Titelthema

24. Juni 2024

Desinformation: Moskaus hybrider Krieg gegen Moldau

Es ist ein hybrider Krieg, den Moskau gegen Moldau führt: mit Desinformation und Propaganda, um das Land zu destabilisieren und die EU-Kandidatur zu konterkarieren. 

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Bild: Bildschirm mit Wladimir Putin
Von Trollfabriken in Sankt Petersburg bis zu Staatssendern wie RT: Russland ist eine der sichtbarsten und aktivsten Quellen von ausländischer Einmischung. Die Ziele: Zwietracht säen, Einfluss gewinnen, Demokratien untergraben.
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Ende April beschlagnahmte die moldauische Polizei auf dem Flughafen von Chisinau über eine Million US-Dollar in bar bei russischen und moldauischen Staatsbürgern. Ihr Vorwurf: Es handele sich um „illegale politische Finanzierung“. Die Verdächtigen waren aus Moskau zurückgekehrt, wo sie gemeinsam mit dem aus Moldau stammenden Oligarchen und Russland-Vertrauten Ilan Shor eine neue prorussische Blockpartei namens Victorie (Sieg) gegründet hatten. Shor selbst war bereits 2023 von einem moldauischen Gericht des Betrugs für schuldig befunden und in Abwesenheit zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Seine damalige Partei, eine von Moskau finanzierte Stellvertreterpartei, wurde verboten. Der Oligarch lebt jetzt teils in Moskau, teils in Israel. 

„Victorie“ hat bei der Präsidentschaftswahl der Republik Moldau im Oktober 2024 und der Parlamentswahl im Juli 2025 beste Chancen auf Erfolg. Die finanzielle und logistische Unterstützung, die sie aus Moskau erhält, ist nur das jüngste Beispiel für Russlands unverhohlene Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Republik Moldau, einem multiethnischen Land mit 2,6 Millionen Einwohnern. Es liegt zwischen Rumänien und der Ukraine; etwa drei Viertel der Bevölkerung sind rumänischsprachige Moldauer, die übrigen sind Ukrainer, Russen, Gagausen, Roma und Bulgaren. 

Obwohl Russland schon seit Anfang der 1990er Jahre Stellvertreterparteien in Moldau unterhält, macht die Episode am Flughafen deutlich, dass Russland seit Beginn des Ukraine-Krieges noch sehr viel intensiver versucht, Moldau mit Propaganda zu überschwemmen, den Staat zu destabilisieren und die moldauische EU-Kandidatur aus der Bahn zu werfen. Das wichtigste Mittel dieses erbittert geführten hybriden Krieges ist russische Desinformation. Experten schätzen, dass Moskau allein in diesem Jahr Hunderte von Millionen von US-Dollar für Desinformation und andere hybride Mittel ausgeben wird.

„Russland wird große Anstrengungen unternehmen, Maia Sandu aus dem Präsidentenamt zu stürzen und die Integration Moldaus in die EU zu stoppen“, prophezeit der moldauische Historiker Alexei Tulbure mit Blick auf Moldaus liberale und proeuropäische Präsidentin Sandu und den 2022 eingereichten Antrag des Landes auf EU-Mitgliedschaft. Die 51-jährige Sandu, eine Absolventin der Kennedy School in Harvard, ist seit Ende 2020 im Amt. Sie treibt die EU-Bewerbung Moldaus mit Hochdruck voran und hofft auf einen Beitritt möglicherweise schon 2030. „In den Augen des russischen Präsidenten Wladimir Putin gehört Moldau zu Russland, genau wie die Ukraine“, sagt Tulbure. „Das Land lockt ihn, weil es ein leichtes Opfer zu sein scheint. Er glaubt, Russland kann Moldau mit anderen Mitteln gewinnen als durch einen echten, mit Schusswaffen ausgetragenen Krieg.“

„Als die ukrainische Armee die russischen Soldaten [2022 in Mikolajew, östlich von Odessa] zurückschlug, waren die Moldauer ungeheuer erleichtert“, erinnert sich Merdijana Sadovic, die das Independent Countering Disinformation Center (ICDC) in der Republik Moldau leitet, ein Projekt des in London ansässigen Institute for War and Peace Reporting. „Aber Russland hat den Versuch, Moldau unter seine Kontrolle zu bringen, nicht aufgegeben. Seine Strategie ist es, den sozialen Zusammenhalt der Bevölkerung mit ihren unterschiedlichen Loyalitäten zu untergraben. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung verstehen Russisch, und ein Viertel identifiziert sich stark mit Russland“, sagt Sadovic.


Russischer Klientelismus 

Russische Desinformation ist die stärkste Waffe in einer hybriden Kriegsführung, zu der auch die Finanzierung von russischen Stellvertreterparteien wie Victorie, Stimmenkauf, wirtschaftliche Täuschung, Cyberkriminalität, Bestechung und Wahlbetrug gehören.

