Buchkritik

27. Febr. 2023

Die rohe Kraft des Spalters: Neue Bücher zum Phänomen Trump

Auch über zwei Jahre nach Donald Trumps Abschied bleibt der ehemalige US-Präsident Gegenstand des publizistischen Interesses. Ein Versuch, die Amtszeit im Detail journalistisch nachzuzeichnen, und eine Erkundung der historischen Energiequelle des Trumpismus.

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Bild: Illustration eines Buches auf einem Seziertisch
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Keine Figur der jüngeren Vergangenheit hat das politische Publikum so in ihren Bann gezogen wie Donald J. Trump in seiner Amtszeit als 45. Präsident der Vereinigten Staaten. Kein demokratisch gewählter Amtsträger der vergangenen Jahrzehnte hat so viel Angst und so viele grundsätzliche Zweifel an der Solidität Amerikas, ja der Demokratie selbst, ausgelöst wie er.

Niemand wurde von seinen Anhängern kritikloser und erlöserhafter verehrt als The Donald, und kein amerikanischer Präsident nach John F. Kennedy hat weltweit mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Über keinen sind die Urteile so klar, so schnell und so festgefügt wie über ihn, und niemand kann sich der Wirkung Trumps entziehen, denn allen hält er den Spiegel vor.

Seit dem Beginn seiner politischen Laufbahn, nur wenige Monate vor den Präsidentschaftswahlen 2016, bis heute floriert die mittlerweile fest etablierte Nebenwissenschaft der Trumpologie. Zu Recht, denn Politiker, Journalisten, Akademiker und Intellektuelle in aller Welt spüren instinktiv, dass sie Trump verstehen müssen, wenn ihnen ihre Demokratien daheim lieb und teuer sind. Die offene Gesellschaft ist wie im therapeutischen Nahkampf mit ihrem schillerndsten Exponat, und die exegetische Selbstzergliederung produziert einen unaufhörlichen Strom analytischer Schriften.

 

Eine Story wie von Dickens

Drei Dinge machen das Phänomen „Trump“ aus: der Mann selbst, die politische Schule des Trumpismus und die tieferen Ursachen dafür, dass beide so wirksam werden konnten. In ihrem 700-Seiten-Großreport „The Divider“ blicken Susan Glasser und Peter Baker vor allem auf Trump selbst und auf die Geschichte seiner Präsidentschaft. Ihr Buch ist der Versuch, mit journalistischen Mitteln die gesamten vier Jahre im Detail nachzuzeichnen. In ungeheurer Fleißarbeit haben sie Hunderte von Interviews mit Zeitzeugen geführt, darunter zwei längere Gespräche auch mit Trump selbst, um aus der Vielfalt der Berichte ein erschöpfendes Gesamtbild zu erstellen.

Dabei folgen Glasser und Baker der von Watergate-Legende Bob Woodward zur Vollendung gebrachten Fly-on-the-Wall-­Methode, die die Geschehnisse so darstellt, als seien die Autoren mit dabei gewesen. Dialoge werden wörtlich wiedergegeben, die Gefühle und Gedanken der handelnden Akteure beschrieben, die Atmosphäre wird geschildert, als hätten Glasser und Baker mit dem Stenoblock daneben gesessen. Daraus entsteht eine fesselnde, erhellende und unerhört unterhaltsame Story, die einen, hat man sich ihr einmal hingegeben, nicht mehr so leicht loslässt.

Dem kritischen Leser wird bei so viel behaupteter Authentizität natürlich ab und zu schwindelig, aber die beiden Autoren kennen die Kritik an dieser Form der Geschichtsschreibung und behaupten nie, wissenschaftliche Forschung betrieben zu haben.

Ihren Anspruch, einen ersten Entwurf noch zu schreibender Geschichte vorzulegen, solange die Erinnerungen der Beteiligten frisch und Zeugen selbst noch greifbar sind, lösen sie mit Bravour ein. Natürlich ist es dabei ein zusätzlicher Bonus, dass hier zwei Meister ihres Faches am Werk sind, begnadete Edelfedern des amerikanischen Journalismus, noch dazu ein eingespieltes Autoren-Ehepaar, die einer Reportage Drive und innere Dynamik verleihen können.

