Der Fluch der schwarzen Schmiere
Der Ölreichtum korrumpiert auch die russischen Eliten
Öl – die schwarze Schmiere – korrumpiert. Märchenhafte Öl- und Gasgewinne flankieren in Russland eine seit Jahren sinkende Lebenserwartung der Bevölkerung, während russische Superreiche Europas teuerste Villen, Fußballstars, ja selbst Politiker kaufen. Angola wird derzeit nicht Herr seiner Cholera-Epidemie, die Bevölkerung darbt; gleichwohl weisen die Statistiker das Land als eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt aus – dank beträchtlicher Ölfunde, die bei der regierungsnahen Elite versilbert werden. Im Tschad wurde unter Führung der Weltbank der Versuch unternommen, im Rahmen des Tschad-Kamerun-Pipelineprojekts eine entwicklungs- und zukunftsorientierte Nutzung der tschadischen Öleinnahmen sicherzustellen. Nun versucht die tschadische Regierung, das Geld im militärischen Bereich einzusetzen, das Land versinkt in Bürgerkrieg und Chaos. Die Liste des Ressourcenfluchs ist schier endlos.
Gerade Öl war in der Vergangenheit selten eine Triebfeder für wirtschaftliche Entwicklung. Ölexportierende Entwicklungsländer sind in den letzten vier Jahrzehnten weit langsamer gewachsen als die von der geologischen Lotterie wenig „begünstigten“ Länder. Nordostasien dagegen hat seinen rasanten Wirtschaftsaufschwung auf weitgehend unfruchtbarem Felsenboden gebastelt – ohne Rohstoffe. Ökonomen können das Rohstoffparadox gut erklären, jedoch wenig zu seiner Auflösung beitragen:
• Rohstoffarme Länder müssen auf Erziehung, Blaupausen und Wettbewerb setzen; das peitscht sie nach vorne. Dagegen ist die Verteilung der Rohstoffrenten in den Förderländern unvermeidlich konfliktträchtig. Besonders in Afrika, wo der Kolonialismus künstliche Grenzen ohne Rücksicht auf die vielschichtigen Ethnien gezogen hat, steht die Chance auf einen Bürgerkrieg 25:1 für Länder mit Rohstoffvorkommen im Vergleich zu denen ohne.
• Wo das Überleben der Politiker auf der Verteilung von Patronage basiert, steht die zukunftsorientierte Investition der Rohstofferlöse hintenan. Auch wird der Aufbau einer Steuerverwaltung, das Rückgrat eines funktionierenden Staatswesens zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben, vernachlässigt.
• Hohe Schockanfälligkeit paart sich in den rohstoffreichen Ländern mit geringer Schockresistenz. Schocks führen zu großen sporadischen Produktionseinbrüchen, unterlaufen langfristige Planungen und fördern die Abwanderung, oft der Aktivsten. Die hohe Abhängigkeit von Markt- und Wetterrisiken verschreckt zudem ausländische Investoren, sodass zur Risikoabfederung allenfalls öffent-liche Geber bereitstehen. Das wiederum stützt die Almosenmentalität.
• Die Volatilität der Rohstoffexporteure wird unter anderem durch die „Holländische Krankheit“ verstärkt, also die Aufwertungstendenzen als Folge eines Rohstoffbooms, welche die Wettbewerbsfähigkeit der anderen Sektoren schädigen. Das wiederum kann die Tendenz zur Monoökonomie verstärken. Bis zum Beginn des durch die asiatischen Giganten ausgelösten Superzyklus bei den Rohstoffpreisen bedeutete dies auch auf lange Sicht, mit stetig fallenden Exportpreisen leben zu müssen.