Victoria Dodon, Chefredakteurin des Independent Journalism Center (IJC), einer Nichtregierungsorganisation in Chisinau, erklärt, die Desinformation werde verbreitet von „politisch nahestehenden Medien und Medien mit einer Kreml-freundlichen redaktionellen Agenda, bezahlten Journalisten, Fake News verbreitenden Portalen, Internet-Trollen und über Social-
Media-Konten“. Diese Quellen setzten manipulative Techniken ein „wie die einseitige Darstellung von Fakten oder Ereignissen, das Weglassen zentraler Fakten, das Zitieren einer einzigen Meinung oder Sichtweise, ohne diese mit alternativen Sichtweisen auszubalancieren, und die Manipulation statistischer Daten oder von Umfrageergebnissen“. 

Ein großer Teil der Propaganda besteht aus russischen Nachrichtensendungen und Kulturprogrammen, die direkt von offiziellen russischen Fernsehkanälen wie Kanal Eins (ORT), NTV oder RU.TV übernommen werden. Sie geben den Putin-Trommelwirbel Schlag für Schlag wieder. Viele Moldauer, besonders in den russischsprechenden Regionen, haben nie andere Medien oder andere Argumente vernommen. Daneben produzieren prorussische moldauische Medien wie das gagausische Staatsfernsehen GRT maßgeschneidertes Material mit Botschaften, die den Nerv der moldauischen Minderheiten treffen. Dazu gehören Behauptungen wie zum Beispiel, dass es Pläne für ein Groß-Rumänien gebe, dass die EU-Mitgliedschaft nur ein Schritt zur NATO-Mitgliedschaft sei, dass die Europäer Moldau aufkaufen würden, dass Flüchtlinge das Land überfluten würden und die Minderheiten ihrer autonomen Regionen beraubt werden sollten. 

Sadovic räumt ein, dass ein Grund für die Attraktivität der russischen Programme deren herausragende Qualität ist. ­Besonders die kulturellen Angebote würden hochwertig produziert und seien deswegen viel besser als vergleichbare moldauische Programme. Das, sagt Sadovic, sei Soft Power, die Russland auf sehr effektive Weise im gesamten Land einsetze. In den überwiegend russischsprechenden Territorien Gagausien in Zentral-Moldau und Transnistrien im Osten sind die russischen Medien die wichtigste Informationsquelle. Genau in diesen Regionen ist die Opposi­tion gegen die Regierung Sandu und ihren prowestlichen Kurs am heftigsten.

Putins Absichten in Moldau sind kein Geheimnis. Russische Nationalisten erinnern daran, dass Russland seit dem frühen 19. Jahrhundert immer wieder Teile der heutigen Republik Moldau beherrscht hat. Als sich die Sowjetrepublik Moldau 1991 für unabhängig erklärte, unterstützte Moskau im Osten des Landes prorussische Rebellen während eines viermonatigen Bürgerkriegs, der das Land gespalten zurückließ. Seither sind etwa 1500 russische Soldaten in Transnistrien stationiert, einem abtrünnigen Landstrich im äußersten Osten Moldaus. Dort, am Schauplatz eines der „eingefrorenen Konflikte“ des früheren Sowjetraums, weht die russische Flagge neben der Flagge der Sozialistischen Republik Moldau. Die autonome Region Ga­gausien, in der die Balkan-Minderheit der Gagausen lebt und wo vor allem Russisch gesprochen wird, ist für Moskaus Pläne in Moldau ebenso wichtig. 

2014, als sich die Ukraine endgültig gegen Russland stellte, geriet ­Transnistrien in eine schwierige Lage: Der schmale Landstrich liegt seither zwischen einem EU-freundlichen moldauischen Staat, der im Westen vom EU-Mitglied Rumänien unterstützt wird, und der Ukraine im Osten, die Russland ebenfalls feindlich gesinnt ist. Anfang 2022, als Russland in die Ukraine einmarschierte, versuchten russische Soldaten einen Durchbruch bei der ukrainischen Stadt Odessa, um eine Verbindung zu den in Transnistrien sta­tionierten russischen Einheiten herzustellen und die gesamte Republik Moldau zu besetzen. Dies scheiterte allerdings an der ukrainischen Armee. 


