In der Warteschleife
Drei amerikanische Ex-Botschafterinnen erzählen über ihre Erfahrungen bei den Vereinten Nationen – Frauen, die US-Außenpolitik geprägt haben und sie künftig wieder prägen könnten.
Susan Rice, Samantha Power und Nikki Haley – sie alle verbindet eines: das Amt der Ständigen Vertreterin der USA bei den Vereinten Nationen in New York. Rice und Power waren beide unter Präsident Barack Obama im Amt, Haley unter Donald Trump, von Anfang 2017 bis Anfang 2019. Alle drei Frauen haben nahezu zeitgleich im vergangenen Herbst ihre Erfahrungsberichte veröffentlicht; für alle drei sind sie ein Mittel, um politisch in den USA im Gespräch zu bleiben und sich für neue politische Ämter ins Gespräch zu bringen, wenn die Zeit dafür reif ist. Die haben sie: Alle Frauen sind erst um die 50 Jahre alt; kein Alter, um die politische Karriere mit einer „klassischen“ Autobiografie zu beenden.
Rice, Power und Haley waren als US-Botschafterinnen bei den UN politisch Ernannte und keine Berufsdiplomatinnen. Sie konnten damit während ihrer Amtszeit einen relativ großen Einfluss innerhalb der US-Regierung und damit auch bei den Vereinten Nationen ausüben.
Das Amt selbst ist dafür geradezu prädestiniert, waren doch die meisten US-UN-Botschafter seit 1953 Mitglied des Präsidentenkabinetts und im Nationalen Sicherheitsrat. Zuweilen „mutieren“ die Ständigen Vertreter zu einem zweiten US-Außenminister, was zu offenen Konflikten in Washington führen kann.
Susan Rice und Samantha Power arbeiteten unter Obama direkt zusammen: Er ernannte Rice zur Ständigen Vertreterin bei den UN und rekrutierte Power als Sonderberaterin des Präsidenten und leitende Direktorin für Multilaterale Angelegenheiten und Menschenrechte im Nationalen Sicherheitsrat. Anders als die beiden, die in Washington aufgewachsen sind (Rice) oder die Stadt zumindest lange kennen (Power), kam Nikki Haley neu nach Washington; zuvor war sie Gouverneurin in South Carolina. In ihrem Buch nimmt Haley kein Blatt vor den Mund, vor allem, was ihre Meinungsverschiedenheiten mit Rex Tillerson angeht, der unter Trump gerade einmal ein Jahr Außenminister war.
Die Strategin
Susan Rice, die zuletzt Nationale Sicherheitsberaterin unter Obama war, liefert eine sehr detailreiche, zuweilen geradezu überfrachtete Autobiografie. Und obwohl sie immer wieder etwas über ihr Privatleben und ihre Familiengeschichte schreibt, bleibt der Mensch Susan Rice selbst nebulös. Rice erwähnt, dass sie kaum Zeit zur Selbstreflexion hat; vermutlich nimmt sie sich aber auch nicht die Zeit. Private Themen sind die Geburt ihrer Kinder, die Herausforderung, Familie und Beruf zu vereinbaren, und ihre Leidenschaft für Basketball. Gegen Ende ihrer Autobiografie nehmen die persönlichen Schilderungen noch stärker ab.
Dass sie als einzige farbige Frau im UN-Sicherheitsrat saß, war für Rice keine ganz neue Erfahrung. Schon in ihrer Kindheit hatten sie und ihre Familie mit Diskriminierung zu kämpfen. Ausführlich schildert Rice dies anhand der Migrationsgeschichte ihrer Großeltern aus Jamaika und ihrer Eltern. Die Eltern erkämpften sich vieles: Ihr Vater Emmett Rice war Mitglied des Gouverneurrats der US-Zentralbank und Manager bei der Weltbank. Mutter Lois Rice war lange Jahre Vizepräsidentin des College Boards, einer amerikanischen gemeinnützigen Prüfungskommission, bestens vernetzt in Washington.