Was dabei entsteht, ist eine Geschichte wie von Charles Dickens erfunden, bevölkert von schrägen und schrägsten Charakteren, von sinistren Dunkelmännern und Lakaien, Profiteuren und Ehrgeizlern, der schönen und der buckligen Verwandtschaft, Generälen, Verlegern, Moguln und Milliardären, brillanten Betrogenen und verführtem Mittelmaß, Speichelleckern und Aufrechten, fremden Mächten, Agitatoren, reaktionären Revoluzzern und progressiven Panik-Junkies.

Wer erinnert sich nicht an „The Mooch“, Anthony Scaramucci, den bizarren Kommunikationschef des Weißen Hauses, der seinen Job genau zehn slapstickhafte Tage lang verrichten durfte, oder Mike Flynn, den hart-rechten Ex-General, der für 24 Tage als von vornherein untragbarer Nationaler Sicherheitsberater durchs Bild flog. Ganz zu schweigen von Steve Bannon, Rex Tillerson, Mike Pence, Mike Pompeo, Kellyanne Conway, John Bolton und Dutzenden anderen Figuren, die hier die Bühne betreten, um als Figuren in Trumps Inszenierung zu ihrer Viertelstunde zweifelhaften Ruhms zu kommen.

Beim Lesen ist man immer wieder überrascht, an wie viele der Episoden, vor allem vom Anfang der Amtszeit, man sich selbst noch bestens erinnern kann. Auch kleine Dinge haben sich eingebrannt, als all die Bizarrheiten noch frisch und ganz und gar unglaublich waren und der wunde Verstand des Beobachters noch nicht wegen Überlastung die Aufnahme verweigerte.

Natürlich sind Glasser und Baker parteiisch; aus ihrer Ablehnung Trumps machen sie keinen Hehl. Aber sie sind nicht unfair, und ihre Erzählung unterschlägt Differenziertheit nicht, wenn sie nötig ist. Und sie wissen natürlich genau, dass man diese Erzählung gar nicht künstlich aufpeppen muss, um sie reißerisch zu machen. Die Präsidentschaft Trumps war reißerisch, von A bis Z, und zwar aus einem Grund: weil es der Mann genau so wollte.

 

Tanz um eine leere Mitte

Der vielleicht wichtigste Satz des Buches kommt ganz am Ende: „Policy was never what animated him“ – um Programmatik ging es Donald Trump eigentlich nie. Es ging ihm immer vor allem um sich selbst, seine Obsessionen, seine Sehnsucht nach Wertschätzung, seine Selbstinszenierung, sein Weltbild, seine persönlichen, tief angelegten Bedürfnisse.

Bis heute bleibt es ein großes Missverständnis in der Trump-Deutung, dass viele Exegeten annehmen, Trump habe eine Agenda zur systematischen Veränderung Amerikas im Sinn gehabt, als er antrat. Eine solche Agenda gab es nie. Das hat Hunderte von Profiteuren, die in Trumps Fahrwasser zu Macht kamen, natürlich nicht daran gehindert, ihre eigene, meist erzkonservative Agenda nach Kräften zu betreiben, und das oft mit Erfolg. Trump selbst aber ging es immer nur ums Sein und ums Haben, nicht aber ums Geben, Gestalten, Errichten oder Zerstören. Wenn er gestaltete, errichtete und zerstörte, dann folgte das zwar durchaus manch langgehegter Überzeugung; aber es ging dabei nicht eigentlich ums Erreichen politischer Ziele, sondern vor allem anderen um seine persönliche Erlangung von Amt, Status, Geltung und Anerkennung. Der politisch-ideologische Tanz um Trump als Person war immer ein Tanz um eine leere Mitte, ganz so wie bei einem Wirbelsturm, in dessen Auge nicht viel ist, während die rotierenden Luftmassen drumherum Chaos und Zerstörung anrichten, und zwar genau dort am stärksten, wo sie dem Auge am nächsten sind.

