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01. Juni 2004

Die Interventionspolitik der USA

Die Außenpolitik der Vereinigten Staaten ist seit dem 11. September 2001 von drei Zielsetzungen
geprägt, denen Vorrang vor allen anderen Vorhaben und Beziehungen eingeräumt wird: dem
Kampf gegen den internationalen Terror, der Beseitigung von Massenvernichtungswaffen in den
geheimen Arsenalen von Schurkenstaaten und einer weit ausgreifenden, beweglichen Vorwärtsverteidigung
durch vorauseilendes Handeln zur Gefahrenbeseitigung. Nach Ansicht
des Sicherheitsexperten Lothar Rühl handelt es sich dabei um eine „Akzentverschiebung
zwischen schon früher gesetzten Prioritäten“, nicht jedoch um einen radikalen
Paradigmenwechsel.

Die Außenpolitik der USA ist seit dem Terroranschlag
vom 11. September 2001 von drei umfassenden Zielansprachen
geprägt, denen alle anderen Vorhaben und Beziehungen
untergeordnet wurden: der Kampf gegen den internationalen
Terror und die Beseitigung der Massenvernichtungswaffen in den
geheimen Arsenalen von Schurkenstaaten (Beispiel Irak), und
schließlich eine weit ausgreifende, bewegliche
Vorwärtsverteidigung Nordamerikas auf fremden Kontinenten
durch vorauseilendes Handeln zur Gefahrenbeseitigung.

Welche wirklichen Vorrangziele und Pläne zur
strategischen Politik Amerikas die Regierung von Präsident
George W. Bush in ihrer Formationsphase vor dem 11. September
gehabt haben und wie ernst sie die terroristische Gefahr zuvor
auch eingeschätzt haben mag, ihre Außenpolitik und
das strategische Denken wurden von dem katastrophalen Ereignis
in vierfacher Weise beeinflusst:

– Übergang zu einer global angelegten
Interventionspolitik mit militärischen Mitteln,

– vorrangige Nutzung von Ad-hoc-Koalitionen
ausgewählter Partner zum Zweck der Intervention,

– selektive Nutzung von Verbündeten und der
festen Allianzen, insbesondere der atlantischen und der
australischen,

– „präemptive Optionen“ für
„antizipatorische Aktion“ zur Beseitigung von
unmittelbaren oder in Washington dafür gehaltenen
Bedrohungen der USA sowie amerikanischer Interessen,
Streitkräfte, Verbündeter und Schutzklienten in
Übersee.

Jede dieser vier prioritären Methoden amerikanischer
Strategie, die nur in Verbindung zueinander mit einem breit
aufgeschlagenen Fächer operativer Optionen optimal nutzbar
sind, war auch schon vor dem Einzug George W. Bushs ins
Weiße Haus 2001 Bestandteil der amerikanischen
Außen- und Sicherheitspolitik. Die „internationale
Koalition“ für den Interventionskrieg gegen Irak
1990/91 war als zeitweiliges Ad-hoc-Zweckbündnis unter
Einschluss der meisten festen Verbündeten Amerikas in
Europa und bei Nutzung des NATO-Gebiets für Luftangriffe
auf Irak über die Türkei, Truppenverlegung und
Nachschub aus Europa an den Golf das Modell.

Die Präemption war als Konzept für internationales
Krisenhandeln der USA schon 1984 nach dem
Sprengstoffüberfall nahöstlicher Terroristen auf das
Lager der amerikanischen Marines bei Beirut vom damaligen
Außenminister George P. Shultz aus der nuklearen
Strategie in die konventionelle Kriegführung transferiert
worden; er forderte damals, dass als Lehre aus diesem
Terroranschlag neben Prävention „proaktives“
statt reaktives Handeln und darum auch
„präemptives“ Handeln geboten sei. Auch die
Regierung von Bill Clinton entwickelte zwischen 1993 und 2001
„präemptive Optionen“ als Speerspitze der
militärischen Prävention und der Gegenproliferation
zur Unterdrückung der Weiterverbreitung nuklearer und
chemischer Waffen fort.

