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01. Okt. 2008

Der Vorreiter fällt zurück

Wolken über dem Sonnenland: die japanische Solarindustrie in Bedrängnis

Nirgends heizen so viele Sonnenkollektoren Wasser oder liefern Strom wie in Japan. Doch Konkurrenz durch neue Solarzellenhersteller schürt die Angst der Produzenten, den Anschluss an den globalen Sonnenenergieboom zu verlieren.

Bereits 2006 hatte Deutschland Japan als größten Solarzellenmarkt abgelöst, 2007 verdrängte der deutsche Neueinsteiger Q-Cells auch noch den altehrwürdigen Elektronikkonzern Sharp von seinem Platz als weltgrößter Hersteller. Sharp droht sogar hinter den chinesischen Neuankömmling Suntech Power zurückzufallen. Japans Solarzellenhersteller kündigten als Reaktion auf die Konkurrenz in den vergangenen Monaten einen massiven Ausbau ihrer Produktion an. Sharp will seine jährliche Kapazität bis 2010 mit einem neuen Werk für Dünnschicht-Solarzellen von derzeit 0,7 Megawatt auf 1,7 Megawatt aufstocken, 2011 soll ein erstes Solarkraftwerk mit dem regionalen Stromversorger Kansai Electric Power folgen.

Auch die Regierung wird wieder aktiv. 2005 hatte sie ihre Subventionspolitik ausgesetzt und dadurch die Binnennachfrage bis 2007 um rund ein Drittel verringert. 2007 hatte Japans Ministerpräsident Shinzo Abe mit dem Klimaschutzplan Cool Earth 50 vorgeschlagen, global die Treibhausgasemissionen bis 2050 zu halbieren – wie das genau geschehen sollte, spezifizierte er nicht. Erst sein Nachfolger Yasuo Fukuda formulierte als Japans Beitrag zum G-8-Gipfel in diesem Jahr mit der „Fukuda-Vision“ konkretere Ziele: Danach will Japan die eigenen Treibhausgasemissionen bis 2050 um 60 bis 80 Prozent senken und alternative Energien wie die Sonnenenergie stärken. Ende 2007 lag die installierte Kapazität bei 1,7 Megawatt – das ist weniger als ein japanisches Atomkraftwerk. Bis 2050 soll die Effizienzrate der Solarenergie auf 40 Prozent verdoppelt und der Kilowattpreis von Sonnenstrom auf ein Siebtel und damit auf Atomstromniveau gesenkt werden.

Gefangen in der Nische

Doch unabhängige Beobachter beurteilen die Erfolgsaussichten der wohlklingenden Pläne kritisch. „Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft der japanischen Solarpolitik“, sagt Tetsunari Iida, Chef des Instituts für nachhaltige Energiepolitik. Der ehemalige Nuklearingenieur hat sich seit 1999 zu einem der einflussreichsten Lobbyisten für die Solarenergie entwickelt. „Ich fürchte, dass die japanischen Unternehmen gegen Q-Cells, Suntech und andere Neueinsteiger verlieren werden.“ Ein Grund dafür ist die Rolle der Sonnenenergie in der staatlichen Energiepolitik, ein anderer das Geschäftsmodell der japanischen Firmen.

Obwohl die Solartechnik sich zuerst in Japan zu nennenswerter Größe entwickelt hat, ist sie in der staatlichen Energiepolitik de facto nur ein kleiner Posten. Denn ein Bündnis aus dem mächtigen METI (Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie) und den Stromerzeugern will Sonnenstrom in einer kleinen Nische halten und die bisherige Energiestrategie verteidigen: Vorrang für die Atomkraft mitsamt Wiederaufbereitungsanlagen und schnellen Brütern, Kontrolle des Stromnetzzugangs durch die Stromkonzerne und daher folgerichtig die Eindämmung unabhängiger Stromerzeugung aus Sonne, Wind und Biomasse.

In den Anfangsjahren der Solarindustrie sah das noch anders aus. Japan entdeckte die Sonnenkraft nach der Ölkrise Anfang der siebziger Jahre, um fossile Brennstoffe zu sparen. Während in Deutschland an autofreien Sonntagen Fußgänger auf den Autobahnen flanierten, ging in Japan nach zwei Dekaden Wachstum die Angst um, die gesamte Industrie könnte ausgelöscht werden. Neben Energiesparprogrammen, die Japans Industrie noch heute zu einer der energieeffizientesten der Welt machen, startete die Regierung das „Sonnenscheinprogramm“. Damit subventionierte sie Häuslebauern den Kauf von Sonnenkollektoren für die Warmwassergewinnung und gab den Anstoß für die Gründung der japanischen Solarindustrie. Einen weiteren Wachstumsschub bekam sie, als sich die Stromkonzerne durch eine freiwillige Abnahmeerklärung von Sonnenstrom zu Beginn der neunziger Jahre ein grünes Image zu geben versuchten. Der Staat entwickelte ein neues Subventionsprogramm. Der darauf folgende Boom der Solarenergie mutete im Weltmaßstab beachtlich an, auch wenn sie in der japanischen Energiepolitik nicht mehr als eine kleine Nische einnahm. Anderswo verbreiteten sich die Sonnenwandler schließlich noch langsamer.

