Buchkritik

01. Sep 2013

Die Wende in Worte fassen

Wie erklären wir’s den Nachbarn? Neue Bücher zur Energiepolitik

Ein Buch über die deutsche Energiewende zu schreiben, ist ein schwieriges Unterfangen. Das Thema ist hochkomplex und so dynamisch, dass der Titel oft veraltet ist, wenn es auf den Markt kommt. Das macht es nicht einfacher, Deutschlands Partner in Europa zu überzeugen, dass die Wende mehr ist als eine kurzzeitige energiepolitische Panikreaktion.

Die öffentliche Wahrnehmung der Energiewende in Deutschland hat sich im Laufe des vergangenen Jahres dramatisch verändert. War man seinerzeit noch sehr stolz auf die Wende, so hat sich diese Begeisterung mittlerweile ins Gegenteil gewendet. Die Einspeisevergütung ist in die Kritik geraten; der Emissionshandel, EU-Eckpfeiler beim Klimaschutz, ist weggebrochen; Elektromobilität und Offshore-Windenergie scheinen in eine Sackgasse geraten zu sein; und weite Teile der EU, angeführt von den Mittel- und Osteuropäern, halten mit ihrer Skepsis gegenüber der Energiewende nicht hinterm Berg.

Gleichzeitig hat Deutschland im selbem Zeitraum einen Rekord nach dem anderem in Sachen erneuerbare Energien gebrochen und dabei ein Allzeithoch beim Export verzeichnet. Ein deutliches Zeichen dafür, dass der Standort Deutschland auch dann florieren kann, wenn man auf erneuerbare Energien setzt – und dafür, dass die Energiewende „von unten“ auch in Zeiten weiterläuft, in denen sie „von oben“ nur vergleichsweise wenig Unterstützung erhält.
Neben der Dynamik des Themas gibt es noch ein weiteres Problem, das sich beim Schreiben über die Energiewende stellt. Denn um das Thema einigermaßen umfassend zu erklären, wird der Autor nicht umhin kommen, geografische, geologische, ökonomische, politische, physische und historische Fragen zu berücksichtigen – und das ist nur eine Auswahl.

Pi-mal-Daumen-Rechnerei

Wie viele Menschen wissen schon, was eine Kilowattstunde, geschweige denn, was eine Terawattstunde ist? Oder, was 35,902 Megawatt Strom sind? Das ist die Menge, die deutsche Solar- und Windanlagen am 19. April 2013 produziert haben. Viele Medien haben die Sache für ihre Berichterstattung durch den Hinweis vereinfacht, dass 35,902 Megawatt der Leistung von 26 Atomkraftwerken entspreche. Diese Pi-mal-Daumen-Rechnerei mag hin und wieder funktionieren. Je eingehender man sich mit dem Thema beschäftigt, umso unerlässlicher wird für eine seriöse Darstellung ein kleines Wörterbuch mit technischem Vokabular.

Um die energiepolitische Situation Deutschlands zu begreifen, bedarf es eines beträchtlichen Zeitaufwands und umfangreichen Hintergrundwissens. Denn es handelt sich um eine Debatte, in der Dinge wie Kapazitätsmärkte, Grenzkosten und Nachfragesteuerung eine Rolle spielen. Wie viele deutsche Journalisten gibt es, die hier wirklich firm sind? Diese Frage habe ich einmal einem deutschen ­Energieexperten gestellt. Seine Antwort: fünf oder sechs.

Das führt dazu, dass vieles, was zum Thema Energiewende veröffentlicht wird, ausgesprochen trocken oder unverständlich geschrieben ist – oder beides. Die Fachmänner (und es handelt sich fast ausschließlich um Männer) auf diesem Sektor verfügen über Abschlüsse im Maschinenbau oder ähnliche Qualifikationen – kein Wunder, dass ihre Texte lediglich für ihre Fachkollegen verständlich sind.

Und dann gibt es noch die Journalisten, die über die Energiewende schreiben, ohne Spezialisten auf dem Gebiet zu sein. Dementsprechend kratzen ihre Texte nur an der Oberfläche – das ist exakt so viel, wie sie selbst von der Materie verstehen. Es ist erstaunlich, wie viele Fehler sich in die Artikel von ansonsten tüchtigen und kompetenten Journalisten einschleichen, sobald es um Energiethemen geht.