Susan Rice, die nach eigener Aussage bereits mit zehn Jahren wusste, dass sie Senatorin werden wollte, profitierte von diesen Verbindungen sehr. Bereits in frühen Jahren waren ihre Eltern mit der ehemaligen UN-Botschafterin und späteren Außenministerin Madeleine Albright und ihrer Familie befreundet. Albright war es schließlich, die Obama Susan Rice für das Amt der UN-Botschafterin empfahl. Zuvor hatte Rice Obama als außenpolitische Beraterin im Wahlkampf unterstützt.
Krisen und Konflikte in den Vereinten Nationen erlebte Rice jedoch nicht erst im UN-Sicherheitsrat. Eindringlich beschreibt sie, wie sehr der Bürgerkrieg in Somalia und die Tötung amerikanischer Soldaten sowie der Genozid in Ruanda und die Machtlosigkeit der UN sie schockiert hätten. Mit Ende 20 war sie unter Bill Clinton Direktorin für internationale Organisationen und Friedenssicherung und später Direktorin für afrikanische Angelegenheiten im Nationalen Sicherheitsrat. Dabei erlebte sie hautnah die regierungsinternen Handlungsblockaden.
Diese Ereignisse waren für Rice im Libyen-Konflikt 2011 handlungsleitend, weshalb sie sich zusammen mit Samantha Power und der damaligen Außenministerin Hillary Clinton gegenüber Präsident Obama für ein stärkeres Engagement der USA einsetzte, um einen Genozid zu verhindern. In ihrer Autobiografie wird immer wieder deutlich, dass Rice sich primär für sicherheitspolitische Themen interessiert und eher strategisch vorgeht als normativ, wie es Samantha Power tut. Ihr rauer Ton spricht sich auch bei den UN herum. Als Beispiel für ihren Verhandlungsstil führt sie an, dass sie Delegationen immer mal wieder mit einem Foto des UN-kritischen Botschafters John Bolton drohte: Der könne gern zurückkehren, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt würden.
Die Idealistin
Wesentlich persönlicher und emotionaler als die Autobiografie von Susan Rice fällt die der Pulitzer-Preisträgerin Samantha Power aus. In ihrem Buch geht es um eine sehr grundsätzliche Frage: Welche Prinzipien entwickeln die Menschen im Laufe ihres Leben? Und wie hart werden diese von der Politik auf die Probe gestellt?
Power schreibt über ihre Kindheit in Irland, über ihren Vater, der sich zu Tode trank, und darüber, wie sie zusammen mit ihrem Bruder Stephen und ihrer Mutter in die USA auswanderte, um ein neues Leben zu beginnen. Wie Rice interessierte sich Power schon früh für amerikanische Außenpolitik; zunächst plante sie jedoch nicht, Teil des Systems zu werden. Während die politischen Schlüsselerlebnisse für Rice in Afrika stattfanden, war es für Power der Jugoslawien-Krieg in den 1990er Jahren – die Massenmorde an der Zivilbevölkerung und das lange tatenlose Zuschauen der internationalen Gemeinschaft, gerade der USA.
Als junge Berichterstatterin schmuggelte sie sich als angebliche Reporterin in das Krisengebiet, um aus erster Hand über die Geschehnisse zu erzählen. Früh entwickelte sie ein Engagement für den Schutz von Menschenrechten weltweit, früh begann sie, Forderungen an die amerikanische Politik zu formulieren. Mit Anfang 30 verfasste Power ihr preisgekröntes Buch „A Problem from Hell: America and the Age of Genocide“, in dem sie Amerikas internationale Verantwortung für die Verhinderung von Genoziden akribisch herleitet. Darin verurteilt sie auch Rices abwartendes Verhalten beim Genozid in Ruanda.
