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01. Sep 2015

Der Kampf um die Herzen

Warum die arabische Aufstandsbekämpfung eine Geschichte des Scheiterns ist

Als „heikles und langwieriges Geschäft“ beschrieb einst Lawrence von Arabien die Aufstandsbekämpfung – „als wenn man Suppe mit einem Messer äße“. Gelingt es nicht, die Rebellen von der Gesellschaft zu trennen, in die sie eingebettet sind, wird jeder militärische Erfolg ein Pyrrhussieg bleiben. Beispiele aus Ägypten, Algerien, dem Irak und Jemen.

Die arabische Welt kommt nicht zur Ruhe. Derzeit tobt ein „Krieg gegen den Terror“, wie ihn die Region selten zuvor erlebt hat. Nie gab es so viele terroristische Netzwerke, Guerilla-Gruppen und Milizen, die gegen die Regierung kämpfen, wie zurzeit. In Ägypten, im Irak, in Algerien und im Jemen haben sich die Regierungen mit Aufständen unterschiedlichster Art auseinanderzusetzen. Dabei erfahren sie stillschweigende oder offene Unterstützung von westlichen Regierungen.

Leider sind die arabischen Staaten nicht besonders gut in dem, was man als Aufstandsbekämpfung bezeichnet. Ägyptens Kampagne auf dem Sinai etwa ist gerade in ihr viertes erfolg­loses Jahr getreten; im Jemen haben sich die Huthi-Rebellen zurückgemeldet, und das nach einer Dekade, in der nicht weniger als sechs militärische Kampagnen gegen sie geführt wurden; Algerien schließlich hat in den neunziger Jahren einen offenen Krieg gegen islamistische Netzwerke geführt, ihn aber niemals vollständig gewonnen – terroristische Aktivitäten haben sich im Maghreb nicht nur in den 2000er Jahren fortgesetzt, der Terror ist wieder auf dem Vormarsch.

Trotz jahrelanger Ausbildung und 25 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern ist es nicht gelungen, einen irakischen Sicherheitsapparat zu schaffen, der in der Lage wäre, eine protostaatliche Organisation wie den Islamischen Staat im Irak und der Levante (ISIL) zu besiegen oder zumindest einzudämmen. Ebenso sind die libyschen und syrischen Sicherheitskräfte an der Aufgabe gescheitert, die Aufstände gegen die jeweiligen Regierungen zu unterdrücken. Woran liegt es, dass die Aufstandsbekämpfung für Regierungen im Nahen Osten und in Nordafrika so schwierig zu sein scheint?

Eine nichtmilitärische Aufgabe

Zunächst einmal ist Aufstandsbekämpfung aus einer militärischen Perspektive etwas, das sich bestimmten intuitiven Grundannahmen nicht fügen mag. Gewalt anzuwenden, um der Gewalt zu begegnen, zeitigt hier für gewöhnlich nicht die gewünschten Resultate. Obwohl die Aufstän­dischen unter anderem Scharf­schützen, Entführungen und Selbstmordattentate einsetzen, sind ihre Chancen, einen regelrechten militärischen Sieg zu erringen, gering – ebenso wie auf der anderen Seite die ­Aussichten der Regierung, sie vernichtend zu schlagen.

Selbst da, wo es dem Militär gelingt, einen Aufstand zeitweise niederzuschlagen – wie Frankreich 1957 in der „Schlacht von Algier“ – führen die Kämpfe letztlich dazu, dass sich noch mehr Menschen den Aufständischen anschließen. Kurzfristige Siege übersetzen sich nicht in langfristige Stabilität. Und so sind einige der heute stattfindenden Aufstände in der arabischen Welt, sei es in Algerien, im Jemen oder im Irak, das direkte Ergebnis vorhergehender Operationen gegen Aufständische.
Um erfolgreich Aufstandsbekämpfung zu betreiben, ist oft alles andere als Gewalt notwendig. So heißt es im Leitfaden der US-Regierung zur Aufstandsbekämpfung, in den die Erfahrungen aus Vietnam und dem Irak eingeflossen sind, dass „anders als bei der konventionellen Kriegführung, nichtmilitärische Maßnahmen oft die effektivsten Elemente sind, wobei militärische Maßnahmen eine unterstützende Rolle spielen“.