Insofern ist die These in der Nationalen
Sicherheitsstrategie der USA (NSS) vom September 2002,1 wonach
„die Vereinigten Staaten seit langem die Option
präemptiver Aktionen als Erwiderung auf eine ausreichend
große Bedrohung bereitgehalten haben“, im Prinzip
richtig. Die Bush-Doktrin der NSS hat diese Präemption
allerdings logisch in Zeit und Raum in Richtung auf das
Unendliche ausgeweitet und ihre Anwendung so verallgemeinert,
dass Verteidigung und Angriff zusammenfallen und der
Präventivkrieg als Interventionsmethode zum Regelfall
werden könnte. Hierin liegt der eigentliche strategische
Paradigmenwechsel des Jahres 2002.

Für den Erwiderungskrieg in Afghanistan hatten die USA
und ihre Verbündeten das Mandat der Vereinten Nationen,
doch war die Intervention weder „präemptiv“
noch ein „Präventivkrieg“, sondern reaktiv mit
dem Zweck der Beseitigung einer schon in Aggression
umgeschlagenen Terrorbedrohung, die ihre rückwärtige
Basis und ihre Führung in diesem Land hatte, wo Al
Khaïda an der Macht beteiligt war. Diese Erwiderung sollte
zugleich Vergeltung und Abschreckung weiterer Terrorangriffe
auf Amerika sein und – wenn möglich – mit dem
Regime auch den terroristischen Aggressor beseitigen. Insofern
war die Unternehmung „Nachhaltige Freiheit“ in
Afghanistan eine operative Vorwegnahme der neuen Strategie,
deren Hauptmerkmal der aufgeschlagene Fächer flexibler
Optionen mit einem Leitfaden für globale Politik der USA
auf der Basis amerikanischer Eskalationsdominanz in allen
Krisen und Konflikten ist.

Eskalationsdominanz mit konventionellen und nuklearen
Streitkräften, die flexibel zur strategischen
Situationskontrolle eingesetzt oder bereitgehalten werden, ist
die Quintessenz amerikanischer Weltpolitik in den
Bündnissen und für gelegentliche Interventionen seit
der Präsidentschaft von Ronald Reagan, obwohl sie auch
schon vorher angewandt wurde. Der Terrorangriff vom September
2001 hat an der singulären Weltmachtstellung der USA
nichts geändert: Die Macht Amerikas ist nicht wirklich
bedroht, die Verwundbarkeit der USA, die immer bestand, wurde
nur weltweit sichtbar und der amerikanischen Nation
bewusst.

Diese reale Suprematie soll nach der NSS künftig auf
der „beispiellosen Stärke der
US-Streitkräfte“ und deren „Präsenz in
Übersee“ mit der Wirtschaftskraft Amerikas, dem
„Engagement für Verbündete und Freunde“
und der Entschlossenheit beruhen, „eine Machtbalance zum
Vorteil der Freiheit“ und damit auch den Frieden zu
erhalten. Dies bedeutet kein Machtgleichgewicht, sondern eine
Machtverteilung, die militärisch, technologisch,
ökonomisch von der Überlegenheit der USA über
alle anderen Staaten einschließlich Russlands und Chinas
gekennzeichnet wird. Dieses Kalkül der NSS ist für
die Zukunft von größerer Bedeutung, rechnet diese
Konzeption doch mit „einer möglichen Erneuerung
alter Muster der Großmachtkonkurrenz“, da
„mehrere potenzielle Großmächte derzeit mitten
in einem Übergangsstadium sind, hauptsächlich
Russland, Indien und China“, wie es in dem Dokument
heißt. Schon darum postuliert die NSS, dass die
amerikanischen Streitkräfte stark genug sein müssen,
„um potenzielle Gegner von einem militärischen
Kräfteaufbau abzuhalten, um die Macht der Vereinigten
Staaten zu übertreffen oder ihr gleichzukommen“.