Der Ressourcenfluch ist nicht gottgegeben. Er wirkt stärker, wo die Rohstoffrenten räumlich konzentriert sind, wo es kein funktionierendes Staatswesen mit entwickelten Institutionen gibt, wo Patronage und Repression statt Distribution öffentlicher Güter die politische Stabilität der Regierenden sichern sollen. Es gibt einige wenige Länder, die ihren Rohstoffreichtum breitenwirksam genutzt haben: Chile hat seine Mittel aus dem Kupferexport erfolgreich zur Armutsbekämpfung eingesetzt. Ebenso hat Botswana von den Diamantenexporten des Landes profitiert und eine positive wirtschaftliche Entwicklung erlebt. Malaysia hat mit dem Erlös seiner vielfältigen Rohstoffquellen ein erfolgreiches Entwicklungsprogramm und gleichzeitig die Altersvorsorge finanziert. In der OECD haben Norwegen und Großbritannien den Öl- und Gasboom zur Steigerung von Wachstum und Wohlstand nutzen können. Konkrete Lösungshoffnungen liegen im Einnahmemanagement und in der Schaffung von Transparenz.
Ein Teil der Boomerlöse sollte gespart werden. Denn der Boom ist meist von begrenzter Dauer; die Absorptionskapazitäten der lokalen Wirtschaft sind begrenzt; das Ansparen der Rohstofferlöse erlaubt auch den zukünftigen Verbrauch zu steigern, wenn der Boom längst abgeklungen ist. Botswana und Chile stehen für eine Politik der Vorsorge: Akkumulation ausländischer Vermögenswerte, Abbau von Inlandsschulden und Bildung von Stabilisierungsfonds. Doch diese Erfolgsbeispiele sind rar gesät. In Botswana reagiert die Regierung auf die Diamantenerlöse mit einer Regel, die alle öffentlichen Investitionsvorhaben einer Kosten-Nutzen-Analyse unterwirft. Nur diejenigen inländischen Projekte werden finanziert, die eine Rendite oberhalb des Weltzinsniveaus abwerfen. In der Praxis wurde ein großer Teil der Diamantenerlöse im Ausland investiert. Ähnlich in Norwegen, das mit den Öleinnahmen den weltgrößten Pensionsfonds aufgebaut hat, der ausschließlich im Ausland investiert ist. Solche Auslands-investitionen nehmen den Aufwertungsdruck und verringern das Verschwendungspotenzial. Eine Alternative ist die Zurückzahlung inländischer Staatsschulden, die wegen der beträchtlichen Risikoprämie in den Entwicklungsländern meist mehr kosten als Auslandsinvestitionen erzielen können. In Chile wird dies seit 2000 durch eine automatische Verfassungsregel flankiert, die eine antizyklische Fiskalpolitik auf Grundlage des mächtigen Kupferstabilisierungsfonds erlaubt.
Blamieren und Genieren, Transparenz schaffen! Mit der EITI-Initiative (Extractive Industries Transparency Initiative) wurden bereits erste Erfolge erreicht: Sie zielt als Kooperation verschiedener beteiligter Stakeholder mit einer freiwilligen Verpflichtung der Staaten darauf ab, Gelder aus dem Rohstoffexport und Zahlungen von Konzernen sichtbar zu machen, um so die Verteilungsgerechtigkeit zu fördern. Derzeit haben 20 Länder der Initiative zugesagt, darunter zwölf in Afrika. Ein weiterer Ansatz ist die Initiative „Publish what you pay“, die Konzerne dazu verpflichten will, ihre Zahlungen für Erdöl offen zu legen. Damit solche Initiativen Bestand haben, dürfen aber die Rohstoff-Nachfrager nicht ausscheren. Der amerikanische Exxon-Konzern nahm neulich den Versuch zurück, mehr Transparenz in der Zahlungsbilanz Angolas durchzusetzen, wie dies etwa British Petroleum in Nigeria versucht. Exxon wurde aufgeschreckt durch das Beispiel des französischen Konkurrenten Total, der wegen seiner Transparenzbemühungen ein seit 1982 gehaltenes Tiefseefeld an das chinesische Unternehmen Sinopec verlor. Noch schmiert das Öl nicht nur unsere Maschinen!
Prof. Dr. HELMUT REISEN, geb. 1950, arbeitet als Counsellor am Entwicklungszentrum der OECD in Paris und ist Titularprofessor an der Universität Basel. Er publiziert vor allem zu Fragen der Entwicklungs- und Währungspolitik sowie zur Globalisierung.
Internationale Politik 7, Juli 2006, S. 84‑85