Desinformation verbieten

Als so lähmend empfindet die Regierung Sandu die russische Medienpräsenz, dass sie den außerordentlichen Schritt ging, russische Propaganda zu verbieten. Ein Gesetz, das nach der Invasion der Ukraine 2022 verabschiedet wurde, sieht vor, dass die Hälfte der von den Fernsehsendern ausgestrahlten Inhalte aus der EU, den USA und aus Staaten stammen muss, die die Medienstandards des Europarats ratifiziert haben. Die Behörden schlossen sechs inländische Fernsehsender und Dutzende von Internetseiten, darunter die Nachrichtenkanäle Pervii Canal, NTV und RTR-Planeta ebenso wie Webseiten der russischen Armee und mehrere Webseiten, die Verbindungen zur russischen orthodoxen Kirche haben. Die moldauische Ministerpräsidentin Natalia Gavrilița begründete das damit, dass die geschlossenen Sender einen Informationskrieg zugunsten Russlands gegen Moldau geführt hätten, mit dem Ziel, die gewählte Regierung zu stürzen. „Wir haben die Verantwortung und sogar die Pflicht, unsere Bürger und das Land zu schützen“, sagte sie. Gavrilița erklärte auch, die Maßnahmen würden „den Informationsraum im Land schützen und Manipulation und Propaganda von korrupten und besonders gefährlichen Elementen unterbinden“.

Die Schließungen lösten einen Aufschrei der Empörung gegen die Zensur aus. Russland und die prorussischen politischen Kräfte und Medien in Moldau verurteilten die Maßnahme. Regional­politiker warfen Präsidentin Sandu vor, sie sei eine Marionette des Westens und weigere sich, Russland konstruktiv zu begegnen. Aber auch Kritiker wie die moldauische Medienanwältin Cristina Durnea äußerten Bedenken. Die Rechtsgrund­lage für die Verbote sei zweifelhaft, und es bleibe der Eindruck, dass die Regierung aus kurzsichtigem politischem Opportunismus handele.

„Moskau will zeigen, das 
es noch Einfluss auf die 
strategischen Entwicklungen in dieser Region hat“

Abgesehen vom demokratischen Ethos stellt sich auch die Frage nach der Wirkung der Gesetze und Verbote. Sprecher der Regierung erklärten, durch die Maßnahmen sei die Luft von der allergiftigsten Propaganda gereinigt worden. Andere meinen, die russischen und prorussischen Stimmen hätten lediglich die Plattform gewechselt. Die umstrittenen Programm­inhalte würden von anderen Sendern verbreitet, wobei ein Teil ins Internet abgewandert sei, vor allem zum sozialen Medium Telegram. Das IJC argumentiert, die rechtlichen Schritte seien nicht effektiv gewesen, weil es den Behörden nicht gelungen sei, geklonte Webseiten zu beseitigen und die Rundfunksender auf Verfahren zur Verhinderung von Desinformation zu verpflichten, wie zum Beispiel zur Einführung von Geldbußen für Fehlinformationen und Hassreden.

Die Republik Moldau verfügt über eine Vielzahl staatlicher und zivilgesellschaftlicher Institutionen, die das Mandat haben, Desinformation und Einmischung aus dem Ausland zu bekämpfen. Seit über 25 Jahren fördert das IJC journalistische Standards mittels Schulungen, Unterstützung, Forschung und Lobbyarbeit. Die nichtstaatliche Initiative ICDC (Independent Countering Disinformation Centre) in Chisinau bemüht sich, moldauische Organisationen und Journalisten in die Lage zu versetzen, sich besser gegen Desinformationsoperationen zu wehren. Sadovic sagt, das Ziel sei, die moldauische Öffentlichkeit zu lehren, kritisch über Medien nachzudenken, „damit sie Desinformation erkennt, wenn sie damit konfrontiert ist“. ICDC bietet landesweit Workshops an.

Bei einer vor Kurzem veröffentlichten Umfrage von Chatham House bei moldauischen und internationalen Experten sagten 77 Prozent der Befragten, in Moldau nehme die Widerstandskraft gegen bösartige Einflüsse in den Medien zu. Allerdings warnen die Experten des IJC vor einer so positiven Einschätzung. Sie weisen darauf hin, dass es keine Untersuchungen zur Evaluierung des Phänomens gegeben habe. Die Desinformation im Internet, sagen sie, sei so wild wie eh und je.

Die Präsidentschaftswahl im Oktober wird ein Barometer für den Kampf um die Köpfe und Herzen der Moldauer sein. Am Wahltag werden die moldauischen Bürgerinnen und Bürger auch darüber abstimmen, ob das Streben ihres Landes nach EU-Mitgliedschaft in der Verfassung verankert werden soll. „Moldau ist nach wie vor tief gespalten, und Russland wird alles tun, um das Referendum zu sabotieren und um Sandu loszuwerden“, sagt der Historiker Tulbure. „Es geht nicht um Gebietsgewinne, sondern darum, dass Moskau zeigen will, dass es immer noch Einfluss auf die strategischen Entwicklungen in diesem Teil der Welt hat.“

Aus dem Englischen von Bettina Vestring      

Dieser Artikel ist in der gedruckten Version unter dem Titel „Russlands zweite Front" erschienen.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2024, S. 31-35

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Paul Hockenos ist freier Autor in Berlin.

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