Trump hatte erkannt, dass er sein überlebenswichtiges Elixier, nämlich persönliche Aufmerksamkeit in größtmöglicher Menge, am besten durch schamlose Unverfrorenheit und intuitiv kalkulierte Ungeheuerlichkeiten erringen konnte. Jede Form der Aufmerksamkeit war dabei gute Aufmerksamkeit. Während der frühe Trump sein Tun noch bewusst in diese Richtung steuert, ist sie beim Kandidaten und Präsidenten längst habituell geworden. Trump weiß instinktiv, welche Knöpfe er drücken muss.

In dieser Fähigkeit, der instinktsicheren Ausnutzung der Lage zur Bedienung seiner Aufmerksamkeitssucht, liegt Trumps trauriges, tragisches Genie. Tragisch deswegen, weil klar ist, dass der Hunger nie gestillt, die Leerstelle nie gefüllt, die Liebe nie erlangt werden kann, ganz gleich, wie bunt man es treibt. ­Und Genie deswegen, weil Trump ebenfalls instinktiv erkennt, dass sein Außenseitertum dem der vielen Enttäuschten, Verängstigten, Verunsicherten und Ressenti­mentbeladenen im Lande wesensverwandt ist und er ihren Schmerz mit kräftiger ­Demagogie zu seinem politischen Kapital machen kann, und damit zum Schlüssel zum wichtigsten Job der Welt, will sagen: zu nicht mehr übertreffbarer Aufmerksamkeit.

Glasser und Baker haben kein thesenstarkes Buch geschrieben, sondern ein faktenstarkes. Sie kommen zwar auch immer wieder zu kleinen zusammenfassenden Urteilen, oft in Nebensätzen mitten im Text, aber sie drängen sie dem Leser nicht auf. Sie widerstehen der Versuchung, die ganze vielschichtige Geschichte, die sie ausbreiten, mittels einer privaten Großtheorie zu deuten. Stattdessen wählen sie die ganz breite Leinwand und vertrauen darauf, dass diese unerhörte Begebenheit ihre Kraft mehr oder weniger von allein entfaltet.

Wenn man es bei der Lektüre schafft, Empörung und Entgeisterung zwischendurch mal abzulegen, dann stellt sich schnell das Staunen ein. Staunen darüber, mit welcher verbissenen, scheinbar unerschöpflichen Naturgewalt dieser Mann wirkt und welche Energie er dabei auch bei anderen freizusetzen vermag. Wie er es schafft, Millionen begeisterte Kraftverstärker zu finden und sich damit in das Land, seine Köpfe und seine Seele hineinfrisst, und danach dann auch gleich noch in die die ganze restliche Welt hinein.

Wie eine Figur, die eigentlich für nichts steht außer die eigene seelische Not, zum Gravitätszentrum einer Bewegung werden kann, die fast das ganze System verschlingt und damit die Gewissheit der westlichen Welt erschüttert, es am Ende besser zu können als die anderen. Was auch immer diese Kraft möglich gemacht hat, ist furchtbar und groß. Man ahnt, was passieren kann, wenn sie nicht, wie hier, letztlich an den Gegenkräften des Systems scheitert, sondern zur Vollendung kommt.



Amerikas Ursünde

Die Erkundung der historischen Energiequelle des Trumpismus hat sich Jeremi Suri zur Aufgabe gemacht. Der Historiker an der University of Texas in Austin hat bereits mehrere Bücher zu American Politics vorgelegt, zuletzt in „The Impossible Presidency“ (2017) eine Strukturanalyse der Grenzen präsidentieller Macht im US-System. Mit seinem neuen Buch „Civil War by Other Means“ liefert er das perfekte Gegenstück zu „The Divider“: starke Ausgangsthese, geschichtswissenschaftliche Grundierung und prägnante Kürze, allerdings kein bisschen weniger temperamentvoll erzählt.

Suri schildert, wie die Politik der ersten zehn Jahre nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs 1865 die Grundlagen für die heutige politische Spaltung Amerikas gelegt hat. Seine Schilderung ist eine originelle Interpretation der Idee von der Sklaverei als der Ursünde der USA. Er blättert auf, wie nach der Ermordung Abraham Lincolns der ins Präsidentenamt gespülte Vize Andrew Johnson, ein Südstaatler, der zwar gegen die Sklaverei, nicht aber für die Emanzipation der Schwarzen war, maßgeblich die Weichen für eine weitgehende politische Restauration im Süden stellte.