Die politische Konsequenz ist die Notwendigkeit für die
USA, ihre Überlegenheit zu erhalten und auszubauen.
Hegemonialkonflikte werden damit nicht ausgeschlossen und ein
globales Mächtegleichgewicht wird in der NSS nicht in
Betracht gezogen. Dafür wird eine „dauerhafte
strategische Partnerschaft“ mit Russland, auch in
Verbindung mit der NATO, eine „starke Beziehung“ zu
Indien und eine „konstruktive Beziehung zu einem sich
verändernden China“ in Aussicht genommen. Es soll
bei einem Netz bilateraler Partnerschaften der USA und einigen
multilateralen Allianzen, im Übrigen bei selektiver
Koalitionspolitik und Nutzung der UN, der NATO, der EU als
europäischem Partner je nach Lage und Bedarf bleiben. In
dieser globalen Handlungsfreiheit der USA für die Auswahl
von Partnern liegt der harte Kern der neu aufgelegten
Strategie.

Nutzen und Grenzen

Doch die Anwendung der Strategie in Afghanistan schon seit
der Koalitionsbildung 2001 verdeutlicht den Nutzen und die
Grenzen: Die USA brauchen Russland und China nicht nur im
UN-Sicherheitsrat für ein Mandat oder für die
Zustimmung zur Berufung auf die Selbstverteidigung Amerikas,
sondern auch zur politischen Akzeptanz ihrer militärischen
Präsenz in Afghanistan und in Zentralasien, und
insbesondere die Russlands für die unersetzliche Benutzung
der ehemaligen sowjetischen Stützpunkte in der Region.

Dies dürfte um so mehr für Bushs Vorschlag eines
Stabilitätspakts für den „Weiteren Nahen
Osten“ gelten, wobei das erklärte amerikanische Ziel
einer „strategischen Lageveränderung“ im
gesamten Mittleren Osten für die Verbreitung von
Völkerfreiheit, Menschenrechten und Demokratie nicht nur
am Golf und in der Levante, sondern auch im Kaukasus, in
Zentralasien und Nordafrika auf politische und soziokulturelle
Beharrungswiderstände und konträre Regimeinteressen
treffen würde. Russland und China haben wie Pakistan und
Indien ihre eigenen Bedürfnisse an Einfluss vor ihren
Grenzen auf dem eurasischen Kontinent und in Vorderasien zu
fördern und kein Interesse daran, Amerika als externe
Vormacht die politische Ordnungsgewalt zur Ausübung einer
Hegemonie zu überlassen.

Die politische Gegenleistung für Unterstützung
muss von Washington durch Verzicht auf öffentliche Kritik
an der Moskauer Tschetschenien-Politik und durch eine
Ausweitung der Definition von „Terrorismus“ auf
praktisch alle Arten von Opposition und Separatismen im Sinne
der russischen wie der chinesischen Staatsraison erbracht
werden. Dies gilt auch für das politische
Existenzinteresse autoritärer Regime in Zentralasien, im
Mittleren Osten oder künftig in Nordafrika. Zielkonflikte
der amerikanischen Außenpolitik sind dabei unvermeidlich,
in erster Linie gegenüber den beiden Nuklearmächten
Indien und Pakistan – zugleich neuen Verbündeten
Amerikas im „Krieg gegen den Terror“. Ihnen
gegenüber üben die USA wegen der dem
Nichtverbreitungsvertrag (NPT) zuwiderlaufenden nuklearen
Rüstungen Nachsicht.

Die NSS ist in diesem heiklen Punkt vage und ambivalent.
Dabei zeigen sich auch die politischen Servituten und Grenzen
amerikanischer Macht: Pakistan und Indien lehnten von Anfang an
die Beteiligung an der Nachkriegsbesetzung Iraks ab. Das Fazit
ist eindeutig: Von einer amerikanischen „Hegemonie“
oder einem „imperialen Frieden“, der „pax
americana“, kann in Asien nicht die Rede sein – und
selbst Seeherrschaft mit Stützpunkten und einer starken
Flotte kann keine Hegemonialwirkung auf dem Festland entfalten,
solange nicht Krieg in weiter Dimension geführt wird.

