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02. März 2011

Umweltschutz von unten

Für mehr Handeln als Verhandeln

Nach dem erfolgreichen Gipfel von Nagoya und den Fortschritten in Cancún scheint es, als stünden wir vor einem Neustart in der Umweltpolitik. Doch die im Rahmen der Vereinten Nationen „von oben“ verhandelten großen politischen Lösungen reichen nicht aus. Wir brauchen jetzt mehr ergebnisorientierte ökonomische Bottom-up-Strategien.

In die internationale Umweltdiplomatie ist Bewegung gekommen. Mit dem erfolgreichen Ausgang des Naturschutzgipfels von Nagoya Ende Oktober und dem Teilerfolg der Klimakonferenz von Cancún im Dezember gelangen zwei Überraschungserfolge. Wurde in Japan mit dem „Protokoll über gerechten Vorteilsausgleich“ nach langer Zeit wieder neues Umweltvölkerrecht geschaffen, so einigte man sich auf der 16. Vertragsstaatenkonferenz der Klima-rahmenkonvention im mexikanischen Cancún auf eine ganze Reihe von Zielen, die Teile eines globalen Klimavertrags sein können: Schutz der Tropenwälder, Regeln für den Technologietransfer, ein Rahmen für die Anpassung an den Klimawandel.

Neues Machtbewusstsein

Zudem stehen die Gipfel von Nagoya und Cancún für eine neue Dominanz der großen Schwellenländer in der internationalen Umweltdiplomatie. Da ist zunächst die seit Kopenhagen gemeinsam auftretende Koalition von Brasilien, Südafrika, Indien und China (BASIC). Ihre Gründung war Ausdruck des neuen Machtbewusstseins der großen Schwellenländer, aber auch ihrer Unzufriedenheit mit den schwerfälligen Entscheidungsprozessen innerhalb der G-77, der traditionellen Allianz der Entwicklungsländer innerhalb des UN-Prozesses.

Der neue Führungsanspruch der BASIC-Staaten bleibt nicht unumstritten. Die wirtschaftlich schwächeren afrikanischen Staaten fühlen sich marginalisiert. Mittelgroße Schwellenländer Asiens und Lateinamerikas sehen ihre Interessen von den großen Schwellenländern nicht berücksichtigt. Vom Klimawandel besonders betroffene Länder, vor allem kleine Inselstaaten, befürchten, dass ihre Interessen gegenüber dem Wachstumsinteresse der großen Schwellenländer unter die Räder geraten.

Dann sind da noch die Länder, die bei BASIC nicht dabei sind. Mexiko hat mit der erfolgreichen Durchführung der Klimakonferenz in Cancún seinen Führungsanspruch neben Brasilien auf dem lateinamerikanischen Kontinent unterstrichen. Indonesien spielt als zweitgrößtes Tropenwaldland und als „Hotspot“ der Biodiversität eine herausragende Rolle in den internationalen Umweltkonventionen. Ganz außen vor bleibt Russland, das seine Rolle zwischen der EU und den aufstrebenden Ländern des Südens noch nicht gefunden hat und bisher eigenständig agiert.

Auch die USA haben sich unter Barack Obama in der internationalen Umweltdiplomatie zurückgemeldet – als faktische Führungsmacht der OECD-Welt und Antagonist der Schwellenländer. Allerdings fehlt nach der Niederlage der Demokraten bei den letzten Kongresswahlen die innenpolitische Unterstützung für völkerrechtlich bindende Verpflichtungen wie auch für einen höheren finanziellen Beitrag der USA zum internationalen Klimaschutz. Derweil hat die EU ihre Vorreiterrolle in der internationalen Umweltdiplomatie teilweise verloren und Schwierigkeiten, zwischen den USA und den großen Schwellenländern als moderierender Faktor noch wahrgenommen zu werden.

Überschaubare Erfolge

So bleibt auch nach dem Teilerfolg von Cancún unsicher, ob sich ein universelles, umfassendes und rechtlich bindendes Klimaabkommen, wie man es sich 1992 in Rio einmal vorgestellt hatte, je in die Tat umsetzen lässt. Für den großen Aufwand, den man seither betrieben hat, wurde ein sehr überschaubarer Kodex an Völkerrecht geschaffen. Wäre es nicht an der Zeit, den UN-Prozess so zu entschlacken, dass er seine Kernaufgaben wahrnehmen kann, nämlich völkerrechtliche Rahmenregelungen zu schaffen und dafür möglichst viele Beteiligte mit ins Boot zu holen?