Der Autor schildert, wie die Republikanische Partei, ein relativ neuer Zusammenschluss von aufstiegsorientierten und arbeitsamen Freiberuflern und Handwerkern, die Sklaverei vor allem als Betrug des Menschen an seiner Arbeitskraft ansah, nicht hingegen als katastrophale Fundamentalverletzung von Menschen- und ­Bürgerrechten. Und er beschreibt auch, wie die unmittelbar nach dem Ende des Bürgerkriegs einsetzende Nostalgisierung und moralische Reinwaschung des südstaatlichen Gesellschaftsmodells bis heute als Gift in den Adern der amerikanischen Politik pulsiert. Ihr Kernstück ist die Verschiebung der Begriffe Freiheit, Demokratie und Frieden in eine semantische Südstaaten-Parallelwelt. In dieser Welt war die Sklaverei Grundlage der Freiheit, nicht ihr Gegenteil. Hier war die Durchsetzung der Bestimmungen der Verfassung nicht der Kern der Rechtsstaatlichkeit, sondern die Tyrannei des Zentralstaats. Und hier bedeuteten folgerichtig „Black Rights“ das Ende der Republik, nicht ihre Vollendung. Der Rassismus schafft sich seine eigene identitätsstiftende, falsche Wärme produzierende ­Folklore.

Dieselben Umdeutungsmuster, so Suri, finden sich heute in der Ideenwelt der Umstürzler, die am 6. Januar 2021 das Capitol in Washington stürmten. Ihre politischen Anwälte von heute erfinden immer neue Methoden, Schwarze und andere Minderheiten am Gang zur Wahlurne zu hindern, so wie einst.

Suri stellt dar, wie die Protagonisten der Nach-Bürgerkriegszeit in den USA vor derselben Malaise standen wie die Gründerväter zuvor: Um welchen Preis erhalten wir die Einheit des Landes? Wann kommt der Punkt, an dem der Kompromiss zum Sprengstoff wird? Thomas Jefferson, Alexander Hamilton, John Adams und Benjamin Franklin konnten die Sklavenfrage noch ausklammern. Das konnten die Nachfolger Lincolns nicht mehr, aber zu weit wollten auch sie sich nicht für die tatsächliche Gleichstellung der Schwarzen nach ihrer Befreiung von der Sklaverei einsetzen. Stattdessen ließen sie fahrlässig Legendenbildung, Abschottung, Glorifizierung und Restauration im Süden gewähren, mit langfristigen Folgen für die amerikanische Demokratie im 21. Jahrhundert.

Jeremi Suri sagt nicht viel über Trump. Sein Ziel ist der Verweis auf den langen intellektuellen, kulturellen und politischen Vorlauf, den Trump, der Spalter, und seine Bewegung in der amerikanischen Geschichte haben. Das ist ihm gut gelungen. Dafür kann man ihm manche unvorsichtige Übertragung heutiger Politsprache auf die Verhältnisse des 19. Jahrhunderts verzeihen.

Liest man die rund 1000 Seiten von Glasser, Baker und Suri zusammen, ergibt sich eine faszinierende Doppelperspektive auf Amerika und sein Leiden an sich selbst. In einer Zeit, in der die USA vorläufig globale Supermacht, kultureller Taktgeber und Fluchtpunkt westlicher Freiheitserzählungen bleiben, ist das in hohem Maße gewinnbringend.

 

Peter Baker und Susan Glasser: The Divider. Trump in the White House 2017–2021. New York City: Doubleday 2022. 725 Seiten, 21,99 Euro



Jeremi Suri: Civil War by Other Means. America’s Long & Unfinished Fight for Democracy. New York City: Public Affairs 2022. 320 Seiten, 53,56 Euro

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2023, S. 120-123

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Jan Techau leitet das Referat Reden und Texte im Bundesministerium der Verteidigung.