Das ist allerdings nicht ausschließlich ihre eigene Schuld. Man benötigt schlichtweg mehr als einige Tage oder Wochen, um sich mit der Komplexität von Einspeisetarifen, Energiemärkten, EU-Regulierungen für Bioenergie, Instrumenten des Emissionshandels und ähnlichem auseinanderzusetzen.

Kann es überhaupt jemandem gelingen, einen Mittelweg zu finden zwischen einem Schreibstil, der den Leser mit Fachausdrücken zu Tode langweilt und einem, der nur an der Oberfläche kratzt? Nun ja – vielleicht einigen wenigen.

Atomangst und Wendephobie

In ihrem neuen Buch „Kampf um Strom“ untersucht Claudia Kemfert, Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, die Mythen, derer sich die Gegner der Energiewende bedienen, um ihre Umsetzung so gut als möglich zu blockieren. Da ihr Buch den Diskurs rund um die Energiewende behandelt, vermeidet sie den üblichen Expertenfehler, zu sehr ins Detail zu gehen. Dabei beleuchtet sie noch einen weiteren Grund, warum es so schwierig ist, über die Energiewende zu schreiben: die wirtschaftlichen Interessen, die in ihrem Kontext überall eine Rolle spielen.

Es ist eine lose Koalition aus neo-liberalen Politikern, Energiekonzernen und energieintensiven Branchen, die Kemfert zufolge alle Register ziehe, um die Energiewende zu diskreditieren. Deren kreativer Umgang mit der Wahrheit, schreibt die Autorin, war bisher außerordentlich erfolgreich. Innerhalb von zwei Jahren sei es gelungen, eine Stimmung in der Bevölkerung, die von einer berechtigten Sorge vor der Kernenergie geprägt gewesen sei, in eine zu verwandeln, die durch eine unberechtigte Angst vor der Energiewende selbst gekennzeichnet sei.

Das Reservoir der Argumente, die Kemfert aufzählt, ist groß: unkontrollierbare Kosten, Blackouts, Unzuverlässigkeit von Solar- und Windenergie, Schwächung des Industriestandorts Deutschland, die Schwierigkeit, neue Übertragungsnetze zu schaffen und was dergleichen Ablenkungsmanöver mehr sind. Kemfert widerlegt ein Argument nach dem anderen und verfolgt seinen Ursprung bis zu den mächtigen Lobbys der Öl-, Kohle- und Atomindustrie zurück. Deren Rückzugsgefechte seien, so Kemfert, nicht ganz ohne Wirkung. Zwar laufe die Energiewende weiter, der Elan der Bundesregierung in Sachen Energiepolitik sei aber merklich gebremst worden.

Vorbild Jimmy Carter

Dem Autor des einzigen englischsprachigen (mittlerweile in deutscher Übersetzung vorliegenden) Buches zur Energiewende, des E-Books „Clean Break“, gelingt es, die meisten der genannten Klippen zu umschiffen. Das hat damit zu tun, dass Osha Gray Davidson nicht nur ein hervorragender Schreiber, sondern auch ein Spezialist für Umweltthemen ist, über die er seit Jahren in den USA berichtet. In seinem schmalen Büchlein verzichtet er auf technische Details und liefert einen beeindruckenden Überblick über die Energiewende für nichtdeutsche Laien.
Davidson wendet sich an eine amerikanische Leserschaft. Seine Geschichte erzählt er anhand von Orten, etwa der Hamburger Hafenstadt oder dem Reichstag in Berlin, oder indem er wichtige Protagonisten der Energiewende porträtiert. Davidson versucht, die Relevanz des Themas für die USA aufzuzeigen, indem er trans­atlantische Bezüge herstellt. So erzählen Umweltpioniere wie der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell oder das Ehepaar Ursula und Michael Sladek, Geschäftsführer der alternativen Elektrizitätswerke Schönau im Schwarzwald, dass es die Umweltpolitik der Regierung Jimmy Carter in den späten siebziger Jahren gewesen sei, die sie zum eigenen Handeln inspiriert habe.