Im Unterschied zum Krieg zwischen Staaten ist ein Aufstand eben keine Schlacht um Ressourcen oder Territorium, sondern eine, bei der es um das Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten geht. Einen Aufstand zu unterdrücken, bedeutet nicht nur, die Aufständischen zu neutralisieren, sondern auch, die zugrundeliegenden politischen Ursachen der Krise anzugehen und einen exzessiven Gewalteinsatz zu vermeiden.

Arabische Staaten tun sich oft schwer damit, innere Konflikte mit diplomatischen Mitteln und unter Einbeziehung der Bevölkerungsmehrheit einzuhegen. Dementsprechend gelingt es ihnen auch selten, eine aufständische Minderheit mit dem nötigen Augenmaß zu neutralisieren und dabei die Zivilbevölkerung zu schützen. Dabei wäre genau das vonnöten: die Aufständischen penibel von der sie umgebenden (und häufig unterstützenden) Bevölkerung zu trennen. Scheitert das, wird das der Aufstandsbewegung nur noch mehr Rekruten zuführen.

Politik mit anderen Mitteln

In vielen arabischen Ländern ist Politik ein Nullsummenspiel, in dem die jeweiligen Regierungen Machtressourcen und die politische Sphäre monopolisieren und Widersacher ­jeglicher Art ausschließen. Die Aufstände in der arabischen Welt sind häufig das Ergebnis eines solchen Ausschlusses aus der politischen Sphäre. Sie sind Ausdruck eines tiefgreifenden Mangels an Kritikmöglichkeiten an ihren Regierungen. Weitet man es auf die militärische Sphäre aus, dann heißt das, dass man Aufständen mit derselben „The-Winner-Takes-It-All“-Mentalität begegnet: Gegner müssen vernichtet, nicht überzeugt werden.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Irak. Seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 hat das Land eine ganze Reihe von Aufständen gleichzeitig durchlebt; allein zwischen 2003 und 2007 kämpften mindestens vier unterschiedliche Gruppen gegen die Regierung und die im Land stationierten internationalen Truppen – darunter ehemalige Anhänger der Baath-Partei, sunnitische dschihadistische Netzwerke, irakische Nationalisten und militante Schiiten.

Es gelang dabei, das Ausmaß der Gewalt beträchtlich zu reduzieren, weil einige der aufständischen Gruppen politisch kooptiert wurden: Sunniten aus der Provinz Anbar beschlossen, sich der US-Kampagne gegen den Islamischen Staat im Irak (ISI) an­zuschließen, während militante Schiiten wie die Mitglieder der Mahdi-Armee ihre Waffen im Rahmen eines Waffenstillstandsabkommens mit der Regierung niederlegten. Das wiederum erlaubte es den irakischen Sicherheitskräften, ihre Aktivitäten auf die Baathisten und die dschihadistischen Netzwerke zu konzentrieren.

Allerdings erwies sich die Aufstandsbekämpfung als nicht nachhaltig. Nach dem Abzug der Amerikaner 2011 brach sich die politische Unzufriedenheit sowohl bei den Sunniten als auch bei den Schiiten Bahn. Versprechungen, die Sunniten in die ­irakischen Sicherheitskräfte zu integrieren, blieben unerfüllt; die De-­Baathifizierung durch eine vornehmlich schiitische Führung ging unvermindert weiter; auf friedliche Demonstrationen gegen die Regierung antwortete man mit Gewalt; und schließlich scheiterte Bagdad auch noch daran, für Jobs zu sorgen. Mit der Folge, dass die Sunniten einen Rekrutierungspool bildeten, auf den ISIL zugreifen konnte.

Was die Schiiten anging, so begann die vermeintlich aufgelöste Mahdi-­Armee ihre Macht wieder zu festigen, nachdem ihr Anführer, Muqtada al-Sadr, 2011 aus dem selbst gewählten Exil im Iran zurückgekehrt war. Während ihre Reinkarnation, die „Friedens-Brigaden“, mittlerweile den ISIL bekämpfen, hat Sadr keinen Hehl daraus gemacht, dass er sie gegen die Regierung einsetzen würde, wenn er sich dazu veranlasst sehen sollte.

Ein anderes Beispiel ist der Jemen: Die Ursachen des derzeitigen Aufstands gehen bis zu einer Erhebung im Jahr 1962 zurück. Seinerzeit vertrieb eine durch Ägypten unterstützte Rebellion die seit Jahrhunderten herrschende Dynastie der schiitischen Zaiditen (die, Ironie der Geschichte, durch Saudi-Arabien unterstützt wurde) und richtete ein militarisiertes politisches System ein – dessen Vertreter dann damit weitermachten, die Bevölkerung im vornehmlich schiitisch dominierten Gebiet auszugrenzen, aus dem die Huthis stammen.

