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01. Jan. 2017

Die Kunst des iranischen Atomdeals

Wie die EU, Russland und China das Abkommen schützen können

Ambiguität gehörte zu den Kernelementen der Wahlkampfstrategie Trumps. In einem außenpolitischen Punkt jedoch hat sich der zukünftige Präsident festgelegt: Der Atomdeal von 2015 sei mangelhaft, er müsse kassiert und gegebenenfalls neu verhandelt werden. Die anderen Vertragsmächte sollten alles tun, die USA von einem solchen Schritt abzubringen.

Donald Trumps Ankündigungen und seine ersten Personalentscheidungen im außenpolitischen Bereich lassen nichts Gutes erahnen für die Zukunft des Atomabkommens mit dem Iran. Es dürfte also den Mitunterzeichnern – China, Russland, Großbritannien, Frankreich und Deutschland – zufallen, Maßnahmen zum Schutz des Abkommens zu ergreifen.

Bislang war es ein Erfolg. Mehr als ein Jahr nach Inkrafttreten hat der „­Aktionsplan“ (Joint Comprehensive Plan of Action / JCPOA) effektiv und nachweislich alle potenziellen Wege zu einer iranischen Atombombe blockiert. Zugleich leitete der JCPOA die Rückkehr des Iran auf die Weltbühne ein, wenngleich der erhoffte Wirtschaftsaufschwung nach Aufhebung der Sanktionen schleppender verläuft als vielfach erwartet.

Alle Mitglieder der E3+3 sind mit der Umsetzung des Abkommens bislang hochzufrieden und zeigen kein Interesse daran, den Iran erneut als Bedrohung für die internationale Sicherheit zu brandmarken. Sie haben zahlreiche Instrumente an der Hand, um die neue US-Administration in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dennoch sollten sie auch Pläne für den Fall entwerfen, falls das Schlimmste eintritt und sich die USA aus dem Abkommen zurückziehen.

Unzweideutige Verdammung

Der neugewählte US-Präsident hat den JCPOA wiederholt als grundsätzlich mangelhaft verdammt. Die Fundamentalkritik scheint sich dabei weniger auf die Umsetzung zu beziehen als auf den engen Rahmen der Vereinbarung: Es handele sich um ein Abkommen zur Rüstungskontrolle, das es einem Erzrivalen erlaube, ohne größere Änderungen seines generellen Kurses in den Kreis der Nationen zurückzukehren.

Als Präsident hat Trump eine Vielzahl an Möglichkeiten, den Atomdeal zu torpedieren. Im Extremfall kann er ihm seine Unterstützung gänzlich ent­ziehen oder wichtige Teile infrage stellen. Dazu gehört die Aufhebung von Sanktionen, die mit der Atomfrage verknüpft sind. Das Abkommen erlaubt es einer Partei, unilateral zum UN-Sanktionsregime zurückzukehren, ungeachtet der Schlichtungsmechanismen, die der JCPOA vorsieht.

Doch der nächste Herr im Weißen Haus könnte das Abkommen auch mit weniger drastischen Schritten sabotieren. Es bedürfte nicht einmal eines direkten Einwirkens, denn schon eine laxe Umsetzung der Bestimmungen würde das Ende des Atomdeals bedeuten. Zur Aufrechterhaltung des JCPOA muss Washington kontinuierlich in gutem Glauben handeln: Der Präsident muss immer wieder pünktlich Lizenzen erteilen, um rechtmäßige Geschäfte mit dem Iran zu ermöglichen, Richtlinien erlassen, die Unklarheiten im Zusammenhang mit der Einstellung der Sanktionen ausräumen, und das Abkommen vor äußerem Druck schützen, insbesondere vor Versuchen des Kongresses, die Umsetzung zu behindern, beispielsweise indem er den Verkauf ziviler Flugzeuge an den Iran stoppt.

Noch ist es zu früh abzuschätzen, welche Folgen ein Unterminieren des Atomabkommens im Ganzen haben könnte. Einige Konsequenzen zeichnen sich aber jetzt schon ab.

Sollten die USA, erstens, den Deal zu Fall bringen, während sich der Iran weiterhin daran hielte, dann würde auch die internationale Koalition erodieren, wenn nicht sogar ganz zerfallen, die für die Durchsetzung des Sanktionsregimes entscheidend war. Wollte Washington, wie Trump andeutete, versuchen, das Abkommen neu zu verhandeln und/oder den Iran zwingen, seinen Kurs im Innern und in der Region zu ändern, dann befände es sich nicht etwa in einer stärkeren, sondern in einer ungleich schwächeren Position.