Initiativen, ein schlankeres politisches Koordinationsgremien außerhalb der UN zu etablieren, gibt es schon lange. Die USA versuchen, mit dem Major Economies Forum einen informellen Klimaprozess außerhalb des UN-Systems zu etablieren. Unter Tony Blair gelang es Großbritannien, der G-8 eine stärkere Rolle zuzuweisen, zumindest als Dialogforum der großen Industriestaaten. Das G-8-Format wird aber in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung zugunsten der G-20 verlieren. Und die G-20 hat bis heute nicht die gesamte Themenpalette von der G-8 übernommen. Sie konzentriert sich fast ausschließlich auf Wirtschafts- und Finanzfragen. Dabei böte die G-20 den idealen Rahmen, um über globale Umweltpolitik zu verhandeln. Die französische G-8/G-20-Präsidentschaft in diesem Jahr bietet die Chance, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen, auch wenn China, Indien und andere Schwellenländer bisher skeptisch sind.

In ihrem Beitrag „Running the World after the Crash“ in Foreign Policy (1/2011) schlagen Richard Samans, Klaus Schwab und Mark Malloch-Brown vor, den Top-down-Ansatz der UN-Klimaverhandlungen durch Bottom-up-Initiativen von Staaten, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu ergänzen. So stammt ein Großteil der Emissionen weltweit aus zwei Dutzend Staaten, die sich weitestgehend mit der Mitgliedschaft der heutigen G-20 decken, sowie aus vier Wirtschaftssektoren: der Energieerzeugung, der Forstwirtschaft, der Landwirtschaft und dem Verkehr. Technologische Effizienzverbesserungen, Landnutzungsänderungen und ökonomische Anreize können wirkungsvoller sein als international vereinbarte nationale Emissionsobergrenzen. Mit anderen Worten: Wir brauchen mehr ergebnisorientierte ökonomische Strategien als Ergänzung zur prozessorientierten politischen Strategie, der sich Umwelt- und Außenministerien bisher im Rahmen der UN verschrieben haben.

So wurde nach Kopenhagen auf Initiative von Frankreich und Norwegen eine Partnerschaft zum Tropenwaldschutz geschlossen, in der sich inzwischen über 70 Länder – sowohl Geldgeber aus dem Norden als auch Tropenwaldländer – zusammengetan haben. Grundgedanke der Initiative ist es, in tropischen Ländern wirtschaftliche Anreize zu schaffen, die den Erhalt des Waldes als Quelle von Biodiversität und als Kohlenstoffsenke wirtschaftlich lukrativer machen als seine holz- oder landwirtschaftliche Nutzung. Ähnliche Partnerschaften wurden inzwischen zur Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Klimaanpassung und zur Einführung nationaler Kohlenstoffregister geschlossen. Alle drei Initiativen wollen die UN-Klimaverhandlungen unterstützen, ohne in den engen Regeln des UN-Prozesses gefangen zu sein.

Im Rahmen des Major Economies Forum könnte eine Reihe multilateraler und bilateraler Technologieinitiativen angestoßen werden. Schon heute exportiert die EU als größter wirtschaftlicher Binnenmarkt ihre Produkt- und Effizienzstandards weltweit. Regulatorische Innovationen wie das Erfolgsmodell des Energieeinspeisegesetzes werden inzwischen weltweit nachgeahmt.

Last but not least ist da noch eine Reihe von öffentlich-privaten Partnerschaften unter der Beteiligung lokaler Behörden, der Wirtschaft und von Nichtregierungsorganisationen. So setzt der vom World Wide Fund for Nature (WWF) ins Leben gerufene Forst Stewardship Council (FSC) weltweit Standards für die nachhaltige Forstnutzung. Eine andere NGO, The Nature Conservancy (TNC), arbeitet mit Gemeinden in Lateinamerika, ihren Wasserversorgern und der Interamerikanischen Entwicklungsbank daran, in urbanen Ballungsräumen wie São Paulo, Quito oder Bogotá die Trinkwasserversorgung zu verbessern. Ihr Ziel ist es, über den Wasserpreis intakte Ökosysteme im Umland und damit die Regenerationsfähigkeit von Wassereinzugsgebieten zu fördern.

SASCHA MÜLLER-KRAENNER ist Geschäftsführer des Umweltverbands „The Nature Conservancy“ in Europa.

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