Als der Geistliche Hussein Badreddin al-Houthi in den neunziger Jahren eine theologische Bewegung mit regierungskritischem Anstrich gründete, sah man das in Sana’a als einen Versuch, die Ereignisse von 1962 rückgängig zu machen. Versuche, al-Houthi im Jahr 2004 festzunehmen, lösten einen Aufstand aus, der seine Wurzeln im Wesentlichen in der Enttäuschung der Schiiten im Norden über die Zentralregierung hatte. In der Folge sollte es der Regierung trotz sechs militärischer Kampagnen gegen die Huthi-Rebellen nicht gelingen, dauernde Stabilität zu schaffen. Zwar hat das jeminitische Militär es vermocht, die Kapazitäten der Huthis zu schwächen. Doch an der Aufgabe, die Probleme zu lösen, die in erster Linie zu dem Aufstand geführt hatten, ist man in Sana’a gescheitert.

Ein Waffenstillstand im Jahr 2010 hielt nicht, weil die Huthis weiterhin aus dem politischen System des Jemen ausgeschlossen wurden, sogar nachdem man 2011 den Präsidenten Ali Abdullah Saleh entmachtet hatte. Obgleich oft als sektiererischer Konflikt dargestellt, ist der Aufstand im Jemen im Kern eine Rebellion gegen Sana’as Legitimität. Es gibt keine militärische Lösung für die Krise: Die Huthis brauchen einen politischen Ausweg. Im Moment allerdings sind weder Präsident Hadi noch seine militärischen Unterstützer in Saudi-Arabien geneigt, Kompromisse einzugehen.

Wie schon T. E. Lawrence von Arabien festgestellt hat, der selbst an der arabischen Revolte gegen das Osmanische Reich teilnahm, ist der Kampf gegen Aufständische „ein heikles und langwieriges Geschäft – ganz so, als wenn man Suppe mit einem Messer äße“. Aufstandsbekämpfung ist heikel, weil sie Infanterie-basierte Maßnahmen erfordert, die inmitten der Zivilbevölkerung durchgeführt werden; und sie ist langwierig, weil sie die schrittweise Trennung der Rebellen von den Zivilisten beinhaltet.

Bei der Bekämpfung der Aufständischen können die Streitkräfte entweder einen „Feind-zentrierten“ Ansatz wählen, der sich darauf konzentriert, die Gegner zu töten und die Bevölkerung für ihre Unterstützung zu bestrafen, oder einen „Bevölkerungs-zentrieten“ Ansatz, der das Unterstützungsnetzwerk der Rebellen austrocknet, indem man Zivilisten davon überzeugt, dass es besser ist, den Rebellen nicht zu helfen. In jedem Fall ist es nicht damit getan, die Aufständischen zu eliminieren. Die Tatsache, dass es sie gibt, hat immer mit der Gesellschaft zu tun, in die sie eingebettet sind, und sie hat daher, quasi von selbst, eine politische Komponente, die zumindest stillschweigend vom Gros der Bevölkerung geteilt wird.

Ein Beispiel für eine Bevölkerung, die sich nach einer dilettantisch durchgeführten Kampagne zur Aufstandsbekämpfung gegen die Regierung gewendet hat, liefert Ägypten. Versuche, die größtenteils beduinische Bevölkerung der Sinai-Halbinsel sesshaft zu machen und ihre illegalen Netzwerke einzudämmen, brachten diese in den achtziger Jahren gegen die Zentralregierung auf. Der Norden des Sinai ist eine der ärmsten Gebiete Ägyptens: Beduinen können nicht den Streitkräften beitreten, es ist für sie schwierig, Land zu erwerben, und sie wurden von der aufkommenden Tourismusindustrie am Roten Meer ausgeschlossen.

Dass die Mehrheit des Sicherheitspersonals auf der Halbinsel vom Festland stammt, trägt sein Übriges dazu bei, bei den Beduinen das Gefühl des Nicht-dazu-gehörens und den Eindruck zu verstärken, dass die ägyptische Präsenz auf dem Sinai eine echte Besatzung ist, ähnlich wie die israelische nach 1967. Hinzu kommt, dass die Begrenzung der Truppenstärke auf dem Sinai gemäß dem Friedensvertrag mit Israel bedeutet, dass Ägypten nur in begrenztem Maße Kontrolle über eine unberechenbare und feindliche Bevölkerung ausüben kann.