Die behutsame Behandlung des provokanten
Nuklearproliferateurs Nordkorea, der den NPT brach, bevor er
ihn aufkündigte und damit den bisher schwersten Schlag
gegen die Nichtverbreitungspolitik und gegen das
Weltmachtprestige der USA mit einem seit 1993 erkannten
Atomrüstungsprogramm geführt hat, bestätigt, wie
stark Washington auch auf die Verletzlichkeit Japans und
Südkoreas wegen möglicherweise einsatzfähiger
nordkoreanischer Kernwaffen Rücksicht nehmen muss.

Die koreanische Krise weist auch auf die im Fernen Osten
tatsächlich bestehende regionale „balance of
power“ zwischen den drei Großmächten USA,
China, Russland und Japan. In diesem strategischen
Parallelogramm der Kräfte ist die militärische
Übermacht Amerikas politisch aktionsunfähig gefangen.
Zwar nehmen Japan und Südkorea an der militärischen
Besetzung Iraks teil, jedoch mit Einschränkungen, um das
Risiko für ihre Truppen als technische Aufbauhelfer so
gering wie möglich zu halten. Solche Abstufungen sind in
Koalitionen möglich, aber nie ein Zeichen von
Geschlossenheit und Stärke.

Das europäische Gegenstück in der NATO, die zwar
in Afghanistan 2003 als Bündnis Verantwortung
übernahm, aber in Irak nur durch einzelne Alliierte
vertreten ist, die von der NATO bisher logistisch und
führungstechnisch unterstützt werden, weist trotz
einer Truppenzahl von bis zu 25 000 Soldaten in Irak
2003/04, die Briten eingeschlossen, gleichfalls nicht auf
Stärke und Entschlossenheit. Der Terroranschlag vom 11.
März 2004 in Madrid war nicht nur ein Schlag gegen die
enge Sonderbeziehung zwischen Spanien und den USA, sondern auch
gegen die Aktionseinheit der NATO unter dem Druck einer Krise
mit unmittelbarer Gefährdung. Er setzte die Bereitschaft
europäischer Partner, in Irak mit NATO-Streitkräften
Position zu beziehen und direkte Verantwortung für eine
Okkupationszone unter UN-Mandat zu übernehmen, schlagartig
herab.

Für die amerikanische Politik ist damit nicht nur ein
Rückschlag im „Krieg gegen den Terror“
verbunden, sondern auch in der Anwendung der militärischen
Interventionsstrategie für die Konsolidierung und
politische Nutzung eines militärischen Feldzugerfolgs,
dazu in der atlantischen Bündnispolitik. Das Bündnis
ist nicht nur weiter über den Irak-Krieg und inzwischen
über die Besatzungsmethoden der „Koalition“
verunsichert, sondern in der permanenten Gefahr neuer
psychologischer Erschütterung durch weitere
Terroranschläge in Europa, während die
transatlantischen Spannungen trotz der politischen
Anstrengungen der meisten Bündnispartner, besonders der
USA selber im Werben um Unterstützung, fortbestehen.

Der „lange Feldzug“, den Präsident Bush
nach dem 11. September im „Krieg gegen den Terror“
ankündigte und den die neue Strategie als eine Gegebenheit
der Lage „auf unbestimmte Zeit“ annimmt, muss mit
der Zeit Abnutzung auch der Solidarität zwischen
Verbündeten verursachen, wenn der Erfolg ausbleibt, um so
mehr, wenn Rückschläge eintreten wie in Irak –
der ohnehin als strategisches Ziel für die Bekämpfung
des internationalen Terrorismus fragwürdig und nach der
bisherigen Erfahrung sogar kontraproduktiv ist.