Im jungen US-Senator Obama findet sie ihren „Seelenverwandten“ und arbeitet mit ihm zusammen, insbesondere beim Darfur-Konflikt. Später unterstützt sie mit Rice Obamas Präsidentschaftswahlkampf. Als Obama sie nach seiner Amtsübernahme zunächst in den Nationalen Sicherheitsrat beruft, muss sich Power als Außenstehende erst einmal in ihre Arbeit einfinden – es gelingt ihr nicht immer. Einer ihrer Mentoren ist der Diplomat Richard Holbrooke, der ihr zeigt, wo sie etwas gezielt bewirken kann, ohne auf große Widerstände zu stoßen. Sie widmet ihm 2011 eine ganze Biografie.
Als Ständige Vertreterin der USA bei den UN ist Power auf der anderen Seite angekommen, in der Politik. Nun, so ihre Erkenntnis, kann und muss sie selbst zur Verbesserung der US-Außenpolitik beitragen, statt sie nur zu kritisieren. Trotz zahlreicher Erfolge wie der amerikanischen Unterstützung bei der Bekämpfung der Ebola-Krise 2014 muss Power erfahren, dass der Syrien-Konflikt weiter unlösbar bleibt und die Ukraine-Krise die Spannungen mit Russland erhöht. Power lieferte sich im UN-Sicherheitsrat mit ihrem russischen Amtskollegen Vitaly Churkin einen regelmäßigen Schlagabtausch. Privat dagegen verstanden sich die beiden offenbar recht gut.
Power blieb im Grundsatz stets eine Idealistin – sicher nicht leicht durchzuhalten, wenn man seine politische Sozialisation innerhalb der US-Regierung erlebt. Schmerzhaft musste sie erfahren, dass ihre normativen Ansprüche nicht immer politisch durchsetzbar waren.
Die Dogmatikerin
Eine ganz andere Geschichte präsentiert Nikki Haley in ihrem Bericht über ihre zweijährige Amtszeit als US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen. Ihr Buch zeichnet sich durch eine im Vergleich zu Rice oder Power wesentlich einfacher gehaltene Sprache aus. Zudem schreibt Haley selten Persönliches, was der Tatsache geschuldet sein mag, dass sie ihre Autobiografie bereits 2012 veröffentlicht hatte. Insgesamt liest sich ihr Buch wie ein Pamphlet gegen die Politik Obamas und wie ein Lob des ihrer Ansicht nach notwendigen Neustarts unter Donald Trump. Immer wieder betont sie, dass amerikanische Interessen zu wenig berücksichtigt würden, sei es beim Iran-Konflikt oder bei der multilateralen Arbeit in den Vereinten Nationen insgesamt.
Haley zufolge hatte Trump schon länger ihre politische Karriere in South Carolina beobachtet, bevor er sie überraschenderweise nach New York einlud, um mit ihr darüber zu sprechen, ob sie sich die Position der US-Botschafterin bei den UN vorstellen könne. Sie nahm das Angebot gern an, obwohl sie keinerlei außenpolitische, geschweige denn UN-Erfahrung hatte. Trump schätzte allerdings ihr Verhandlungsgeschick – eine Fähigkeit, die im komplexen UN-System wichtig ist.
Haley nutzte die UN in erster Linie als Bühne, um gegen andere Staaten Vorwürfe zu richten, aber auch dafür, ihren eigenen Bekanntheitsgrad zu steigern. Ihr großes Vorbild war dabei, so schreibt sie, die UN-kritische Jeane Kirkpatrick, die in Präsident Ronald Reagans erster Amtszeit Ständige Vertreterin der USA bei den UN war und seinerzeit schon das Abstimmungsverhalten von Staaten in der Generalversammlung dokumentierte.
Ähnlich ging Haley vor – wobei sie diesen undiplomatischen Schritt als vornehmlich eigene Erfindung ausgibt –, um mehr Druck auf die übrigen Mitgliedstaaten auszuüben; immer in der Hoffnung, dass diese den USA folgen. Haley betont wiederholt ihren direkten Kontakt zu Trump, der ihr sowohl in Washington als auch in New York größeren Einfluss und Handlungsspielraum ermöglichte. Auffällig oft weist sie darauf hin, dass sie im Guten mit Trump ihre Botschaftertätigkeit bei den UN beendet habe. So nutzt sie ihr Buch für eine mögliche weitere politische Karriere nach einem Präsidenten Trump.