Doch den nächsten Schritt, dem Sonnenstrom daheim zum wirklichen Durchbruch zu verhelfen, will das METI nicht mitgehen: Konsequent verweigert es die Einführung eines Energieeinspeisegesetzes, wie es Deutschlands Solarindustrie zum Höhenflug verholfen hat und nun weltweit nachgeahmt wird. In Deutschland subventioniert der Staat nicht wie in Japan die Anschaffung der Anlagen. Stattdessen müssen Stromkonzerne Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu einem höheren als dem Normalpreis abnehmen. Die Mehrkosten werden auf die Verbraucher umgelegt. Diese Politik hat auch in Japan Anhänger. Der Chef des Instituts für nachhaltige Energiepolitik Iida hatte im Jahr 2000 eine Koalition für ein japanisches Energieeinspeisegesetz geschmiedet – aus Kommunisten bis zu damals wie heute regierenden Politikern der konservativen Liberaldemokratischen Partei (LDP). „Aber wir scheiterten knapp am extremen Widerstand des METI und der Stromkonzerne“, erinnert er sich heute.

Auch in dem Ende August vorgelegten Subventionsplan für die ambitionierte Fukuda-Vision hält das METI an der reinen Subventionierung des Kaufpreises fest. Das Energieeinspeisegesetz, in Japans Fachpresse hochgelobt, wird als schädlich verteufelt. Der frühere METI-Minister Akira Amari behauptete im Frühjahr, dass die Deutschen wegen des grünen Stroms ein Drittel mehr zahlten als die Japaner. Berücksichtigt man bei dem Vergleich allerdings die Stärke des Euro, ist der Unterschied gar nicht so groß.

Teure Liebe zur Technik

Ein weiteres Problem der japanischen Unternehmen: Gegenüber den jungen Riesen der Branche haben sie Nachteile im Wettbewerb. Die Solar-Neueinsteiger sind horizontal organisiert, leisten also weniger Arbeitsschritte und Forschung selbst. Dadurch können sie schnell auf Marktveränderungen reagieren. Gleichzeitig legen sie dank ihrer Kundenorientierung mehr Wert auf das Preis-Leistungsverhältnis als auf die höchste Effizienz bei der Umwandlung von Sonnenlicht in Strom. Nokia auf dem Mobilfunk- oder Apple auf dem Computermarkt verfolgen eine ähnliche Strategie.

Die japanischen Hersteller hingegen sind vertikal integrierte Abteilungen großer Konzerne. Sie versuchen, die gesamte Wertschöpfungskette im eigenen Haus zu halten – von der Forschung über die Solarzellen- bis hin zur Modulproduktion und zum Vertrieb. Zugleich sind sie vom Wettbewerb auf dem heimischen Markt und der technikverliebten Unternehmenskultur darauf getrimmt, vor allem auf die beste Energieumwandlung zu setzen. Die bedeutet hohe Entwicklungskosten und Produktpreise und damit unter Umständen sinkende Absatzchancen im Ausland. Im Gegensatz zu den reinen Solarzellenherstellern konkurrieren sie als Konzernabteilung mit anderen Unternehmensbereichen um Investitionen. Hat der Konzern andere Prioritäten, kann sich die Umsetzung von Projekten verlangsamen. Dies ist gefährlich, denn Solarzellen entwickeln sich vom lukrativen Hightech-Produkt zur Massenware: Die Firmen müssen wie bei Halbleitern und Flachfernsehern in immer schnellerer Folge mehr Geld in größere Fabriken investieren, um noch profitabel produzieren zu können. Wer im Investitionswettlauf aus dem Tritt gerät, ist draußen, da kann die Technik noch so gut sein.

Bei Handys haben die Japaner mit ihrem vertikalen Geschäftsmodell auf globaler Ebene bereits gegen Nokia und Co. verloren. Beim Bauteil Solarzellen ist der Ausgang des Rennens allerdings offener als beim Endkundenprodukt Handy. Erstens ist die Halbleiterschicht noch einer der einfachsten Teile der Zellen. Die Technik darunter ist aufwändiger herzustellen, und in diesem Bereich ist es schwerer, die Japaner von der Weltspitze zu verdrängen. Zweitens werden Solarzellen in vielen Bereichen eingesetzt. Um die verschiedenen Bedürfnisse zu befriedigen, können die Konzerne indirekt von der Experimentierfreude und der hohen Umsetzungsgeschwindigkeit neuer Techniken aus Japan profitieren. Toyota zum Beispiel will ab 2009 die nächste Generation seines Hybridmodells Prius mit Solarzellen von Kyocera noch benzinsparender machen. Es gibt also noch Hoffnung, dass Japans Solarindustrie ihre Vorbildrolle halten kann.

MARTIN KOELLING ist Korrespondent der Financial Times Deutschland  in Tokio.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 10, Oktober 2008, S. 45 - 47

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