Seit den frühen 2000er Jahren haben dschihadistische Netzwerke,  die in den neunziger Jahren auf dem ägyptischen Festland wieder aufgekommen waren, damit begonnen, auf der Sinai-Halbinsel zu operieren. Einige terroristische Angriffe auf touristische Ziele wurden mit radikalen Strafmaßnahmen beantwortet; so wurden Familienmitglieder festgenommen und als Geiseln inhaftiert. In den Jahren zwischen den Angriffen und dem Sturz Mubaraks verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den Sicherheitskräften und der Bevölkerung auf dem Sinai dramatisch. Im Jahr 2008 etwa entführten Beduinen 25 Polizisten, nachdem es bei einer Demonstration zu tödlichen Zusammenstößen gekommen war. Zudem stieg die Zahl der Attacken auf Gaspipelines.

300 000 Beduinen, 2000 Militante

Im Jahr 2011 tauchte die Aufstandsbewegung mit einem Rachefeldzug wieder auf. Während die Streitkräfte mit dem Versuch beschäftigt waren, die Sicherheitslage in Kairo in den Griff zu bekommen, stieg die Zahl der Angriffe auf Polizeiwachen, militärische Einrichtungen und Energieinfrastrukturen ebenso um ein Vielfaches an wie die der Entführungen von Touristen. Einige Militante überschritten sogar die Grenze zu Israel, um Anschläge zu verüben. Das Problem mit dem Aufstand auf dem Sinai ist, wie im Irak, dass es nicht nur eines, sondern verschiedene miteinander verwobene Netzwerke und Missstände involviert. Die dschihadistische Komponente, die aus rund 2000 Militanten besteht, ist in eine beduinische Bevölkerung von 300 000 eingebettet. Während beide Gruppen das Interesse teilen, der Regierung Schaden zuzufügen, weichen ihre Motive dafür in erheblichem Maße voneinander ab.

Trotz zweier militärischer Kampagnen hintereinander – der Operation „Eagle“ und der Operation „Sinai“ – gelang es nicht, den Aufstand zu ersticken, und das, obgleich man mehrere Tausend Spezialkräfte einsetzte, womit man mit israelischer Zustimmung über das in Camp David vereinbarte Limit hinausging. Wenn die ägyptischen Sicherheitskräfte die dschihadistischen Netzwerke ausradieren wollen, müssen sie die Beduinen von den Aufständischen trennen.

Diese Aufgabe würde einschlägige Kenntnisse sowohl über die Bevölkerung wie auch über die Geografie der Region erfordern – doch davon scheint bei den Sicherheitskräften nichts zu finden zu sein. Obwohl die rhetorische Selbstverpflichtung der Kampagne, die lokale Bevölkerung zu „respektieren“ und „Sorge für ihr Wohlergehen zu tragen“, darauf angelegt ist, „die Herzen zu gewinnen“, haben die Zerstörung von über 800 Wohnhäusern, die Umsiedlung von über 10 000 Menschen und das Unterbinden illegaler ökonomischer Aktivitäten exakt das Gegenteil erreicht.

Der Kern des Problems ist das negative Image der Sinai-Beduinen auf dem ägyptischen Festland. In dem Film „Al-Maslaha“ („Die Güter“) von 2012 etwa wird der Beduine Salim als fauler, brutaler Drogenschmuggler ­gezeichnet, während sein Gegenpart Hamza ein freundlicher, hart arbeitender und loyaler Polizeioffizier ist. Dass Ägyptens Militär auf dem Gebiet der „zwischenmenschlichen Beziehungen“ regelmäßig versagt, hat damit zu tun, dass es die Bevölkerung eher als Teil des Problems ansieht denn als die Lösung.

Schmerzliche Erfahrung

Algerien musste in den neunziger Jahren die Grenzen einer Taktik, die Gewalt mit Gewalt vergilt, schmerzlich erfahren. Der Aufstand brach 1992 aus, nachdem die Streitkräfte die ersten landesweiten demokratischen Wahlen aufgrund von Umfragen, die einen Sieg der islamistischen Parteien prophezeiten, abgesagt hatten. Als sich islamistische Guerilla-Truppen im ganzen Land formierten, nahm das Militär die Unterstützer der Parteien ins Visier. Man setzte Hunderte fest und ging hart gegen Demonstranten vor. Ein weit reichendes Gesetz zur Terrorbekämpfung und die Verhängung einer Ausgangssperre verschafften dem Regime die notwendige Luft, um den Aufstand zu bekämpfen. Aber nachdem die Regierung anfänglich zu siegen schien, kam die Aufstandsbewegung 1994 zurück – und zwar stärker als zuvor.