Zweitens würde der Iran mit größter Wahrscheinlichkeit mit der Wiederbelebung seines Atomprogramms antworten. Das iranische Parlament hat die Regierung beauftragt, die Urananreicherung sofort wieder hoch- und die Kooperation mit den Vereinten Nationen runterzufahren, sollte Washington seinen Teil der Vereinbarung nicht einhalten.

Drittens könnten verschärfte Spannungen den Iran dazu bringen, sich wieder sehr viel stärker auf die Bereiche zu konzentrieren, die das Land als essenziell für die eigene Sicherheit erachtet: sein Raketenrüstungsprogramm als konventionelle Abschreckungsmaßnahme und seine „Vorwärtsverteidigungspolitik“, d.h. die Stärkung regionaler Partner und Unterstützer außerhalb der eigenen Grenzen im Mittleren Osten, in Bagdad, Damaskus, Beirut und darüber hinaus.

Indem sie das Atomabkommen destabilisiert, könnte die neue US-Administration also genau das hervorrufen, was sie vermeintlich zu verhindern sucht: ein noch selbstbewussteres iranisches Auftreten und größere Instabilität in der Region. Zudem sänke die Wahrscheinlichkeit, eine Lösung für die Konflikte in Syrien, dem Irak und im Jemen zu finden – Konflikte, bei denen der Iran Teil des Problems ist und darum unvermeidlich auch Teil der Lösung sein muss.

Während die neue US-Regierung noch an ihrer letztendlichen Strategie arbeitet, haben die anderen Mitglieder der E3+3 die Chance, diese von ­einer ­Abkehr vom Atomdeal abzubringen. Zugleich sollte die Europäische Union mehr tun, als ihre volle Unterstützung für das Abkommen auszudrücken und zusätzlich ihre so genannte „Blocking Regulation“ aktivieren, die das Befolgen von US-Sanktionen verbietet, die nicht die Zustimmung der Gemein­samen Kommission („Joint Commission“) des JCPOA haben. (Die Kommission besteht aus den sieben Verhandlungspartnern und wird von der EU koordiniert.) Das Abrufen dieser Präventivmaßnahme würde ein starkes Signal in Richtung Washington senden.

China, Russland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland sollten öffentlich erklären, dass sie neue, unilaterale US-Sanktionen, die aus ihrer Sicht nicht durch das Verhalten des Iran gerechtfertigt sind, oder Maßnahmen, die der vollen Entfaltung der Sanktionsaufhebungen entgegenstehen, vor die Welthandelsorganisation (WTO) und andere internationale Institutionen und Gerichte bringen würden. Ende der neunziger Jahre hatte sich die EU erfolgreich gegen US-Sanktionen in ähnlicher Form gewehrt. Gleichzeitig sollten diese Staaten weiterhin die Aufnahme des Iran in die WTO unterstützen.

Solche Vorstöße sollten daran gebunden sein, dass der Iran alle seine im JCPOA vereinbarten Verpflichtungen weiterhin einhält und von Provokationen absieht. Die Wiederaufnahme atomarer Aktivitäten und die Beschneidung des Zugangs der Internationalen Atomenergiebehörde als Vergeltungsmaßnahme für Washingtons Nichteinhaltung des Deals würde es für andere enorm erschweren, die USA von einer Einhaltung des Abkommens zu überzeugen. Umgekehrt könnte eine deutliche Erklärung der Mächte, die hinter dem Abkommen stehen, jenen iranischen Kräften den Rücken stärken, die auf die Fortführung des Abkommens drängen.

Die E3+3 und der Iran sollten zudem schnell ein Treffen der Gemeinsamen Kommission anberaumen, um verbliebene Unklarheiten auszuräumen, insbesondere in Bereichen, in denen das Abkommen nicht präzise genug ist (zum Beispiel bei der Definition, auf welche Formen schwach angereicherten Urans die 300-Kilogramm-Grenze angewandt werden soll und auf welche nicht). ­Zugleich stünde es dem neuen UN-Generalsekretär António Guterres gut an, den USA und dem Rest der Welt die zentrale Rolle in Erinnerung zu rufen, die das Abkommen im Bereich nuklearer Nichtverbreitung spielt.

Die Prämisse, die den Iran und die E3+3 nach 13 Jahren der Pattsituation an den Verhandlungstisch führte, gilt noch immer: Die Alternativen – Sanktionen versus Zentrifugen, was entweder zu einer iranischen Bombe oder aber zur Bombardierung des Iran führt – wären deutlich schlimmer. Ob die neue US-Regierung am Ende auch zu diesem Schluss kommt oder nicht: Die Länder, die das Abkommen ausgehandelt haben, sollten ihr Möglichstes tun, um den Atom­deal zu schützen.

Dr. Ali Vaez ist leitender Iran-­Analyst der International Crisis Group (ICG) mit Sitz in Istanbul.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2017, S. 23-26

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