Globales Engagement

Der Akzent der neuen Vorrangordnung strategischer Ziele der
amerikanischen Sicherheitspolitik wurde nach zehn Jahren der
Privilegierung von Defensive und Rüstungskontrolle im
Nuklearwaffenbereich gesetzt. Die große Krise ist in
dieser Weltsicht, die von den europäischen
Verbündeten und den meisten asiatischen Klienten der USA
auch nach den bisherigen gemischten Erfahrungen in Afghanistan
und in Irak, mit der israelischen Besatzungspolitik in
Palästina und der amerikanischen Unterstützung
für Israel geteilt wird, „der globale Terror“,
dessen Bekämpfung die erste „strategische
Priorität“ ist.

Außer für dieses von 9/11 in die nationale Agenda
Amerikas eingebrannte Vorrangziel handelt es sich insgesamt um
eine Akzentverschiebung zwischen schon früher gesetzten
Prioritäten, nicht um einen radikalen Paradigmenwechsel.
Auch Clinton hatte nach 1994 von Bosnien über Mazedonien
bis nach Kosovo 1999 deutlich mehr auf militärische
Krisenintervention, auf militärische Fähigkeiten zu
Prävention und Gegenproliferation und auf
militärische Offensivaktionen zur gewaltsamen Reduzierung
gefährlicher Kriegspotenziale gesetzt, insbesondere durch
Angriffe mit Marschflugkörpern auf militärische Ziele
der Bodenflugabwehr in Irak, auf eine chemische Fabrik in Sudan
und auf terroristische Ziele wie Ausbildungslager von Al
Khaïda in Afghanistan.

Doch hat diese Entwicklung, wie die Fälle Afghanistan
und Irak zeigen, zu einer maximalen Überdehnung der
amerikanischen Machtentfaltung und zugleich zu einer kritischen
Überbeanspruchung der konventionellen militärischen
Kräfte der USA geführt, die auch die verfügbaren
Personalreserven angreift: Die Hälfte aller
einsatzfähigen Kampfbrigaden (16 von 33) des
amerikanischen Heeres stand 2003/04 am Golf, die meisten in
Irak als Besatzungstruppen.

Von der so lange hervorgehobenen Fähigkeit, zwei Kriege
zugleich führen zu können – gerechnet wurde
dabei stets mit Golf-Region und Korea – kann jedenfalls
für die Landstreitkräfte der USA nicht länger
die Rede sein. Amerika ist für Durchhaltefähigkeit
von mehr als marginalen Hilfeleistungen anderer Staaten
abhängig, dazu von Stützpunkten, Durchmarsch- und
Überflugrechten, wie der Verzicht auf eine zweite Front im
Irak-Krieg nach der türkischen Verweigerung, ein
amerikanisches Korps von etwa 50 000 Soldaten in
Südanatolien gegen Nordirak aufmarschieren zu lassen und
die Sperre der türkischen NATO-Stützpunkte für
Luftangriffe auf Irak gelehrt haben.

Die Neufestsetzung des Vorrangs in der strategischen Politik
auf eine proaktive militärische
Proliferationsbekämpfung zur Unterdrückung der
Weiterverbreitung von ABC-Waffen und Verhinderung einer
Verbindung zwischen internationalem Terrorismus und
Massenvernichtungsmitteln hat neben dem fortgesetzten Programm
strategischer Raketenabwehr als Rückhalt der
„Heimatverteidigung“ den Schwerpunkt der
strategischen Planung auf den Ausbau der konventionellen
– aber auch für taktisch-operative Einsätze
nuklearfähigen – Streitkräfte gesetzt. Die
Bedeutung der „Manöver- und
Expeditionskräfte“, Langstreckenangriffsmittel mit
Präzisionsabstandswaffen, strategischen Aufklärungs-,
Informations-, und Transportmittel, um Truppen schnell
über große Entfernungen zu den Zielen für
„präemptive Optionen“ zu bringen, also
insgesamt für Intervention, erscheint als Hauptinstrument
der militärischen Strategie für einen breit
aufgeschlagenen Optionsfächer.