In einer immer stärker eskalierenden Gewalt schafften es beide, die Regierung und die Aufständischen, den Kampf um die Herzen der algerischen Bevölkerung zu verlieren. In Gebieten, in denen die Islamisten harsche Regeln aufstellten und den Zivilisten unter ihrer Kontrolle Geld abpressten, verloren sie die Unterstützung der (zuvor sympathisierenden) religiösen Mittelschicht. Wo dagegen die Einheiten der Regierung willkürlich Zivilisten ins Visier nahmen, schafften sie größere Feindseligkeit – nachzulesen in dem Bericht eines ehemaligen Offiziers der Spezialkräfte, der 2001 unter dem Titel „The Dirty War“ erschien. Das Ausmaß der Gewalt, die von beiden Seiten ausgeübt wurde, fand seinen Ausdruck im Schlagwort „qui tue qui en Algérie“ („wer tötet wen in Algerien“), das bald nach Beginn der Kämpfe die Runde machte.

Der Aufstand brach schließlich in den frühen 2000er Jahren zusammen, nachdem nicht weniger als 150 000 Menschen ums Le­ben gekommen wa­ren. Die Beilegung der Auseinandersetzungen kam durch eine Kombina­tion von zwei Faktoren zustande: militärischem Druck auf die Dschihadisten auf der einen Seite und zwei Gesetzen, die reuigen Aufständischen Amnestie garantierten und dadurch den Pool der Kämpfer dezimierten, auf der anderen Seite. Allerdings gelang es der „Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat“ (Salafistengruppe für Gebet und Kampf), sich mit ihren etwa 300 Kämpfern in die Berge zurückzuziehen. Seither verübt sie immer wieder Terroranschläge. Im Jahr 2006 schloss sich die Gruppe Al-Kaida an und nannte sich von da an „Al-Kaida im islamischen Maghreb“ (AQIM).

Das algerische Militär hat seine Kampagne seither fortgeführt, doch es war nicht in der Lage, das Problem komplett zu beseitigen: Anfang 2013 stürmten Terroristen, die lose mit AQIM verbunden waren, eine Gasanlage und richteten ein Blutbad an, dem 39 Menschen zum Opfer fielen. Heute hat AQIM Schätzungen zufolge etwa 1000 Kämpfer, und das, obwohl Algeriens Regierung erfolgreich darin war, ihrer Infrastruktur und ihren Ressourcen erheblichen Schaden zuzufügen. Jedenfalls hat Algeriens Militär gelernt, dass es, wenn es AQIM in Schach halten will, die Zivilbevölkerung vor Gewalt beschützen muss.

Den meisten arabischen Staaten, die unter einer Form von Aufständen leiden, sind nicht nur eine politische Kultur des Ausschließens und das militärische Credo gemein, dass hartes Zuschlagen die gewünschten Resultate bringen wird; sie operieren auch mit schweren Einschränkungen bei ihren Ressourcen. Dadurch werden ihre Kapazitäten geschmälert, in einen Dialog mit der Bevölkerung einzutreten, um sie letztlich von den Aufständischen zu trennen. So war der Ausbau der lokalen Dienstleistungen ein wichtiges Element der amerikanischen Aufstandsbekämpfung im Irak. Und auf der anderen Seite spielt der Mangel an Arbeitsplätzen eine wichtige Rolle dabei, die Aufstandsbewegungen mit neuen Rekruten zu versorgen, sowohl im Norden des Sinai als auch im nördlichen Irak. Doch da sich die führenden arabischen Politiker bereits in einer ökonomischen Notlage befinden, wird es fast unmöglich sein – um nicht zu sagen, aus ihrer Sicht geradezu kontraintuitiv –, Geld für ein Problem zu verschleudern, das sie zunächst und vor allem als Sicherheitsthema ansehen.

Dr. Florence Gaub arbeitet am EUISS (Europäische Union Institut für Sicherheitsstudien) in Paris vor allem zur arabischen Welt.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2015, S. 44-50

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