Ohnmächtige Weltmacht
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Autorinnen ihre Bücher zur Rechtfertigung ihres politischen Handelns nutzen. Bei Susan Rice geht es unter anderem darum, sich gegen die Vorwürfe zu wehren, ihr Krisenmanagement beim Terroranschlag auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi 2012 sei unzulänglich gewesen. Dies hatte sie seinerzeit die mögliche Beförderung zur Außenministerin gekostet. Bei Samantha Power sind es ihre ursprünglich hohen normativen Ansprüche an US-Außenpolitik und das Aufzeigen von Grenzen ihres Handelns. Nikki Haley geht es vor allem darum, sich von Trump abzugrenzen, ohne in seine Ungnade zu fallen.
Auf der Habenseite stehen bei Rice und Power vor allem eine positivere Rolle der USA in der Weltgemeinschaft nach den schwierigen Jahren unter Präsident George W. Bush. Haley schließlich mag darin einen Erfolg gesehen haben, unabhängig von Mehrheitsmeinungen in den UN eine klare Haltung der USA zu Israel, Menschenrechten und anderen Themen gezeigt zu haben.
Die größten Misserfolge für Rice, Power und Haley, die alle drei begleitet haben, waren und sind der noch immer ungelöste Konflikt in Syrien und generell Amerikas Abwesenheit in der Region. Das zeigt die Grenzen von Individuen und des Amtes auf: wenn eine Weltmacht in Zeiten einer multipolaren Weltordnung selbst ohnmächtig ist.
Was Susan Rice in ihrer Autobiografie nicht erwähnt: Seit dem Ende der Regierung Obama geht sie ihrer Leidenschaft für außenpolitische Themen weiterhin nach, indem sie regelmäßig Kommentare für die New York Times schreibt. Außerdem ist sie Gastwissenschaftlerin an der School of International Service der American University und Senior Fellow am Belfer Center for Science and International Affairs der Harvard Kennedy School.
Samantha Power lehrt wieder an der Harvard University, wo sie einst arbeitete. An der Harvard Kennedy School ist sie sowohl dem Carr Center als auch, wie Rice, dem Belfer Center angegliedert, wo sie als Direktorin eines neuen internationalen Friedens- und Sicherheitsprojekts tätig ist. Nikki Haley war zuletzt Verwaltungsrätin bei Boeing. Vor Kurzem trat sie jedoch zurück. Grund war ein Konflikt um Staatsgelder in der Corona-Krise. Haley lehnte aus Prinzip ab, dass sich Boeing bei der Regierung um Unterstützung bemüht und reichte deshalb im März ihren sofortigen Rücktritt ein. Sie fürchtet, dass mit staatlichen Rettungsaktionen von Unternehmen in den USA politisch nichts gewonnen werden kann.
Für alle drei Frauen gilt: Sie warten höchstwahrscheinlich auf den richtigen Zeitpunkt nach Trump, um sich wieder um politische Ämter in einer neuen Regierung ins Gespräch zu bringen – oder im Kongress.
Dr. Patrick Rosenow ist Leitender Redakteur der Zeitschrift Vereinte Nationen.
Susan Rice: Tough Love. My Story of the Things Worth Fighting For. New York City: Simon & Schuster 2019. 544 S., 27,99 €
Samantha Power: The Education of an Idealist: A Memoir. New York City: Dey Street Books 2019. 592 S., 13,99 €
Nikki Haley: With All Due Respect: Defending America with Grit and Grace. New York: St. Martin’s Press 2019. 320 Seiten, 13,44 €
Internationale Politik 3, Mai/Juni 2020, S. 120-123