„Solarmodule kosten“, rechnet Davidson an anderer Stelle vor, „in Deutschland dasselbe wie in den USA. Doch ein deutscher Hauseigentümer bezahlt 10 000 Dollar, um eine solche Anlage auf seinem Dach zu installieren, während ein amerikanischer Eigentümer 20 000 Dollar für das gleiche System bezahlt. Der Unterschied: Deutschland bemüht sich darum, die Kosten für die Bereitstellung des Systems zu senken. Die Genehmigungsgebühren, die sich in den USA in die Tausende belaufen können, sind in Deutschland verschwindend gering.“

Eine Schwäche hat „Clean Break“ allerdings: Der optimistische Ton, den Davidson anschlägt, spiegelt die Zeit von Frühling 2011 bis 2012 wider, als Angela Merkel nach dem Fukushima-Schock ihr Land mit Nachdruck auf die Energiewende einschwor. Heute ist jener Optimismus, wie auch Claudia Kemfert betont, weitgehend erloschen. Zudem bleibt Davidsons Darstellung der Oberfläche verhaftet, da er die technischen Grundlagen der Energiepolitik auslässt. Jedes Werk, das länger ist als das Büchlein Davidsons, müsste sich mit Themen wie Kapazitätsmärkten, den Vor- und Nachteilen von Bio­energie, der Rolle der EU und den Aussichten für Deutschlands gewaltige Offshore-Windkraftanlagen beschäftigen.

Unterwegs in die Selbstzerstörung?

Einen umfassenden Überblick über die Energiewende haben Peter Hennicke, Expräsident des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt und Energie, und der Ökonom Paul J.J. Welfens mit „Energie nach Fukushima“ vorgelegt. Allerdings ist das Buch derart trocken und verquast geschrieben, dass es keinem Laien gelingen wird, sich durch die 286 Seiten zu arbeiten. Darüber hinaus benötigt es nur ein Jahr nach seinem Erscheinen bereits eine aktualisierende Über­arbeitung.

Nichtsdestotrotz legen die Autoren eine Reihe von interessanten Thesen vor. Eine davon lautet, dass der Marktanteil erneuerbarer Energien längst dem anderer Energieträger entspräche, würden nicht fossile Brennstoffe und Kernenergie seit Jahrzehnten indirekt subventioniert.
Schließlich bietet das Buch „Stromwechsel“ aus der Feder des Taz-Trios Hannes Koch, Bernhard Pötter und Peter Unfried nicht nur einen faszinierenden Einblick in die Energiewende, sondern auch in ihre 30-jährige Vorgeschichte. Den meisten Deutschen über 25 dürfte diese Vorgeschichte bekannt sein. Die übrige Welt dagegen weiß noch wenig davon, dass die Energiewende nicht darauf zurückzuführen ist, dass eine deutsche Bundeskanzlerin nach Fukushima in einem Anfall von Panik überreagiert hat. Darüber hinaus beschäftigen sich die Autoren mit den weitreichenden strukturellen Veränderungen, die mit der Dezentralisierung der Energie in Deutschland einhergegangen sind und mit dem Fortschreiten der Energiewende andauern werden.

Insgesamt zeigen die hier besprochenen Neuerscheinungen, dass die Debatte über Energie in Deutschland sich auf einem vergleichsweise hohen Niveau bewegt. Einige der exzellenten Argumente, die sich sowohl in „Energie nach Fukushima“ als auch in „Stromwechsel“ finden, gewinnen noch an Gewicht, wenn man sich den Diskurs der Revisionisten anschaut, die derzeit den Ton in der Debatte angeben.

Was noch fehlt, wäre ein Buch wie das von Osha Gray Davidson, ergänzt durch die von ihm ausgesparten etwas komplexeren Zusammenhänge. Das wäre eine wichtige Lektüre für eine nichtdeutsche Öffentlichkeit, insbesondere für die Nachbarn Frankreich oder Polen. Denn dort glaubt man nach wie vor, die Deutschen seien auf dem besten Weg in die Selbstzerstörung.

Paul Hockenos ist freier Autor in Berlin.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2013, S. 138-141

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