Aktive Proliferationsabwehr, strategische und operative
Flugkörperabwehr, Nichtverbreitungspolitik,
Rüstungskontrolle, insbesondere in Kooperation mit
Russland, Japan und europäischen NATO-Staaten, aber auch
mit Israel, stehen auf einer Linie der amerikanischen
Sicherheitspolitik nebeneinander. Die
„Bush-Doktrin“ der NSS und die Praxis haben diese
Linie stärker weitergezogen bis hin zur Verbindung mit der
Bekämpfung des internationalen/transnationalen
Terrorismus.

Schurkenstaaten

Die Vorarbeiten in der Regierung Bush an einer neuen
Gesamtstrategie waren an den schon von der Regierung Clinton
zeitweilig so genannten Schurkenstaaten orientiert, d.h. an
Ländern, die nach Massenvernichtungswaffen strebten oder
auch Terror als Mittel der Politik nach außen zu nutzen
suchten bzw. die Terroristen unterstützten. Clintons
Verteidigungsminister William Cohen nannte im Februar 2001 auf
der Internationalen Sicherheitskonferenz in München Irak,
Iran, Libyen, Syrien sowie Nordkorea als Beispiele für
mögliche oder wirkliche „Schurkenstaaten mit
Schurkenraketen“. Deshalb war die sich in Washington
entwickelnde neue strategische Konzeption anfangs mit Vorrang
auf Staaten konzentriert, nicht auf terroristische
Organisationen. Staaten aber repräsentieren für alle
anderen Staaten die Souveränität, auf der jede innere
Ordnung und jedes politische Regime gründet. Also wachen
alle Regierungen bei den Vereinten Nationen über dieses
kostbare Gut des kollektiven Selbstschutzes vor fremder
Intervention. Hier liegt, wie der Fall Irak demonstriert, die
politische Hemmschwelle gegen deren völkerrechtliche
Freigabe im Einzelfall, damit auch eine offene
Legitimitätsflanke der amerikanischen Strategie
„präemptiver Optionen“ zur Intervention.

Waren im Herbst 2001 schon die politischen Widerstände
in der islamischen Welt gegen ein als Angriffskrieg
verstandenes militärisches Eingreifen der USA in
Afghanistan groß, so potenzierte sich diese Opposition,
vor allem in den Medien und in den Volksmassen, ein Jahr
später, als die amerikanischen Kriegsvorbereitungen gegen
Irak politisch und militärisch am Golf deutlich geworden
waren. Amerika erschien als fremde Vormacht, die ihre eigenen
wirtschaftlichen Interessen, vor allem die Kontrolle über
das arabische Golf-Öl, verfolgte und die irakische
Rüstung wie eine neuerliche irakische Bedrohung für
die Region nur als Vorwand nahm.

In diesem arabisch-islamischen Bedrohungsbild, das sich auch
in der verbündeten Türkei ausprägte und das
Verhältnis zu den USA kritisch belastete, wirkte sich der
unbewältigte Nahost-Konflikt als die mit Abstand schwerste
psychologische Belastung der amerikanischen Politik im Orient
aus: Amerika erschien im Medienbild und in der Volksmeinung als
Schutzmacht eines aggressiven und repressiv agierenden Israel.
Die „Antiterror“-Kampagne konnte zwar mit
Unterstützung der meisten arabischen Staaten fortgesetzt
werden, aber der Irak-Krieg veränderte die Grundlagen
dieser Kooperation zwischen Regierungen, ähnlich wie in
Europa. Die inneren Widerstände in den arabischen Staaten
wurden durch das 2004 verkündete amerikanische Programm
zur „Demokratisierung“ des Mittleren Ostens ebenso
wenig abgebaut wie durch ähnliche europäische
Vorschläge. Wie bei der Besatzungspolitik in Irak, die im
Sommer 2003 in eine blutige Krise der Okkupation unter dem
Druck von Terrorakten und einer beginnenden Guerilla umschlug,
erwies sich der Mangel an politischer Vorbereitung und
Nachbereitung der militärischen Operationen.

