenario: Trump wird gewählt und plant direkt nach seiner Vereidigung eine Friedenskonferenz mit Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj. Er ist auf das Foto aus, auf dem er zwischen beiden beim Handshake steht – das Foto, das ihm den Friedensnobelpreis und seinen Wählern den versprochenen Rückzug aus teuren und für sie unmittelbar irrelevanten europäischen Angelegenheiten bringen soll. 

Trump verlangt von den Europäern mitzumachen und jeden Deal, den er aushandelt, zu unterstützen. Die Ukraine zwingt er an den Verhandlungstisch mit der Drohung, sonst alle Hilfen einzustellen, Russland mit der Drohung, sonst die Militärhilfe an die Ukraine zu verdoppeln. Putin fordert auf dem Gipfel die Aufhebung aller Sanktionen ohne „Snapback“-Mechanismus sowie den Abzug aller nach Mai 1997 in Osteuropa stationierten NATO-Truppen. Im Gegenzug will er dem von Trump geforderten Waffenstillstand zustimmen; er plant, auf Zeit zu spielen, in der Hoffnung, dass er mit seiner Kriegswirtschaft mittelfristig dem Westen überlegen ist.

Donald Trump ist auf das Foto aus, auf dem er zwischen Putin und Selenskyj beim Handshake steht

Für die Europäer stellen sich nun zen­trale Fragen: Nehmen sie eine solche Friedenskonferenz als unvermeidbar hin? Versuchen sie, die Verhandlungen im Hintergrund zu beeinflussen? Und können sie dem Druck Trumps standhalten, der die Unterstützung Europas für seinen Friedensplan als Gegenleistung für amerikanische Sicherheitsgarantien in der NATO fordert? Das konkrete Szenario einer „ruhenden“ NATO ist in republikanischen Kreisen beliebt genug, dass Europäer eine solche Drohung ernst nehmen müssten. Wie kann sich Berlin, wie kann sich Europa darauf vorbereiten, auf ein solches Szenario geschlossen zu reagieren? 

Zum Beispiel so: Auf nationaler Ebene koordinieren sich Staatssekretäre aller Ministerien und bereiten geschlossen eine Erhöhung der Unterstützung für die Ukraine und der nationalen Verteidigungsausgaben vor. Nach dem Schock der Trump-Wahl ließen sich ein solches Budget und die damit verbundenen fiskalischen Kompromisse – hinsichtlich der Schuldenbremse auf nationaler Ebene oder gemeinsamer Schulden auf europäischer Ebene – in der Bevölkerung wo­möglich einfacher durchsetzen.

Auf europäischer Ebene tagt das „Sept“-Format und formuliert zwei neue Versprechen: Zum einen an die Ukraine, dass Europa mit Waffen und Sanktionen bereitsteht und jeder Verstoß Russlands gegen den Trump-Deal mehr Unterstützung durch die Europäer zur Folge hätte. Zum anderen das Versprechen an Trump, die europäischen Verteidigungsausgaben bis 2035 auf 3 Prozent zu erhöhen (und davon einen gesetzten Anteil in amerikanische Waffensysteme und einen Teil über die EU finanziert in europäische Projekte zu investieren) und die Allianz so neu aufzustellen, dass Amerika sich graduell aus Europa zurückziehen und in Richtung Indo-Pazifik orientieren kann. 

Trump will sich als der US-Präsident inszenieren, der die Europäer endlich dazu bringt, die Verteidigungsausgaben drastisch anzuheben. Er sieht nicht die Werte­basis der NATO, sondern ein Konto, auf dem andere einzahlen müssen. Warum also nicht proaktiv mit einem hohen Ziel vorlegen? Für Europa sollte das eine leichte Entscheidung sein, denn: Investieren müssen sie ohnehin, nicht wegen Trump, sondern wegen Putin – und weil sich sehr wahrscheinlich alle US-Präsidenten und US-Präsidentinnen der kommenden Jahre stärker von Europa distanzieren werden. 

Es ist gut möglich, dass diese ersten Schritte nicht ausreichen werden und dass Trump einen solchen „Deal“ zur europäischen Sicherheit nicht ohne eine China-Komponente ­akzeptiert. Er könnte etwa von den Europäern fordern, die Zölle gegenüber China zu erhöhen und drastische Sanktionen gegen Chinas Unterstützung für Russland zu verhängen.

China wird eine Trump-Präsidentschaft thematisch wohl dominieren. Für ihn geht es vor allem darum, unfaire Praktiken in den Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und China zu ändern. Die Republikaner, wie auch viele Demokraten, sind unzufrieden damit, dass die Biden-Regierung nicht noch mehr Druck auf Europa ausgeübt hat, sich von China zu distanzieren. Trump treibt hier vor allem der Instinkt, sich nicht von den Europäern übers Ohr hauen zu lassen, die gute Geschäfte mit China machen und gleichzeitig ihre Sicherheit von den USA garantiert sehen wollen. 

In einem solchen Szenario ist gerade die Koordination zwischen einem europäischen Vertreter der NATO und der EU-Kommission innerhalb der „Sept“ wichtig. Wo bestehen Spielräume für die Europäer, um Chinas Unterstützung für Russland zu unterbinden, ohne in einen Handelskrieg mit China einzutreten? Welche republikanisch geführten US-Staaten sind auf Wirtschaftskooperation mit Europäern angewiesen und daher womöglich willens, moderierend auf Trump einzuwirken? Und welche Zölle könnten vielleicht sogar im europäischen Interesse sein?

Großbritannien, Italien, Polen, Frankreich und Deutschland können einen europäischen Konsens vorbereiten. Die Abstimmung innerhalb der „Sept“ kann dabei Zugkraft entwickeln und die ressort­übergreifende Koordination der Staatssekretäre auf nationaler Ebene erleichtern. So könnte Deutschland auch in der europäischen China-Politik die Position des Schlusslichts und Bremsers ablegen.


Koordinieren statt lamentieren

Europa muss sich nicht nur inhaltlich, sondern auch organisatorisch und institutionell auf eine zweite Amtszeit von Donald Trump vorbereiten. Um auf europäischer Ebene entschlossen handeln zu können, muss Deutschland sich national koordinieren. Ein europäisches „Sept“-Format kann eine proaktive europäische Politik mit Durchschlagskraft vorbereiten.

Statt zwischen Alarmismus und Beschwichtigung zu erstarren und hektisch zu versuchen, Trumps Entscheidungen vorherzusagen, können Berlin und Europa konkrete Formate entwickeln, um den Kontinent taktisch klug für eine mögliche zweite Trump-Amtszeit aufzustellen. Dazu gehört ein kreatives Nachdenken über Kooperationsforen, Hebel und Druckmittel. Ziel muss es sein, Trumps transaktionalem Politikstil selbstbewusst und als Europa geschlossen zu begegnen, statt zu moralisieren und zu lamentieren.     

Dieser Artikel ist in der gedruckten Version unter dem Titel „Ein Plan für Trump" erschienen.   

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2024, S. 37-41

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Mehr von den Autoren

Dr. Sophia Besch ist Senior Fellow im Europa-Programm der Carnegie Endowment for International Peace in Washington, D.C.

Dr. Liana Fix ist Fellow am Council on Foreign Relations (CFR) in Washington, D.C.

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