In dieser weit über Irak hinausreichenden und global
gegen Amerikas internationale Interessen wirkenden Doppelkrise
der amerikanischen Orient-Politik und Interventionsstrategie
zwischen Israel in Palästina und Amerika in Irak mit einer
fortdauernd gefährlichen, undurchsichtigen und latent
explosiven Nachkriegslage in Afghanistan und inneren
Krisenlatenz im verbündeten Pakistan hat sich die zweite
konstitutionelle Schwäche der amerikanischen „grand
strategy“ der Nationalen Sicherheit erwiesen: Vormacht
ist nicht gleich Ordnungsmacht, als solche haben die USA im
Nahen Osten seit 1994 nicht reüssiert.

Militärische und technologische Überlegenheit kann
strategische Suprematie bedeuten, doch diese bedarf einer den
Kräfteverhältnissen, Interessenlagen und der
Situation angemessenen Politik. Die Politik der
Gegenproliferation hat einen Erfolg in Libyen gezeitigt und im
Mittleren Osten, auch ohne dass in Irak die dort vermuteten
Massenvernichtungswaffen gefunden werden konnten, sie hat
wahrscheinlich die Proliferation nuklearer Rüstungen
aufgehalten, jedenfalls nachdem Irak, das 1991 entwaffnet
wurde, und sie hat auch Iran unter anhaltenden politischen
Druck gesetzt, solche Vorhaben aufzugeben. Dies mag noch
dauern, doch ist die „strategische
Lageveränderung“ durch den Irak-Krieg schon
eingetreten; sie bedarf der ordnungspolitischen Konsolidierung.
Hier liegt die Hauptaufgabe der amerikanischen Politik nach der
Intervention.

Die Politik des „globalen Krieges gegen den
Terror“ aber dreht sich weltweit im Kreise um eine
Galaxie nicht fassbarer flüchtiger Feinde und um einige in
Washington als „Terrorstaaten“ etikettierte
Länder, zu denen eine wachsende Zahl fragiler, vom inneren
Zerfall oder Zusammenbruch bedrohter künstlicher Staaten
in Afrika kommt, die die regionale Stabilität
gefährden und Terroristen dienen könnten. Die Lage in
Afghanistan und Westpakistan aber weist auf die Grenzen
militärischer Operationsfähigkeit gegen solche
Phantomfeinde. Dabei strapaziert die Lage in Irak unter fremder
Besatzung die innere Stabilität der prowestlichen
Regierungen arabischer Länder.

Erfolge der amerikanischen Politik wie mit Libyen
können diese Gefährdung im Mittleren Osten nicht
ausgleichen, solange der Besatzungskrieg Israels in
Palästina und der Terror palästinensischer
Extremisten gegen Israel die amerikanische Politik blockieren.
Die Feststellung des ägyptischen Präsidenten Hosni
Mubarak, eines der Hauptverbündeten der USA im Mittleren
Osten, es existiere „in der Region ein Hass auf die
Amerikaner wie nie zuvor“, bezeichnet den Punkt, in dem
der Kreis sich schließt: Die Verbindung der Konflikte um
Palästina und in Irak droht die gesamte politische
Antiterror- und Mittelost-Strategie Amerikas trotz der
militärischen Erfolge scheitern zu lassen. Andererseits
hat Amerika die Mittel zur Korrektur der Fehler, und auch in
Irak liegt eine politische Alternative zu der destruktiven
Spirale der Gewalt, die sich selber in Drehung hält, ohne
dass die große Mehrheit der Bevölkerung bisher davon
erfasst worden wäre.

Anmerkungen

1 Gekürzt abgedruckt in:
Internationale Politik,12/2002, S. 113 ff.

2 Interview mit der französischen
Tageszeitung Le Monde, 21.4.2004.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2004, S. 87-94

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